vonHelmut Höge 16.08.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Weil die taz sich anfänglich vor allem als politisches und nicht als
journalistisches “Projekt” verstand, an dem jeder mit Hand und Hirn mitwirken sollte, hat sie bis heute weniger Rationalisierungsprobleme als andere Zeitungen: Köche wurden Redakteure, Architekten Hausmeister und die zwei ehemaligen Setzer Ulli und Georg arbeiten heute in der Produktion bzw. in der Abo-Abteilung. Das regelte sich alles intern – organisch quasi, und ohne die Gewerkschaft. Erst in den letzten Jahren ist mit der Herausbildung von Chefredaktion und Geschäftsführung einerseits und Betriebsrat andererseits das Betriebsverfassungsgesetz ins Spiel gekommen und damit Anwälte auf beiden Seiten sowie auch gelegentlich die  Arbeitsgerichte.
Anders sieht es z.B. im Springer-Verlag aus.

Dort im Hochhaus gibt es eine sozusagen zentrale Fax-Abteilung, in der nur Männer arbeiten – ehemals hochorganisierte Setzer und Drucker mit Arbeitsplatzsicherheitsautomatik, die es irgendwie nicht geschafft haben, sich auf Computer umschulen zu lassen bzw. die dann die deprimierende Erfahrung machten, daß jede Sekretärin ihnen an der Hight- Tech hirnhoch überlegen war.

Erst reagierten sie darauf mit Magengeschwüren, kauften sich ein neues Auto, rot und mit doppelten Auspuffrohren, das sie samstags geradezu verbissen wienerten, selbst bei Regen, dann fingen sie innerbetrieblich an zu quengeln: “Sie mobbten sich so durch”, wie die Mädels aus dem Schreibpool des sechsten Stockwerks heute eine derartige Arbeitsplatz-Neubeschreibung nennen würden, der damals allerdings noch etwas durchaus Kollektives, Arbeiterklassenschicksalsmäßiges anhaftete, weswegen Betriebsrat und die sich dann vornehm in IG Medien umbenennende Druckergewerkschaft auch noch kräftig mitmobbten.

Als Kompromiß entstand schließlich im dritten oder vierten Stock die Fax-Abteilung,. Stets rattern dort mehrere Maschinen gleichzeitig. Dazwischen kriegt man ein paar Gsprächsbrocken mit: “Die Blonde aus dem Neunten wird sich auch nie an die geänderten Fax-Zeiten halten …” “Du meinst Frau Risch? Die hat das doch nicht nötig …” “Meint Sie!”

Das Schönste am Fax-Raum ist die große Wand hinter den Geräten: Sie ist voll mit den täglichen Busenporträts aus der BZ, es müssen hunderte sein: Was für unterschiedliche Brüste es doch gibt! Wenn man näher rantritt, kann man auch noch was dazulernen: “Gaby liebt Dreimaster, sie hat alles über diese schönen Segelschiffe gelesen …” Es folgen Details aus der Seefahrt. Oder: “Elke sammelt Briefmarken, sie weiß von daher, die teuerste Marke der Welt …” Und dann folgen nähere Einzelheiten über die Blaue Mauritius oder so was.

Diese hausintern “Tittenlexikon” genannten Großfotos mit Kurztexten sind nicht aus der jeweiligen BZ ausgeschnitten, es handelt sich dabei um die original Druckvorlagen. Jemand aus der Fax-Abteilung, wahrscheinlich ging das reihum, muß also jeden Tag in die Druckerei rübergegangen sein, um sich die Titten des jeweiligen Tages aus dem weggeworfenen Layout rauszusuchen, wenn dies nicht schon die Drucker für sie taten, die im übrigen ihre Druckmaschinen jeden Abend auf diese Brustbilder hin feineinstellten.

Als ich dort einmal ein Fax losschickte, frage ich anschließend die Männer: “Wieviel bin ich Ihnen schuldig?” “Das kostet nichts”, bekam ich zur Antwort, aber da ich hartnäckig blieb, fügte er hinzu: “Sie können ja was in unsere Bierkasse tun!” Da mußte ich nun entscheiden, wieviel. Mir fiel der Treuhand-Abwicklungsdirektor Tränkner ein, der einmal als Stern-Journalist 20.000 Mark in die “Kaffeekasse” der Stammheimer Justizbeamten getan haben soll. Er wurde deswegen verurteilt, obwohl er so viel Geld eigentlich nicht eigenmächtig als Reporter “gespendet” haben dürfte.

