vonfreiraum 28.05.2020

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Von Julika Zimmermann, WECF

Unser Büro in München liegt im dicht bebauten Herzen der Stadt im Erdgeschoss. Wer aus dem Fenster unseres Meeting-Raums blickt, schaut nur auf drei kalte Hauswände, die einen dunklen Schacht begrenzen, vielleicht gerade einmal fünfzehn Quadratmeter groß. Es kommt kaum Licht hier herunter und der Boden des Schachtes ist steinig und moosig, feucht und kalt. Selbst zur Mittagszeit im Sommer gelangen die Strahlen der Sonne nicht bis zum Grund. Nichts desto trotz, wächst hier eine Pflanze. Allein und langsam und sehr hübsch ist sie nicht. Aber sie wächst und lebt und ragt sich immer weiter hinauf in Richtung des Fleckens Himmel über sich.

Diese Pflanze erinnert aktuell mehr denn je an unsere Kämpfe. Kämpfe für Gerechtigkeit und Menschenrechte beginnen meist unbemerkt in stillen oder vergessenen Ecken. Doch obwohl unser Büro eng ist und das Licht spärlich (und die Glühbirne im Flur meistens kaputt), fühlen wir uns hier sehr wohl. Wir sind Frauen aus drei Generationen und von drei verschiedenen Kontinenten, wir haben verschiedene Geschichten, verschiedene Meinungen, verschiedenes Wissen. Was uns verbindet ist die Vision einer gemeinsamen Zukunft, die wir mit Millionen von Menschen auf der ganzen Welt teilen. In diesem geschützten Raum planen wir unsere Projekte, gedüngt mit den bereits erreichten Zielen von längst vergangenen Feminist*innen und Menschenrechtler*innen vor uns.

Seit Covid-19 unseren Alltag bestimmt, arbeiten wir von Zuhause, verborgen hinter unseren eigenen vier Wänden. Doch voneinander getrennt sind wir nicht. Denn von hier aus sehen wir mit seltener Deutlichkeit sämtlichen Krisen, die die Welt zu bewältigen hat. Die Wirtschaft ist am Boden. Sie steht schlechter da als bei der letzten Weltwirtschaftskrise. Eigentlich steht sie nicht besser da als unsere klägliche Pflanze in dem kalten, dunklen Schacht vor unserem Bürofenster.

Die Krise nach der Krise nach der Krise

Covid-19 kam plötzlich und unerwartet und hat sich in unser aller Leben gefressen. Menschen sind gestorben und andere werden sich aus anderen Gründen nicht wieder von dieser Pandemie erholen. Viele Menschen fürchten um ihre Arbeitsplätze, Selbstständige fürchten um ihre Existenz und es ist fraglich, ob wir das öffentliche Kulturleben jemals wieder so erleben werden wie zuvor, oder ob Theater, Kinos und Konzerthäuser nicht dauerhaft schließen müssen.

Ja, die Covid-19-Pandemie kam unerwartet, doch wohl kaum überraschend. Denn seit Jahrzehnten schlittern wir von einer Krise in die nächste, während uns permanent der Klimawandel im Nacken sitzt. Panisch ringen wir nach Luft, suchen das Licht, und die Politik tut, was sie tun muss: Die Wirtschaft retten, Jobs retten, Versorgungswege retten. In Deutschland bringen Milliarden von Euro die Luftfahrt- und Automobilindustrie wieder auf Kurs. In den Niederlanden investiert die Regierung in fossile Infrastruktur, um ihren Öl-Riesen Shell zu retten. Flugverkehr, Autos, Öl – Hier wird investiert und alle wischen sich erleichtert den Schweiß von der Stirn, wenn BMW, Daimler und Co wieder schwarze Zahlen schreiben. Bis die nächste Krise kommt.

Unser System hat sich als nicht sonderlich resilient erwiesen. Unsere Bürokratie brach zusammen, als 2015 hunderttausende Geflüchtete nach Europa wanderten. Unser Finanzsystem brach zusammen, als die Kreditblase am US-amerikanischen Immobilienmarkt platze. Und gerade jetzt bricht unsere Wirtschaft zusammen, weil ein Virus die Welt befällt. Diese Krisen klingen verschieden und dennoch haben sie eines gemeinsam: Ihre Grundursache liegt in unserer globalisierten, neoliberalen und patriarchalen Marktlogik.

Mut zur Schwäche

Doch trotz diesen Erfahrungen der letzten 20 Jahre, wird immer noch am wachstumsorientierten Kapitalismusmodell festgehalten. Das ist nicht nur nicht logisch, sondern schlichtweg nicht klug.
Die Covid-19-Pandemie hat viel in Bewegung gesetzt und viele Schwachstellen offen gelegt und das ist gut. Sie zeigt, dass Hilfsgelder theoretisch fließen können, wenn sie gebraucht werden – nur leider fließen die größten Summen in die falsche Richtung.

