vongnu 07.04.2021

GNU – Literarische Grotesken

Damals wie Heute das zynische Lächeln über die menschliche Irrfahrt. | © Fabian Fox Fotografie

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»Komplette Zerstörung.«

Miles köpfte die Flasche Schaumwein und prustete los. Die Tropfen befeuchteten Dylans Stirn und mischten sich mit seinem Schweiß. Draußen ist die Revolution ausgebrochen. Hinter seiner Sonnenbrille konnte er nichts sehen.
Sturm. David spuckte und klopfte ein paar Phrasen ins Mikrofon. Leere Floskeln, aber eigentlich nur Personenkult.

»Komplette Zerstörung.«

Verdammt, es dröhnte gut. 3000 Menschen tobten und warteten nur darauf seine Befehle in Empfang zu nehmen. Dylan griff das Mikrofon. Er gab ihnen genau das, was sie wollten.

»Hey Leute, ihr hört mich. Wir spielen hier nur für euch, das wisst ihr. 40 Tacken habt ihr für die kleine Show gezahlt, ist das nicht so? Für was? Come on, 2 Stunden Musik für einen Tagelohn. Was denkt ihr? Denkt ihr; wir sind irgendwelche reichen Motherfucker und ihre unsere Fans? Hat das was zu bedeuten? Bedeutet ihr mir irgendwas? Jeder einzelne von euch? Sagt es mir! Vergesst es, an uns geht ein Viertel von der Kohle. Ihr wurdet alle verarscht ihr Trottel. Meint ihr das bedeutet mir hier irgendwas, das ihr hier seid?! Ich bin hier, weil mir das Arschloch dem das Stadion gehört, ein Viertel der Mäuse gibt! Pech für euch. Was jetzt? Was ist jetzt? Sagt es mir? Nichts mehr oder?
Ich sage es euch, zeigt dem Motherfucker, wieso er euch die Kohle abknüpft.«

Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Die ersten Schalensitze wurden aus ihren Verankerungen gerissen. Alles grölte, es war so traurig. Sie verstanden nicht. Plastikbecher flogen auf die Bühne.
Er war Dreck und wurde dafür gefeiert. Seine beiden Fäuste umschlossen das Mikrofon fester, dann flüsterte er kaum vernehmbar.

»Wir sind fucking Rockstars.«

Miles raunte ihm ins Ohr und bleckte seine Zähne.

»Fucking Rockstars? Wir sind mehr.«

Dylan grinste. Eigentlich war es geil, auf eine perverse Art geil. Sie gingen ab, ihre Arbeit war getan.

»Gehst du mit?«

»Wohin?«

»Aftershow. Bali 2.«

»Heute nicht.«

Eine flache Hand schlug in seine Nacken. Es klatschte. David zornesrot:
»Findest du das witzig Arschloch. Das gibt verdammten Ärger. Wieso diese Scheiße?«

Er lachte breiter.

»Für was haben wir einen gottverdammten Manager?!«

Davids Miene regte sich nicht mehr, er war angewurzelt. Dylan klopfte ihm sanft auf die Brust.
»Höre mir zu David. Weißt du, die anderen Jungs, es macht Spaß mit ihnen Party zu machen, nicht mehr, ok. Du bist anders, war schon immer so, du verstehst mich als einziger, ja. Jetzt mach dir einfach einen guten Abend.«

»Fuck you, du bist ein Bastard.«

Zeit zu gehen. Er blickte ein letztes mal in den Backstagebereich, sah dort, wie die Party weiterging. Die ersten Groupies hatten sich eingefunden. Sie saßen brav und geduldig auf der Bank und warteten aufgeregt auf das Bevorstehende. Miles zog einen Joint an. David stand immer noch verdutzt an der Stelle, wo Dylan ihn zurückgelassen hat.
Es waren gute Jungs, wirklich. Sie haben ihn in letzter Zeit gut gestützt und trugen den ganzen Bockmist aus, den er sich eingebrockt hatte. Es war heute fast wie damals, als es losging. Er mochte sie. Füreinander waren sie da, immer, gefühlt. Trotzdem, er wusste, die ganze Show war vorbei oder würde schnell vorbei sein – jetzt spielten sie in der oberen Liga, talentiert, jung und gutaussehend. Irgendwann würde die Depression kommen und dann musste jeder seine eigenen Pillen schlucken. Dann hätten sie nichts mehr gemein und sich nichts mehr zu sagen. Dieser Tag würde kommen und Erinnerungen verblassen. Gruppierungen sind Illusionen. Diese Lektion hatte jeder früher oder später zu lernen. Die Welt besteht aus Einzelkämpfern und den Schwachköpfen, die Führer brauchten, um sich bewegen zu können. Schwachköpfe, wie seine gesamten Fans. Das hatte ihm die Aktion heute gezeigt.
Heute wollte er kein Rockstar sein. Keiner von ihnen. Er hatte einen anständigen Durst und wollte zu den anderen Outlaws in die Kneipen. Dorthin, wo ihn niemand kannte. Dorthin, wo er sich selbst sein konnte. Dorthin, wo er das war, was er eigentlich ist – nichts. Er bahnte sich seinen Weg zum Hinterausgang. Die Kameraden klopften ihm hart auf das Kreuz. Da war nichts zu machen.
Draußen warteten ein paar Jungs, Groupies. Sie bahrten starkes Hasch auf und wollten mit ihrem Idol ein paar Tüten rauchen. Er ließ sich dazu nieder, inhalierte den betörenden Duft und war ganz bei sich, grinste hin- und wieder und überhörte die Lobeshymnen. Das nächste Taxi brachte ihn fort.