Ich steckte den drei diensthabenden Fax-Betreuern vier Euro in ihre Bierkasse. Dann brachte mich einer von ihnen wieder nach unten zum Pförtner, bei Springers darf niemand alleine duirchs Haus tigern, es sei denn, man hat eine Einladung. Einmal hatte ich eine für eine Ullstein-Buchpräsentation dort.

In der 18. Etage des Springer- Hochhauses gibt es einen Journalisten-Club. Dort wurden nun die Reden gehalten, ein opulentes Buffet eröffnet und die Fotografen blitzten wie besessen. Die Springer-Club-Atmo soll an einen Salon in einem Schiff erinnern. Dazu dient auch die runtergehängte, gewölbte Decke. Man hat eine wunderbare Aussicht über die ganze Stadt. Bis zu den Wannsee-Bergen auf der einen und Marzahn auf der anderen Seite. Und dann grenzt das Gebäude direkt an den einstigen Todesstreifen. Der Verlag mußte dafür seinerzeit eine Sondergenehmigung einholen. Das Merkwürdigste an dem Journalisten- Club, der auch als Speisesaal für die höheren Verlags-Chargen benutzt wird (die neuerdings gerne ins tazhaus gehen – in das Restaurant “Sale e Tabacchi”, das so gut wie tazfrei geworden ist) ist ein Axel-Springer-Altar. Er besteht aus einer Art Sekretär mit einem Foto des verstorbenen Verlagsgründers darüber. Links und rechts stehen zwei Kerzenleuchter und einige Reliquien: eine Kartusche, die bei der Grundsteinlegung des einstigen Berliner Zeitungsviertels Verwendung fand, ein Bergkristall in einem mit Samt ausgeschlagenen Karton, eine kleine Bronzeplastik und einige Objekte, die ich nicht identifizieren konnte. Ebensowenig eine der Verlags-Sprecherinnen, weil, so sagte sie mir, keiner so recht dafür verantwortlich wäre und jede Abteilung im Haus, wenn sie ein mit dem Verlagsgründer zusammenhängendes Objekt irgendwo finde, es “dort oben” einfach ablege. Irgend jemand muß sich dort aber doch regelmäßig um den Altar kümmern, denn täglich werden die Schnittblumen erneuert und die neuesten Ausgaben der von Axel Springer einst gegründeten Zeitungen quasi vor ihm auf dem Sekretär ausgebreitet.
Nicht weniger skurril geht es beim Tagesspiegel zu.

Früher haben wir uns regelmäßig über den Tagesspitzel und Tantenspiegel geärgert, gelegentlich auch mal mit seinem Logo eine richtigstellende “Entschuldigung” vorm Café Kranzler verteilt – was den Tsp-Chef Franz Karl Maier jedesmal zu geharnischten “Richtigstellungen” verleitete. Mit der Wende und dem Verkauf an den Düsseldorfer Dieter von Holtzbrinck, der schon das “demokratische Nachwende-Intermezzo” bei seiner ebenfalls gekauften Lausitzer Rundschau mit Entlassungen beendete, wurde der Tagesspiegel nicht besser. Vor einiger Zeit stiftete der neue Herausgeber einen Franz-Karl-Maier-Preis für verquaste Leitartikelei. Zeitgleich eröffnete die Galerie der IG Medien in der Dudenstraße eine Ausstellung über “50 Jahre Tagesspiegel“, zusammengestellt von Mitarbeitern der zur Zeitung gehörenden Mercator-Druckerei. Dieser Visualisierungsversuch, “den (Tagesspiegel-)Dingen auf den Grund” zu gehen, thematisierte vor allem die Arbeitskämpfe der Metteure, Setzer und Drucker gegen Franz Karl Maier – dies unter anderem in Form von handgeschriebenen “Notausgaben”, die der schwäbisch-patriarchalische Jurist Maier herausgab, um nicht klein beizugeben. Immer wieder kam es zu Streiks, in denen die “Bereitschaftspolizei” nicht nur massiv, mit Tränengas zum Beispiel, eingriff, sondern sich sogar als Streikbrecher zur Verfügung stellte. Einmal war die Nichtanerkennung der Arbeit der Belegschaftsvertreter der Anlaß, ein andermal ein Aufkleber, den ein Metteur an seinen Arbeitsplatz angebracht hatte: “Reagan verpiß dich! Keiner vermißt dich!” Es gab sogar einen Ukas von Maier, mit dem er ein Fraternisierungsverbot seiner Redakteure mit den Produktionsarbeitern durchzusetzen versuchte. Flankierend dazu wurden – bis heute – “am liebsten rückgratlose junge Redakteure eingestellt”, wie ein Drucker bei der Ausstellungseröffnung meinte (inzwischen arbeiten dort viele taz-Redakteure und bei der Lausitzer Rundschau hat es einer sogar bis zum stellvertretenden Chefredakteur geschafft).

