Die Essenstische draußen vor dem taz-Café blieben gestern zur Mittagszeit weitgehend leer. Rund zehn Personen standen zwei Stunden lang in einer Reihe auf dem Bürgersteig und beobachteten die taz-Mitarbeiter. Die meisten von uns fanden es unangenehm, sich den Blicken der Protestierenden so unmittelbar auszusetzen und aßen ihr Mittagessen lieber durch eine Glasscheibe geschützt im Inneren des taz-Cafés. Dort war die Aktion, mit der die Initiative „taz watch“ gegen Rassismus und Diskriminierung durch die taz protestierte, das Thema vieler Tischgespräche.
In dem über Facebook verbreiteten Aufruf hatte die Initiative “die geringe bewegungsmöglichkeit ‘der taz’ in punkto der ihr zugetragenen kritik in der jüngsten vergangenheit” kritisiert. Die Initiatoren wollen der taz klarmachen, “dass man uns nicht ungefragt mit den so lieb gewonnenen rassismen, der so liebgewonnen deutungshoheit belästigen darf ergo auch kein rassismus im journalismus, keine diskriminierung, keine beleidigung stattfinden darf“. Geplant war ein stiller Protest: „schauen wir durch die fensterfront des tazcafés, das auch eingang zur redaktion ist. wir bleiben friedlich. wir schauen einfach ganz genau hin und bedeuten damit u.a. der taz: es muss aufhören!!!“
Ein tazler provozierte, indem er fragte, warum die Teilnehmer der Aktion nicht vor dem Axel-Springer-Verlag stehen würde, der sei doch viel schlimmer. Andere tazler suchten aber auch das Gespräch. Die Protestierenden machten dabei deutlich, wie enttäuscht sie gerade von der taz seien, da diese Zeitung sich links verstehe. Rassismus und Diskriminierung sei in dieser Gesellschaft weit verbreitet, die taz solle sich als verlässliche Verbündete in dem Kampf dagegen beteiligen. Vor allem wünschten sie sich, dass die taz sich entschuldigt und sich auf einen Dialog auf Augenhöhe einlässt. Saraya Gomis berichtet auf unserer Facebook-Seite von ihrem Gespräch mit Ines Pohl.
Zwischendurch kamen zwei Polizisten vorbei und fragten die Teilnehmer der Aktion, wie lange sie hier noch stehen würden.
Nach der Aktion schrieb die Initiative auf ihrer Facebook-Seite: „Wir bleiben bei der einfachen Forderung, die wir schon mehrfach geäußert haben: Liebe „taz“, hört einfach auf mit der medialen Verbreitung von Rassismen! Die Semantik ist abhängig vom Kontext, d.h. wenn eine/r von „UNS“ zu bestimmten Begriffen, o.ä. ein anderes Verhältnis hat als ein/e andere, dann könnt ihr das im privaten Rahmen ja alles gemeinsam absprechen. In der Öffentlichkeit, in der medialen Verbreitung ist dies inakzeptabel!!! STOP that sh…!!!“ Uns wird dort zudem „das handliche Buch von Susan Arndt als Einstiegslektüre“ empfohlen sowie ein Anti-Rassismus-Training.
Die Auseinandersetzung entzündete sich ursprünglich durch eine Podiumsdiskussion Ende April auf dem taz-Kongress. Auf der Veranstaltung mit dem Titel „Meine Damen und Herren, liebe N-Wörter und Innen“ sollte es um Sprache, Diskriminierung und Zensur gehen. Es kam zum Eklat, als Deniz Yücel ein Zitat aus einer Rede von Martin Luther King vorlas und dabei zum wiederholten Mal das umstrittene N-Wort aussprach. Im Audio-Mitschnitt der Veranstaltung findet sich die Stelle im Teil 4 ab Minute 9.20, hier ein Transkript:
Triggerwarnung: Rassistische Sprache
Deniz Yücel: „Und dann habe ich hier noch ein letztes Zitat für heute: ‚Aber einhundert Jahre später ist der Neger immer noch nicht frei. Einhundert Jahre später ist das Leben des Negers leider immer noch von den Handfesseln der Rassentrennung und den Ketten …'“
Zwischenruf aus dem Publikum: „Sag doch einfach ‚N-Wort‘!“
Deniz Yücel ruft: „Ich sage was ich will! Und ich lese den Text so vor …“
Weitere Zwischenrufe
Deniz Yücel ruft: „Sag mal! Entschuldigung! Das könnt ihr vielleicht an der Universität machen, ich lasse mir das Wort hier nicht verbieten!“
Deniz Yücel brüllt: „Du kannst gerne vor die Tür gehen!“
Deniz Yücel sagt: „So. Und ich lese diesen Text so, wie er geschrieben wurde! ‚Und den Ketten der Diskriminierung …“
Zwischenrufe: „Sag das Wort nicht! Sag das Wort nicht!“
Deniz Yücel ruft: „Geh bügeln! – ‚Einhundert Jahre später – Einhundert Jahre später lebt der Neger immer noch auf einer einsamen Insel der Armut in der Mitte eines weiten weiten Ozeans des materiellen Wohlstands.‘ Eine Passage aus Martin Luther Kings berühmter Rede ‚I have a Dream’…“
Weitere Zwischenrufe
Deniz Yücel: „Wir sind hier aber nicht an der Universität und wenn jetzt die versammelten Kulturwissenschafts-Spackos den Saal verlassen, dann können wir diese Veranstaltung in Ruhe zu Ende führen. Ist noch wer da, dann bitte jetzt gehen, es ist jetzt die Gelegenheit! Hallo, Du auch bittesehr, da ist die Tür, oder der Ausgang!“
Auch Sharon Otoo, Mitglied im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V., verließ das Podium.
