vonHelmut Höge 16.08.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

Mehr über diesen Blog

1975 beschäftigten wir uns an der Bremer Uni mit der “Maschinisierung der Kopfarbeit”, die uns zunächst ein Problem der “Dienstleister” zu sein schien, weswegen wir zugleich auch mit den davon betroffenen Uni-Angestellten solidarisch waren. Inzwischen gibt es schon wahre Arbeitskämpfe – um einen Platz am Bildschirm. Es gibt nur noch Bildschirmarbeitsplätze – wohin man kuckt. Auch in der taz, was nicht computerisierbar war, wurde outgesourct: die Putzkolonne, die Haushandwerker, Abo-Acquisiteure, eine zeitlang auch die Küche, selbst die Handtücher in den Toiletten wechselt einmal wöchentlich eine Firma… Einige tazler haben sich auch selbst outgesourct – und mit einer eigenen Marketing- oder Journalisten-Firma,  selbstständig gemacht, wobei sie weiterhin auf taz-Aufträge setzen.
Mein erster und letzter Steuerberater Ulrich Wolffram hat mir einmal am eigenen Beispiel die Auswirkungen der Dritten Industriellen Revolution geschildert:
Mein Beruf als Steuerberater ergab sich aus einem typischen Nachkriegsschicksal: Ich wollte eigentlich Ingenieur werden, habe aber dafür nach dem Krieg die Zulassung zum Studium nicht bekommen: die Aufnahmekriterien waren zu streng. Stattdessen studierte ich Betriebswirtschaft. Ich mußte zu der Zeit sehen, daß ich schnell mein Studium abschloß und Geldmittel in die Hände bekam, da ich zu der Zeit bereits eine Familie hatte. 1947 war ich aus der Kriegsgefangenenschaft entlassen worden. Kurz nach der Gründung der Freien Universität schrieb ich mich dort ein, nach sechs Semestern machte ich bereits meine Prüfung als Diplom-Kaufmann. Mit dem Schwergewicht auf Steuerrecht und Wirtschaftsprüfung. Ein Verwandter von mir war Steuerberater, in dessen Praxis wollte ich eintreten. Damals mußte man als angehender Steuerberater noch eine Prüfung beim Landesfinanzamt ablegen. Wer wie ich ein Studium absolviert hatte, das bereits auf deren Anforderungslinie lag, war davon befreit. Während der Semsterferien hatte ich bereits bei Steuerberatern gearbeitet, obwohl es damals schwer war, überhaupt Arbeit zu finden – während der Währungsreform und auch danach. Zudem waren viele Berufe, die später sehr erfolgreich wurden, damals noch sehr sehr schwierig. Ich habe dann eine Praxis von einem Kollegen gekauft, der sich zur Ruhe setzen wollte, und der in diesen Beruf auch nur reingekommen war, weil er als Finanzamts-Angestellter nach dem Kriege aufhören mußte – er war ein sogenannter Hundereinunddreißiger, also belastet. Er hatte sich dann selbständig gemacht und ohne viel Kenntnisse und Wissen eine Praxis aufgebaut, die mehr oder weniger lief. Und die wurde dann der Start für mich.

Das begann mit einer ziemlichen Enttäuschung: Ich übernahm ein Büro mit 12 Angestellten, darunter einige Lehrlinge – und bin die ersten Monate nur rumgelaufen, um Geld zu beschaffen, damit die Gehälter, die Miete usw. bezahlt werden konnten. Die Gehälter lagen damals bei 120-130 DM monatlich, die Bürovorsteherin bekam 200 DM, ich zahlte ihr dann 250 DM. Für mich selbst blieb dabei anfänglich höchstens 100 DM im Monat übrig. Mein Vorgänger hatte stark darauf hingearbeitet, möglichst viele Mandanten zu haben. Die Sache also groß aufgebaut, möglicherweise schon mit der Absicht, das später alles mal zu verkaufen – mit soundsovielen Mandanten. Da er das Geschäft aber gar nicht kannte – er hatte beim Finanzamt eine ganz andere Funktion gehabt – ließ er alles von Angestellten erledigen, die aber auch nicht viel Ahnung hatten. Das war also der Start 1953/54, und nun mußte ich mit meinen praktischen und theoretischen Kenntnissen eine eigene Praxis darauf aufbauen.

