vonmanuelschubert 29.10.2025

Filmanzeiger

Texte, Töne und Schnipsel aus dem kinematografischen Raum auf der Leinwand und davor. Kinoverliebt. Filmkritisch. Festivalaffin. | Alle wichtigen Links: linktr.ee/filmanzeiger

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28. Oktober, 23:58 Uhr | Enfant terrible des schwulen Sex

Cum Dump. Im schwulen Sex war dies lange Zeit die Nische in der Nische – aus viralen Gründen. Technisch betrachtet hält hier ein Arsch über Stunden für beliebig viele anonyme Penisse hin. Es ist Sex, der unter der Prämisse des „Mehr ist mehr“ lebt und in der Quantität die größte Qualität darstellt. Es ist ein Fetisch. Und: Ausdauersport.

Corey Hudsonn (mit doppeltem N) ist solch ein besonderer Ausdauersportler und der Protagonist in BEHIND THE OPEN DOOR, einer dokumentarischen Arbeit von Todd Verow, die ihre Weltpremiere im Dokfilm-Programm des Pornfilmfestivals 2025 feierte.

Obsessives Sammeln von Sperma

Anonymität bildet hier die Basis für alles, also ist auch Corey Hudsonn nur ein Synonym und der Twitter-Name des Mannes vor der Kamera. Des Mannes ohne Gesicht, denn auch dies bleibt bis zum Schluss unsichtbar. Wir sehen dafür häufig seinen Arsch, seinen wohltrainierten Körper, seinen Hinterkopf und sein schwarzes Leder-Basecap. Corey arbeitet, wie er es sagt, in einem gewöhnlichen Job in irgendeinem US-Konzern. Ein Job mit Reiseverpflichtungen – die er wiederum für seine Sessions nutzen kann. Würde öffentlich, wer er ist, er wäre seinen Job sofort los.

Hier begegnet uns ein enorm reflektierter Mensch, der sein Tun präzise geplant und faszinierend tief durchdacht hat. So sehr, dass BEHIND THE OPEN DOOR stellenweise wie ein Handbuch des Cum-Dumpings gelesen werden könnte (einige von Coreys Tipps lesen Sie weiter unten).

Filmplakat zu BEHIND THE OPEN DOOR
Filmplakat zu BEHIND THE OPEN DOOR

Es ist nicht der erste Ausflug Todd Verows in dieses abseitige Metier des schwulen Sex. Bereits 2011 untersuchte der US-amerikanische Filmemacher das Phänomen Cum Dumping und das obsessive Sammeln von Sperma in seiner dokumentarischen Arbeit BOTTOM.

Unverstellter Blick

Verow ist ein zurückhaltender dokumentarischer Beobachter, der sich von den üblichen Formen dokumentarischen Erzählens im US-amerikanischen Film erfreulich und erfrischend stark abgrenzt. Ihn interessiert ein möglichst unverstellter Blick.

Dokumentarisches Filmen ist – in seinem Versuch, Realität wiederzuspiegeln – immer auch ein starker Eingriff in eben jene Realität. Eine Inszenierung. Letztendlich. Dem begegnet Todd Verow mit einer maximal heruntergedimmten Vorgehensweise beim filmischen Arbeiten, die seinen Spielfilmen ebenfalls innewohnt. Kleine Kamera, etwas Licht, mehr braucht es hier nicht. Ein Gespräch, das offenkundig jenseits der Bildaufnahmen enstand, bildet das Material für die Tonspur.

In BOTTOM wie BEHIND THE OPEN DOOR ist die Kamera immer in Bewegung und stets mittendrin wie auch nah dran. Wortwörtlich. Sprechende Köpfe, die vor der Kamera Dinge schildern oder erinnern, gibt es nicht. Wie sollte es auch, wenn Anonymität die Grundlage ist? Trotzdem erfahren wir durch die Bilder und die Tonspur eine Menge über die Motive, Gedanken und Handlungen der Männer.

Enfant terrible schwuler Sexualität

Wir erleben hier kein klassisches Interview. Es ist eher ein erkundendes Befragen und nicht notwendigerweise hören wir dabei die Fragen des Filmemachers. Müssen wir auch nicht, denn durch die Antworten der Protagonisten lernen wir ebenso einiges über den Fragesteller.

Todd Verow scheint diesen schwulen Männern sehr offen, sehr unvoreingenommen begegnet zu sein. Ehrliches Interesse. Keine Vorverurteilung.

Gleichwohl lässt sich – gerade in BEHIND THE OPEN DOOR, wo Verow eigentlich noch stärker zurücktritt als in BOTTOM – rekonstruieren, dass er die Extremität des Ganzen sehr genau abzuschätzen weiß und deshalb Corey all die Fragen gestellt hat, die auch das Publikum umtreiben.

Was soll das? Warum tun sie das? Wie geht so was überhaupt – über Stunden zahllosen Schwänzen hinzuhalten, also allein schon rein technisch? Und nicht zuletzt: Ist das nicht einfach auch ziemlich gefährlich auf fast allen Ebenen? Ja, und: Nein (s. Coreys Tipps).

Die (filmische) Kunst, die Todd Verow hier praktiziert, ist die des radikalen Respekts. Cum Dumping, als Spielart des schwulen Sex, steht selbst in der schwulen Community als Singularität da. Viele empfinden es als extrem und zu riskant. Es ist ihnen unverständlich, und nicht selten wird es sogar als schwules Porno-Klischee abwertend belächelt. Zugleich birgt es ein enorm anziehendes Element in sich und ist Trigger für Fantasien. Ein enfant terrible der schwulen Sexualität. Noch.

Methode der Extremität

Der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft – obwohl sie sexuell stark ums Sperma kreist – ist es wohl weitgehend unzugänglich. Daraus jedoch eine Verurteilung oder moralisches Entsetzen zu entwickeln, liefe fehl.

