von 09.04.2011

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Von Mina Saidze

Sind Diskussionen, wie jene auf dem Medienkongress, tatsächlich Debatten über aktuelle Themen oder vielmehr eine gesellschaftliche Bestandsaufnahme mit Happy End?

Im links-alternativen Umfeld haben Diskussionen eine ganz andere Funktion als früher: Wurde damals eine kleine Gruppe aus Aktivisten, Marxisten und Öko-Punks mit Information und Meinung aus erster Hand versorgt, so geht es bei dem abendlichen Kongress-Publikum, das hunderte von Zuschauern umfasst, um die Selbstvergewisserung der eigenen Ansicht von den ewig gleichen Protagonisten. Der Zuschauer, häufig Zuhörer und in seltenen Fällen Diskutant, erhält Bestätigung in Zeiten von psychosozialer Verwirrung. Im Nachhinein kann er belegen, dass Prof. Dr. Todd Gittlin bei der Veranstaltung „Wer hat Angst vorm Sugardaddy?“, der u.a. an der renommierten Harvard University studierte, diverse Publikationen verfasste und Fellow an der American Academy in Berlin ist, genauso argumentiert hat und somit Widerspruch von Otto Normal gegen Professor Doktor spöttisch vernommen wird.

Der Referent ist schließlich der ausgewiesene Experte, die höchste Meinungsinstanz, ein Beleg für Unfehlbarkeit und letzt endlich der Totschlag für hitzige Diskussionen.

Unabdingbar ist dabei allerdings eine Erregungskurve, die mit einer hysterischen Alarmmeldung wie „Mullahs verstehen keinen Spaß“ beginnt, zum Schluss aber wieder in einen fast therapeutischen Konsens mündet. Das Ablaufschema sieht vor, dass sich ein kathartischer Prozess wie bei Oper, Ballett oder Theater vollzieht: Die Aufregung wurde in einem Wellen- und Wechselbad aus Dramatisierung und Entdramatisierung gleichsam aufgelöst, ohne dass dazu grundstürzend eine neue Erkenntnis oder auch nur ein noch nicht gehörtes, originelles Argument nötig gewesen wäre.

Vielmehr handelt es sich um ein virtuelles Kaminfeuer, das sich immer mehr in verschiedene Schichten, Interessengruppen, Milieus und Netzwerke ausweitet. In Zeiten der arabischen Revolutionen und Weltwirtschaftskrise braucht es ein Identifizierungsangebot für das kollektiv betroffenen Wir. Die im Programmheft ausgewiesenen Diskussionen sind Auffangstationen der Bürger und Bürgerinnen, Momentaufnahme des sozialen Grundrauschens, Seismographen des gesellschaftlichen Selbstgesprächs und Sprachrohr diffuser Meinungen.

Bei Gesprächsanläufen nach der Veranstaltung, die mit „Ihr Vortrag war inspirierend, aber…“ oder „Kennen Sie mich noch?“ beginnen, reagieren die geladenen Gäste entnervt oder sichtlich irritiert. Ihre Zeit läuft nämlich schneller und ist wertvoller als die des Durchschnittsbürgers, denn es stehen noch der Talkshow-Auftritt bei Illner, die Pressekonferenz für das Buch und der Think Thank in Brüssel an. Da bleibt keine Zeit für Smalltalk mit einer Hand voll Zuschauern – außer für Networking im elitären Kreis.

Der Islam - Dein Liebstes Feindbild? Foto: Fiona Krakenbürger
Der Islam - Dein Liebstes Feindbild? Foto: Fiona Krakenbürger
Ein gutes Beispiel hierfür ist der FAZ-Feuilletonchef Patrick Bahners während der Diskussion „Der Islam – dein liebstes Feindbild?“: Bei Moderator Jan Feddersen sammelt er Sympathiepunkte ein, der immer noch nicht versteht, dass jemand wie Bahners bei der FAZ ist, da zu klug und aufgeklärt sei für die Zeitung. Die Lobeshymne kommentiert Bahners mit „Wie liebenswürdig!“, was amüsiertes Kichern und gute Laune im Auditorium verbreitet.

Anschließend will die Berichterstatterin des Medienkongress, sprich: meine Wenigkeit, den geehrten Bahners interviewen. Nach der Registration meiner Person, wozu Alter (18) und Geschlecht (weiblich) zählt, bemerke ich die zunehmende Simplifizierung seiner Sprache, Abfallen der Aufmerksamkeitskurve und exponentielles Steigen des Desinteresses. Unwillkürlich muss ich an eine geschildertes Szene in Thomas Manns Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ denken: Bei der Begegnung mit dem Schauspieler Müller-Rosé, der das Publikum als strahlenden Held begeistert, trifft Felix Krull ihn in der Garderobe, wo er sich jenseits der Bühne anders als wahrgenommen erweist.

Fazit: Felix Krull ist von der Begegnung mit Müller-Rosé enttäuscht, die Teilnehmer und Berichterstatter des Kongresses sind von der Diskussion enttäuscht und die Revolution haben wir uns definitiv anders vorgestellt.

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