Die Einkünfte waren damals in Berlin sehr niedrig – durch die ganzen politischen Verhältnisse. So wurde z.B. die Währungsreform hier später als in Westdeutschland eingeführt. Die Betriebe waren durch die Besetzung zum großen Teil ausgepowert, sogar demontiert worden. Es war also alles noch in den Anfängen. Und dieser Vorgänger meiner Praxis, der hatte eine sehr gute Begabung gehabt, Mandanten zu akquirieren. So war er z.B. in allen möglichen Vereinen Mitglied geworden. Überall hat er es verstanden, sich wichtig zu tun – beliebt zu machen. Und die Leute hatten alle wenig Ahnung von der Materie: Die ganzen Gesetze wurden ja damals neu überarbeitet, mit den alliierten Rechten abgestimmt, und auch ständig wieder geändert. Das alte Steuerrecht bestand zwar weiter, aber das ganze drum und dran war doch stark durch die nationalsozialistische Handhabung in eine andere Richtung gelaufen als das demokratischen Verhältnissen entsprach. Ich denke mir, daß mein Vorgänger es da relativ leicht hatte. Aus Erzählungen heraus weiß ich auch, daß er dabei z.B. erwähnte: ‘Ich bin früher hier beim Finanzamt gewesen, kenne natürlich die Leute alle dort, und wenn ich da was sage, dann komme ich natürlich viel leichter damit durch als wenn andere, fremde, das versuchen’. Damit hat er seine Mandanten animiert, ihn für alles mögliche heranzuziehen. Dann ist er z.B. auf den Fruchthof gegangen und hat dort kistenweise Apfelsinen und Äpfel abgeholt, bei einem anderen hat er Hühner oder was auch immer bekommen und gesagt: ‘Das nehme ich fürs Finanzamt mit!’ Wahrscheinlich hat er das nie gemacht, aber er hat es so erzählt. Und mir haben es dann seine Mandanten weitererzählt. Es gab tatsächlich damals in Berlin noch eine gewisse Naturalienwirtschaft. Ich habe es dann später auch noch erlebt, daß die Finanzbeamten, die ja heute ihre Arbeit vorwiegend schriftlich oder telefonisch erledigen und mit den einzelnen Menschen gar keinen Kontakt mehr haben, daß die rausgegangen sind und sich in den Betrieben vorgestellt haben. “Ach, das ist ja nett, wenn Sie mir hier was geben wollen, ich darf zwar nichts annehmen…” So eng sah man das aber damals nicht. Also es hat lange lange gedauert bis sich die Geldverhältnisse damals in Berlin wieder einigermaßen entwickelt haben. Dementsprechend gehörte die Steuerberatung auch nicht, wie heute, zu den Berufen, in denen man viel Geld verdienen konnte. Ich hatte, nur mal als Beispiel, einen Mandanten, der hatte 10 DM im Monat an meinen Vorgänger bezahlt, für die Arbeit, die der für ihn erledigte. Ich wollte dann von dem nur 1 DM mehr – und da hat der ein Lemento gemacht, für diese eine Mark, das kann sich heute niemand mehr vorstellen. Aber dann: nach und nach…und auch dadurch daß ich dann fast alle übernommenen Mandanten – man wechselte damals nicht so leicht seinen Steuerberater wie heute – überzeugen konnte, daß meine Arbeit doch anders aussieht als die meines Vorgängers, stabilisierte sich mein Kundenkreis langsam. Ihn zu erweitern war sowieso nicht so einfach, und die Methoden, die er entwickelt hatte, in Vereinen usw., die lagen mir nicht. Ich meinte, nur damit werben zu können, daß ich mir einen Namen machte und dann über Empfehlungen an neue Mandanten herankäme.

