vonfreiraum 06.06.2024

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Von Julika Zimmermann, WECF

Wer die selbst ernannte Alternative für Deutschland auf der Europawahl-Edition der Ecofeminist Scorecard sucht, einer ökofeministischen Einordnung von sieben Parteiprogrammen, wird enttäuscht. Der Grund dafür ist simpel. Wir vom internationalen Netzwerk WECF (Women Engage for a Common Future) negieren die AfD nicht auf unserer Ecofeminist Scorecard, weil wir sie für ungefährlich halten oder uns nicht mit ihr beschäftigen wollen. Ganz im Gegenteil.

Vielmehr wollen wir keinen Milli-Teil einer Sekunde suggerieren, dass die AfD irgendwie wählbar sei. Dass sie eine Partei wäre, über die sich für ein demokratisches Europa diskutieren ließe. Sie passt in kein demokratisch gewähltes Parlament dieser Welt, und daher auch nicht auf unsere Wahlhelferin für die Europa-Wahl.

Da wir die AfD aber durchaus als Bedrohung wahrnehmen, haben wir uns ihr Parteiprogramm genauso angeschaut, wie das der sieben anderen Parteien auf der Ecofeminist Scorecard 2024. Spoiler: Es war grauenvoll. Wer sich diese Tortur durch die Grauen des AfD-Parteiprogramms ersparen möchte, findet hier die relevantesten Ergebnisse aus ökofeministischer Sicht zusammengefasst.

Die Klimakrise gibt’s nicht? Meinen die das ernst?

Wer sich das Parteiprogramm der AfD durchliest, wird sich früher oder später immer wieder dieselbe Frage stellen: „Hä?“ Und zwar in verschiedenen Varianten. „Hä? Meinen die das ernst?“, „Hä? Das widerspricht sich doch mit der Aussage im letzten Kapitel!“, „Hä? Was hat das eine jetzt mit dem anderen zu tun?“ und nicht zuletzt: „Hä? Was wollen die eigentlich?“.

Die erste der „Hä?“-Fragen lässt sich klar mit „leider ja“ beantworten. Zum Beispiel, wenn es um die Frage geht, ob sie das mit der Leugnung des menschengemachten Klimawandels wirklich ernst meinen. Tatsächlich leugnen sie nicht nur den menschlichen Einfluss auf die Klimaveränderung, sie negieren auch die Folgen, die dieser hat.

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So schreiben sie auf Seite 39: „Trotz des durch Medien und Politik verbreiteten Alarmismus zeigen sich in der Realität weder vermehrte Extremwetterereignisse noch ein beschleunigt ansteigender Meeresspiegel.“ Und zwei Seiten weiter: „Wir teilen die irrationale CO₂-Hysterie nicht, die unsere Gesellschaft, Kultur und Lebensweise strukturell zerstört.“

An diesen Zitaten zeigt sich, dass die AfD nicht einfach nur aktuelle Strukturen in Forschung und Wissenschaft kritisiert oder zweifelhafte Quellen hinterfragt. Es zeigt sich vielmehr, dass sie die Augen vor Begebenheiten verschließen, die so real sind, wie ein Baum im Wald. Aber die AfD dreht sich einfach um und guckt in die andere Richtung. Kein Wald, keine Bäume, kein Problem.

Zugegeben konsequent ist dann die Abneigung gegen alles, was den menschengemachten Klimawandel aufhalten soll. Sie fordern die „Abschaffung aller Klimaschutzgesetze auf nationaler und europäischer Ebene“1 – darunter auch den European Green Deal – und die Streichung aller Subventionen für Solar- und Windenergie. Gleichzeitig fordern sie, dass „Deutschland und Europa […] wieder zu den führenden Anbietern im Bereich der Kernenergie werden [müssen]“ und die Kohleverstromung erhalten bleiben soll.2

Ein Programm voller interner Widersprüche

Diese irrationale Abneigung gegen Klimaschutzmaßnahmen stürzt die AfD allerdings auch in eine Ansammlung von inhaltlichen Widersprüchen in ihrem Wahlprogramm. Auf Seite 40 bezeichnet die AfD ihr Energiekonzept als „umweltschonend“, weil es offenbar „auf Ressourcenschonung und geringen Flächenverbrauch abzielt.“ Gleichzeitig verunglimpfen sie die Windenergie, in dem sie einfach mal – ohne Quellenangabe – behaupten: „Keine andere Energieform fordert einen solch hohen Blutzoll in der Tierwelt wie die Windkraftindustrie!“.

