vonhausblog 19.10.2023

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Von Thomas Gerlach

Für alle Menschen in der DDR war 1990 das Jahr der Träume. Manche gingen in Erfüllung, andere platzten. Die geplatzten sind es, die bis heute nachwirken. Sie sind der Grund, warum viele Ostdeutsche immer noch mit der Bundesrepublik hadern, fremdeln, auf eine teilweise höchst unangenehme Art. Es ist auch die Ursache, warum die taz eine „Westzeitung“ geblieben ist.

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Wer mehr erfahren will, sollte sich am 25. Oktober die TV-Doku „Alles anders machen – das kurze Leben der Ost-taz“ anschauen. Den das kleine linke westdeutsche Zeitungsprojekt taz agiert 1990 mit ihrem Ost-Ableger exakt so wie die große Bonner Polit- und Verwaltungsmaschine mit der gesamten DDR.

Anfang 1990 dominieren die SED-Bezirkszeitungen die DDR. Höchste Zeit für Neues, und so gründen Bürgerbewegte aus dem Umfeld des Neuen Forums, etwa in Leipzig und Magdeburg, Wochenzeitungen. Noch im November 1989 wird im Städtchen Salzwedel die Altmark-Zeitung gegründet und ein Verleger aus dem Münsterland baut in Leipzig die Tageszeitung Wir in Leipzig! auf. Die gemeinsame Botschaft: Die SED-Blätter haben keine Zukunft, die Menschen wollen „andere“ Zeitungen.

Ohne Schere im Kopf

Die Ost-taz ist eine davon. Und so machen ab Februar 1990 in Ost-Berlin junge Leute die DDR-taz, ohne Schere im Kopf. Immer der Nase nach. Das geht nicht lange gut. Die Ost-tazzler überwerfen sich mit der West-taz wegen einer Stasi-Adressenliste. taz-Ost will nicht veröffentlichen, taz-West greift ein, druckt die Listen und regelt publizistisch, was sie nicht wirklich betraf.

Journalistisch richtig, menschlich verheerend. Kurz darauf zieht die West-taz den Stecker, weil sich die Kuh nicht mehr länger melken lässt. Ex-taz-Chefredakteur Arno Widmann erzählt in der Doku, dass der zentrale DDR-Grossist die gesamte Druckauflage für DDR-Mark aufkaufte. taz-Langzeitgeschäftsführer Kalle Ruch brauchte die DDR-Knete zur Währungsunion nur umzurubeln. Die Schlussrechnung für die Planwirtschaft ging an Theo Weigel in Bonn.

Als ob das schnelle Ende der Ost-taz nicht deprimierend genug wäre, geben alle Neuen, außer Altmark-Zeitung und Leipziger Kreuzer, wieder auf. Stattdessen machen die „Bezirksorgane“ der SED mit West-Eigentümern weiter. Eine eigenständige publizistische Stimme aus dem Osten, abseits von ND und Junge Welt, fehlt. Dafür blüht Empörungsliteratur à la Dirk Oschmann und Birk Meinhardt.

Ahnungslosigkeit im Westen

Und die taz bleibt ein Westprodukt, wie Süddeutsche, FAZ, Zeit und Spiegel. Die herablassende Ahnungslosigkeit der Herren Di Lorenzo, Schumacher und Jörges, alle jahrelang in einflussreichen Positionen, rahmt diese unglaubliche Story würdig ein.

„Alles anders machen – das kurze Leben der Ost-taz“ von Michael Biedowicz am 25.10.23 um 22.45 Uhr im rbb-Fernsehen oder in der Mediathek.

Thomas Gerlach hat im Februar 1990 als Theologiestudent sofort sein ND-Abo gekündigt und die taz abonniert. 

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