vonHans-Peter Martin 07.06.2020

Game Over

Hans-Peter Martin bloggt über die globale Titanic der Politik und Wirtschaft – und wie es doch ein „New Game“ geben kann. Krieg oder Frieden.

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Franz Staffler ist eine imposante Persönlichkeit. Gedankenschnell, argumentationsstark, empathisch, großzügig. Und er hat Charisma. Hätte J.F. Kennedy das Attentat überlebt, so hätte er später wohl ausgesehen. In Südtirol nennt man den Vielfach-Unternehmer und Hotelier „wohlhabend“. In Deutschland würde man ihn als millionenschwer bezeichnen. Bisher.

Er hat geerbt und noch viel mehr daraus gemacht. Manche Projekte scheiterten. In den vergangenen Jahren verlor er viel an Gewicht. Willentlich körperlich und ungewollt an Finanzkraft.  In Bozen sagen Bekannte, er sei zu gutgläubig.

Doch in der Substanz ist er unverwüstlich. Wie kaum jemand sonst, den ich während meiner jahrzehntelangen Arbeit als Autor und Journalist kennenlernen durfte, ist er voller Leidenschaft im Großen wie im Kleinen. Und er hat Geschmack, im Großen und im Kleinen.

Ein Bekenntnis: Ich bin befangen, denn Franz hielt auch zu mir, als es mir schlechtging. Ganz im Gegensatz zu so vielen Tartuffes, vor allem in Wien, die sich einst als meine Freunde bezeichneten. Und ich habe im Hotel Laurin geheiratet, dem Herzstück allen Stafflertums. Franz Staffler Senior hat es am 15. August 1910 eröffnet.

Mehr als 10.000 Nächte habe ich in meinem Leben bereits auf Reisen verbracht. Als „Spiegel“-Korrespondent gab es damals, seinerzeit, als alles noch viel besser war (Warnung an Humorbefreite: das ist ironisch gemeint), und der „Spiegel“ noch der „Spiegel“ war (ernst gemeint), kaum ein Kostenlimit. Lange, detaillierte Recherchen waren selbstverständlich. So kam ich 1988 erstmals in den Luxus, im Laurin zu übernachten. Und ich kam nicht mehr davon los.

Franz Staffler hat dieses Haus mit seinem Verständnis fürs Detail in ein unbezahlbares Juwel verwandelt. Es gehört damit zu den wenigen Hotels weltweit, in denen man am liebsten Tag und Nacht am Stück verbringen möchte. Es ist ein wahrhaftes 24-Stunden-Hotel. Die Bar, stilvoll und weitläufig wie kaum noch eine in New York oder London, der Gartenpark ausladend und vielfältig wie in Japan, die Zimmer eine so selten gelungene Mischung aus Jugendstiloriginalen und neuen Stücken, die heutzutage Designermöbel genannt werden. Das Essen und die Weinkarte? Passend.

Dazu Mitarbeiter, die auch jetzt hinter ihren Gesichtsmasken zu strahlen verstehen. Nie geben sie dem Gast das Gefühl, dass er lästig ist, auch wenn er es ist, wie ich heute um fünf Uhr morgens, als plötzlich mein Bargeldkuvert auf dem Weg vom Hotel zum Bahnhof verloren schien und ich schwitzend zum Nachtrezeptionisten zurückhetzte. Er war so mitfühlend, als ob ihm selbst dieses Malheur passiert sei.

Könnte ich es mir leisten, würde ich Wochen im Laurin verbringen. Dafür reichten allerdings auch alle Scheine nicht aus, die ich nach heftiger Suche doch wieder fand  – in meiner Hosentasche, of all places.

Die Bar im Laurin ist der Zauberberg Südtirols. Doch es sind nicht Kurgäste wie in Thomas Manns ikonischem Roman, sondern Geschäftsleute, Politiker und Künstler aller Arten, welche die Atmosphäre prägen. Gespräche am Nachbartisch mitzuhören ist oft spannender als die eigenen Gedanken, so auch am Nachmittag meines Laurin-Tages, als der langjährige Theaterintendant Manfred Schweigkofler sich über die Zukunft nach Corona ausbreitet.

Welche Zukunft? Südtirol durchlebt seine schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Absehbare Neuwahlen in Italien bergen enorme Risiken, Sezessionisten sehen sich im Aufwind. „Die schlimmen Zeiten kommen erst, und ohne Zuschüsse der Europäischen Union wäre die Europahaltung sehr gefährlich geworden.“ Darin sind sich alle meine Gesprächspartner heute einig, allen voran Franz Staffler.