Tierwohl und Umweltschutz sollen also als Argumente herhalten, warum Klimaschutzmaßnahmen schlecht seien. Dabei wird schnell klar: Jedes AfD-Mitglied, das Tiere und Pflanzen schützen will, wird in der eigenen Partei seine schlimmsten Feind*innen finden.

Laut einer Studie des WWF und der Universität East Anglia werden „rund die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten in den weltweit bedeutendsten Naturregionen“ der Klimaerhitzung zum Opfer fallen.3
Übrigens genau dieser Klimaerhitzung, die durch Kohle- und Gasverstromung angefeuert wird. Aber da der AfD ja bekanntlich alles egal ist, was außerhalb der deutschen Grenzen passiert, gibt es hier noch Zahlen zu Deutschland: Der Vogelbestand in der deutschen Agrarlandschaft hat in den letzten 25 Jahren um 30 % abgenommen. Gleichzeitig sind in den letzten 27 Jahren rund 75 % aller Insektenarten in Deutschland verschwunden.4

Als Hauptgrund für das Artensterben – sei es nun weltweit oder in Deutschland – wird aber NICHT die Windenergie genannt. Sondern: Agrarpolitik, Lebensraumzerstörung, Umweltverschmutzung und – jawoll – die Erderhitzung.5

Irgendwo, tief in ihrem Herzen, scheint die AfD das vielleicht sogar verstanden zu haben. Sie schreibt nämlich:

„Eine intakte Landschaft und Natur beispielsweise mit hoher Biodiversität, wenig versiegelten Flächen, vernünftigem Gewässermanagement mit naturbelassenen Flüssen und Auen ist auch in Bezug auf verschiedenste Wetterlagen widerstandsfähiger und flexibler.“6

Allerdings zeugt es von unverhohlener Ignoranz, dramatische Klimaerhitzung als „verschiedenste Wetterlagen“ zu bezeichnen – insbesondere gegenüber Landwirt*innen, denen diese „verschiedenste Wetterlagen“ das Leben und die Arbeitsbedingungen schon jetzt zur Hölle machen.

Für Landwirt*innen nur ein Haufen Kuhmist

Für die deutschen Landwirt*innen hat die AfD übrigens einen ganz besonderen, AfD-mäßigen Plan: keinen. Anstatt einfache Maßnahmen für mehr Biodiversität zu formulieren (z.B. Verbot von Pestiziden – nur so eine Idee) oder effektive Hilfen für Landwirt*innen zu entwickeln (z.B. Lebensmittelpreise nicht vom Markt bestimmen lassen – nur so eine Idee), lässt sich die AfD darüber aus, wie die deutsche „gewachsene Kulturlandschaft und Umwelt durch einen immer weiter ausufernden und unerbittlichen EU-Zentralismus zunehmend gefährdet“ wird. Die EU ist also schuld.

Die Lösung der AfD ist daher „die Unabhängigkeit der Landwirte zu stärken und marktwirtschaftliche Prinzipien wieder in den Vordergrund zu rücken.“7 Wo wir bei der Frage angekommen wären „Hä? Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“ Die EU ist schuld – mehr Wettbewerb muss her! Klar nachvollziehbare Schlussfolgerung (nicht).

Aber es kommt noch besser. Mal abgesehen davon, dass mehr Wettbewerb AUF KEINEN FALL für bessere Arbeitsbedingungen, mehr Tierwohl und mehr Umweltschutz sorgen wird, glänzt die AfD auch drei Absätze später mit ihrer nicht vorhandenen Lösungskompetenz für umweltschonende Agrarpolitik. Sie stellt fest, dass „wirksamer Pflanzenschutz“ unter anderem auf der Basis „neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse“ erfolgen muss.

