Salzburg gilt vielen als Synonym für Arroganz. Peter Handke so manchen auch. Salzburg erlebe ich bisweilen anders, Peter kenne ich seit Jahrzehnten ganz anders: weich, sanft, einfühlsam, verletzlich, großzügig. Und als humorvollen Schalk. Und, klar, ist er auch unduldsam.
Jetzt wieder ein Treffen am Mozartplatz, zur Uraufführung seines neuesten Stücks im dortigen Landestheater. Und Salzburg zeigt sich so, wofür es viele halten.Doch Corona dünnt aus. Nur die Hälfte aller Karten für dieses ohnehin vergleichsweise kleine Theater durften aufgelegt werden, 350 statt 700. Promi-Sparflamme.
Eine Demonstration gegen Handkes politische Positionierungen am Balkan wurde in den Medien angekündigt. Fehlanzeige. Nur ein paar Polizisten, aber auch schon Blumen für später.
Mit diesem Vordergrund relativiert sich das Ereignis:Dennoch befremdliche Bilder. Was für ein Theater.
So sieht jetzt „Ausverkauft“ aus. Jeder zweite Sitz ist verklebt, die Masken sollen nach Möglichkeit auch während der Vorstellung getragen werden:
Während der Aufführung darf wie üblich nicht fotografiert werden. Würde ich diesen Blog lesen, wäre mir das sogar recht. Denn vielleicht fühle ich mich Peter auch so nahe, weil ich einem Prinzip folge, das ich „Peterchens Mondfahrt“ nenne. So hieß das erste Theaterstück, das ich je sehen durfte, als Sechsjähriger auch in einem Landestheater – jenem in Bregenz. Ahnungslos über die bevorstehende Handlung und die Banalität einer Drehbühne verblüffte mich jeder Szenenwechsel wie ein Zauberkunststück. Überraschung folgte Überraschung, alles zog mich in seinen Bann.
Vielfach beglückt von diesem Grundsatz, möglichst nichts vorab zu wissen, besuche ich immer noch das Theater, versuche auch so zu reisen. Und Peter Handke verwöhnt mich bewusst Unwissenden immer aufs Neue: Ich darf staunendes Kind sein, und jedem seiner Stücke wohnt ein Zauber inne.
Dieses Mal, bei „Zdenêk Adamec“, geht es viel um Zauberei. Und wieder diese Sprachvirtuosität, ein Genuss wie so viele Anspielungen. Wer war dieser Zdenêk Adamec? Ein verwirrter, banaler Selbstmörder? Eine Selbstverbrennung „für nichts und wieder nichts“, wie am Anfang des Stückes gefragt wird? Viel zu banal. Wieviel Z. A. steckt in uns? „Gott im Himmel, wie bist Du häßlich!“, ruft eine Protagonistin. Ist Z.A.’s Tod gar ein Synonym für die Gegenwart, ein Ausblick auf die „endgültige Apokalypse“?
Eher auf eine teilweise, mit Covid-19 als Brandbeschleuniger. „Ein partieller Weltuntergang von Zeit zu Zeit kann nicht schaden“, heißt es im Stück. Und Heraklits Realitätswahrnehmung? Knappe zwei Stunden darf man mit Handke nachdenken, träumen, bisweilen auch abgleiten, wird poetisch und politisch stimuliert.
„Da trägt sich einer selber Huckepack“
Versuche, in der Dunkelheit einige Sätze und Wortfetzen mitzuschreiben: „Die Stummen schreien noch stärker.“ „Es scheint, als würde es nur um Aktualität gehen und hinter der Aktualität keine Welt.“ „Weltverdruss, Hochmut.“ „Das Spitzen eines Bleistifts kann wie ein Knacken eines Halswirbels klingen. Zum Glück werden weniger und weniger Bleistifte gespitzt.“ „Sagt man das noch: alte Jungfer?“. „Das Kleid nur noch der Fetzen eines Fetzens.“ „Je realer der jeweilige Weltuntergang, desto sicherer sein: Mir kann nichts passieren.“ „Nicht ein einziger Spender ist in den Blutspenderbus gestiegen“ (so erlebe ich auch vieles in der Corona-Zeit).
