vonfini 21.09.2025

Finis kleiner Lieferservice

Eine philosophische Werkzeugprüfung anhand gesellschaftlicher und politischer Phänomene.

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Liebe Nena,

wobei eigentlich ist der Brief nicht an Dich gerichtet sondern „To All The Boys I’ve Loved Before“, aber er bezieht sich inhaltlich sehr direkt auf das, was Du in Deinem letzten Brief schreibst. Denn worin sich sämtliche Faschist*innen dieser Welt einig sind unabhängig von sonstigen inhaltlichen Abweichungen, ist das Patriarchat. Mit dem Begriff wird viel um sich geworfen, reduzieren wir es mal auf den wörtlichen Sinn, der aus dem altgriechischen stammt: Patriarchat heißt „Herrschaft der Väter“. Ich finde es immer mal wieder spannend, mir die reine Wortbedeutung von viel genutzten Begriffen anzuschauen, weil darin häufig etwas liegt, was immer mitgemeint aber selten offen kommuniziert wird. Wie Du schreibst, hat das Stärken von Väterrechten und der Abbau von familiären Rechten, die sich auf nicht-männliche Menschen beziehen, bereits begonnen. Denn ja, auch dies ist ein deutliches Zeichen präfaschistischer Gesellschaften, weil die Position des Vaters rechtlich abgesichert wird, worin sich seine Funktion als Herrscher über Familie und Gesellschaft zeigt. Spannend ist hier auch, dass der Begriff, der eigentlich „Herrschaft des Mannes“ meint – nämlich „Androkratie“ – kaum genutzt wird, um das zu beschreiben, worin wir leben. Was daran deutlich wird: Ein Cis-Mann ist ein Herrscher durch sein Potential ein Vater zu sein. Im Gegensatz zur Nutzung einer Gebärmutter hat dieses Potential nicht mal ein biologisches Verfallsdatum. Dies bedeutet auch für Transmänner, dass sie letztendlich keine Patriarchen sein oder werden können – im Folgenden sind deswegen mit „Männern“ nur diejenigen gemeint, die Patriarchen-Potential mitbringen.

In meinem Umfeld sind hauptsächlich Männer, die sich keine Kinder wünschen. Trotzdem haben nur 2 davon eine Vasektomie machen lassen. Ich frage eigentlich alle Männer, die mir begegnen und behaupten, keine Kinder zu wollen ODER ein feministischer Mann zu sein, warum sie dann keine Vasektomie machen. Die Antworten sind äußerst Schwammig und haben meistens was damit zu tun, dass sie Angst vor OPs an „ihrer empfindlichsten Stelle“ haben. In Hinblick auf das Patriarchat und seine Wortbedeutung ist das aber natürlich nur vernünftig, weil in dem Moment, wo sie keine Väter mehr werden können, verlieren sie ihr Geburtsrecht ein Herrscher zu sein. Die Weigerung eine Vasektomie durchzuführen ist in letzter Konsequenz also eigentlich das Aufrechterhalten eines herrschaftlichen Status. Denn klar: Wieso sollte man sich das Potential für so viel Macht und Einfluss leichtfertig abschneiden?

Ich persönlich empfinde lebendiges Sperma mein Leben lang schon als gefährlich. Es ist vergleichbar mit dem Gefühl, wenn Polizist*innen im öffentlichen Raum Waffen mit tödlicher Munition tragen. Ich weiß, ich kann mich schützen und ich gehöre nicht zur Zielgruppe derer, die „aus Versehen“ erschossen werden – aber trotzdem ist jede Person, die mit so einer Waffe herumläuft, für mich erst mal eine Gefahr und stellt eine Bedrohung dar. Mit lebendigem Sperma ist es dasselbe: Es ist eine Bedrohung für die Gesundheit (im Sinne körperlicher Unversehrtheit), das Leben und die Freiheit von Menschen mit Gebärmutter. Wir haben also auf der einen Seite das männliche Herrschaftspotential und auf der anderen Seite Menschen, die berechtigte Angst um ihre Existenz haben, wenn lebendiges Sperma in ihre Gebärmutter gelangt. Und da ist für die meisten Männer offensichtlich immer noch ihr Herrschaftspotential wichtiger als der Schutz von Menschen mit Gebärmutter.

