vonfini 11.12.2020

Finis kleiner Lieferservice

Eine philosophische Werkzeugprüfung anhand gesellschaftlicher und politischer Phänomene.

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In der letzten Ausgabe der Punkrock-Zeitschrift Ox war ein Interview mit meiner Band „Black Square“. Ich habe mich riesig darauf gefreut: Es war mein erstes größeres Interview anlässlich unseres Tape-Releases „Potatoes gonna potate“. Dieses Tape ist das erste Mal, dass ich mit einer meiner Bands so richtig aus der Garage rauskomme und der kleine Teil, der immer 16 bleibt, war auch mal ziemliches Ox-Fangirl. Wir konnten wegen der Umstände kein Konzert zum EP-Release spielen und ich war ziemlich aufgeregt darüber, wie Menschen auf das Projekt reagieren.

„Girls should be seen and not heard“

Insbesondere, weil ich dort singe oder vielmehr schreie und dieses weiblich-aggressive durchaus hysterisch bis wahnsinnige Herumschreien aus Gründen des „SOWAS TUT EIN MÄDCHEN NICHT!!!“ eine ziemlich große Hürde für mich war. Aggressives Auftreten und Raumeinnehmen ist immer noch nichts, was sich viele Frauen herausnehmen – ganz im Gegenteil gilt Frau schnell als zickig oder empfindlich, wenn sie ihre Wut oder ihren Schmerz in die Welt brüllt. „Jetzt übertreib mal nicht!“ oder „Hast Du Deine Tage?!“. Was bleibt, ist der sexualisierte Kontext, in dem Frau natürlich hemmungslos die Lust, die ihr der Mann bereitet (!), weithin vernehmbar herauslassen soll. Es ist insofern auch für eine durchaus feministisch gebildete Frau nicht so einfach, sich vor ein Mikro zu stellen und zu schreien. Es bedeutet deutlich mehr emotionalen und auch emanzipatorischen Aufwand als für eine männlich sozialisierte Person – was vielleicht auch zum Teil erklärt, warum das nicht so viele Frauen tun.

Ich war dann also in der Ox…

Die Zeitschrift kam raus, ich bekomme einen ersten Screenshot geschickt und da steht folgendes: „DEISLERS-Gitarrist und -Sänger Bonny mit seiner Freundin Fini“. Als ich den Teaser das erste Mal überflogen habe, dachte ich: „Aww cute, ich bin seine Freundin.“ – ich habe den Screenshot weggelegt (hatte auch relativ viel auf der Arbeit um die Ohren) und Abends dann noch mal genauer gelesen. Als ich realisiert habe, was für ein Bild da von mir entworfen wurde, entstand ein ziemlich unangenehmes Gefühl: Das Gefühl eigentlich nichts beigetragen zu haben und mich damit ziemlich zum Affen zu machen, dass ich in einer Punkrock-Band singen möchte. Denn obwohl die Texte, die Message und das Geschrei von mir sind, ist das ja scheinbar nicht so gut oder nicht so wertvoll, wie Bonny, der schon woanders Gitarrist und Sänger ist. Ich habe mich plötzlich gar nicht mehr wirklich gefreut, sondern fand mich ziemlich albern und dachte: „Hättest Du es mal besser nicht gemacht, scheinbar ist es nicht gut, sondern nur peinlich“. Tatsächlich bin ich erst am nächsten Tag aus dieser Haltung herausgekommen, als jemand auf unserer Mini-Release-Party das Interview durchgelesen hatte und empört die Zeitschrift weglegte mit den Worten: „Denen ihr Ernst – Du wirst als Bonnys Freundin vorgestellt?!“ Denn erst da habe ich letztendlich verstanden, wo mein Gefühl herkam und dass das nicht mein persönliches Problem ist.

Bist Du nicht die Freundin von…?!

Es gibt viele Berichte von Frauen in Bands, die selbst beim Aufbauen ihres eigenen Schlagzeugs gefragt werden, ob sie die Freundin vom Drummer sind. So ist es mir nun durch diesen Teaser auch gegangen und das in aller Öffentlichkeit: Ich werde in einem Interview über meine eigene Band als Freundin vorgestellt, nicht als Sängerin, Philosophin, Unternehmerin, Autorin oder eine der tausend anderen Dinge, die man über mich und meine Fähigkeiten sagen könnte. Ich habe früher schon in Bands Gitarre und Bass gespielt, aber noch nicht gesungen und auch noch nie eine Platte/Tape herausgebracht – in der Ox klingt es aber, als hätte ich mit der Musik an sich gar nichts zu tun, sondern hätte mir halt zufällig einen Musiker geangelt, der mich jetzt auch mal auf die Bühne stellt.