Am 25. Mai bewilligte die Bundesregierung ein neun Milliarden schweres Corona-Rettungspaket für die Lufthansa, während systemrelevante Care- und Pflegearbeit nach wie vor kläglich unter- oder sogar unbezahlt bleibt. Die Pandemie zeigt, dass unser Gesundheitssystem belastbar ist – nur dass die Belastung zum Großteil auf einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ruht: der weiblichen. Sie zeigt, dass wir in der Nachbarschaft, der Familie und dem Freundeskreis zusammenstehen können – doch dass über Europas Grenzen hinaus Hilfe ausbleibt.

Das beste was uns jetzt passieren kann, ist, dass wir lernen. Dass die Politik und wir als Gesellschaft annehmen, was wissenschaftlich schon längst bewiesen ist: Die Erde ist endlich. Unsere Ressourcen sind endlich. Ein Wald darf nur in dem Tempo geschlagen werden, wie neuer Wald nachwachsen kann. Das versteht jedes Kind.

Was wir brauchen heißt Ökofeminismus

Wasser wird durch die Kontaminierung durch Giftstoffe und Chemikalien immer knapper. Und nicht nur die Ressourcen der Erde sind endlich, sondern auch die von uns Menschen. Die Doppelbelastung durch Lohnarbeit und häuslicher Pflegearbeit ist immens und während Krisenzeiten kaum stemmbar. Häuslicher Gewalt kann wegen Ausgangsperren nur schwer ausgewichen werden und der extreme Anstieg von Fällen zeigt, was für ein Gewaltpotential in jedem Haushalt zu Normalzeiten schlummert.

Niemand von uns hat sich die Lage, wie sie momentan ist, ausgesucht. Kein Mensch wollte, dass so etwas passiert. Doch auf keinen Fall dürfen wir dieselben Fehler machen wie die letzten Male. Wir dürfen nicht mehr auf eine Autoindustrie bauen, denn selbst wenn alle Menschen Elektroautos fahren würden, wäre das keine Lösung des Problems. Ja, das wird erstmal Arbeitsplätze kosten. Doch mit einer gerechten Transitionspolitik werden die Arbeitsplätze nicht weniger werden, sondern sich lediglich verändern und neu gestalten.

Wir brauchen saubere Mobilitätskonzepte, nahhaltige, dezentrale Energielösungen und eine gerechte Umverteilung sämtlicher Ressourcen, sei es Geld, Boden, Strom oder ein Dach über dem Kopf. Wir brauchen ein Verbot sämtlicher Pestizide und einen konsequenten Schutz unseres Grundwassers und unserer Umwelt. Natürliche Lebensräume von Wildtieren und Wildtiere selbst müssen geschützt werden, um die Übertragung von weiteren, für Menschen gefährliche Viren zu vermeiden.

Die Ressourcen der Erde sind endlich

All das setzt voraus, dass wir uns nicht mehr an einer wachstumsorientierten Wirtschaftsweise festklammern, sondern an Gemeinwohl, Umweltschutz und Menschenrechten. Es setzt voraus, dass wir uns sowohl einer patriarchalen, als auch einer kapitalistischen Denkweise entledigen. Das bedeutet, dass Entscheidungen in Wirtschaft und Politik sich an Werten wie Inklusion, Fürsorge, Nachhaltigkeit und Gesundheit orientieren und nicht an Rücksichtslosigkeit, Zielstrebigkeit und Dominanz. Es bedeutet auch, dass sämtliche unbezahlte Arbeit gerecht zwischen den Geschlechtern aufgeteilt wird. Es bedeutet, dass wir Genderrollen hinterfragen und Schutzräume für kritische Männlichkeit öffnen, damit sich jede*r unabhängig von patriarchalen Geschlechterbildern entwickeln kann.

Wir sind Frauen*, die es nicht leid werden, wütend zu sein. Wir werden es nicht leid, nach einem gerechten Leben für alle zu streben. Wir sind wie die Pflanze vor unserem Bürofenster, ein Organismus, der auch im Dunkeln wächst und Richtung Himmel strebt, bis er endlich blüht. Momentan ist unsere Gesellschaft in der seltenen Position zu entscheiden, welche Pflanze gedüngt und gefördert werden soll: Das lädierte, mehrmals geflickte patriarchale Kapitalsystem oder die widerstandsfähigen Ideen ökofeministischer Strukturen.

Kein Mensch kann wissen, wo uns ein neuer Weg hinführt. Doch es ist nur logisch und klug einen neuen Weg zu gehen, wenn der alte immer wieder vor einem Trümmerhaufen endet. Alternative Modelle gibt es bereits. Wir müssen nur loslegen. Und wenn wir langsam gehen, einen Fuß vor den anderen setzen, schauen, dass alle mitkommen, egal welcher Herkunft, Gender oder gesundheitlicher Verfassung, haben wir gute Chancen das Fleckchen Himmel sicher zu erreichen.