Deniz Yücel schrieb anschließend in der taz über die Zwischenrufer: „Es ist dies ein zwangsneurotisches Verhalten, das man weniger bei aufgeklärten Menschen, Intellektuellen gar, vermuten würde und das an ganz andere Leute erinnert: An katholische Nonnen, die versehentlich auf Youporn gelandet sind (‚Weiche, Satan!‘). Oder an Hinterwäldler in Pakistan, die mit Schaum im Bart und Schuhen aus Autoreifen an den Füßen gegen Karikaturen protestieren (‚Death to Amerikka!‘). Ähnlich ist nicht nur der religiöse Abwehrreflex, ähnlich ist auch der inquisitorische Furor, mit man zu Werke geht. In diesem Zusammenhang also: Das Wort ‚Neger‘ ist schlimm, schlimm, schlimm und muss weg, weg, weg.“
Sharon Otoo antwortete in der taz: „Das N-Wort ist traumatisierend, ruft grausame Erinnerungen und gewaltvolle Bilder hervor. Es wurde damals benutzt, um die Versklavung von Millionen von Afrikaner_innen zu legitimieren.“ Ihr sei natürlich klar gewesen, dass das Wort in der Veranstaltung vorkommen würde, aber sie habe nicht gewusst, dass es so häufig sein würde. Otoo: „Trotzdem bin ich erst aufgestanden, als Herr Yücel anfing, das Publikum lauthals zu beschimpfen. Ich bin gegangen, weil ich nicht mehr Teil einer so respektlosen, verhöhnenden Diskussion sein wollte.“ Sie wolle niemandem etwas verbieten, dazu habe sie ja auch gar keine staatliche Gewalt, sie wolle jedoch aufrufen: „Wenn ich für eine gendergerechte und rassismusfreie Sprache plädiere, dann, weil ich andere – und mich selber – für die eigenen Privilegien zu sensibilisieren versuche. Auch mittels Sprache kann ich mich solidarisch zeigen und es kostet mich wenig. Die möglichen ästhetischen Kosten (dieses Binnen-I sieht so hässlich aus!) erscheinen mir als das kleinere Übel gegenüber den Zumutungen, denen marginalisierte Menschen sonst täglich ausgesetzt sind. Sie haben keine Wahl.“
Chefredakteurin Ines Pohl und der Leiter des taz.labs, Jan Feddersen, haben gemeinsam ihr Bedauern öffentlich gemacht. Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland warf Deniz Yücel in einem offenen Brief vor, er habe den Kolonialismus verharmlost, Genozide relativiert und sich als Moderator respektlos verhalten. Die Initiative verurteilt erneut die Benutzung des N-Wortes. Der Begriff werde “nach wie vor im Zusammenhang mit Gewaltverbrechen und Alltagsdiskriminierung gegen Schwarze Menschen in Deutschland verwendet” und sei “integraler Bestandteil rassistischer Konzepte” gewesen. Es werde Zeit, “dass sich die taz, ebenso wie die breite Gesellschaft, endlich kritisch mit dem Thema Rassismus und Sprache auseinandersetzt” und die “Stimmen derjenigen ernst nimmt, die üblicherweise als die so genannten Anderen gelten” und die als “Expert_innen zum Themenfeld Rassismus und Diversity anzuerkennen” seien. Den offenen Brief haben zahlreiche Gruppen sowie mehrere hundert Menschen unterschrieben.
