von 03.04.2020

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Innenansichten, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Die taz zu machen, ohne in die taz zu kommen – es hat geklappt: Haus leer, Zeitung voll. Donnerstag, der 2. April, war der erste Tag in der Geschichte der taz, an dem Redaktion, Layout und Korrektur komplett von außerhalb des taz-Hauses gearbeitet haben.

Schon seit mehr als zwei Wochen hat sich unser Neubau in der Berliner Friedrichstraße mehr und mehr geleert. Wir wollen selbst dabei helfen, die Verbreitung des Virus zu bremsen. Wir haben die Kontakte im Haus drastisch reduziert.

Die Kantine ist eh geschlossen. Und die wenigen, die noch im Haus arbeiten, dokumentieren, mit wem sie im Laufe des Tages in nächster Nähe zusammen gearbeitet oder gesprochen haben.

So sieht man morgens vor dem Haus gut ein dutzend Fahrräder.

Nur ein kleines Kernteam ist noch anwesend, auf Abstand achtend, aber doch im direkten Gespräch über Themen, Thesen und Titelzeilen. Die anderen wählen sich technisch von daheim ins Redaktionssystem ein. Wenige im Haus, viele zu Hause – dieses Konzept hat bisher sehr gut funktioniert.

Wer weiß schon wie viele gleichzeitig in Quarantäne müssen?

Aber was würden wir machen, wenn sich Kolleg:innen anstecken, die zuvor im Haus mit anderen in Kontakt waren? Viele müssten in Quarantäne gehen. Die Ressorts schreiben ihre Dienstpläne vorsorglich so, dass immer einige gar nicht ins taz-Haus kommen, damit sie nicht in Quarantäne müssten und eingewechselt werden könnten. Aber wer weiß schon, wie viele gleichzeitig erkranken würden oder in Quarantäne müssten?

Für solche Fälle wollten wir Erfahrungen sammeln. Am Donnerstag haben wir für einen Tag ausprobiert, ob es im Notfall ganz ohne Präszenz im taz-Haus ginge, technisch und kommunikativ. Die Produktion der Website, der täglichen Ausgabe gedruckt und als App sowie der taz am Wochenende fand komplett dezentral aus dem Homeoffice statt. Ein Testtag.

Einer Redaktion ohne Austausch ginge es ungefähr so wie einem Schwarm Fische an Land. Deshalb musste die taz-interne-Kommunikation komplett auf digitale Kanäle umziehen.

Die komplette Produktion dezentral aus dem Homeoffice

Die nutzen wir großteils zum Glück schon länger, aber eben nicht so ausschließlich wie jetzt: Unseren Teamchat mit dem schönen Namen „Riot“ und verschiedenen Chaträumen, die Mails, Videoschalten, den digitalen Themenplaner. Und das gute alte Telefon.

Die Morgenkonferenz am Donnerstag: Mehr Teilnehmer:innen als auf den Bildschirm des Laptop passten, der auf meinem Küchentisch stand. Die 13.30 Uhr Besprechung: Seite-1-Entwürfe blenden die Redakteur:innen elegant direkt in die Videokonferenz ein. Um 16.58 Uhr: Die erste Ausgabe wird an die Druckerei in Gießen gesendet.

Wir haben am Freitagmorgen in der Redaktion – jetzt wieder teils per Video und teils persönlich im taz-Haus – unsere Erfahrungen ausgetauscht. Ich habe mal schnell ein paar Eindrücke aufgeschrieben, vielleicht sind sie auch für andere nützlich.

Erfahrungen und Eindrücke einer Zeitungsproduktion unter anderen Vorzeichen

Und vielleicht bremst das auch jene außerhalb der taz, die aus der Schwelgerei über das Homeoffice nicht mehr herauskommen. Die Erfahrungen der vergangenen Wochen der kleinen Präsenz im taz-Haus fließen mit ein.

1. Der taz-Neubau ist sehr transparent. Wer das große Treppenhaus hochläuft sieht, durch die Glasscheiben, wer in welchem Stockwerk gerade da ist. Das sieht man zwar auch in „Riot“: Der Chatraum „Aktuelles“ ist sozusagen der dritte Stock des taz-Hauses, wo der Themen- und Nachrichtendesk angesiedelt ist, die Ressorts Ausland, Inland und Wirtschaft & Umwelt sowie Meinungsredaktion und Social-Media-Team.

Im „Aktuelles“-Raum sagen sich die Leute sogar „Guten Morgen“. Aber zumindest bis zur ersten Videokonferenz sieht niemand, wer gerade müde dreinschaut und wer nur so strahlt. Es ist auch nicht so einfach zu erkennen, ob jemand im Stress ist oder gerade gut ansprechbar.

2. Für die Kommunikation über das Chatsystem „Riot“ bedeutet die Krise einen echten Schub. Der Austausch läuft meist hochprofessionell und supersorgfältig.

