Über Volker Kauder und die CDU wird am Donnerstag nichts in der taz stehen. Damit die LeserInnen das auch wissen, diktiert Peter Huth am Mittwochmittag seinen Text für die Seite 20. „Hofberichterstattung haben wir früher nicht gemacht“, sagt Huth, vor 40 Jahren Auslandsredakteur der taz, heute Fernsehreporter in der Uckermark. „Da geht es doch nur um machtgeile Figuren, die um Regierungsjobs kämpfen. Hat uns nicht interessiert. Wir wollten wissen, was die Bewegungen machen.“
Sunny Riedel, vor 40 Jahren noch nicht geboren, heute Nachrichtenredakteurin der taz, tippt seine Worte ab. Dann widerspricht sie: „Das mit Kauder bedeutet vielleicht das Ende für Merkel. Warum sollen wir denn darüber nicht berichten?“ Huth, kurz vor der Rente, Typ Iggy Pop mit Halbglatze, schaut sie kurz an und sagt dann: „Das steht doch schon in allen Zeitungen. Das liest und hört man überall. Dafür braucht es die taz nicht.“
Vor genau 40 Jahren, am 27. September 1978, erschien die erste Ausgabe der taz. Zum Jubiläum haben die GründerInnen das Blatt übernommen: Die taz vom Donnerstag produzierten 43 Menschen, die schon bei den ersten Ausgaben dabei waren. Manche von ihnen arbeiten bis heute bei der taz. Andere gingen zum Spiegel, zur Zeit oder zum ZDF. Wieder andere sind nicht im Journalismus geblieben, zogen stattdessen in Parlamente ein, haben Galerien eröffnet oder betreiben Cafés. Am Mittwoch sind sie alle noch einmal zusammengekommen.
„Autorisierungen haben wir früher auch nicht gemacht“
Redaktionskonferenz am Morgen: Die Alten erklären den Jungen, wie die Sache früher lief. „Die Einstellung war damals: Was, Bonn? Da gibt es eine Hauptstadt?!“, sagt einer. Der Rest nickt. Und damit geht der Auftrag an Peter Huth: Er wird auf Seite 20 verkünden, dass über Kauder nichts in der Zeitung steht. Und weiter geht es im Programm: Auf Seite 1, unter dem historischen taz-Schriftzug von 1978, soll es eine Titelgeschichte über den Staatsbesuch von Erdogan geben.
Auf Seite 4 und 5 berichten drei taz-Gründer über die Anfänge der Zeitung. Auf der 13 dürfen AbonnentInnen der ersten Stunde LeserInnenbriefe schreiben. Und auf Seite 17 kommt das große Doppelinterview mit Martin Schulz und Daniel Cohn-Bendit. Fertig ist es noch nicht, die Interviewer haben es erst am Dienstagabend geführt. Michael Sontheimer, der in den 1990ern mal Chefredakteur war und an diesem Tag die Produktion leitet, macht sich trotzdem keine Sorgen.
Die fertige Fassung am Ende noch mal den Interviewten vorlegen, wie es mittlerweile, auch bei der taz, üblich ist? Die Zeit könne man sich heute ja wohl sparen. „Autorisierungen haben wir früher auch nicht gemacht“, sagt er. Da staunen die Jungen. Max Thomas Mehr, der das Interview geführt hat, sitzt sechs Stunden später im vierten Stock und versucht, den Untertitel auf Zeile zu bringen. Um halb drei hätte seine Seite in der Druckerei sein müssen, jetzt ist es schon nach vier.
Hat alles etwas länger gedauert: Am Abend tippte er bis Mitternacht das Band ab. Am Morgen hatte er dann 15 Seiten vor sich, die er bis zum Mittag auf eine zusammenkürzte. Und die fertige Version musste dann doch noch zu Schulz und Cohn-Bendit in die Autorisierung. „Das ist heute selbstverständlich, da hat der Michael Quatsch erzählt“, sagt Mehr.
1978 habe sich die Redaktion um solche Regeln noch nicht geschert. Aber mittlerweile, sagt der 65-Jährige, der die taz 1991 verließ und heute als freier Journalist arbeitet, gehe das nicht mehr. „Ich mache auch Fernsehen und Radio, da lässt man natürlich nicht autorisieren. Aber ein Zeitungsinterview kann ich beim Aufschreiben zusammenkürzen und das Ergebnis sollte man am Ende absprechen.“ Mache Sontheimer, der inzwischen beim Spiegel arbeitet, sicherlich auch so.
Das Interview erscheint am Ende in der Rubrik „Magazin“. Die gibt es eigentlich schon seit Jahren nicht mehr, bekommt heute aber ein Comeback. So wie die Rubrik „Betrieb und Gewerkschaft“ auf den Seiten 8 und 9. Oder die Frauenseiten auf der 6 und 7. Die Rubrik wird im dritten Stock von Gitti Hentschel betreut. In den Anfangsjahren der taz war sie Frauenredakteurin, später leitete sie das feministische Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung.
Sie hat heute viel zu tun: In der Konferenz am Morgen erinnerte sie an die Tags zuvor vorgestellte Studie zur sexuellen Gewalt in der katholischen Kirche – jetzt muss sie nicht nur die Frauenseiten redigieren, sondern auch noch die Studie kommentieren.
Sie mache das gern, klar. „Aber mich ärgert das auch. Dass ich diesen Kommentar verfasse und die beiden Frauenseiten betreue, ist kein Zufall.“ Ganz leicht hätten sie und andere taz-Journalistinnen es 1978 nicht gehabt: Auf der einen Seite hätten die Männer schon vor 40 Jahren den Frauenthemen wenig Beachtung geschenkt, sie als Autorin ungeeignet gefunden. „Wir Frauen fühlten uns stark und emanzipiert. Und gleichzeitig wollten wir von den Männern anerkannt werden. Das war ein alltäglicher zermürbender Kampf.“
Und heute? „Erst gestern habe ich alle wieder darauf hinweisen müssen, dass auf den ersten fünf Seiten unserer Ausgabe nur Männer über Männer schreiben“, sagt Hentschel. Abgesehen vom Editorial auf Seite 2. Das stammt von Vera Gaserow, bis 1991 im taz-Inlandsressort, danach bei der Zeit und der Frankfurter Rundschau arbeitete.
„Was uns jetzt noch einmal in der taz zusammengebracht hat, ist ein prägendes Stück Vergangenheit sowie die Lust und die Verantwortung, uns weiterhin einzumischen“, sagt Gaserow im Editorial. „Und nicht zuletzt ist es der Stolz, gemeinsam ein Projekt auf die Beine gestellt zu haben, das sich als unschlagbare Überlebenskünstlerin erwiesen hat: die taz.“
Von TOBIAS SCHULZE, taz-Ressortleiter Inland, und HANNA VOß, taz-Volontärin
Fotos: Karsten Thielker
Zum 40. Jahrestag der ersten Nullnummer erscheint die Gründer*innen-taz am 27. September mit zwanzig Seiten. Als Beilage gibt es einen Nachdruck der ersten Ausgabe als 16-seitigen Reprint in Originalgröße und -ausstattung kostenlos dazu.