Der Redakteur hatte im Interview sogar noch die Frage gestellt, warum im Punkrock so wenig Frauen unterwegs sind: Weil völlig egal ist, was eine Frau im Punkrock tut – letztendlich bleib sie „die Freundin von“ und die Männer machen die Sache unter sich aus. Und selbst wenn Frau dann ein ganzes Interview über Feminismus geben darf und darüber, was ihr wichtig ist, verschwindet sie trotzdem hinter ihrem Mann. Da dies schon immer der einzige Platz und die einzige Identität ist, die einer Frau von vornherein zustehen (Ehefrau und Mutter), greift das wirklich enorm ungünstig in die allgemeine patriarchale Erziehung, der wir weiterhin ausgesetzt sind und gegen die wir uns deswegen auch in uns selbst immer wieder wehren müssen. Denn ja: Wir sind durchaus die Freundinnen von all den Idioten auf den deutschen Punkrock-Bühnen, aber ist damit unsere Rolle schon erfüllt?! Caring ist okay, wir dürfen auch mal im Backstage die Bierflaschen einsammeln oder einen Social-Media-Kanal mitgestalten, aber auf keinen Fall Präsenz zeigen? Denn abgesehen vom Mackerum gehen patriarchale Verhaltensweisen im Punkrock häufig mit dem „Lost Boy Syndrom“ einher: Der Boy steht genial und mit der Welt im Zwist auf der Bühne, die Frau mit Tränen in den Augen und einer frischen Unterhose am Bühnenrand.

Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist…

Da wir uns auch im Vorfeld des Interviews viel über Feminismus unterhalten haben, wollte ich dem Redakteur via Mail mitteilen, was seine Wortwahl in mir bewirkt hat. Ich wollte ihm und auch der Ox die Möglichkeit geben, irgendwas Sinnvolles damit zu tun. Gegen den Teaser kann man nichts mehr machen, also bleibt das die Überschrift zu dem ersten Artikel über meine neue Band. Aber ich dachte, dass meine Ausführung ihnen irgendetwas sagen würde, sodass in Zukunft weibliche Bandmitglieder in der Ox nicht mehr als „Freundin von“ bezeichnet werden.

Im ersten Impuls hat sich der Redakteur umgehend und ausführlich bei mir entschuldigt. Er erzählte bestürzt, dass er den Text extra auch Frauen innerhalb der Ox zu lesen gegeben habe und auch ihnen das nicht aufgefallen sei. Sein Vorschlag war deswegen meine E-Mail so wie sie war in der nächsten Ox abzudrucken – das wäre ganz großartig gewesen, denn wo mir vorher quasi meine Identität und mein Raum genommen worden waren, wären sie mir damit „zurück“ gegeben worden. Aber das war der Ox dann scheinbar doch too much, sodass nicht ich, sondern er Raum und die Gelegenheit zur Fürsprache für das Thema Feminismus in seiner Kolumne bekommen hat. Er entschuldigt sich und beteuert, dass es nicht seine Absicht war, mich zu verletzen. Genau wie sich Ruhrpott-Rodeo Veranstalter Alex Schwers in der Titelstory derselben Ausgabe zum Thema „Frauen auf Festivals“ auslassen kann, wird auch im Punkrock primär ÜBER Frauen geredet anstatt mit ihnen. Auch der arme Alex kann nichts dafür, dass es einfach keine richtig guten Frauenbands gibt – denn, wenn er die Wahl hat, nimmt er immer die Band mit Frauenbesetzung. Klassisches FAZ-Niveau in Sachen Diskriminierung würde ich mal sagen: Eine Quote würde dem hohen Niveau schaden!

…aber es ist Deine Schuld, wenn sie so bleibt.

Das Patriarchat ist derart verwurzelt und seit Jahrhunderten in Takt – da hilft es wirklich nicht mehr, sich dafür zu entschuldigen. Jeder Mensch muss jederzeit dagegen angehen. Andernfalls wird sich an den patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft nichts ändern und durch Lippenbekenntnisse werden die damit einhergehenden Probleme allenfalls unter den Teppich gekehrt.
Beim Feminismus geht es nicht darum, böse Absichten abzustrafen. Es geht darum zu verstehen, was Eure Handlungen und Äußerungen verursachen – unabhängig davon, ob Ihr sie bewusst tut oder nicht. Es geht auch nicht um persönliche Schuldzuweisungen, sondern um die Komplizenschaft mit der systematischen Unterdrückung von Frauen. Diese Komplizenschaft kann Mann entweder eingehen, indem er patriarchale Verhaltensweisen reproduziert – oder ablehnen, indem er sich und sein Verhalten jederzeit reflektiert und im Zweifel grundlegend ändert. Das ist Eure Aufgabe, um die Unterdrückung der Frau zu beenden. Unsere ist es, die wissentliche oder unwissentliche Unterdrückung aufzuzeigen, solidarisch miteinander zu sein und gemeinsam für eine Änderung des Systems zu kämpfen.

Reflektier‘ Deine scheiß Privilegien!

Denn auf Eurer Seite bestehen die angeborenen Privilegien, auf unserer die anerzogene Unterwerfung. Es verhält sich hier ähnlich wie mit dem Rassismus: Wer die Privilegien hält, ist dafür verantwortlich, sie SELBSTSTÄNDIG wahrzunehmen und im besten Falle aufzugeben. Dazu gehört auch, sich selbst zurückzunehmen und stattdessen Frauen proaktiv Raum zu geben auf Bühnen, Zeitschriftencovern und in Kommentarspalten.

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https://blogs.taz.de/finiskleinerlieferservice/2020/12/11/wie-ich-aus-versehen-meine-identitaet-verlor/

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