Unsere Chefredaktion hat darauf eine Stellungnahme veröffentlicht, in der es heißt, die Redaktion habe in vielen Gesprächen – durchaus kontrovers – über den Vorfall, unseren Umgang damit und das Thema Sprache und Rassismus diskutiert. Rassismus sei für die taz inakzeptabel, Respekt im Umgang miteinander unabdingbar. Die Redaktion nehme die Vorwürfe, die im offenen Brief der ISD genannt werden, sehr ernst. Sie wisse, dass sich die taz, wie die Gesellschaft überhaupt, diesem Thema stellen müsse. Dabei müsse es um Grenzen gehen, die wir nicht überschreiten sollten, aber auch um die Frage, wann Diskussion unmöglich gemacht werde und wo Zensur beginne.
Die taz druckte eine ganze Seite Leserbriefe zu dem Thema und begann eine Debattenserie. Unser Redakteur Daniel Bax unterstellte in dem ersten Artikel Deniz Yücel einen „Willen zur Verhöhnung“ und fragte: „Warum muss man ein Wort wie ‚Neger‘ verwenden, wenn sich andere dadurch verletzt fühlen?“ In einem zweiten Artikel antwortete Bettina Gaus: „Die Tatsache, dass es oft vernünftig ist, Betroffene selbst eine Sprachregelung treffen zu lassen, heißt jedoch nicht, dass im Konfliktfall alle anderen zu schweigen hätten. Diskriminierung bedeutet nicht nur Herabwürdigung, sondern auch Ausgrenzung. Wer meint, nur Betroffene seien zu einem Urteil berechtigt, fördert selbst die Ausgrenzung.“ Im dritten Teil der Debattenserie schrieb Hadija Haruna: „Sicher, es ist unbequem, sich bewusst zu machen, dass viele Worte eine Bedeutung haben, die über das hinausgehen, was man vielleicht sagen möchte. Doch leider können sich Menschen einer rassistischen Sprache bedienen, obwohl schwarze Menschen, Schwule und Lesben, Sinti oder Muslime zu ihrem Freundeskreis zählen. Und dass sie es nicht rassistisch gemeint haben, ist kein Argument dafür, dass ihre Sprache nicht auch rassistische Spuren aufweist.“
Korrektur: In einer ersten Version dieses Textes hieß es, Saraya Gomis habe auf ihrer Facebook-Seite von ihrem Gespräch mit Ines Pohl berichtet. Tatsächlich geschah dies auf unserer Facebook-Seite. Danke an „taz watch“ für den Hinweis, der Fehler ist korrigiert.
Zweite Korrektur: In dem Text hatte ich ursprünglich die Aussage der Polizisten wiedergegeben, die Teilnehmer der Aktion sollten sich, wenn sie in zwei Wochen wiederkommen, vorher noch mal melden. Daraus schloss ich: „Offenbar war die Aktion vorher nicht als Versammlung angemeldet worden.“ Inzwischen hat „taz watch“ erklärt, dass die Aktion sehr wohl bei der Polizei angemeldet war. Ich habe meine gegenteilige Mutmaßung daher aus dem Artikel entfernt.
Mmmmhhhh….
1. Eine Übersetzung des Wortes negro soll als Rechtfertigung dienen? Wenn man sich Nachschlagewerke verschiedenster Zeit anschaut, dann finden sich dort als sprachlich verpackt verschiedenste „Zeitgeister“…
2. Warum die Bitte vieler Menschen ignorieren? Wenn ich nicht als „doofe Kuh“ oder Schlimmeres bezeichnet werden möchte, dann erwarte ich doch auch, dass mein Gegenüber dies respektiert und sich nicht auf seine freie Meinungsäußerung beruft. (Der Vergleich hinkt etwas, ich weiß…). Wenn ein liberal eingestellter Mann einer Frau erzählt, dass er nicht frauenfeindlich sein könne, weil er ja so liberal sei, glauben wir das dann? Und wenn jemandem Herrn Wowereits Politik nicht gefält, würen wir uns dann erlauben, ihn aufgrund seiner gelebten Sexualität zu kritisieren????
3. Ich kann mich den Stimmen nur anschließen… warum beharren wir so sehr darauf etwas zu verteidigen? Das ist hier die Frage!
4. Wenn wirklich schon so viele versucht haben mit der taz zu sprechen, warum wird hier so getan als handele es sich um einzelne Bekloppte?
5. Die eigene Freiheit hört da auf, wo die Freiheit des anderen eingeschränkt wird… Ist doch eigentlich gar nicht so schwer zu sagen (selbst wenn man nicht 100% einverstandenn ist): okay, das ist deine Grenze und diese respektiere ich….
Verrückte Welt.