Ich arbeitete 16 manchmal sogar 18 Stunden. Und mußte dann sogar noch mehr Leute einstellen. Da gab es erneut ein Platzproblem. Der Vorgänger hatte sehr sparsam gewirtschaftet: Die ganze Firma befand sich zunächst nur in einem Raum – wenn da jemand zur Toilette wollte, mußten alle aufstehen. Ich mietete dann neue Räume – in der Charlottenburger Reichsstraße, wo noch heute mein Büro ist, später zog auch meine Familie nach dorthin um. Mein Verwandter, der Steuerberater, der mich zum Studium motiviert hatte, besaß damals schon in seiner Kanzlei eine moderne Einrichtung mit Maschinen. Das vor Augen begann ich, meine Praxis zu reorganisieren und u.a. Geräte anzuschaffen. Die tägliche Arbeit sah so aus: morgens fuhr man mit dem Auto los zu den Mandanten, eine ziemlich Zahl jedesmal, um bei denen die Unterlagen und was man sonst so brauchte, abzuholen. Rein körperlich war das schon eine irrsinnige Schlepperei, und das mußte ja auch wieder alles zurückgeschleppt werden, nachdem es im Brüo bearbeitet worden war. Dann kam noch ein Problem hinzu: Mein Vorgänger war beim Finanzamt in der Getränkesteuer-Abteilung gewesen und hatte dadurch natürlich zwangsläufig eine ganze Menge Kneipen als Mandanten übernommen, weil er denen gesagt hatte: ‘Wir kennen uns doch von früher, am besten arbeiten Sie jetzt weiter mit mir zusammen!’ Deswegen war das nun für mich so, daß ich am Tag u.a. auch fünf oder sechs Kneipen zu besuchen hatte – und natürlich jedesmal zu alkoholischen Getränken eingeladen wurde, mit der Folge, daß ich abends nur noch schaukeln und keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte und nach und nach habe ich das auch abgeschafft, weil ich mir sagte: das ist auf Dauer gar nicht vertretbar! Der Beruf war mit viel Arbeit verbunden: zu den üblichen Steuern, die alle hatten – Einkommens, Gewerbe, Vermögens-Steuer usw – gabs da nun noch die Getränke-, die Vergnügungssteuer… und noch andere Dinge, die eine Rolle spielten. Damals waren auch die Finanzämter noch sehr stark personell besetzt und folglich wurde sehr viel geprüft: Es gab ständig Prüfungen. Ich erinnere mich noch mit Schrecken wie das gewesen ist: Dieser Vorgänger, der hatte nur Mandanten herangeholt, Gelder kassiert und die Arbeit liegengelassen. Und als ich das nun übernahm, da war die Buchführungsarbeit in den meisten Fällen um zwei Jahre rückständig – und wenn eine Prüfung kam, dann mußte mein ganzes Büro, alle Leute, an diesem einen Fall arbeiten – ausschließlich, um das schnell aufzuarbeiten. Das war also wie ein Horror, wenn das Wort ‘Prüfung’ auftauchte.