Todd Verow sieht diese Reflexe klar – und ebenso das Element der Glorifizierung. Er aber tut nichts dergleichen. Nein. Er operiert im Modus des aufrichtigen Verstehen-Wollens. Er zeigt Körper ohne Gesichter und findet trotzdem Persönlichkeit. Er dokumentiert Extremität und entdeckt darin Methode und Reflexion. Ja sogar: Routine.

Selbst in der extremsten (konsensuellen) sexuellen Praxis organisiert sich der Mensch. Er denkt nach, setzt Grenzen, sucht Sinn. Corey Hudsonn, der Twitter-User, der vor 14 Jahren eine dokumentarische Arbeit über einen Cum Dump entdeckte – BOTTOM – und darin eines seiner vielleicht wichtigsten sexuellen Bedürfnisse fand, ist ein solcher Mensch.

BEHIND THE OPEN DOOR ist ein Film über die conditio humana. Ein Dokument von seltener Klarheit über das, was Menschen in ihren intimsten Momenten zu sich selbst macht.

• BEHIND THE OPEN DOOR, R: Todd Verow, USA 2025, 71 Minuten, digital, dokumentarische Form

• Die Dokumentation ist noch bis inkl. 10.11.2025 im Streaming-Bereich des Pornfilmfestivals verfügbar, ebenso viele der sehr sehenswerten Kurzfilmprogramme. Der Streamingpass kostet einmalig 45€, das Streaming wird über die langjährigen PFFB-Festivalpartner:innen von Pink Label TV aus San Francisco abgewickelt, hinter dem die Filmemacher:innen Shine Louise Houston und Jizz Lee stecken.

PS: Im nachfolgenden Eintrag einige Ratschläge von Corey Hudsonn – falls Sie es ihm gleichtun und sich ebenfalls von einer Todd-Verow-Arbeit inspirieren lassen wollen. Kino als Lernort, sozusagen.

28. Oktober, 23:57 Uhr | Cum Dump – Ein Handbuch

Wie gelingt es, binnen einiger Stunden dutzende Penisse aufzutreiben und sie im eigenen Loch zum Orgasmus zu treiben? Der Cum Dump Corey Hudsonn liefert dazu in der dokumentarischen Arbeit BEHIND THE OPEN DOOR einige, wenn man(n) so will, hilfreiche Handreichungen. Nachfolgend die Mitschrift seiner Tipps und Tricks. Gebrauch auf eigene Verantwortung.

Das Hotel

Keine Frage, Sie wollen eine Cum-Dump-Session nicht zu Hause abhalten – Sie nehmen ein Hotel. Aber es sollte kein hochklassiges Innenstadt-Hotel sein. Wählen Sie lieber einen unscheinbaren Laden, am besten eine dieser Irgendwas-Hotelketten am Stadtrand oder an der Schnellstraße, in denen man problemlos unsichtbar werden kann. Und besonders wichtig: Das Hotel sollte ohne Sicherheits-Türkarten funktionieren. Ihre Penisse müssen von allein in das Hotel hinein und in Ihr Zimmer kommen können.

Ihr Hotelzimmer

Wählen Sie ein Zimmer, das möglichst abseits gelegen ist, denn während Ihrer Session kann es zu gewissem Lärm kommen. Und Sie wollen definitiv nicht auffliegen, denn dann fliegen Sie nur noch raus.

Inspizieren Sie die Zimmertür. Macht diese Lärm beim Öffnen und Schließen? Klickt das Schloss laut? Ist die Tür schwer? Quietscht etwas? Das ständige Öffnen der Zimmertür darf nicht auffallen. Dem Schloss gewöhnen Sie seinen Lärm mit Gaffer-Tape ab, und das Quietschen lässt sich mit etwas Gleitgel beseitigen.

Das Bett

Wie hoch ist das Bett? Hat es eine angenehme Fickhöhe? Ist es zu niedrig, kann man mit Kissen nachhelfen. Aber es darf keinesfalls zu hoch sein. Sie wollen schließlich einen problemlosen Eintritt des Penis sicherstellen.

Bringen Sie Ihre eigene Überdecke mit – eine Decke, die angenehm zu Ihren Knien und Ellbogen ist, denn darauf werden Sie viel Zeit verbringen. Außerdem schützt die Überdecke Ihr Bettzeug, in dem Sie später noch schlafen wollen.

Licht & Musik

Licht ist wichtig. Sie wollen den Raum keinesfalls zu hell ausleuchten – das behindert Ihre Penisse. Häufig ist Hotelzimmerbeleuchtung zu hell; bringen Sie also eine LED-Lichterkette mit, die es Ihnen ermöglicht, eine angenehme und intime Lichtstimmung zu erzeugen.

Musik ist okay, doch diese Musik darf niemals im Zentrum stehen. Sie muss sich einfügen wie eine Tapete: Sie ist da, aber eben auch nicht mehr.

Untenrum frei leer

Der vielleicht wichtigste Aspekt: Etwa zwei Tage vor Ihrer Session sollten Sie beginnen, genau auf Ihre Ernährung zu achten. Sie wollen für Ihre Session untenrum komplett leer sein und zu keinem Zeitpunkt befürchten müssen, dass ungewünschte Verdauungsreste den Fortgang der Dinge sprengen. Mit guter Vorbereitung können Sie diesen Gedanken komplett aus Ihrem Kopf tilgen und sich dem Spiel hingeben.

Spätestens drei Stunden vor der Session sollten Sie beginnen, sich zu spülen. Restlos. Benutzen Sie unbedingt einen Spülaufsatz – das schont Ihr Loch. Ihr Loch ist in den kommenden Stunden das Zentrum aller Aufmerksamkeit; Sie möchten nicht, dass es irgendwie irritiert ist. Das gilt übrigens auch später in der Session. Verneinen Sie allzu viel Rimming, gerade durch Männer mit kratzigem Bart.

