In Coronazeiten fehlt viel. Die Umarmung zur Begrüßung, das gemeinsame Abendessen im Lieblingsrestaurant oder die durchtanzte Nacht mit Freund*innen. Mit Arbeitskolleg*innen ist es etwas anders. Zwar fehlt das gemeinsame Schnacken im Treppenhaus, aber dafür ist man sich visuell im Zweiergespräch via Videokonferenz so nah wie sonst nicht.
Jede kleine Regung in Richtung eines Lächelns oder Stirnrunzelns ist sehr sichtbar auf so einem Bildschirm direkt vor der Nase des Gegenübers. Auch kann das Auge in den Onlinekonferenzen plötzlich viel mehr Gesichter und Details auf einmal erfassen als sonst. Kaffeetassen und Bücherregale werden plötzlich hausöffentlich zu Distinktionsmerkmalen, Raucher*innen können wieder während der Redaktionskonferenz paffen, und Kinder sehen endlich all die Leute, mit denen sich ihre Eltern sonst tagtäglich herumschlagen müssen. Winke, winke!
Überhaupt, die Konferenzen: Nur noch wenige Kolleg*innen arbeiten im taz-Haus, die meisten sind im Homeoffice. Am Donnerstag haben wir die Zeitung testweise sogar komplett aus dem Homeoffice produziert.
In der Sitzung treffen sich beide Seiten mit großem Hallo. Hier versuchen wir trotz Krise möglichst vielstimmig zu diskutieren. Sind die coronabedingten Maßnahmen gut – oder übertrieben? An welche Personengruppen wird gerade nicht gedacht? Wohin müssen wir schauen?
Die taz ist leer geworden und bleibt sich doch nah
Mit Technik aus unserer Kantine, sonst ja ein öffentlicher Veranstaltungsraum, ist der Konferenzraum mit Mikros ausgestattet, der oder die Wochenchef*in aus der Chefredaktion schaltet dann die Kolleg*innen aus ihren Wohnzimmern und Küchen zu, sichtbar auf der großen Leinwand, hörbar im ganzen Raum, wo zehn einzelne Menschen dann physisch weit auseinander sitzen. Die taz ist leer geworden und bleibt sich doch nah. Ziel erreicht.
Anfang März geht alles sehr schnell: Ein Pandemiestab zum Thema Corona trifft sich am 4. März das erste Mal und steckt die großen Fragen ab, die wir uns als taz-Verantwortliche stellen müssen. Was machen wir – und wann? Was muss vorher passieren? Und wann muss ich in Quarantäne – unter welchen Umständen?
Teil der Gruppe sind zunächst Katharina Bigot, Assistentin der Chefredaktion, Mario Domgörgen, Unix-Admin unserer EDV, sowie Nadine Fischer und Jörg Kohn, das Leitungsteam der Produktionsabteilung. Außerdem Felix Lee, Fachredakteur im Ressort Wirtschaft und Umwelt, Sabine Seifert, Leiterin des Ressorts Recherche und Reportage, und Felix Zimmermann, Ressortleiter der taz am Wochenende.
Brauchen wir Passierscheine im Fall von Ausgangssperren?
Später kommen noch Vertriebsabteilungsleiter Franz Schilling und Unix-Admin Alexander Kaspar dazu. Seit 9. März sind immer auch Chefredaktion, Geschäftsführung und der Betriebsratsvorsitzende Wolf Vetter dabei. Wir treffen uns, mittlerweile virtuell, alle zwei bis drei Tage, um vorausschauend zu agieren, aber auch um kurzfristige Entwicklungen gründlich zu analysieren.
Brauchen wir Passierscheine im Fall von Ausgangssperren? Wie streng sind wir, wenn es um Mitarbeiter*innen aus Risikogruppen geht, die partout nicht zu Hause bleiben wollen? Wie sind die konkreten Schritte, wenn ein*e Mitarbeiter*in, die im taz-Haus war, erkrankt? Zuerst ging es darum, wie wir ein Haus mit 350 Mitarbeitenden innerhalb von zwei Wochen technisch für die Remote-Arbeit ausstatten, mit Rechnern und VPN-Tunneln.