Es hat mich viel Lehrgeld gekostet – war aber auch eine ganz gute Erfahrung. Die Mandanten, das waren wie gesagt zum großen Teil Gaststätten, ferner Einzelhandelsgeschäfte sowie kleine Handwerkbetriebe. Teilweise auch ganz schlimme Typen, zu denen mein Vorgänger bereits gemeint hatte: ‘Wenn Sie den nicht übernehmen wollen, dann würde ich Ihnen das nicht verübeln’. Also wenn ich da hingekommen bin, die hatten einen Kohlenplatz in der Kaiser- Friedrichstraße, dann liefen da erst mal die Schafe rum, wie das damals so üblich war, und wenn man reinkam, saßen die Hunde in den Stühlen oder Sesseln, so daß man sich nicht traute, Platz zu nehmen. Und im Staublicht sah man, wie deren Flöhe da herumsprangen, es war grauenhaft. Die Frau machte die Buchführungsarbeiten, wenn man ihr die Hand gab, bekam man sie nicht mehr los, so klebte die. Aus den damaligen Umständen heraus war das nicht einmal außergewöhnlich, heute könnte man so etwas niemandem mehr zumuten. Also es gab auch schon damals einzelne Fälle, die ich dann ablehnte, zumal wenn dann auch nicht gezahlt wurde. Ich sammelte auch erste Erfahrungen im Steuerstrafrecht, dadurch daß sich Leute – weil es bei ihnen schlecht lief – gesagt hatten: ‘Wenn wir nicht Steuern zahlen müssen, zahlen wir auch keine’ – und dann ihre Geschäfte derart frisierten, daß es zunächst nicht weiter auffiel, aber ein Fachmann oder Prüfer es sofort merkte. Beispielsweise hat ein Kneipier – offiziell bei seinem Getränkenlieferanten zehn Flaschen gekauft und nebenbei noch 200 im Supermarkt oder gar unverzollt am Grenzübergang Friedrichstraße. So lief das damals, aber die Prüfer, die konnten das natürlich sehr leicht feststellen, die waren ja darin geschult. Für mich waren solche Praktiken natürlich immer ein rotes Tuch, weil es ja letztendlich auch ein schlechtes Licht auf den Steuerberater warf, der hing da ja immer mit dran. Auf der anderen Seite gab es damals auch viele Steuerberater, die die Gelder von ihren Mandanten für das Finanzamt einzogen und dann die Beträge aufs Amt überwiesen. Und da gab es natürlich welche – und gar nicht mal so wenige – bei denen das Geld nicht eingezahlt wurde: die damit spurlos verschwanden. Das hat den Beruf ebenfalls in Mißkredit gebracht – diese schwarzen Schafe.

Es gab auch zu viele Steuerberater. Einmal all die ehemaligen Finanzbeamte und dann, weil man in der DDR den Beruf abgeschafft hatte, noch viele aus Ostberlin und Umgebung, die hier nach Westberlin abgewandert waren. Dennoch war ab 1958 meine Praxis doch so umfangreich geworden, daß ich zeitweilig noch Räume – hier im Haus – dazumietete, außerdem nahm ich noch einen Sozius mit rein. 17 Jahre arbeitete ich mit dem zusammen. Der ist dann weggegangen, weil er meinte, es alleine besser und schöner machen zu können. Er nahm dann einen Teil der Angestellten und der Mandanten mit – wir hatten uns friedlich geeinigt, aber das, was ich eigentlich beabsichtigt hatte: mich langsam aus dem Berufsleben zurückzuziehen, daß hat sich dann nicht mehr verwirklichen lassen in der Form. Im Gegenteil: Ich mußte, als er wegging, sogar noch einmal neu wieder alles ankurbeln, neu anfangen also – allerdings mit der ganzen Erfahrung, die ich inzwischen besaß. Und diesmal in dem Bestreben, keine Arbeiten mehr zu übernehmen, die personalaufwendig sind, sondern nur noch solche, die ich alleine machen konnte. Ich habe mich dann mehr auf rechtliche Probleme verlegt – und z.B. viele Steuerprozesse geführt. Das tun nicht alle Kollegen: die meisten sind mehr handwerklich ausgerichtet. Mich haben dagegen die rechtlichen Probleme immer schon mehr interessiert.