Das Telefon bleibt ein Joker

3. Es muss klar sein, welcher Kommunikationskanal für was genutzt wird. Gerade Leuten auf Schnittstellen-Positionen wie Themenchef:in, Nachrichtenchef:in oder Meinungsredakteur:in ist es unmöglich, ständig alles im Blick zu behalten: die verschiedenen Räume des Teamchats, die Posteingangsordner mehrerer Mail-Verzeichnisse, die Aktualisierungen im Themenplaner, das Telefon.

Der vereinbarte Kommunikationsweg muss absolut vorrangig genutzt werden: Kanalkonsequenz hilft. Das Telefon bleibt ein Joker.

4. Es klingt simpel, aber in der schriftlichen Kommunikation muss man sich kurz fassen. In einem Chatraum bilden sich sonst sogenannte Bandwürmer aus langen Nachrichten, die kein Mensch abarbeiten kann.

5. Niemand sollte davon ausgehen, dass jede:r die komplette schriftliche Kommunikation erfassen kann. Dies zu erwarten, belastet. „Hab ich doch am Donnerstagmittag da und da rein geschrieben“: Vergiss es. Und natürlich: Schriftliche Kommunikation verlangt Geduld, wenn etwas schief geht.

Videokonferenzen laufen sehr konzentriert und beginnen pünktlich

6. Wer Schnittstellenleute am Telefon hat, der vermeide: „Da ich Dich schon mal dran habe, können wir ja auch gleich…“ und frage lieber: „Hast Du jetzt noch für was anderes Zeit?“

7. Sitzungen als Videoschalte laufen sehr konzentriert, beginnen meist überpünktlich. Auch Themendiskussionen sind möglich, aber kein Themen-Pingpong. Es entsteht wenig Atmosphäre. Stimmungen zu erspüren ist viel schwieriger.

Die Kommunikation läuft dicht und konzentriert. Der schnelle Zuruf über den Tisch, die eben mal hingeworfene Idee: das fehlt. Und ist schwer zu ersetzen. Man sitzt eben doch nicht zusammen, sondern gemeinsam alleine da.

Berufsleben und Privatleben verschwimmen

8. Vorsicht vor dem ganz großen Homeoffice-Hurra! In einer Zeitung ist es für eine Autor:in prima, ihren Leitartikel in ihrer lichten Altbauwohnung zu schreiben. Aber wer in einer kleinen Wohnung als Redakteur:in unter Zeitdruck die Fäden einer aktuellen Produktion in der Hand hält, macht einen Hochleistungsjob.

9. Respekt vor Leuten, die im Homeoffice ihre Kinder haben, vor allem, wenn die noch klein sind. An einem Tag, in einer Stunde, im selben Moment die Aufmerksamkeit zwischen Beruf und Betreuung zu teilen, kostet enorme Kraft. Was heißt Respekt eigentlich? Rücksicht.

10. Noch mal: Homeoffice ist anstrengend, Berufsleben und Privatleben verschwimmen. Grenzen zu ziehen ist schwieriger. Einfach mal nach Hause gehen, Abstand gewinnen, die Tür zumachen? Geht nicht. Du sitzt am Küchentisch, Kühlschrank voll, aber du vergisst, dir etwas zu essen zu machen.

Risiken der Homeoffice-Only-Produktion

Es braucht Pausen. Chat-Nachricht: „Ich gehe mal bis 13 Uhr in die Pause“. Obwohl man nirgendwo hingeht außer raus aus dem Kommunikationsfluss.

11. Die taz-Produktion hat einen hohen Schwierigkeitsgrad, weil sie in den Geschwindigkeiten stündlich, täglich und wöchentlich arbeitet. Den Überblick über Website, Tageszeitung (gedruckt und als App) sowie Wochenendausgabe zu behalten, funktioniert dennoch.

12. Die Produktion einer überregionalen Zeitung ist eine eng getaktete Angelegenheit. Die fertigen Seiten müssen bereits nach und nach in die Druckerei. Nicht erst spätabends, sondern schon am Nachmittag und am frühen Abend. Es geht um Minuten.

Kleines Team im großen Haus

Aber die Internetverbindung zu Hause ist oft so schlecht, wie wir es von Sonntagabenden kennen, wenn alle streamen und glotzen. Wenn ein:e Redakteur:in um 16 Uhr Seitenschluss hat, aber von der Redaktion abgeschnitten ist, kostet das Nerven. Viele unterschiedliche Verbindungen ins Netz, manche stabil, andere wacklig: Das sind Risiken einer Homeoffice-Only-Produktion.

Nun arbeiten wir erst einmal wieder gemischt. In der Morgenkonferenz waren am Freitag acht Leute physisch anwesend, der Rest schaltete sich per Video zu. Kleines Team im taz-Haus, großes Team außer Haus. Und eines ist klar: Wenn irgendwann die ganze taz in ihr Haus zurückkehren kann, wird das ein großer Genuss.

Von Georg Löwisch, taz-Chefredakteur

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