Ein ehemaliger Tagesspiegel-Betriebsrat, der heute bei der Oberfinanzdirektion arbeitet, wo es sogar noch Bleisatz (für die Steuerformulare) gibt, erklärte mir die Maier-Politik: “Der witterte hinter jedem Busch Kommunisten! Einmal hatten wir intern einen Einheitslohn durchgesetzt, das hat Maier so gestunken, daß er unaufgefordert eine 20prozentige Lohnerhöhung gab, einige Kollegen waren tödlich beleidigt.” Maier war spontan – “Wir pflegten zu sagen: Zwei Leute haben hier recht: Maier am Morgen und Maier am Abend. Und wir haben viel gelernt von ihm …”

Vor allem in juristischer Hinsicht: Die meisten Kollisionen mit ihm endeten nämlich vor dem Arbeitsgericht. Einem Mercator- Drucker wurde versichert: “Es besteht keine Verpflichtung des Klägers zu einer positiven Arbeitseinstellung!” Der als liberal geltende Leitartikler Mathes schrieb einmal, Maier hätte immerhin in fast allen Prozessen Recht bekommen! Der Betriebsrat rechnete daraufhin nach: Von 103 Arbeitsprozessen hatte Maier bis dahin 94 verloren, drei waren unentschieden ausgegangen und nur sechs hatte er – in Teilaspekten – gewonnen. Dabei mußte die rebellische Produktion auch noch ihre damalige IG Druck und Papier immer wieder zur “Solidarität” “motivieren”, anders als zum Beispiel die Prostituierten auf der Potsdamer Straße, die den Mercator-Mitarbeitern ab 1976 für die Dauer ihrer Arbeitskämpfe von sich aus 25 Prozent Rabatt einräumten.

Bei der Berliner Zeitung versuchte der neue Eigner nach der Wende, Gruner & Jahr, erst einmal den kämpferischen Betriebsratsvorsitzenden Peter Venus rauszukicken – mit dem Stasihammer, also wegen Stasispitzelei (die Unterlagen dazu waren in einer Studie der TU Dresden über “Staatssicherheit und Bezirksparteizeitungen” aufgetaucht). Zweimal erzwang Peter Venus jedoch vor dem Arbeitsgericht seine Wiedereinstellung.

Dabei hatte die Geschäftsleitung sogar eine Umfrage durchführen lassen: Würden Sie eine Zeitung lesen, bei der einzelne Redakteure IM waren? 26,9 Prozent der Befragten verneinten das. Die Gruner&Jahr-Juristen argumentierten mit dem Tendenzschutzparagraphen. Die Richter mochten ihnen jedoch nicht folgen. Es seien auch andere Gründe als Peter Venus’ IM- Tätigkeit für den Abonnenten- Abgang seit Anfang 1997 denkbar – beispielsweise die “verstärkte Werbung der Konkurrenz”. Auf diesem Gebiet holte die Berliner Zeitung dann auch schnell auf – ihre smarten Werber haben inzwischen im Verein mit dem Innensenator schon fast alle Supermarkt-Punker verdrängt.

Der Betriebsrat hatte zur Unterstützung seines Vorsitzenden die Prominenten Gaus, Ullmann, Wesel und Barthel um ein Gutachten gebeten. Diese kamen zu dem Schluß: Redakteur Venus habe es sogar “bewußt vermieden”, dem MfS nähere Informationen über einzelne zu geben. Rechtlich “außerordentlich fragwürdig” sei es jedoch, wie die Stasi-Unterlagen überhaupt in die Hände der Gruner&Jahr-Kader gelangt seien. Venus mußte also wiedereingestellt werden.