In den Sechzigern gab es bereits die Anfänge einer Finanzgerichtsbarkeit – und so saß z.B. das Finanzgericht, damals hieß es noch Verwaltungsgericht, in der Nähe des Botanischen Gartens. Das waren da zunächst nur zwei oder drei Richter, die dort Recht sprachen, aber dann nahm das langsam andere Formen an. Das hing zunächst mit der Gründung der Bundesrepublik und dem Aufbau der ganzen Verwaltungen – orientiert an denen der Westalliierten und durch Rückgriff auf die Verhältnisse der Weimarer Republik – zusammen. Dabei entstand auch hier in Westberlin eine eigene Finanzgerichtsbarkeit, und für mich war es interessant, das mitzubekommen. Langsam lernte man dann auch die Richter kennen. Und wenn man viel dort zu tun hatte, kannten die einen auch. Damals war es dort so, daß man mit einem guten steuerrechtlichen Wissen und den entsprechenden Praktiken eigentlich noch recht erfolgreich sein konnte. Man kann sagen, daß gut 90% der Prozesse, die ich geführt habe, auch gewonnen wurden. Heute ist es genau umgekehrt: von zehn Prozessen verliert man neun. Durch die Änderung der Gesetzgebung verlaufen die Prozesse derart einseitig, daß ich schon seit einiger Zeit gar nicht mehr versuche, sie überhaupt zu führen. Es kostet nur viel Zeit, Schreibarbeit und Geld – und führt zu nichts mehr. Es verärgert bloß die Mandanten. Ich hatte meine Aufgabe immer auch darin gesehen, sie gegen die Willkür des Staates zu verteidigen und in Schutz zu nehmen.

Mit der Zeit waren das fast alles kleine oder mittlere Industriebetriebe geworden – eine Druckerei, ein Elektro- und ein Maschinenbaubetrieb zum Beispiel, auch ein paar Großhandelsbetriebe und viele Freie Berufe. Durch Mundpropaganda entwickelte es sich langsam dahin, daß ich später sehr viele Musiker hatte. Die Probleme, die so anfielen, das waren z.B. Firmenumwandlungen – aus steuerrechtlichen Erwägungen heraus. Ursprünglich waren es oft Kommandit- oder offene Handels-Gesellschaften gewesen. Nachdem man die steuerlichen Belastungen der GmbHs und Aktiengesellschaften geändert hatte, ändert sich das. Als ich anfing, war es noch so, daß jemand, der eine Kapitalgesellschaft in dieser Form betrieb, daß der, um Steuern zu bezahlen, wenn er Gewinn hatte, noch Geld von zu Hause mitbringen mußte. Die Steuern waren höher als der Gewinn – in den Fünfziger Jahren. Dann wurde der Körperschaftssteuersatz ermäßigt und es trat – eine Flucht beinahe – in die Kapitalgesellschaften ein. Das war günstiger, weil nachher thesaurierte Gewinne, die also im Betrieb verblieben, niedriger besteuert wurden als wenn die ausgeschüttet würden. Die Betriebe sollten zu Investitionen veranlaßt werden. Zunächst war das erst mal ganz positiv. Noch später, nachdem man erneut die Steuersätze geändert hatte, wich man mehr und mehr in die GmbH & CO KG aus: eine Form, die schon nach dem Ersten Weltkrieg eine zeitlang aktuell gewesen war – wahrscheinlich aus den gleichen Gründen. Während meines Studiums hatte ich diese Rechtsform zwar noch kennengelernt, aber praktisch hat sie zu der Zeit keine Rolle mehr gespielt. Dann kam nachher der große Trend wieder zu diesen Personengesellschaften: Der hat sich auch durch das spezielle Berlinförderungsgesetz entwickelt, mit dem Möglichkeiten geschaffen wurden, daß sich auch Leute an Unternehmungen hier beteiligten, die an steuerlich absetzbaren Verlusten interessiert waren, was an Personengesellschaften gebunden war. Verluste, die eine GmbH oder eine AG hatten, blieben bei diesen Gesellschaften selbst bestehen, weil die ja juristisch gesehen eine eigene Rechtspersönlichkeit hatten und haben. Die GmbH & CO KG war eine Mischform, bei der die Kommanditisten als Mitunternehmer galten. Als solche konnten sie dann die Verluste auch bei sich absetzen. Später wurde ihnen das wieder rechtlich erschwert, indem man dann auch diese Form der Kommanditgesellschaften in ihren Möglichkeiten beschnitt: Sie durften fortan nur noch in Höhe der Einlagen Verluste steuerlich geltend machen. Interessant war daran jedoch gerade gewesen, daß man mit einer Einlage von 100 Verluste von 400 oder gar 500% erwirtschaften konnte. Da war es nachher auch gar nicht mehr wichtig, ob man dabei seine Einlagen verlor, weil man viel mehr an Steuerersparnissen hereinbekam. Das hat eigentlich hier in Berlin zu einem großen Teil dazu beigetragen, den wirtschaftlichen Aufschwung zu fördern und die Investitions- auch die Bautätigkeit anzukurbeln. Das war aber auch eine Zeit, die viele ausgenutzt haben.