„Dass alles, war die Leute draußen tun, sie nur noch zum Schein tun?“ „Zukunftssportreich“, „Recherchen – ja ganz etwas Neues.“ „Obrigkeitlich.“ „Nicht gefüllt, nein, gehäuft.“ „Der Zauber! Der Ort zauberte für sich.“ „Die Geschichte kann nicht gut ausgehen.“ „Die Zeit der Märchen ist vorbei.“ „Ist das nicht der Zauberort aller Zauberorte?“ „Die Entdeckung aller Entdeckungen.“ „Emaileimer“ (danke, was für in Wort). „Dämmerschein.“ „Gibt es das überhaupt,Dämmerschein? Ja, ab jetzt gibt es dieses Wort.“ „Die Verdunkeler.“ „Schatten jenseits der Schatten.“ „Es wäre eine Schande, als Geldsack zu sterben.“ „Genug gesehen? Gibt es das?“ „Da trägt sich einer selber Huckepack.“
„Die Bösen werden nie zornig. Daran sind sie zu erkennen.“ „Um etwas zu ändern, muss man am Leben bleiben.“ „Trauerjauchzer statt Trauerjodler.“ „Wenn ich meinen Leib hingebe, habe aber Liebe nicht, bin ich nütze zu nichts?“ „Bitte halten Sie mich nicht für einen Narren.“ „Achtung, liebe Alleinspieler: Lebensgefahr!“ „Weg mit Red Bull. Dark Bull.“ „Aus den zertrümmerten Trümmern zimmert er etwas zusammen.“
„Eine heillose Ordnung“
Und dann die wunderbare Passage über das absichtsvolle Verlegen von Dingen als Kind, die von der Regisseurin besonders herausgehoben wird: „Ein neuer Platz für jedes Ding.“ So entsteht eine neue, „eine heillose Ordnung“.
Als Südamerika-Korrespondent wollte ich Peter einmal aus Uruguay eine Juke-Box mitbringen, was er brüsk ablehnte. Die solle bleiben, wo sie hingehöre. Jetzt spielt in „Zdenêk Adamec“ eine Combo wie eine Juke-Box, und ja, da passt sie hin.
Zu Beginn der Aufführung war ich noch in Sorge: Schritt die Handlung nicht zu langsam voran, drohte sogar partielle Langeweile? Es ist der Segen und der Fluch des Regisseurs einer Uraufführung, dass sich der Autor zu Recht kaum Kürzungen erwartet. Unter diesen Vorgaben und den Corona-Proberestriktionen hat die Regisseurin Friederike Heller ihre Sache bravourös gemeistert. Die Rollen besetzt sie mit so vielfältigen Schauspielern wie verschieden Zdenêk Adamec auch als Charakter, als Verborgener, als Unbekannter, als Fremder, als Kind dargestellt werden kann. So prallen unterschiedlichste Theaterverständnisse aufeinander: wildes Herumspringen wie so oft auf deutschen Bühnen, aber auch Sophie Semin in der Tradition der Comédie-Française.
„Na ja, des is halt sei Freundin“, raunt nach der Aufführung eine ältere Besucherin, die sich für expertensicher hält. Ihr Urteil, so erwartet sie es in ihren Kreisen, soll kleben bleiben. Auch so funktioniert Rufschädigung. Vernadern nennt man es hier. So mancher Salzburger Besucher trauert noch Handkes früherer Beziehung mit der Schauspielerin Marie Colbin in den 1980er Jahren nach. Des is halt a Österreicherin. Die vermeintliche französische „Freundin“ auf der Bühne ist allerdings seit 1995 mit Handke verheiratet. 25 Jahre, na, was is des schon? Die Salzburger Festspiele werden in diesem Jahr 100 Jahre alt. Des is scho wos.
Sensiblen Menschen fällt der Gang auf die Bühne besonders schwer, wenn der Vorhang gefallen ist, zumal bei einer Uraufführung. Zuerst müssen die Schauspieler raus. Ein erstes Bravo. Dann zeigt sich die Regisseurin und ihr Team im Kreis der Darsteller. Noch ein paar Bravos und sortierter Applaus. Peter steht, für das Publikum unsichtbar, hinter dem rechten Pfeiler. Heller holt ihn ab, zieht ihn in die Bühnenmitte. Er kommt, wie ein Schüler, ein wenig unsicher im Tritt, zur Publikumsprüfung. Jubel.