Rausch & Mittel

Verzichten Sie unbedingt auf Rauschmittel – außer Poppers, falls gewünscht. Sie brauchen bei aller Geilheit, Vertiefung und Ekstase immer die Fähigkeit, die Situation um Sie herum kontrollieren zu können. Das dient Ihrer Sicherheit, denn Sie wissen nie, was für ein Mensch in dem Penis steckt, der Sie da gerade fickt. Sie können extrem tolle Menschen treffen, die vielleicht sogar Ihre Freunde werden. Doch das Gegenteil davon ist genauso möglich.

Ein wenig Alkohol ist übrigens okay, aber bitte wirklich nur wenig. Ansonsten gilt, was immer gilt: Trinken Sie ausreichend Wasser. Und ganz ehrlich, Sie haben zahllose Schwänze und deren Sperma im Arsch – wenn Ihnen das allein nicht Droge genug ist, sollten Sie eine Therapie dringend in Betracht ziehen.

Notizen

Falls Sie interessiert daran sind, eine Strichliste zu führen, legen Sie sich einen Notizblock und Stift immer griffbereit neben sich.

Die Gesundheit

Das Sperma von Dutzenden Schwänzen aufzunehmen, ist natürlich nicht ohne Gesundheitsrisiken. Stellen Sie sicher, dass Ihre TasP (HIV-Therapie als Prävention) oder PrEP (HIV-Präexpositionsprophylaxe) gut funktioniert – und ebenso Ihre DoxyPEP (Doxycyclin-PrEP gegen andere STDs als HIV). Es kann klug sein, auch eine Pille danach bereitzuhalten, um STDs wirklich effektiv abzublocken. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt, denn gerade Doxycyclin steht im Verdacht, bakterielle Resistenzen hervor zu rufen. Natürlich sind regelmäßige Kontrollen auf alle STDs unerlässlich.

Achten Sie auch auf Ihre psychische Gesundheit. Cum Dumping sollte niemals ein Werkzeug zur Verdrängung sein. Auch sollten Sie darüber keinesfalls die Verbindung und den Zugang zu den etwas gewöhnlicheren sexuellen Spielarten verlieren.

Booking

Laden Sie viel und weiträumig ein – je mehr Männer, desto besser. Denn Sie müssen eigentlich immer mit 60–80 Prozent No-Show-Quote rechnen. Zu viele Kerle wollen sich einfach nur auf die Fantasie einen runterholen und Ihren Arsch niemals wirklich besuchen.

Und nicht zuletzt: Halten Sie sich von den örtlichen Bottoms fern. Deren Eifersucht kann zutiefst toxische Züge annehmen und Ihnen einiges an Hassposts und Schikane einbringen.

Falls Sie weitere Fragen haben: Corey Hudsonn finden Sie auf Twitter, und er hilft gerne – wie er in BEHIND THE OPEN DOOR zu Protokoll gibt. Denn längst, so seine Beobachtung, sei Cum Dumping keine Nische mehr, sondern Mainstream.

Na dann – auf ins Getümmel.


26. Oktober, 23:37 Uhr | Gewinnerfilme des Wettbewerbs 2025

Auch das Pornfilmfestival Berlin veranstaltet einen Wettbewerb um die besten Filme des Jahrgangs. Gleichwohl die Kurzfilme das Zentrum des Festivals bilden, gibt es auch einen Preis für den besten Spielfilm.

Die Jury, die in einer Liste von sieben Titeln den Besten zu finden hatte, bestand aus der in Berlin lebenden Künstler:in und Filmemacher:in Shu Lea Cheang, der australischen Sexualforscherin, Autorin, Performerin und Künstlerin Zahra Stardust – und mir, Manuel Schubert, Autor dieses Blogs und seit mindestens 15 Jahren schreibend beim Pornfilmfestival Berlin unterwegs.

Obgleich wir drei aus sehr unterschiedlichen Positionen heraus Filme betrachteten und mit unterschiedlichen Ideen in die Sichtung hineingingen, fanden wir letztendlich Konsens in der uns leitenden Frage, wie die Filme des Wettbewerbs bzw. die Filmemacher:innen mit Sexualität und mit Sex auf der Leinwand bzw. dem Bildschirm umgehen.

Sieben

Die vom Festival zur Sichtung vorgesehenen Filme umkreisen indes eine Vielfalt an Genres und reichen vom klassischen Slasher-Thriller über Coming-of-Age und Drama bis zum spielfilmlangen Porno. Auf unserer Sichtungsliste standen:

  • FUCKTOYS | R: Annapurna Sriram, US 2025, 106’
  • BLOWIE | R: altSHIFT-Kollektiv, GB 2023, 75’
  • JANINE ZIEHT AUF’S LAND | R: Jan Eilhardt, DE 2025, 74’
  • LLUEVE SOBRE BABEL | R: Gala del Sol, CO 2024, 111’
  • OLIVIA | R: Inka Winter, FR 2024, 106’
  • SIRENS CALL | R: Miri Ian Gossing & Lina Sieckmann, DE/NL 2025, 121’
  • SORROW BAY | R: Casey Calvert, US 2022, 102’

Um meinen Co-Juror:innen nicht vorzugreifen, beschränke ich mich nachfolgend auf meine persönlichen Eindrücke und meine Gedanken bei der Findung.

Wie ist das also nun mit der Sexualität im Film?

Thriller und Fluch

FUCKTOYS und BLOWIE variieren zunächst auf ihre Weise das Thriller-Genre. BLOWIE geht den direkten Weg des Slasher-Thrillers, während FUCKTOYS über einige mehr oder minder humoristische Umwege schließlich zu einem thrillerartigen Finale findet. Beiden Arbeiten ist ein hohes Production Value zu eigen, sie sehen sehr gut aus und können jeweils mit einem gut aufgelegten Ensemble arbeiten. Aber beide Arbeiten weisen teils deutliche erzählerische Mängel auf.