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https://blogs.taz.de/freiraum/wenn-nur-noch-truemmer-stehen/

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kommentare

  • Es ist erschreckend, wie viele Gutdenkende, Politiker, Vertreter von verschiedenen Umweltorganisationen gerade diese letzten Sätze nicht ausführen, denn der Klimawandel, die Auswirkungen dieser Pandemie auf Wirtschaft und Menschen lassen sich nicht aufhalten. Aber wenn ein Wandel in den Köpfen der Politiker, der Konzernlenker, aller Menschen stattfindet, dann könnte man zu einem humaneren Handeln und nachhaltigem Konsum kommen. Nicht die armen Menschen in den fernen Ländern ausbeuten, sondern eine einfache Wirtschaftsstruktur dort aufbauen, damit sie für ihr Land produzieren können und dann die Produkte ehrlich auf den Markt bringen, dieses Freihandelsabkomme liegt seit mehr als 20 Jahren in den Schubladen der G7 Staaten. Wenn man dann noch die Waffenindustrie verpflichtet für die legale Rüstung der eigenen Länder zu produzieren, so man sie denn benötigt. Kriege aussetzt, weil es da immer um Glauben und Wirtschaft geht über den Köpfen der Menschen hinweg. Aller Steuerlöcher schließt und jede Möglichkeit der Steuererhebung nutz, könnte man den Klimawandel abfangen und die Auswirkungen verlangsamen. Für die nächsten Generationen eine lebenswertere Welt schaffen für alle Menschen auch für die Wirtschaften der einzelnen Länder. Überproduktionen einiger und der daraus resultierende Reichtum geht immer auf Kosten ärmeren Länder und nicht funktionierender Wirtschaften.

  • Danke Julika Zimmermann, für diesen wunderbaren Text, der meine Seele berühert hat, den genau so hätte ich es auch schon lange gerne ausdrücken wollen. Ich kenne auch genug andere Frauen und z.T. einige wenige Männer, die dies zumindest im Ansatz ebenso denken bzw. empfinden.
    Wichtig ist, dass sich die Massen erheben, zusammenschliessen oder gemeinsam jeder für sich in eine andere Richtung marschieren, so wie ich vor der Krise Tag für Tag viele hundert Radfahrer gesehen habe, die sich still für den Umweltschutz engagiert haben, indem sie einfach einen anderen Weg eingeschlagen haben. So wie es im Stillen Wohngemeinschaften von Jungen und Alten gibt, die sich gegenseitig unterstützen, befruchten und jeder seinen kleinen wertvollen Beitrag leistet, sich gleichzeitig zu Hause aufgehoben und geliebt fühlt.
    So, wie es kleine, lokale biologisch wirtschaftende und zur Natur zurückkehrende Denkens-Gemeinschaften gibt, die ihren gesunden Überschuss aus landwirtsch erzeugten Produkten den Menschen zur Bedarfsergänzung anbieten, welche sich ebenfalls natürlicher ernähren, natürlicher leben möchten.
    Der Wandel findet im Stillen statt und weder Politik noch globale Wirtschaft können dabei Halt oder Richtung weisen, denn es bedarf des Mutes und der Kreativität jedes einzelnen, sich in das Abenteuer Leben anders hinein zu entwickeln und sich dabei an den kleinen stillen Vorbildern zu orientieren.

  • “Wenn nur noch Trümmer stehen” spricht mir wirklich aus dem Herzen und ich habe den Artikel direkt geteilt und an ein paar Freunde (ohne Facebook/Twitter) per E-mail geschickt!!

    Ich bin und bleibe eine Optimistin, glaube nach wir vor daran, dass der Großteil der Menschheit endlich begreift, was Sache ist und entsprechend handelt…und dass die ganzen geld- und machtgierigen und korrupten “Großkotze” dieser Erde wegfallen oder sich endlich besinnen. Es kann nicht sein, dass ein Internetgigant 1 Milliarde am Tag einnimmt und kaum oder gar keine Steuern zahlt…diese Ausbeuterei von Pflegepersonal und dieses “Leben” auf Kosten der Ärmsten der Bevölkerung MUSS aufhören. Ich denke, ich bin eine gebildete Frau, nicht auf den Kopf gefallen, ich kann mich ausdrücken, bin höflich und zuvorkommend, sozial engagiert und SUCHE Arbeit!! Ich “lebe” von Hartz IV seit über einem Jahr, was kaum jemand weiß aus meinem Freundeskreis, weil ich “geächtet” werde…Ich bin nicht stolz drauf, wahrhaftig nicht…meine hunderte von Bewerbungen endeten hin und wieder in Vorstellungsgesprächen, wo man mir z.B. für eine verantwortungsvolle Bürotätigkeit 9, 35 /Std anbot…oder 8€/Std plus eine Mahlzeit als Rezeptionistin in einem Pflegeheim! (incl. Wochenenddiensten natürlich)

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