Selig saß er an der breiten Theke einer beliebigen Raucherkneipe und trank gerade sein zweites Bier.

»Kumpel, kennst du nicht Jackson? Hääh, ich frage dich was? Kennst du nicht den alten Jackson
vor dir? Weißt du nicht, dass du mit deinem Arsch auf den Platz sitzt, der Jackson gehört?«

Es funktionierte. Die zerschundene Visage mit kleinen triefenden Schweinsaugen und einem roten Zinken, den irgendein ein Stümper ihm über die Lippe gesetzt hatte, hatte wirklich keinen blassen Schimmer, wer er war.
Schwankend plusterte sich der Säufer vor ihm auf und hatte dabei große Schwierigkeiten sich auf den Streichholzbeinen zu halten.
Dylan schwebte in Glückseligkeit. Er hörte nicht, was der Versager vor ihm lallte, der sich immer weiter in Rage redete. Am liebsten hätte er ihn umarmt. Er verspürte keine große Lust auf Gossengeplauder.

»Howdie.«

»Die kleine Drecksau kommt hier in den Laden, einfach so und verhöhnt einfach Old Jackson und grinst in so beschissen an. Das hat noch keiner gemacht. Erst stiehlt er Jacksons Platz und dann hat er nicht mal eine kleine Entschuldigung auf den Lippen.«

»Ok, Ok, Alter. Es tut mir Leid. Ich würde sagen, du setzt dich einfach und die erste Runde geht auf mich. Klingt das nicht vernünftig.«

»Immer die gleiche Scheiße. So ein feiner Pinkel, kommt hier einfach in Jacksons Kneipe und redet so von oben herab, als ob alles hier Dreck wäre. Scheiß auf dein Bier.«

Dylan hob die Arme und wollte ihm etwas zur Beschwichtigung entgegensetzen. Jackson war schneller. Mit flinker Präzision, die so gar nicht zu seinem unsicheren Gang passte, versetzte er Dylan einen zentrierten Schlag auf die Nase. Die Wucht riss ihn von den Füßen und er schlug hart zwischen den Barhockern auf. Die restlichen Gäste nahmen kaum Notiz von ihm. Es dauerte einen Moment bis er registrierte, dass er blutete. Über ihm thronte der alte Jackson und wartete mit geballten Fäusten. Mit seinem Ärmel wischte sich Dylan das Blut und den Schleim aus dem Gesicht und rappelte sich schnell auf. Er konnte sein Grinsen nicht verbergen, es ging also los. Es reichte kaum für eine schnippische Bemerkung, dann traf ihn der nächste Schlag des Alten. Erneut riss es ihn von den Beinen. Dylan schlug hart mit seinem Hinterkopf auf den harten Fließboden auf, hob sein Rückgrat schwach an und blieb liegen. Ihm fehlte die Kraft zum Aufstehen, er musste vor Lachen prusten und ergoss eine schmierige Fontäne mit Blut. Mit seinem Lachen stachelte er den Alten nur noch weiter an. Jackson sah nun die Möglichkeit gekommen, die geballte Verachtung mit der die Gesellschaft ihm jeden Tag begegnete abzuladen. Heute Nacht würde er kein Verlierer sein.
Die angestaute Kraft, die den alten Knöcheln innewohnte klatschte weitere dreimal auf weiches Fleisch. Dylan konnte nicht parieren. Die Schläge kamen ohne Vorwarnung. Er sah nichts mehr. Blut lief in seine Augäpfel. Sein Gesicht glich einer verstümmelten Portion Wackelpudding. Doch er konnte nichts gegen sein Grinsen unternehmen. Es wurde nur noch breiter, er verspürte höchste Glückseligkeit, eine Befriedigung, wie er sie nie zuvor in seinem Leben empfunden hatte.
Hätte ihm noch jemand vor dem Konzert gesagt, dass er heute ein wirksame Medikation gegen die Leere erfahren werde, so hätte nur traurig gelächelt und die Drogen genommen, die sie ihm hinhielten. Aber das, weitere Schläge, er war dabei sein Bewusstsein zu verlieren. Die Realität entglitt seinen Fingern und er schlief mit dem Gedanken, dass nur der Schmerz das Leben definiert, in sich ruhend ein. Das Wirken der Unendlichkeit wurde bittersüß bezahlt, honoriert und aufgewogen.

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