Ich habe es von mir aus nicht so forciert wie andere. Denn die Folge war, daß viele Leute von diesen Gesellschaften um ihr Geld betrogen wurden. Die haben das Geld eingezahlt und dann gingen diese Firmen pleite, bevor sie überhaupt arbeiten konnten, wobei die Firmengründer und ihre Geschäftsführer sich hohe Provisionen und Vergütungen gezahlt hatten. Damit waren für die Einleger die Steuervorteile verloren. Außerdem wurden auf ihre Einlagen später noch Kapitalertragssteuer und Gesellschaftssteuer erhoben, die die Gesellschaften auch nicht abgeführt hatten. Deswegen ist diese Rechtsform heute nicht mehr interessant, auch nicht mehr existent in der Weise. Es gibt noch einige seriöse GmbH & Co KGs, aber die meisten Firmen sind schon wieder zur eigentlichen Form der Kapitalgesellschaft, also zur GmbH oder AG, zurückgekehrt, weil die Bedingungen dafür dann auch wieder steuerlich erleichtert wurden.

Früher war es so gewesen, daß eine GmbH als Rechtsperson ihre eigenen Steuern bezahlen mußte. Auf ihren Gewinn, sprich Einkommen, zahlte sie Körperschaftssteuer. Das war die Einkommenssteuer der juristischen Person. Und dann nachher wurden Gewinne, die ausgeschüttet wurden, noch einmal bei dem Gesellschafter erfaßt und mußten von dem auch noch einmal versteuert werden. Es fand also eine doppelte Besteuerung statt. Später hat man dann den Durchgriff erleichtert: man hat gesagt, Steuern, die die Körperschaft gezahlt hat, werden bei dem Gesellschafter angerechnet – wie eigene Zahlungen, so daß keine doppelten Besteuerungen mehr stattfinden und nur noch ein Gewinn versteuert werden muß. Die deutsche Doppelbesteuerung hatte die Firmen hier gegenüber der ausländischen Konkurrenz sehr benachteiligt.

Als ich anfing, kamen in jedem Jahr neue Steuergesetze raus, manchmal gab es sogar zwei Änderungen im Jahr. Man mußte also ständig bei der Gesetzeslage auf dem Laufenden bleiben und man mußte sich ständig überlegen, wie man die Änderungen bei der Beratung steuerlich anwenden konnte, um zu erreichen, daß z.B. eine Steuer, die im einen Jahr prozentual höher war als im nächsten, dadurch eingespart werden konnte, daß man Gewinne ins nächste Jahr verlagerte. Bei diesen Verlustbeteiligungen hat man z.B. Verluste geschaffen aus Jahren, wo die Steuer sonst hoch war, in Jahre, in denen niedrigere Gewinne anfielen oder die Steuersätze niedriger waren. Dazu muß man jedoch sagen: die Steuern sind eigentlich in den letzten 15 Jahren nie mehr niedriger geworden, immer nur höher. Man hat nur z.B. die Gewerbesteuer verringert, weil sie die Betriebe benachteiligte, indem man die Hebesätze niedriger festgesetzt hat. Das ist ja auch ein Finanzproblem im Rahmen der Gesamtpolitik, indem die Gemeinden die Gewerbesteuer, die Grundsteuer usw. bekamen, während dem Bund andere zuflossen, die teilweise wieder auf die Länder aufgeteilt wurden – mit dem Finanzausgleich. Da gab es ein regelrechtes Hickhack. So wie jetzt auch wieder mit der Gewerbekapital- und der Vermögenssteuer, die man abschaffen wollte, um eben die Betriebe nicht so zu belasten. Wenn ich zurückdenke: wie oft habe ich schon in der Propaganda den Begriff “Steuerreform” gehört, aus dem nie eine geworden ist?! Das waren im äußersten Falle kleine Manipulationen oder Umstellungen von so unbedeutendem Umfang, daß man überhaupt nicht von einer Reform sprechen konnte. Das wird auch diesmal nicht viel anders sein!

