von 14.04.2009

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In Hamburg findet gerade ein bizarrer Kampf um die Schulreform statt. Wie ein Löwe kreuzzieht ein gewisser Walter Scheuerl für die Interessen der armen und entrechteten Kinder durch die Feuilletons – und gegen die schwarz-grüne Schulreform. „Die soziale Spaltung in der Stadt wird sich verschärfen“, sagt der Mann, der Elternsprecher an einem Gymnasium ist und der Bürgerinitiative „Wir wollen lernen“ vorsteht.

Wie kann das eigentlich sein, dass ein Gymnasialelternsprecher für Gerechtigkeit kämpft?

Tja, das ist die Dialektik des hyperkomplexen deutschen Schulsystems. Da kann jeder alles behaupten – weil bei einem vielfach geliederten Schulwesen eben niemand mehr durchblickt.

Zum Mitschreiben: In Hamburg gibt es heute vier verschiedene Schulformen für Elfjährige: Sonderschulen. Verbundene Haupt- und Realschulen. Gesamtschulen und Gymnasien. Schwarz-Grün will das bis 2010 ändern: Künftig sollen alle Kinder zusammen lernen, bis sie zwölf sind, also bis zur sechsten Klasse. Morgen soll es im Prinzip nur noch zwei Schularten geben – die Gymnasien und Stadteilschulen, die ebenfalls ein Abi vergeben. Dagegen läuft die Elterninitiative Sturm.

Aber sie tut das natürlich nur formell, weil sie Bildungsgerechtigkeit erreichen möchte. Tatsächlich will sie Bildungsaufsteiger unbedingt von ihrem Heiligtum fern halten – dem Gymnasium. Das mit der Gerechtigkeit ist nur ein billliger Propagandatrick. In Wahrheit hat die Ini Angst, dass das Gymnasium als staatlich organisierte Spezialanstalt für Bürgerkinder kaputt gehen könnte.

Hamburg hat – bislang – eines der ungerechtesten Schulsysteme auf der ganzen Welt. Dort sind 80 Prozent (!) der Hauptschüler Risikoschüler. Das heißt, sie können nur auf Grundschulniveau lesen. Sie sind nicht in der Lage – wie die Wissenschaft sagt – eigenständig weiter zu lernen. Die große Schulreform von CDU und Grünen will dieses Problem nun grundsätzlich angehen. Die Hauptschulen wurden bereits abgeschafft und mit den Realschulen zusammengeführt. Nun soll es eine große Fortbildungsoffensive für die Lehrer geben. Dann werden schrittweise die Schulformen zusammen geführt. Es sollen Sammelbecken von Bildungsverlieren vermieden und es soll künftig mit individuellen Lernmethoden gearbeitet werden. Das Gymnasium soll übrigens weiter bestehen. Allerdings kann es künftig Kinder erst ab der siebten Klasse aufnehmen.

Eine so grundlegende Schulreform hat bisher in Deutschland niemand gewagt.

Dagegen mit dem Argument anzugehen, die Bildungsgerechtigkeit werde verletzt, ist ein Treppenwitz der Geschichte. Im Grunde ist es Volksverhetzung, was da betrieben wird. Denn es werden mit Halbwahrheiten und Verdrehungen die niederen Instinkte der Wähler mobilisiert – um die ungerechte und ineffiziente Hamburger Schulstruktur aufrecht zu erhalten. Allein der Name der Volksinitiative sagt alles. Er heißt ganz unschuldig: Wir wollen lernen. Aber er bedeutet ganz brutal: Wir wollen ohne die Schmuddelkinder lernen. Nämlich ohne jene Kinder, die man ihnen bislang nach der vierten Klasse vom Halse hielt – und in die Haupt- und Sonderschulen abschob.

Am Samstag wird in Hamburg eine Demo gegen die Schulrerform stattfinden. Es wäre besser zum tazkongress nach Berlin zu fahren. Denn dort wird taz-Redakteurin Anna Lehmann am Sontag auf dem Podium „Das Gymnasium – ein deutscher Mythos“ über das Gymnasium diskutieren. Mit dabei unter anderem: Hamburgs Schulsenatorin Christa Goetsch (Die Grünen), die über die Hamburger Schulreform befragt werden wird.

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