vonHans-Peter Martin 25.11.2018

Game Over

Hans-Peter Martin bloggt über die globale Titanic der Politik und Wirtschaft – und wie es doch ein „New Game“ geben kann. Krieg oder Frieden.

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Friedrich Merz ist ein Political Animal. Er kratzt, kämpft und beißt. Er ist listig und tückisch. Bei seinen Auftritten im Europäischen Parlament habe ich ihn als als berechnend und hochmütig erlebt. Zweifellos ist er intelligent. Wie so viele seiner Art erkennt er eine Gefahr, schon ehe der Fragesteller seine Frage beendet hat. Doch bisweilen überdribbelt er sich.

So ging es ihm, als die „Bild“-Reporter ihn fragten, ob er Millionär sei. Seine ungeschickte Antwort trat die Debatte um sein Einkommen erst richtig los. Doch bei AfD-Anhängern wird ihm dies kaum schaden. Politiker, die sich ihren Reichtum selbst „erarbeitet“ haben, gelten in diesen Milieus oft als unabhängiger und vertrauenswürdiger als Parteifunktionäre, die von ihrem Politeinkommen abhängig sind. Mit seiner Provokation wiederum, ob das Individualrecht auf Asyl „Bestand haben kann“, zielte Merz direkt auf AfD-Wählerkreise. Von sich selbst behauptet er ja: „Das traue ich mir zu, die AfD zu halbieren, das geht.“

Von 12,6 Prozent wie bei der jüngsten Bundestagswahl auf 6,3 Prozent? Das glaube ich nicht – keineswegs nur, weil ich in der Zukunft der Bundesrepublik Deutschland lebe, in Österreich. Auch hier versagten die beiden „Volks“parteien ÖVP und SPÖ heillos gemeinsam, ehe die ÖVP mit Sebastian Kurz ihren Heilsbringer fand und massiv nach rechts rückte.

Stets zeigte sich, dass die Rechtsaußen der FPÖ davon profitierten, wenn Politiker der Mitte die Migration in den Mittelpunkt rückten, ohne konkrete Lösungen anzubieten. Merz wiederholt soeben diesen Fehler, sofern er es ernst meint, dass er „keine Achsenverschiebung der CDU will, weder nach links noch nach rechts.“

Auch übersieht er wie so viele Politikbeobachter, dass für die AfD in Zukunft neben der Flüchtlingsfrage noch viele andere wählerwirksame Quellen reichlich sprudeln werden. Im heraufziehenden Wahlkampf zum Europäischen Parlament wird sich die AfD wieder öffentlichkeitswirksam ihrer Gründungsphase erinnern, neben der Euro-Kritik aber eine viel grundsätzlichere EU-Kritik in das Zentrum ihrer Argumentation stellen. Die CDU wird damit in einem weiteren Dilemma verharren – mit Merz, aber auch mit Annegret Kramp-Karrenbauer.

Als Paket der Freude werden sich für die AfD auch die absehbaren zukünftigen Börsenturbulenzen erweisen. Rechte Parteien können, gerade mit Querverweisen auf den großen Crash von 1929 und auch die Zusammenbrüche von 2000 und 2008 das Versagen der globalen Elite anprangern, erst recht an der Wall Street. Und auch, wie sozial einseitig die Finanzkrise ab 2007 eingedämmt wurde. Fünf Billionen Euro musste der EU-Steuerzahler bislang bezahlen – das 16-Fache der jährlichen deutschen Staatsausgaben. Mit ausbleibenden Zinsen wurde jeder Sparer zum Sanierer, ohne je gefragt worden zu sein. »Diejenigen, die in Deutschland am stärksten unter den Niedrigzinsen leiden, sind Leute mittleren Alters, die ein kleines Vermögen besitzen und dieses vor allem auf Sparkonten und in Zinspapieren angelegt haben – also nicht besonders breit gestreut«, meint etwa der Chefvolkswirt der EZB, Peter Praet. Da kann für Merz, sollte er denn als neuer CDU-Vorsitzender gewählt werden, seine bisherige Position als Aufsichtsrat beim Vermögensverwalter Blackrock denn doch noch zum Bumerang werden. Erst recht kann die AfD von den hohen Mieten und der Zweischneidigkeit der Automatisierung profitieren (dazu ein anderes Mal).

Merz nennt als Ziel, die CDU unter seiner Führung wieder auf einen bundesweiten Wähleranteil von 40 Prozent zu hieven, ohne die Partei nach rechts zu bewegen – und er müsste dafür auch die Wanderung von bisherigen CDU-Wählern Richtung grün stoppen. So einem Political Animal kann auch gelingen, dass Krokodile fliegen lernen.

Anmerkung eines Unzuständigen: „Das siebente Siegel“, „Wilde Erdbeeren“ und „Das Schweigen“ von Ingmar Bergman in einer Folge am Wochenende ansehen. Sich in diese Welten versenken und gebannt sein.

Über Kommentare zu diesem Blog freue ich mich.

Zum Thema: Hans-Peter Martin, „Game Over – Wohlstand für wenige, Demokratie für niemand, Nationalismus für alle – und dann?“ Penguin Verlag, München 2018. 384 Seiten und 25 Grafiken, 24 Euro. Weitere Informationen: www.hpmartin.net

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https://blogs.taz.de/gameover/auch-ein-asylradikaler-merz-wird-die-afd-nicht-halbieren/

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kommentare

  • Im Gegensatz zu Österreich steht unter Merz keine Koalition CDU – AfD zur Debatte, sondern ausschließlich eine CDU – Grüne, so man denn das nächste Grokodesaster vermeiden will. Man muss sich also fragen, wie man Wähler der Grünen, von denen viele von der SPD kommen, überzeugen will, den Steigbügel für einen AfD-Klon als Kanzler zu wählen. Sprich, wenn Merz die AfD halbiert und die Grünen die Koalition mit der CDU nicht ausschließen, endet ihr derzeitiger Höhenflug. Merz ist das irgendwann ja auch aufgefallen (vielleicht liest er Leserkommentare) und hat angefangen, von 40% zu faseln und alles-bleibt-wie-es-ist,-aber-AfD-Wähler-kommen-zurück. Hm. Unter Intelligenz stelle ich mir dann doch etwas anderes vor. Ich denke, Merz pokert sich in eine hohe Position, um an besserer Stelle für seinen dann ehemaligen Arbeitgeber wirken zu können. Das Übliche eben.

    • Die österreichische Volkspartei (ÖVP) ist weit nach rechts gerückt. Und es hat auch lange gedauert, bis es zu einer Koalition mit Rechtsaußen kam.
      Noch ist die Entwicklung der AfD auch nicht abgeschlossen. Es kann auch – wie in anderen Ländern – zu neuen Konstellationen kommen.
      Und was wird wohl mit CDU und AfD in Sachsen geschehen?

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