FUCKTOYS, die Odyssee einer Sexarbeiterin auf der Flucht vor einem bösen Fluch, verliert zunehmend den roten Faden und vergisst, dass da ein Publikum vor der Leinwand oder dem Bildschirm sitzt, das irgendwie auch affiziert und nachhaltig unterhalten werden könnte (s. auch den Eintrag „Pornobums im Prenzlberg“ weiter unten).

Trotzdem kam die Jury zu dem Schluss, dass Sexarbeiter:innen als Held:innen einer populären filmischen Erzählung immerhin noch eine lobende Erwähnung rechtfertigen. Und wie gesagt, der Film sieht einfach verdammt gut aus.

Der Tod kommt in Gummi: Still aus BLOWIE | Foto: altSHIFT Collective/PFFB

BLOWIE ist zwar stringent erzählt – eine Gruppe von Pornoperformern teilt sich für Dreharbeiten ein Wochenende lang ein opulentes britisches Anwesen, bis einer der Creator auf fahrlässige Weise umgebracht wird, wiederaufersteht und Rache nimmt –, allerdings in einem Maße, dass von der Story gar nichts mehr hängen bleibt. Der Film rattert durch die Handlung, als ob er selbst auf der Flucht vor dem Killer wäre. Verschenkt. Leider.

Sex, aber in langweilig

OLIVIA und SORROW BAY sind die dezidiert pornografischen Spielfilmarbeiten des diesjährigen Wettbewerbs. OLIVIA folgt einer erfolgreichen, aber nun strauchelnden Erotikroman-Autorin bei ihrem Kampf mit der Menopause; SORROW BAY begleitet eine Gruppe junger lesbischer Frauen ans Meer, die unvermittelt auf eine mordlustige Sirene treffen.

OLIVIA, eine Produktion des französischen Labels Dorcel, aber erzählerisch in den USA angesiedelt, klingt auf dem Papier interessant und arbeitet erfreulicherweise mit Körpern, die tatsächlich etwas reifer sind, also der Sichtbarkeit von Performer:innen Ü35 Raum geben – was eine wohltuende Abwechslung vom Jugendfetisch der gesamten Pornobranche darstellt. Allerdings ist die Sprache in diesem Film so dermaßen phrasenverseucht und klischeehaft, dass es kaum auszuhalten ist, selbst für pornografisch arbeitende Erzählungen. Hinzu kommt eine erschreckend schlampige Produktion, die auch einfachste handwerkliche Fehler nicht zu tilgen versteht.

SORROW BAY, ebenfalls in den USA spielend, aber vom spanischen Label Lust Cinema der sexpositiven Pornoqueen Erika Lust produziert, ist zwar ziemlich ambitioniert unterwegs. Leider gelingt es Filmemacher:in Casey Calvert nicht, die 102 Minuten Laufzeit, die ebenfalls Anleihen beim Thriller nehmen, zu etwas zu verwandeln, in dem man gerne Zeit verbringt. Vor allem die ersten zwei Drittel des Films wirken bisweilen quälend, woran auch die enervierend ausgedehnten Sexszenen ihren Anteil haben.

Vorsicht, tödlich: Victoria Voxxx als Sirene Raidne | Foto: Lust Cinema/PFFB

Lesbischer Sex auf der Leinwand kann ein Ereignis sein – das beweist das Pornfilmfestival Jahr für Jahr. Aber eine müde Oralnummer über epische 22 Minuten zu stretchen, kaum Schnitte, kaum Rhythmus: Das ist ein Ereignis aus den falschen Gründen. Erst Richtung Finale und mit der letzten großen, enorm energiegeladenen Sexszene bricht in dieser Arbeit das Leben aus. Da finden die Figuren und die sie tragenden Körper für einen kurzen Moment Synchronität – und plötzlich fliegen die Fetzen, als würden die Performer:innen zum ersten Mal wirklich in ihre Rollen schlüpfen. Da hat die Sirene längst Leichen im Wasser, die allerdings völlig egal sind.

Schöne Theorie

Der kolumbianische Beitrag LLUEVE SOBRE BABEL von Filmemacher:in Gala del Sol versucht sich an einer Art Milieustudie über die Figuren eines queeren Clubs in einer namenlosen kolumbianischen Stadt. Auch hier sind zuweilen Thriller-Elemente in die Erzählung eingebaut – jedoch auch allerlei andere erzählerische Ideen. Und genau das ist das Problem: Filmemacher:in Gala del Sol will zu viel. In Ansätzen spannend, nicht nur in Anbetracht des Herkunftslandes, gerinnt LLUEVE SOBRE BABEL zu einem filmischen Chaos, das einen ratlos zurücklässt.

SIRENS CALL von Miri Ian Gossing & Lina Sieckmann war bereits Teil des Programms im diesjährigen Forum der Berlinale. Den filmischen Vorlieben der Sektion entsprechend zeigt sich hier eine interessante hybride Arbeit, die zwischen dokumentarischen, fiktionalen und mystischen Elementen tanzt und nicht nur nebenbei Fragen von Identität, Zugehörigkeit und der Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlage verhandelt – aufgehängt am Phänomen der Merman-Bewegung.

So faszinierend diese Arbeit ist: Im Kontext des Pornfilmfestivals, das natürlich ebenfalls ein Ort ist, an dem Gender- und (queere) Zugehörigkeitspolitiken verhandelt werden, wirkt SIRENS CALL in seiner theorielastigen Abstraktheit fremd, und die nur schwer zu durchdringende Form fällt, auch ob der 121 Minuten Lauflänge, beinahe störend ins Gewicht. Trotzdem war es keine falsche Entscheidung, diesen Film ins Programm zu nehmen. Er steht als Solitär für sich.

Janine aus der Großstadt

Damit ist klar, dass eine weitere Arbeit aus dem Forum der diesjährigen Berlinale der Gewinnerfilm war: JANINE ZIEHT AUF’S LAND von Jan Eilhardt. Gründe gibt es dafür diverse. Natürlich sind die Gender- und queeren Zugehörigkeitspolitiken hier omnipräsent – in dieser Erzählung einer Frau mit der Vergangenheit eines anderen Geschlechts, die in einem deutschen Dorf unfreiwillig alle Konventionen sprengt, auch wenn sie eigentlich nur in Ruhe ihr neues Leben auf dem Land leben möchte.