Aber dann gab es Betriebsratswahlen im Haus am Alexanderplatz, und danach war er nur noch einfaches – d.h. nicht-freigestelltes – BR-Mitglied: “Da ist was schiefgelaufen bei der Wahl”, ist sich zwar eine Gewerkschafterin sicher, aber erstmal gelang es nun, Peter Venus aufs “Abstellgleis zu schieben”. Der ehemalige Polit- Redakteur soll einen Dokumentarjob verpaßt kriegen: “Das hat die Geschäftsleitung sich ausgedacht, um ihn abzuwürgen! Derzeit befindet er sich dafür in Schulung. ”

Um die Privatgespräche zu reduzieren, installierte die Geschäftsführung dann eine Telefonkontrollanlage, diese hatte zur Folge, dass in endlosen Verhandlungen mit dem Betriebsrat und auf hundert Seiten festgelegt wurde, was ein Dienst- und was ein Privatgespräch ist. Kein Privatgespräch ist es z.B., wenn eine Redakteurin bei ihrer Kita im Prenzlauer Berg anruft, um der Leiterin mit zu teilen, sie könne ihr Kind erst um 18 Uhr statt 17 Uhr 30 abholen, weil sie noch in der Redaktion zu tun habe.

Jetzt gibt es schon wieder einen neuen Eigentümer – und mit dessen Mann vor Ort auch schon wieder Ärger: 1. Möchte er nach Möglichkeit mit Betriebsrat und ähnlichen gewählten Verhandlern nichts zu tun haben – und bevorzugt stattdessen das direkte Gespräch, von Mann zu Mann quasi: “Meine Tür ist immer offen.” Und 2. Fand er, das Personalverhältnis zwischen der Vermischten-Redaktion , einkommazwei Redakteure, und der Kulturredaktion, ein Dutzend Akademiker – müsse geradezu umgedreht werden. Zur letzten Buchmesse wurde bereits auf eine Literaturbeilage verzichtet.

Interessant ist das Gerücht, der Springer-Verlag wolle die Libération kaufen. taz und Libé wurden fast zur selben Zeit und nach ähnlichen politischen und publizistischen Konzeptionen gegründet. Und nach der Wende standen sich hier wie dort auch zwei ähnliche Umwandlungs-Konzeptionen gegenüber. In der taz wurden sie als die “kleine” und die “große Lösung” bezeichnet: Die erstere war die Selbstgründung einer Genossenschaft, letztere der Verkauf an einen großen Medienkonzern (deswegen hieß diese Lösung “groß”). Überspitzt könnte man sagen, dass die Redakteure für die große und der Rest für die kleine votierten, mit einer Art Coup gelang es diesen, ihre kleine Lösung durch zu setzen. Etliche Redakteure – u..a. Max Thomas Mehr und Klaus Hartung – verschwanden daraufhin enttäuscht alleine-  in irgendwelche Großmedien. In der Libé, die viel weniger “alternativ” geprägt war, setzten sich natürlich die Redakteure durch – und damit die große Lösung, d.h. irgendein Medienkonzern kaufte sie auf, zahlte gute Gehälter, wurschtelte ihnen jedoch immer wieder rein, entließ schließlich gegen alle Abmachung den Chefredakteur…Und liebäugelt nun angeblich damit, den ganzen Mist an den Springer-Verlag zu verscherbeln, über den wiederum die deutschen Kapitalblätter dumpf raunen: Das geschehe, um einen Fuß in den französischen Markt rein zu bekommen. Ich hatte dagegen bisher gedacht, die Schweinejournalisten des Springer-Verlags würden den Libé-Kollegen helfen wollen, wieder zu ihren klassenkämpferischen Tönen zurück zu finden. Denn auch bei Springers arbeiten jetzt tazler, überall sind sie eingesickert. Wie viele das sind, merkt man erst als Aushilfshausmeister beim Post einsortieren: Manchmal ist mehr als die Hälfte an nicht mehr im Haus arbeitende tazler adressiert. Man braucht also ein gewisses taz-Gedächtnis, um die Post den Redaktionen, in denen sie zuletzt bei der taz arbeiteten, zuordnen zu können.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/08/16/110/

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kommentare

  • Ich bin übrigens auch nie dahinter gestiegen warum einer von den Royalbunkerjungs ein Tagesspiegel-shirt trägt, bis ich irgendwann mal in der TAZ las dass die MCs ihre Klamotten u.a. bei Woolworth kaufen.

  • Es ist länger als 10 Jahre her, da arbeitete ich zwei Wochen für Gegenbauer&Co als Reinigungskraft in der Springerredaktion.
    Neben den gigantischen Chef- und Vizechefschreibtischen erinnere ich mich noch deutlich an die tägliche Menge leerer Flachmänner in den Redaktionspapierkörben.

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