Die Kolleg*innen aus der Technik haben dafür Wahnsinniges geleistet. Eine Kollegin aus dem Team für das taz lab wird von den Kollegen zur „Direct Communication Assistant“ ernannt und übernimmt die Kommunikation mit denen, die ins Homeoffice wechseln wollen. Die taz-lab-Kollegin hat ja Zeit, denn der Kongress musste um ein Jahr auf den 24. April 2021 verschoben werden. Ein Event wie unseres mit rund 3.000 Besucher*innen Ende April kann es nun nicht geben.
Aus allen Ressorts sprudeln Themen und Texte
Überhaupt ist die transparente Kommunikation Kernaufgabe des Pandemiestabs. Nach jedem Treffen gehen eine bis mehrere E-Mails, mit denen wir über die neuesten Entwicklungen und Maßnahmen informieren, an unterschiedliche Verteiler in der taz. Auf manches haben wir uns in dieser Runde auch vorbereitet, ohne es umsetzen zu müssen – zum Glück! Ein Impuls etwa war: Wir müssen einen Notfall-Seitenplan erstellen.
Der Gedanke: Wenn alle krank werden, alle in Quarantäne sind und alle ihre Kinder bespaßen müssen, dann kriegen wir 20 Seiten taz am Tag plus Regionalteile nicht mehr hin. Also haben wir einen Plan für nur 12 Seiten erstellt. Die ersten Gespräche zeigten aber, dass das wiederum zu wenig ist. Zu wenig Seiten für zu viel Inhalt – das erzeugt Stress. Also ein Notfallplan mit 16 Seiten. Aber das ist noch immer zu wenig! Aus allen Ressorts sprudeln quasi die Themen und Texte.
Wir liefern unseren Leser*innen also weiterhin jeden Tag eine prallvoll gedruckte taz, eine dicke Wochenendausgabe mit bis zu 52 Seiten und den digitalen Überblick in der App. Letzteres sogar, ganz ohne die Wohnung verlassen zu müssen. Hier halten wir einmal am Tag den Nachrichtenstrom an und blicken durch die taz-Brille auf die Welt. Und zwar die ganze Welt, wirklich. Dank unseres großen Korrespondent*innennetzwerks haben wir Reportagen über die neuesten Entwicklungen von Australien bis Uganda.
Gefühlt rollen die Steppenläufer durch die Gänge des taz Hauses wie in einem Western
Für diejenigen, die eine starke Nachrichtenströmung bevorzugen, haben wir natürlich unsere Website. Und diese ist gefragt wie lange nicht. Im März hatten wir knapp zwölf Millionen Besuche auf taz.de. Das sind im Schnitt 400.000 Besuche pro Tag. Interessantes Detail: Die vielen Besucher*innen verhalten sich aufgrund von Quarantäne und Homeoffice auch anders, sie stehen später auf und lesen abends umso mehr.
Den taz-Journalismus mit Kanten, Humor und politischer Entschiedenheit braucht es jetzt. Das zeigen auch viele persönliche Rückmeldungen von Genoss*innen, die uns erreicht haben. Auch aus Heinsberg, Rheinland: „Rock on. Und tatsächlich: Danke, dass ihr da seid. Fels in der Brandung und so. From the heart of the hotspot, Heinsberg, Corona-City, wo die Walking Dead durch die Straßen marodieren und Klopapier plündern:-)“
Nach Zombie-Apokalypse fühlt es sich in der taz nicht an, ganz im Gegenteil. Aber leer ist es geworden. Gefühlt rollen die Steppenläufer durch die Gänge wie in einem Western. In Wahrheit übernehmen die Tauben das Haus. Von außen werden die Fassaden verstärkt als Toilette genutzt, im dritten Stock wurde ganz schamlos ein Nest mitten auf dem Balkon gebaut, und neulich spazierte im vierten Stock eine Taube einfach in die Etage rein. Ist ja sonst nichts los.
Unerwartetes Personal gab es neulich auch in der Küche unserer Kantine. Nachdem wir dort erst den Veranstaltungsbetrieb absagen, dann den Mittagstisch für Externe schließen und schließlich den Betrieb aufgrund zweier Verdachtsfälle ganz einstellen mussten, haben zwei Redakteur*innen den Kochlöffel in die Hand genommen. Also nicht ganz. Es war ein Topf mit heißem Wasser, in dem eine kleine Ladung Weißwürste gekocht wurde. Jetzt übernehmen die Bayern schon die taz!
Von Katrin Gottschalk, stellvertretende Chefredakteurin der taz und in Sachsen geboren.