Unter Beobachtung: Janine (Janine Lear), ihr Ehemann PIerre (Pierre Emö) und ein merkwürdiger Nachbar (Maximilian Brauer) | Foto: Eilhardt Productions/Salzgeber

Die Darstellenden, die Materialität der Settings, die autobiografisch gefärbte Hybridität des Films, die Kamera – vieles an JANINE ZIEHT AUF’S LAND ist außergewöhnlich und preiswürdig.

Sex, aber ernst genommen

Entscheidend (nicht nur für mich) war indes ein Aspekt, der im deutschen Film selten zum Vorschein tritt und dem restlichen Spielfilmwettbewerb des Pornfilmfestivals 2025 ebenfalls abging: der respektvolle Umgang mit Sex.

Sexualität, Lust und Begehren gehören zum Kern des Menschseins. Trotzdem findet Sexualität in der psychologischen Ausstattung von Figuren selten in relevantem Umfang statt. Sex als gleichberechtigter Teil einer Figurenentwicklung und der filmischen Erzählung – Mangelware.

In den oben genannten Arbeiten ist Sex, wo er vorkommt, zumeist ein Gimmick (BLOWIE, FUCKTOYS) oder ein blutleeres und bis zur Langeweile ausgereiztes Stück kommerziell konnotierter Performance (OLIVIA, SORROW BAY). Den Schritt in die Psychologie einer Figur schafft keine dieser Arbeiten. Auch JANINE ZIEHT AUF’S LAND enthält wenig Sex. Aber wo er stattfindet, ist er fundamental – Sexualität als Zentrum der Entwicklung und mit ihr der Körper vor der Kamera.

Angst und Lust

In der einzigen Sexszene bewegen sich die Figuren Peter (Maximilian Brauer) und Janine (Janine Lear) wie im Krebsgang erst aufeinander zu, nur um im nächsten Moment wieder zurückzuweichen, unsicher über die Richtigkeit dieses Schrittes. Und des folgenden.

Letztendlich gerät die Figur des Peter in beinahe so etwas wie einen Schock. Das bisher gewesene Leben dieser Figur ist vergangen. Das Danach indes ist noch ohne Form, noch ungeschrieben. Man sieht, wie er fühlt, zweifelt – sich öffnet, wieder innehält, zwischen Angst und Lust, zwischen Erinnerung und Ahnung. Grenzen, die bis eben noch unüberwindbar schienen, beginnen sich aufzulösen. Das Neue wird sichtbar.

Sexualität ist hier inherenter Teil des Charakters der Figur. Sie folgt einer emotionalen Logik, die nicht bloß Sinn macht. Sie bewegt etwas, sie bewegt die Figur. Verändert sie, durchdringt sie. Und nicht nur sie.

Radikale Begegnung

JANINE ZIEHT AUF’S LAND zeigt, was möglich wird, wenn mensch Sex nicht wegerklärt, nicht vernutzt, nicht domestiziert – sondern ihm zutraut, was er immer schon war: ein Ort radikaler Begegnung mit sich selbst und anderen. Mehr davon!


Gewinner im Wettbewerb des Pornfilmfestivals Berlin 2025:

  • CLUBLUM AWARD – Bester Experimentalfilm: Y2KAGE
  • Bester Kurzfilm: CUMRAGS
  • Bester Dokumentarfilm: WHEN CHUECA DIES
  • CLIPS4SALE – Bester Fetischfilm: BREAKFAST TIME
  • Bester Spielfilm: JANINE ZIEHT AUF’S LAND
    Lobende Erwähnung Spielfilm: FUCKTOYS

25. Oktober, 14:34 Uhr | Satanismus wird überbewertet

Mit DIE SATANISCHE SAU – in gewisser Weise eine Art autobiografischer Nachruf auf sich selbst zu Lebzeiten – zeigt Rosa von Praunheim vor allem, dass ihm sein kühler Intellekt und seine wunderbar schamlose wie messerscharfe Beobachtungsgabe für das (nicht nur eigene, sondern auch) schwule Ich im Gestern, Heute und Morgen abhandengekommen ist.

Was bleibt, ist zermürbend eitles Kokettieren mit (Selbst-)Erkenntnissen auf Abrisskalenderphrasen-Niveau und eine erschreckend beliebige Verwurstung des eigenen Œuvres. Praunheim führt uns damit vor allem vor, dass er als Nachlassverwalter in eigener Sache nicht taugt. Wenn alles nur noch überhöht, „satanisch“ und sowieso versaut ist – wird dann dieses Alles nicht völlig egal?

Der einzig wahrhaftige Moment im Angesicht des Todes findet in diesen 85 Filmminuten nicht im Hause Praunheim statt, sondern bei seinen schwulen* Nachbarn nebenan: Gerd und Conny, die nach 53 Jahren Partnerschaft vom Krebs auseinandergerissen wurden und die Praunheim mehrfach filmisch besuchte. Hier tobt das wahre Leben in all seinem Schmerz über schrecklichen Verlust. Während gegenüber, bei Praunheims, nur plattes Theater aufgeführt wird – Theater als Trauerspiel.

Ach, Rosa.


24. Oktober, 12:23 Uhr | Filmriss

Wie sein eigentlicher Name lautet und wer er ist – das bleibt bis zum Schluss im Verborgenen. Dafür erfahren wir umso mehr über seine zahlreichen Sexdates – und er mit uns. Er befragt die Männer (meist sind es Westler) zwischen Ankommen, Ficken und Abschied. Auffallend interessiert und neugierig.

