Am Freitag, 2. Dezember 2016, erscheint im Rahmen einer freundlichen Übernahme erstmals die taz.mit behinderung. Dazu ein Editorial von Judyta Smykowski, Chefredakteurin der taz.mit behinderung und Gedanken zu einer besonderen Zusammenarbeit von Katrin Gottschalk, stellvertretende taz-Chefredakteurin.
Alles inklusive | Judyta Smykowski
Jetzt übernehmen wir, Menschen mit Behinderung, eine Zeitung. Das hatten wir uns zu Beginn dieses Vorhabens auf die Fahnen geschrieben. Voller Eifer und ein bisschen trotzig sagen wir: Jetzt zeigen wir es ihnen, also den Menschen ohne Behinderung. Wir ballen unsere Fäuste und strecken sie aus, wie Superman, wenn er fliegt.
Das ist der Duktus, der Reflex, den man haben kann, wenn es um solche Projekte geht. Leider gibt es in der Gesellschaft noch immer zu viel Trennung und Berührungsängste zwischen uns allen.
Wir können aber gar nicht fliegen. Und außerdem sollten wir nicht von „wir“ und den „anderen“ sprechen. Es geht uns um Gemeinsamkeit, um beide Seiten, die irgendwie ein Ganzes werden sollen, eine Gesellschaft. Die Gemeinschaft war diese Woche in der taz spürbar. Ein Projekt der taz, des Onlineportals Leidmedien.de und von AutorInnen mit Behinderung auf der sagenumwobenen und viel geforderten Augenhöhe.
Behinderte Menschen waren die Ideengeber, die ChefInnen über die Texte und haben als FotografInnen Bilder zu dieser Ausgabe beigesteuert. So ist ein Perspektivwechsel gelungen.
Die Stammredaktion hat geholfen, die Inhalte in die taz zu bringen. Wir haben uns ausgetauscht, es war eine inklusive, also gemeinsame Medienarbeit, wie sie in Deutschlands Redaktionen immer noch zu selten stattfindet.
In dieser Zeitung kommen Menschen mit Behinderung zu Wort. Sie haben alle eine Behinderung und werden behindert: von Stufen im Stadtbild oder von fehlenden Untertiteln im Fernsehen.
Sie erzählen aus ihrem Alltag; von Gesetzen, die sie in ihrer Selbstbestimmtheit gefährden, von der Liebe, die sie erleben, von behinderten ProtagonistInnen in TV-Serien, von Therapien, die sie quälen.
Heute kann sich jeder in der Nachbarschaft umschauen, ob er oder sie behinderte Menschen kennt, ob sie Nachbarn, KollegInnen oder MitstreiterInnen im Sportverein sind. Nur wenn wir uns bewusst wahrnehmen, kann etwas Gemeinsames entstehen.
Wir alle haben die Rolle, bewusster einen Zusammenhalt zu schaffen – sich zu begegnen, sich auszutauschen. Im Büro oder beim Feierabendbier. Prost!
Judyta Smykowski, Chefredakteurin der taz.mit behinderung
Im Austausch | Katrin Gottschalk
Es ist Donnerstag, gegen 13 Uhr. Im Konferenzraum der taz brodelt es. Heute übernehmen Menschen mit Behinderungen die taz und besetzen das Herz der Redaktion. Es geht um Austausch.
An dem einen Tisch feilt der Aktivist Raúl Krauthausen mit Meinungschefin Nina Apin an einem Kommentar zum Bundesteilhabegesetz. Daneben bespricht taz.eins-Redakteurin Sunny Riedel mit Ulrike Pohl und Marie Gronwald, wie die Seite 6 zum Thema aussieht. Daneben erklärt taz.de-Chefin Verena Schneider der Übernehmenden Hannah-Louisa Schmidt, wie Texte für taz.de produziert werden.
An diesem Freitag ist die gedruckte taz und taz.de die taz.mit behinderung. Diese Zusammenarbeit entstand mit Leidmedien.de, unter der Chefredaktion der freien Autorin und taz-Kolumnistin Judyta Smykowksi und taz-Seele Christian Specht.
„taz.mit behinderung“ – gleich in der Redaktionssitzung am Morgen kommt es zur Diskussion, ob „mit Behinderung“ ein guter Ausdruck ist – oder ob nicht „mit Einschränkungen“ besser wäre. Raúl Krauthausen meint: „Ich bin nicht anders begabt. Sitzen ist keine Begabung. Ich werde behindert.“ Es gibt viel zu lernen, zu verstehen, zu lesen. In der taz.mit behinderung.
Tausend Dank für diese Bereicherung, liebe Übernehmenden! Und auf ein alltägliches Neues.
Katrin Gottschalk, stv. Chefredakteurin der taz
Das Titelbild (mit Autorin Ulrike Pohl und taz.eins-Redakteur Gereon Asmuth) und die weiteren Fotos wurden im Laufe der Produktion der taz.mit behinderung von der Fotografin Anna Spindelndreier gemacht.