Es gibt seit einer Weile T-Shirts mit der Aufschrift: „Feminist? Get a vasectomy!“ oder „Against abortions? Get a vasectomy!“, die im Zusammenhang mit der Pro-Choice Bewegung entstanden sind. Ich finde die großartig, weil sie das Problem so simpel darstellen, wie es ist. Ich habe letztens wieder eine Abtreibung bei einer Person mitbekommen und finde die Gefahr, in die Männer ohne Vasektomie ihre Partner*innen mit Gebärmutter bei jedem sexuellen Verkehr mit Sperma bringen, wird komplett verharmlost. Die Person war hormonbedingt nicht mehr sie selbst, sie rief in einem Nervenzusammenbruch bei einer befreundeten Person an und bat unter Tränen um den vereinbarten Preptalk, warum sie dieses Kind jetzt nicht kriegen will. Die meisten Menschen mit Gebärmutter, die ich kenne, haben eine solche Vereinbarung mit anderen Menschen und das aus guten Gründen, weil sich die hormonelle Realität im Falle einer Empfängnis komplett anders darstellt als ohne Empfängnis. Der so called „Kinderwunsch“ ist nichts außer einer bestimmten Hormonkonstellation, die sich in Körpern mit Gebärmutter einstellt sobald dort etwas nistet. Bei manchen Körpern sogar ohne das Nisten mindestens einmal im Zyklus und je älter die Gebärmutter wird umso drängender. Wenn man also ein Mensch bleiben und keine Mutter werden will, muss man Vorkehrungen treffen, um die eigene Biologie auszutricksen. Ein Problem, das Männer nicht haben und nicht kennen. Die spritzen einfach fröhlich in der Welt herum und wollen noch Anerkennung dafür, wenn sie anstandslos ein Kondom benutzen. Rational nachvollziehbar, wenn ihr „Schaden“ bei der ganzen Nummer nur der ist, dann endlich ein echter Patriarch zu sein mit rechtlich fixierter Herrschaft über das Produkt, was nach 9 Monaten aus der beschädigten Gebärmutter herauskommt. Mal ganz abgesehen vom Status: Wenn man in seinem Leben gar nichts hinbekommen hat, niemanden findet, der*die einen liebt, dann kann man immer noch Vater und damit Patriarch werden. Selbst jahrelange Erwerbslosigkeit ist für Väter erträglicher, weil ein Vater „der sich kümmert“ kriegt überall Propz dafür, dass er einfach nur das tut, was der Job eines Vaters ist.

Am 20.09.2025 haben in Köln und in Berlin der jährliche „Marsch für das Leben“ stattgefunden: Eine Demonstration gegen Abtreibungen, gegen Verhütung und für heteronormative Familien, die u.a. von der katholischen Kirche unterstützt wird – es gab sogar einen Gottesdienst im Kölner Dom. Die Bewegung ist christlich-fundamentalistisch und damit ein Sammelbecken für Väterrechtler, Neonazis, besorgte Eltern, sich nach eindeutigen Rollen sehnenden jungen Erwachsenen sowie Menschen mit misogynen Gewaltphantasien aller Art. Seit diesem Jahr zeigt sich außerdem an den eingeladenen Redner*innen deutlich die internationale Vernetzung zu Akteur*innen der extremen Rechten in Frankreich und in die USA, mit dabei in Berlin war Marie-Lys Pellissier sowie in Köln Caroline Smith und Lauren Handy von der US-amerikanischen Gruppe „Progressive Anti-Abortion Uprising“ (PAAU). Andersherum greift auch die AfD inzwischen gerne auf die „Sachverständigen“ dieser Bewegung zurück und rief bereits Kristijan Aufiero von „profemina-1000plus“ oder Tomislav Čunović von „40 days for life“ in den Rechtsausschuss des Bundestags.