Schnell wird klar, was hinter diesem Verhalten steckt: Er übernimmt ihre Namen und Geschichten für seine nächsten Dates, er zieht ihre Identitäten an wie Kleidungsstücke. Warum tut er das? Ist es ein Kink? Ein Spiel? Immer weiter treibt er dieses Muster, bis er eines Morgens derangiert und halbnackt in einer Seitengasse aufwacht. Filmriss.

Es ist ein rätselhafter junger Drifter, mit dem uns Filmemacher Jun Li in seinem QUEERPANORAMA durch die Betten des postdemokratischen Hongkongs der Gegenwart schickt. Er entwickelt die Geschichte eines jungen Mannes, der haltlos geworden ist und auf der Flucht zu sein scheint. Mehr und mehr schält sich dabei heraus, dass diese Erzählung untrennbar mit der Stadt Hongkong verbunden ist, die einst eine eigene Identität hatte – bis Peking zuschlug.

QUEERPANORAMA erweist sich als schmerzhafte Fabel über kollektives Trauma.


23. Oktober, 23:19 Uhr | Reden übers Ficken

Es ist gut möglich, von manchen Passagen in Maja Classens dokumentarischer Arbeit TRUTH OR DARE enerviert zu werden.

Classen porträtiert eine Gruppe von Menschen, die alle Teil der sexpositiven Gemeinschaft Berlins sind. Viele vertraute Gesichter, bekannt aus oder durch Arbeiten in früheren Pornfilmfestival-Jahrgängen.

Befragend und zugleich beobachtend erkundet Maja Classen die Existenzbedingungen der sexuellen Beziehungen, die ihre Protagonist:innen jeweils miteinander teilen – und ebenso deren mitunter recht theoretischen und identitären Überbau.

Still aus TRUTH OR DARE | Foto: Maja Classen/PFFB 2025

Guter Sex basiert auf beiderseitigem Konsens über das unbedingt Erwünschte und das nicht Erwünschte. Doch dieser Konsens entsteht nicht einfach im luftleeren Raum, wie wir in TRUTH OR DARE schnell lernen. Es ist ein intensiver Aushandlungsprozess und vor allem ein Dialog.

Verkündigungsbedürfnis

Nun haben wir es hier vor der Kamera jedoch mit Sexprofis zu tun. Diese Menschen verdienen nicht selten ihr Geld mit Sex bzw. Sex als Performance. Das Sprechen darüber ist für sie Alltag – und das damit unbedingt verknüpfte Verkündigungsbedürfnis ebenso. Eine performative Predigt.

Entsprechend irritierend muten hier manche Sequenzen an, wenn die Protagonist:innen über Do’s and Don’ts, ihre Wünsche und ihren gegenwärtigen Zustand aufklären und dabei einen fast schon verwaltungstechnischen Sprech ausüben. Eine Fachsprache, die in ihrer auf Achtsamkeit bedachten expliziten Abstraktion und gleichzeitigen seltsam abstrakten Explizitheit mitunter bizarr anmutet – und unbedingt auch unsexy.

Das macht TRUTH OR DARE allerdings keineswegs zu einer schlechten dokumentarischen Arbeit – im Gegenteil. Der angenehm entspannte Flow dieses Films eröffnet zwischen diesen Sprechakten – und den daraus resultierenden, teils unbeholfen wirkenden Sexszenen – überraschend viel Raum für eigenes Reflektieren über das Gesagte.

Reden übers Ficken

Denn natürlich besteht kein Zweifel an der Notwendigkeit des Sprechens über Sex. Wie könnte es auch? Aber wie gestaltet sich eigentlich unser eigener Talk vorm Ficken?

Was sagen wir? Was kommunizieren wir? Und wie kommunizieren wir? Ist das, was wir sagen, auch das, was wir meinen? Und verstehen wir unser Gegenüber? Interessiert es uns ernsthaft, wirklich, aufrichtig? Oder sind wir am Ende doch wieder zu sehr mit uns selbst beschäftigt?

Haben wir überhaupt den Mut, offen zu sprechen? Oder ist’s am Ende doch eher so ein gestammeltes „Mach-mal“- und „Wird-schon-irgendwie-schiefgehen“-Ding?

Warum fällt uns Sprechen über Sex – individuell und kollektiv – so schwer? Warum kriegen wir das Maul nicht auf? Und wenn doch, warum endet es dann mitunter in lebens- und lustfremdem Wortsalat? Wer oder was behindert uns im Jahr 2025 so dermaßen im Sprechen?

Maja Classen hat dazu in ihrem TRUTH OR DARE auch keine Antwort. Aber sie liefert hier in kaum 75 Minuten eine enorm verdichtete und nachdenkenswerte Anstachelung zum Reden miteinander. Wenn mensch so will, ist es eine Einladung zum offenen Gespräch – auf dass wir uns verstehen lernen.


23. Oktober, 12:04 Uhr | BDSM als Heilung

Paul ist ein jüngerer Kerl in einer größeren Stadt in Kanada und er hat Probleme: Seit Jahren kapselt er sich ab. Er bewirtet seine Depression, kämpft mit Angststörungen und starkem Übergewicht. Er lebt in Games und im Netz, baut sich dort eine sichere Welt. Doch genau dieses Netz wird zum Werkzeug seines Ausbruchs: „Cleaning saved my life.“ – so beginnt er jedes seiner Instagram-Videos. Was nichts anderes bedeutet, als dass er Frauen unentgeltlich Putzdienste anbietet. Und wie alles andere filmt er diese Arbeiten mit seinem Smartphone und stellt sie online.