Blöd nur, dass ihrer Meinung nach „viele dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse durch eine grüne bauern- und technikfeindliche Stimmungsmache manipuliert“ seien8. Dass die Forschung gerade im Bereich schädlicher Chemikalien (wie EDCs, PFAS, …) seit Jahren hinterherhinkt und davon vor allem eine Chemikalienindustrie profitiert, die sich einen Haufen Kuhmist um die Lebensbedingungen von Landwirt*innen schert, scheint nicht Teil des AfD-Horizonts zu sein.

Wissenschaft, wie sie gefällt

Dass Wissenschaft und Forschung von persönlichen Erfahrungen und kulturellem Wissen beeinflusst werden, ist unbestreitbar. Dennoch misst die AfD wissenschaftlichen Erkenntnissen mehr Flexibilität bei, als physisch möglich ist (wir erinnern uns: Der Meeresspiegel steigt gar nicht an, pazifische Inseln versinken gar nicht, das bilden wir uns nur ein). Das zeigt sich vor allem daran, dass sie in ihrem Parteiprogramm vor allem Anti-Haltungen vertritt und kritisiert, ohne aber mit eigenen Vorschlägen für die Verbesserung von Situationen aufzuwarten – sei es Umweltschutz, Tierwohl, Armutsbekämpfung oder bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für Landwirt*innen.

Wo es ihr passt, beruft sie sich dann allerdings sehr wohl auf die Wissenschaft und tut so, als wären eben diese wissenschaftlichen Erkenntnisse frei von ideologischem Interesse. Beispielsweise wenn es um Geschlechterthemen geht:

„Es ist eine biologische Tatsache und kein soziales Konstrukt, dass es genau zwei Geschlechter gibt: Frau und Mann. Die Pseudowissenschaft der Gender-Ideologie bestreitet diese biologische Grundtatsache.“9

Plötzlich wird von „Tatsachen“ gesprochen und nicht mehr von „Stimmungsmache“. Wann das eine oder das andere zutrifft, scheint für die AfD von genau einem Faktor abzuhängen: Inwiefern es in ihr Wunschbild von der Welt passt. Wo wir bei der letzten Frage angelangt wären: „Was will die AfD eigentlich?“.

„Früher war alles besser – inklusive der Nazis“

Ich fürchte, das weiß sie selbst nicht. Das Parteiprogramm der AfD liest sich wie das trotzige Manifest eines alten, grantigen Menschen, der die Welt außerhalb seines Gartenzauns aus Stacheldraht einfach nur dafür hasst, dass sie existiert und prinzipiell nach der Devise lebt: „Früher war alles besser – inklusive der Nazis“. Für ihn ist der menschengemachte Klimawandel eine Verschwörungstheorie von wem-auch-immer, sämtliche Wissenschaft, deren Ergebnisse ihm nicht gefallen, gelogen und alles, was sich seit seiner Kindheit an gesellschaftlicher Veränderung durchgesetzt hat, eine Bedrohung, wenn nicht sogar eine persönliche Beleidigung gegen ihn.

Dieses Manifest, dass der alte, grantige Mann in seine Schreibmaschinentasten haut, wirkt wie das verzweifelte Festklammern an die Zeiger einer Uhr. Keine. Sekunde. Weiter. Alles. Wieder. Zurück. Dieses infantile Gehabe wäre einfach nur lächerlich, wenn es nicht so viel Schaden anrichten würde. Einen Schaden, den der alte, grantige Mann in seiner Kurzsichtigkeit selbst nicht sehen will.

Den Schaden werden vor allem die AfD-Wähler*innen tragen, die ihr Vertrauen und ihre Hoffnung in diese Traumvorstellung von „Deutschland als Retter“ gelegt haben. Die daran geglaubt haben, dass es ihnen besser gehen wird, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Normen wieder auf die Jugendzeit von Oma und Opa zurückgesetzt werden. Ohne Oma und Opa jemals gefragt zu haben, ob sie denn glücklich waren.