Auf dem Schild einer Demonstrant*in in Köln stand: „Not your body – not your choice!“, ich würde sagen, das trifft den Nagel dieser Bewegung sehr auf den Kopf. Denn völlig folgerichtig: Im Patriarchat gehören die Körper, die eine Gebärmutter tragen, solange ihrem Vater bis es einen neuen Vater gibt, der ihnen ein Kind einpflanzt. Der gesellschaftliche Stellenwert von Vätern ist deswegen einer der wichtigsten Schauplätze des Kampfes gegen das Patriarchat. Die Rechte, die sie haben, was sie damit bestimmen können und die Bedeutung dessen, was sie sagen, manifestiert die Hierarchie zwischen Geschlechtern mit Vater-Potential und allen anderen.

Auf der Straße in Köln ist dieser Kampf in diesem Jahr erstmalig sehr deutlich zu Gunsten der Patriarchen ausgegangen: Alle Versuche, den Marsch zu stören, wurden von der Polizei massiv niedergeschlagen. Auch waren auf Seiten der Gegendemonstrant*innen kaum Menschen mit Väterpotential vertreten. In Köln hat sogar zeitgleich ein Konzert der Band Antilopengang stattgefunden – also Musik von leidenden Cis-Männern für leidende Cis-Männer. Zwei mir sehr nahe Männer waren gemeinsam dort mit einer Gruppe von 6 Männern, um den Geburtstag des einen Mannes zu feiern. Der Geburtstagsmann wunderte sich im Vorfeld, dass die Gruppe tatsächlich nur aus Männern bestand, er habe doch alle seine Friends und Beziehungspersonen eingeladen. Wirklich komisch. Wieso sollte man sich denn derzeit vom Patriarchat bedroht fühlen und lieber nicht mit ins Testo-Becken eines Antilopengang-Konzerts springen wollen? Das Patriarchat ist ja nur weltweit auf dem Vormarsch, genauso wie in immer mehr Staaten die Rechte von Müttern, FLINTA*-Personen und gebärmuttertragenden Menschen kontinuierlich beschnitten werden: In den USA gibt es bereits nur noch 2 Geschlechter, in Deutschland sind Abtreibungen verboten und auch das Informieren ist deswegen strafbar, Sterilisationen sind nur ab einem bestimmten Alter möglich und mit sehr hohen Kosten verbunden, die von Dir beschriebenen Rechte für gewalttätige Väter sind alles Schritte auf dem Weg zur faschistischen Familie.

Spannenderweise haben die 2 genannten Männer Freund*innen und sogar Partner*innen, deren eingetragene Geschlecht non-binär ist; die Struggles haben, ihre Sterilisationen zu bezahlen; die extrem eigenständig sind, dafür rechtlichen Schutz brauchen und die sich eher das Leben nehmen würden, als Teil einer faschistischen Kernfamilie zu sein. Trotzdem IMMER NOCH nicht Anlass genug, das Feiern der eigenen Existenz für einen Nachmittag in den Hintergrund zu rücken und sowohl ihnen als auch ihren Genoss*innen wenigstens gegen die Polizei zur Seite zu stehen. Ich finde an diesem Beispiel wird mal wieder sehr deutlich, wie Faschismus und Patriarchat zusammenlaufen, wie das eine auf dem anderen aufbaut und weswegen faschistische Bewegungen historisch noch nie in ihrer Entstehung aufgehalten wurden. Diejenigen, die in präfaschistischen Zeiten zur Zielscheibe werden, sind ohnehin diejenigen, die im Patriarchat keine Menschen sind. Und diejenigen, die als Menschen gelten, sind zunächst nicht betroffen, sondern profitieren eher von den gesellschaftlichen Veränderungen. Endlich kann ein Mann mal wieder ein Mann sein.