Still aus PAUL: Paul beim Putzen eines Badezimmers - schwarze Hornbrille, schwarzes Shirt, ein durchschnittlicher, geradezu langweiliger Kerl vom Äußeren her.
Still aus PAUL: Paul bei der Arbeit bzw. in Therapie | Foto: Coop Vidéo de Montréal

Der kanadische Filmemacher Denis Côté begleitet Paul für seine gleichnamige Dokumentation PAUL, die nach der Berlinale 2025 nun zum Glück noch einmal im Pornfilmfestival zu sehen ist, eine Zeit lang mit der Kamera. Er trifft auf einen jungen Mann, der sich mühsam, aber entschlossen aus seiner Misere kämpft. Die Putzdienste sind längst mehr als eine Beschäftigung – sie sind zu einem Rahmen geworden, in dem er gefordert und auch aufgefangen wird. Seine Dominatrixes lassen ihn nicht nur putzen, sondern kontrollieren auch sein Workout, sprechen mit ihm über sein Essverhalten, bringen ihm Yoga bei. Mal ist es eine Strafe, mal ein Ansporn – immer aber ein Spiel mit Kontrolle und Hingabe.

Arbeit am Ich

BDSM als Mittel gegen Angststörungen – das klingt ungewöhnlich, ergibt aber Sinn. Kein anderer Bereich der sexuellen Interaktion ist so stark an den Kopf gebunden, verlangt so viel Arbeit am Ich, um auf die nächste Stufe zu kommen. Was in einer Session funktioniert, strahlt in den Alltag aus.

Paul, dessen Insta-Name schlicht „Cleaning Simp Paul“ lautet (also ungefähr Putzknecht Paul), ist noch mitten im Prozess. Aber so ist das eben mit Heilung – sie dauert. Côtés Dokumentation zeigt, wie gut ihm die Arbeit für und mit seinen Dominatrixes tut und wie sehr sie ihm hilft, seine Ängste Stück für Stück zu überwinden.

Mit einem fast beiläufigen Flow zieht Côté uns in diesen Prozess hinein. Sein Film verweilt nie zu lange an einem Punkt, sondern bleibt in Bewegung – genau wie Paul selbst. So macht er eine zutiefst persönliche Reise sichtbar, wie auch spürbar – und zeigt dabei, wie sehr BDSM einem Menschen helfen kann.


22. Oktober 2025, 15:23 Uhr | Narbengewebe

Narben sind in den Arbeiten auf dem Pornfilmfestival ein durchaus bekanntes Sujet. Und meistens sind es Filmemacher:innen, die die Vernarbtheit von Körpern – von ihren Körpern – zum Thema ihrer filmischen Arbeit machen.

„I’m proud of the scars we bear“, gibt ein:e der Performer:innen gleich zu Beginn des britischen Beitrags THE SHAPE OF US von Filmemacher:in Roxy Nova zu Protokoll. Wir sehen zwei weibliche Körper, die auf jeweils unterschiedlichste Weise geprägt und verändert wurden. Nicht allein Schmuck: Da sind Tattoos – und derer viele. Aber da sind eben auch Narben.

Einer der Körper trägt gleich fünf größere Narben mit sich, doch diese zu zählen, obliegt nicht uns als Zuschauenden. Wir sehen auch nicht unbedingt alle fünf Narben in dieser enorm sinnlichen und beinahe hypnotischen Arbeit. Wir erfahren von ihrer Anzahl fast beiläufig und doch eindrücklich: „One for each scar“, sagt die Dom zu ihrer Sub, während sie ihr mit der Peitsche – noch – zärtlich über Rücken und Arsch streicht.

Körper in engster Nähe

Dass narbengeprägte Körper selbstverständlich ebenso begehrenswert sein können wie die weniger oder nicht vernarbten, ist eigentlich eine Binse. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist es umso schöner oder wichtiger, diese Körper ebenso auf der Leinwand in einem lustvollen Kontext repräsentiert zu sehen wie die anderen.

Der Kontext ist hier der einer BDSM-Session. Es beginnt indes enorm zärtlich: Berührungen, Streicheln, Küssen, Umarmen, Körper in engster Nähe, sich gegenseitig genießend. Der Bildhintergrund, ein sonnendurchflutetes BDSM-Studio, macht uns derweil langsam bewusst, wohin sich dieses kuschelnde Duo bewegen wird – oder bewegen könnte.

Denn Filmemacher:in Roxy Nova führt uns klar vor Augen: Im Idealfall ist der Prozess einer BDSM-Session keinesfalls gradlinig. Es ist ein großer und verschlungener Dialog – ein Dialog, der durch stetiges, aufrichtiges wie neugierig-erregtes Fragen erkundet, wohin die Reise geht: wo das Gegenüber gerade steht, wie es sich fühlt und was als Nächstes kommen könnte.

Tanz um die Begierden

Die Vokabel „Consent“ ist aus progressiven Sexdiskursen schon lange nicht mehr wegzudenken und meint nicht weniger als: Nur Ja heißt auch Ja. In einem BDSM-Kontext ist dies die Grundlage von allem – im alltäglichen „Rein-Raus“ nicht unbedingt. Dabei sollte es in jeder sexuellen Interaktion stattfinden, auch wenn es ein Aufwand ist.

Gleichwohl ist es eine lohnenswerte Anstrengung, wie Roxy Nova und ihre Performer:innen in THE SHAPE OF US veranschaulichen. Der Dialog der beiden Performer:innen nimmt hier bisweilen fast etwas Rhythmisches an. Es ist wie ein sanfter Tanz um die Begierden – und darum, wie sie auf gewinnbringend schmerzvolle Weise befriedigt werden können. Und zu diesem Dialog gehört es eben auch, anzusagen, wie viele Peitschenhiebe als Nächstes zu erwarten sind: fünf – für jede Narbe einen.

THE SHAPE OF US ist eine fantastische filmische Miniatur über die Schönheit des Dialogs im Sex und eine Feier der alltäglichen, der schönen Körper jenseits der Schönheitsnormen – ein ungemein starker Beitrag in einem fast durchweg eindrucksvollen und sehr musikalischen Jahrgang der lesbischen Kurzfilme beim Pornfilmfestival 2025.