„Glücklich schaut er drein, irgendwie ungläubig“
So viele Salzburger mögen sich arrogant über ihn erhoben haben, als ihn „das internationale Feuilleton“ für seine politischen Haltungen zum Krieg auf dem Balkan geißelte. Der ist halt ein halber Slowene, selber Balkan, hieß es. Und ein Deutscher sowieso, bei dem Vater. Jetzt ist er aber Nobelpreisträger. Unserer.Österreichs Großkritiker Heinz Sichrovsky legt nach dem Schlussapplaus vor dem Theater einen souveränen Aufsager hin. „Welthistorisch“ sagt er in die Kamera. Und dann zu mir, gleich danach: „Ich muss noch schnell die `Krone´erledigen.“ Er meint damit, dass er auch für diese Zeitung noch rasch eine Kolumne schreiben will. Nicht mehr. Schade. Die Krone zu erledigen, das wäre wahrlich welthistorisch. In Österreich.
Freut Euch über die Wiederbelebung
Nicht nur auf mich wirkt Peter an diesem Abend, der in eine lange Premierenfeier mit unausgesprochenem, aber selbstverständlichem Photo-Aufnahmeverbot mündet, so entspannt wie seit langer, langer Zeit nicht mehr. Gelöst, aufmerksam, ohne die ihn ja auch auszeichnende Schärfe. Fast. Denn ihn schmerzen einzelne, unbedacht geäußerte Worte wie andere Menschen Ohrfeigen. Er sei „stark“ gewesen, sage ich. „So ein Blödsinn“, reagiert er sofort. „Zäh“ hatte ich gemeint, bemühe mich aber gar nicht um eine Korrektur.
Dann meine Freude über das soeben Erlebte. Ja, erinnert er sich spontan, ich hätte bei der Premiere von „Die Stunde, da wir nichts von einander wußten“ 1992 auch schon von einem „lebensklugen Schabernack“ gesprochen. „Das habe ich mir gemerkt“, sagt er. Ich nicht.
Als er vergangenes Jahr den Nobelpreis für Literatur zugesprochen erhielt, wurde ich vielfach auf unser Verhältnis angesprochen. 1987 hatten wir uns das erste Mal persönlich getroffen. Damals glaubte ich noch, man müsse alles von einem Autor gelesen haben, ehe man ihm begegnen könne (oder eher: dürfe?).
Das war damals kein Problem, denn kein anderer Schriftsteller hat mich so geprägt wie er. Als ich in der zehnten Schulstufe 1973 in einem Deutschaufsatz versuchte, ein wenig Publikumsbeschimpfung zu wagen, schimpfte, ja geradezu brüllte unser Deutschlehrer „Handke, Schisske und Piefke“, und gab mir ein „Nichtgenügend“. Da ich in Österreich ins Gymnasium ging, mussten wir den Lehrer natürlich als „Herr Professor“ ansprechen. Ihn einen „Nazi“ zu nennen, war hingegen verpönt, obwohl er wirklich einer war.
Peter Handke bat mich seinerzeit bei der ersten Begegnung, in Salzburg zum Mozartplatz zu kommen. So schloss sich mit der nunmehrigen Theateraufführung ein Kreis. Doch damals schneite es heftig (das kam da noch vor, auch so erlebte ich die Stadt anders). Kaum hatten wir besprochen, gemeinsam Abendessen zu gehen, stürmte ich quer über den Platz und ergatterte das vielleicht letzte Taxi. Der oft als verschlossen Beschriebene schmunzelte und taute auf. Nächte über Nächte an Gesprächen folgten, in Salzburg, Wien, Chaville. Beisltouren, Besuche bei Tochter Amina, Theatertreffen. Geburtstagsessen mit Claus Peymann.
Dann eine längere Pause, danach ein gemeinsames Fußballspielschauen. Österreich-Ungarn bei der EM. Schrecklich. Da half nicht einmal mehr der abgestandene Witz über die Habsburger, die bei Österreich-Ungarn angeblich fragen: Gegen wen? Doch das sind alles Geschichten für sich und vielleicht ein anderes Mal zu erzählen.
Heute gilt: Freut Euch der Wiederbelebung des Theaters! Auch bei halber Bestuhlung ein Genuss, weil dafür mit Platz wie Zuhause.
Schöner Text.