Aber eben auch nicht nur auf der Straße geht dieser Kampf immer häufiger zu Gunsten der Väter aus, auch im Privaten und in vielen der Herkunftsfamilien um mich herum, sind die „Kinder“ auch mit über 30 Jahren nicht in der Lage ihren eigenen Vätern etwas entgegenzusetzen. Sie bestimmen weiterhin über das, was Familiennormen sind, wie also in der Familie das Zusammensein ist, wie kommuniziert wird, wer wie leben oder wie sterben darf, wem welches Geld zugeschoben wird, wer ein ordentlicher Erbe ist, wer nicht unterstützt wird und dass sie ALLES FÜR DIE FAMILIE TUN. Diese „Kinder“ lassen immer noch zu, dass die Patriarchen sich bei schlechten Entscheidungen hinter den Müttern verstecken und diese dann die Wut und emotionalen Verletzungen abkriegen oder behandeln müssen, die ihre Führung in der Familie verursacht haben. Klar, viele Mütter sind Komplizinnen des Patriarchats – aber wie ich an anderer Stelle schon mal schrieb: Eine Komplizin ist gleichzeitig auch immer ein Opfer und dadurch weniger schuldbar. Ein Patriarch ist immer ein Täter, weil er eine Wahl hatte, zu herrschen.

Um also zu meiner Anklage zurückzukommen: Cis-Männer brauchen echt nicht herum zu laufen und von ihrer Ohnmacht im Kampf gegen den erstarkenden Faschismus zu erzählen. Gerade sie haben noch relativ viel Handlungsspielraum, um wenigstens das Patriarchat nicht weiter mit ihrer Teilnahme zu verstärken. Das fängt bei einer simplen Operation an, geht beim Schutz von FLINTA* in ihren eigenen Familien sowie der Unterstützung bei der Befreiung von Kindern von ihren Vätern weiter und endet auch nicht da, wo man sich gemeinsam der Polizei entgegenstellt. Cis-Männlichkeit ist wie ein deutscher Pass ein Privileg, das man einsetzen kann. Und da, wo Patriarchat und Faschismus sich die Hand reichen, wird feministische Praxis die einzig sinnvolle Form des Widerstands, um Menschenleben zu retten. Aber klar, ist „dem Manne“ vermutlich wieder ein zu kleines Ziel, wenn er nicht die Welt vor dem Faschismus retten, sondern nur verhindern kann, selbst ein Mittäter zu werden.

Du schreibst am Ende Deines Briefs:

„Ich betone ja immer mal wieder, dass leider auch ich so ein Mensch bin, die durch viel Leid erst am eigenen Leib Erfahrungen machen musste, um ihr Abstrampeln im Butterfass zu begreifen und die nicht, wie einige andere Menschen, am Modell lernen und erfassen konnte, was ihre Marginalisierung, aber auch ihre Privilegien eigentlich genau bedeuten.“

Danke Dir für diese Ehrlichkeit, die ich bisher noch von sonst niemandem erlebt habe. Ich glaube, darin liegt nämlich ein zentraler Punkt dafür, weswegen Solidarität wenn dann nur unter Menschen passiert, die in etwa dasselbe Erleben oder ein ähnliches Problem haben. Und ich meine hier nicht die trendy Version von Solidarität, wo man einfach nur zur moralisch „richtigeren“ Seite gehören will, sondern tatkräftige Solidarität beispielsweise gegen den Faschismus. Wenn schon das Erleben dessen, was die direkten Lieben bedroht, nicht dazu führt, den eigenen Handlungsspielraum auszuschöpfen – müssen wir echt immer wieder warten, bis es keine Handlungsspielräume mehr für irgendwen gibt?

Unendlich traurige Grüße, aber ebenfalls mit sehr viel Dankbarkeit für unseren Austausch

Fin

 

1. Brief: Wahlplakate 2025

2. Brief: Im Namen der Sicherheit

3. Brief: An Regeln halten

4. Brief: Lahmgelegt

5. Brief: Suizide auf den Gleisen – Morde an den Grenzen

6. Brief: Neu definiert: besser „gesund“ als bedürftig, lieber tot als krank

7. Brief: Muttertag 2025

8. Brief: Bis hierher lief’s noch ganz gut, bis hierher lief’s noch ganz gut, bis hierher lief’s noch ganz gut

9. Brief: Ich möchte lieber nicht

10. Brief: Raubbau am Sozialsystem

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