21. Oktober 2025, 23:48 Uhr | Pornobums im Prenzlberg

DTM! – Diese Abkürzung, die die beiden international gefeierten Dragkünstler:innen Trixie Mattel und Katya Zamolodchikova in ihrem Podcast The Bald and the Beautiful geprägt haben, steht für Doing Too Much. Übersetzt: Etwas – ein Projekt, eine Tat, ein Kunstwerk – wird so überengagiert mit Leben gefüllt, dass es daran zerbricht oder mindestens dysfunktional wird. Zu viel des Guten. Viel zu viel.

„Doing Too Much“ – irgendwie trifft dies auch auf Annapurna Srirams FUCKTOYS zu – den Eröffnungsfilm des Pornfilmfestivals Berlin 2025 und Gewinner des „Special Jury Award for a Multi-Hyphenate“ (sic!) beim SXSW-Festival in den USA.

Sriram, die in FUCKTOYS auch die Hauptrolle spielt, erzählt lose die Geschichte von AP. AP ist eine junge Sexarbeiterin mit einem großen Problem: Ein Fluch liegt auf ihr, ein ziemlich mieser noch dazu, und er wird ausdrücklich nicht gut enden. So prophezeit es ihr gleich zu Beginn eine Wahrsagerin aus den Sümpfen irgendwo im Süden der USA – hinreißend überzeichnet verkörpert übrigens von der US-Drag- und Bounce-Ikone Big Freedia. Um den Bann zu brechen, so die Seherin, braucht es ein wortwörtliches Opferlamm. Und 1.000 Dollar.

Visuelle Orgie

Damit ist die Story gesetzt. In den folgenden knapp hundert Minuten begleiten wir die junge AP und ihre:n Love Interest bei einem fiebrig-verpeilten Roadtrip auf der Suche nach Geld, einem Lamm – und der Flucht vor den näher rückenden Einschlägen des Fluchs.

Sriram entwickelt daraus eine satte visuelle Orgie. Gedreht auf 16-mm-Film, arbeitet sie mit einer Kamera, die große Gesten und Bilder keinesfalls scheut, sondern diese de facto sucht, die in Korn und Farbe badet – genauso wie in Genres und erzählerischen Topoi. Grindhouse trifft Sexploitation, trifft Roadmovie und Romanze, trifft Buddy-Movie und Thriller; experimentelle Filmkunst der 1970er kollidiert mit den glänzenden, allzu „kuratierten“ Streaming-Schauwerten unserer Gegenwart.

Dieser Film will sehr viel sein – und ist auch sehr viel, das sei betont. Doch etwas Entscheidendes fehlt: eine Geschichte, die trägt. Spielfilm, egal in welcher Form, bleibt eine erzählende Kunstform. Es geht um Figuren, um ihr Sein innerhalb einer Geschichte, um Resonanzräume, in denen Bild, Erzählung und Publikum miteinander verschmelzen. Dort verankern sich Filme in uns, dort schreiben sie sich ein – im besten Fall für immer. Oder wenigstens für länger. Doch dafür hat FUCKTOYS keine Zeit.

Herz des Festivals

Vor Beginn der Vorführung nutzten die Festivalkurator:innen die Bühne des ausverkauften Kino Colosseum in Prenzlauer Berg, wo das Pornfilmfestival 2025 eröffnete und erstmals in seiner Geschichte gastierte, um einen der ihren zu würdigen: Jürgen Brüning – Gründer, Organisator, Kurator, Mentor und Herz des Festivals seit nun zwanzig Festivaljahrgängen.

Mehr als folgerichtig verlieh das Festival seinen ersten Preis des Jubiläumsjahrgangs an eben jenen Jürgen Brüning. In seiner Laudatio auf einen „Anarchisten“, eingerahmt von einer Mini-Werkschau der Arbeiten des Produzenten und Filmemachers Brüning, sprach Filmemacher Wieland Speck, langjähriger früherer Leiter der Berlinale-Sektion Panorama, von einer Besonderheit der Filme, die unter Brünings Einfluss entstanden: Diese Filme bleiben. Sie sind nicht vergessen, wenn man das Kino verlässt. Sie schreiben sich ein. Sie begleiten uns.

Auf FUCKTOYS wird diese Eigenschaft kaum zutreffen. Keine Frage, dies ist ein wirklich toll gemachter Film – berauschend fotografiert, atmosphärisch dicht, mit einem herausragenden Ensemble. Aber eben: Er will zu viel.
Er überdreht, ohne daraus einen Mehrwert zu gewinnen. Lovestory, Milieustück, Mystery, Drama, Thriller, Roadmovie – Versatzstücke, geradezu atemlos und eng aneinandergereiht, bis nur noch das Ornament bleibt. Erstklassiges Film-Fastfood, kunstvoll serviert, abseits von Hollywood. Aber eben auch nur das. Schade.


21. Oktober 2025, 13:00 Uhr | Actionfilme

„Pornos sind Actionfilme und keine Dokumentationen“ 

Madita Oeming, Kulturwissenschaftlerin


 

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https://blogs.taz.de/filmanzeiger/2025/10/29/pornobums-im-prenzlberg/

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kommentare

  • Gerd und Conny, einst verfilmt als „meine Nachbarn“ damals zum 70. von Praunheim voll im leben stehend, betreuten einen behinderten Verwandten und Conny, ein älterer Transvestit betrieb eine plüschige Kneipe „Zum Oldtimer“ in der Schönberger Lietzenburger Str. – Das war damals im episodenfilm den er sich zu seinem 70 schenkte, wohl die eindrucksvollste.
    Daß ist nun über das Sterben von Kettenraucher Conny noch einmal einen Film gab, wußte ich nicht und wird sicherlich spannend, zu betrachten sein…

    • Es ist nicht unbedingt ein Film über Gerd & Conny. Es ist im Zentrum ein Film von und über RvP. Aber eben, es gibt darin Momente, in der Rosa mal rüber geht. Und das ist ein Gewinn für den ganzen Film. Oder soll man eher sagen: Der paradoxe Lichtblick in einer ansonsten problematischen Arbeit?

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