Sein jüngstes Meisterstück ist der Umbau der ehemaligen Orangerie. Mit liebevollem, zu Recht auch etwas stolzem Blick führt er im neu gestalteten Glashaus vor, wie sich langgezogene schwere Holztische per Knopfdruck in lichte Höhen hieven lassen und sich an der Stirnwand hinter alten Wurzeln eine imposante LED-Wand auftut. Nichts wirkt protzig, dazu ist alles zu raffiniert. Zum 100. Geburtstag des Hauses lud er verschiedenste Künstler ein, Objekte zu kreieren. So klebt nun eine Collage aus Erinnerungsstücken, etwa ein versilbertes Kaffeegeschirr, an der Decke eines Speisezimmers. Lässig, keineswegs kitschig.

Doch erstmals in mehr als drei Jahrzehnten erlebe ich Franz wehmütig. „Das ist jetzt alles überflüssig. Es fehlen die Gäste“, sagt er mehrfach beim Rundgang durch seine Wunderwelt.  65 Prozent Auslastung braucht er im Laurin, um keine Verluste zu schreiben. Derzeit sind aber nur acht von 100 Zimmern belegt. Drei Geschosse werden noch aufwändig desinfiziert, Plexiglasscheiben trennen sogar im Jugendstil-Speisezimmer die Gäste an jedem Tisch. Viele dieser Maßnahmen sind für Franz Staffler behördlich angeordnetes „Kasperltheater“, wenngleich er grundsätzlich das Abstandhalten, Händewaschen und den Mund-Nasenschutz in beengten Verhältnissen befürwortet.

Zu 88 Prozent war das Hotel in den vergangenen Jahren ausgelastet, mit den Gewinnen stützte Staffler andere Unternehmungen. Auch sein BMW-Autohandel lief und lief. Jetzt stapeln sich die Fahrzeuge. Die Nachfrage geht gegen null.

Ein Jahr lang kann und will Franz mit dem nun so defizitären Laurin durchhalten. Und dann? „Ein Altersheim, damit ist die Geschichte erledigt.“ Was wie ein Scherz klingen soll und so unglaublich unwahrscheinlich scheint, da es ihn zutiefst im Herzen treffen und die gesamte Familiengeschichte auf den Kopf stellen würde: Wer weiß?

Auf der anderen Seite des Laurin-Parks im historischen Zentrum Bozens graben sich schon Bagger stockwerketief ins Erdreich, lärmig auf dem Weg zu einem weiteren Prestigekomplex im Immobilienimperium des René Benko. Allein 22.000 Quadratmeter Verkaufsfläche sollen im neuen Einkaufszentrum Kunden anlocken, darüber werden Büros gestapelt, und logisch, Luxuswohnungen. Die Hoffnung, dass dieses monströse Projekt nach Benkos Schwierigkeiten bei Galeria Karstadt Kaufhof zum schwarzen Corona-Loch für den nimmersatten Milliardär werden könnte, ist wohl weniger realistisch als ein Altersheim im Laurin. Zwergenkönige scheitern nur in Märchen, und ein majestätisches Weltkulturerbe wie den errötete Rosengarten gelingt Benko wohl nicht einmal im Traum

Darum: Hinfahren Leute, ab zu den Wandgemälden dieser so seelenberuhigenden Sage in der sagenhaften Laurin-Bar, lasst Euch mit dem Dolomitenblick verzaubern. Derzeit kosten auch große Zimmer 142 Euro pro Nacht. Für 24 Stunden Genuss samt opulentem Frühstück auf Bestellung. Und in Corona-Zeiten soll man ohnehin keine großen Schritte machen.

So habe ich mich gleich zu Beginn meiner Laurin-Stunden mit dem so einnehmenden wie hervorstechenden Winzer Martin Gojer und dessen Familie zum Essen verabredet. Die beiden Kinder, Laurenc und Caroline, sind aufgekratzt und bringen mir neue Begriffe bei. Wer kennt schon „pummelwitzig“ und „einen Clown frühstücken“?

Dazu reicht es bei diesem Besuch nicht mehr. Im Morgengrauen reise ich ab und schreibe diesen Blogeintrag im fahrenden Zug. Bis Verona tragen alle Passagiere Gesichtsmasken und nutzen nur die erlaubten Sitzplätze. Seither hält sich nur noch die Hälfte der Bahnfahrer an die Vorgaben. Die Endstation dieses Zuges ist Venezia Santa Lucia. Bald melde ich mich wieder. Aus der Serenissima.

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