In der AfD wimmelt es ja eigentlich von gescheiten Leuten – zumindest, wenn wir ihren akademischen Grad berücksichtigen. Es ist verständlich, wenn manche von uns die Annahme hegen, dass in einem Parteiprogramm von studierten Politiker*innen und selbsternannten Alleswissern auch gut durchdachte Lösungen von sozialen und physikalischen Problemen zu finden sind. Aber dem ist nicht so. Die EINZIGE Lösung für ALLE Probleme scheint der Rückkehr zu einem deutschen Nationalismus zu sein. Die „Kulturhoheit der Nationen“ zu „verteidigen“10 scheint über allem zu stehen. Besonders deutlich wird das in ihrem Absatz „Keine Schuld- und Schamkultur“:

„Straßenumbenennungen, Denkmalstürze oder gar eine „Entkolonialisierung“ unseres Denkens und Sprechens entspringen nicht „historischer Gerechtigkeit“, sondern einem antieuropäischen, oft auch „antiweißen“ Affekt. Ihm stellen wir ein selbstbewusstes Bekenntnis zur eigenen Geschichte – mit all ihrem Licht und Schatten – entgegen.“11

Dieser Abschnitt ist ein Zeugnis von fehlender Lernbereitschaft und Anpassungsunfähigkeit der AfD. Beides sind Eigenschaften, die jedes Lebewesen braucht, um ein soziales und harmonisches Leben zu führen und das den Menschen zu diesem hochintelligenten Tier gemacht hat, das er ist. Die Weigerung sich selbst zu reflektieren und weiterzuentwickeln ist eine Verneinung des Lebens und letztendlich ein Kampf gegen sich selbst.

Nationalismus ist für nichts eine Lösung

Was die AfD in ihrem Parteiprogramm als Lösung für fast alles verkauft ist freilich ein sehr einfacher Weg. Denn dafür müssen wir nichts weiter tun, als ein Familienalbum in die Hand zu nehmen und uns entspannt zurückzulehnen und weil er so einfach ist, scheint dieser Weg bei gefährlich vielen Menschen Anklang zu finden.

Doch früher oder später werden wir feststellen müssen, dass, wenn wir uns voller nostalgischer Sehnsucht gemütlich in der Zeit zurückfallen lassen, hinter uns keine weiche Couch steht, sondern wir sehr, sehr hart auf dem Boden der Tatsachen aufschlagen und alle Menschen, ob wir sie lieben oder hassen oder nur flüchtig kennen, mit uns reißen werden.

Alles, was wir aus einem AfD-Parteiprogramm lernen können, ist, dass bei politischem Handeln der einfachste Weg nicht der erfolgreichste ist. Darum ist es umso wichtiger, dass wir unsere demokratischen Mittel nutzen und uns alle zusammen für einen Weg in die Zukunft aussprechen und nicht für einen schmerzhaften Fall in die Vergangenheit. Zukunft bedeutet auch, der Klimakrise mit kreativen und effektiven Mitteln zu begegnen. Je mehr wir sind, desto leichter wird es werden, diese vielfältige Zukunft aufzubauen.

Wie vielversprechend sind die anderen Parteiprogramme zur Europawahl? Hier finden sie die Ecofeminist Scorecard 2024 des WECF-Netzwerkes.


1 AfD Europawahlprogramm 2024, Seite 42

2 ebd.

3 Klimawandel beschleunigt Artensterben (wwf.de), zuletzt aufgerufen: 24.05.2024

4 Artensterben betrifft auch Deutschland | tagesschau.de, zuletzt aufgerufen: 24.05.2024

5 Fünf Ursachen des Artensterbens – und was wir dagegen tun können | tagesschau.de, zuletzt aufgerufen: 24.05.2024

6 AfD Europawahlprogramm 2024, Seite 40

7 AfD Europawahlprogramm 2024, Seite 36

8 AfD Europawahlprogramm 2024, Seite 37

9 AfD Europawahlprogramm 2024, Seite 47

10 AfD Europawahlprogramm 2024, Seite 51

11 AfD Europawahlprogramm 2024, Seite 50

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