Es hängen zu viele Dinge an solch einer Reform. Beispielsweise – wenn man eine Vereinfachung will, wie man sagt, und dazu alle Steuervergünstigungen und -Vorteile, die bestehen, streicht: Dann würde das ja auch bedeuten, daß Finanzbeamte überflüssig würden und entlassen werden müßten. Auch auf anderen Gebieten würden wahrscheinlich Rückschritte eintreten, die wieder neue Probleme schüfen…

Aber was ich sagen wollte: Es war in Berlin – besonders am Anfang – sehr schwierig als Steuerberater, weil ständig neue Gesetze herauskamen. Das hatte damals einen enormen Umfang. Während doch jetzt eine ziemlich konstante Gesetzgebung besteht. Es haben sich aber heute die Schwergewichte verlagert: auf die Auslegung der Gesetze – auf die gerichtliche Anwendung und Auslegung. Das passiert auch auf anderen Gebieten, daß die Behörden mehr und mehr durch Gerichte entscheiden lassen, wie die Gesetze zu verstehen und anzuwenden sind. Auch auf steuerrechtlichem Gebiet ist das der Fall. Die unteren Gerichte entscheiden nur profiskalisch und reichen dann die Entscheidungen weiter an die höheren Gerichte. Die wiederum sichern sich dadurch ab, daß sie bestimmte Fälle gar nicht mehr annehmen oder nicht mehr öffentlich machen, was damit überhaupt geschieht. Daß sie bei Gesetzesänderungen einfach Entscheidungen ohne Begründung fällen können, ist furchtbar. Z.B. kann der Bundesfinanzhof, das höchste Steuergericht, Entscheidungen treffen, ohne die Beteiligten anhören zu müssen. Und dann haben sie die Streitgrenzen wesentlich erhöht: weil die früher niedriger lagen, konnte man viel mehr Fälle bis vor den Bundesfinanzhof bringen.

Es gibt ja immer Dinge, die man aus prinzipiellen Erwägungen angreift – weil man sich sagt ‘Das ist ungerecht von den Finanzämtern, wenn das so und so ausgelegt oder gehandhabt wird!’ Sie haben meinetwegen irgendeine Praxis und da geht es um Privatanteile bei den Kraftfahrzeugkosten. Früher hat man gesagt, die Privatfahrten kommen vor – in gewissem Umfang. Dann haben die Prüfer immer mehr Privatnutzung von Kraftwagen festgestellt. Dazu gingen sie z.B. zum Fußballspiel ins Olympiastadion und haben auf dem Parkplatz dort die KFZ-Kennzeichen notiert. Dabei haben sie festgestellt, daß viele davon Firmenfahrzeuge waren, die somit nicht alle beruflich genutzt wurden. Nach und nach hat man dann also die Privatanteile immer weiter hochgeschraubt, so daß nun seit 1996, als die letzte Entwicklung erfolgte, ein Fahrtenbuch geführt werden muß, in das jeder Kilometer eingetragen werden muß, wozu aber niemand Zeit hat. Da kommt also das absurde Ergebnis zustande, daß die Kosten von Firmenautos sich überhaupt nicht mehr steuerlich auswirken, nur durch die Pauschalsätze, die zugestanden wurden, und Autos sich also nur noch privat rechnen. Man überlegt also heute, wie man es machen kann, daß man die Autos gar nicht mehr betrieblich anschafft, sondern nur noch mietet oder daß man auf Taxis ausweicht. Bis da auch wieder ein Riegel vorgeschoben wird. Das ist also ein ständiger Kampf, der dazu noch mit unfairen Mitteln geführt wird – von der Finanzverwaltung her. Bedingt durch die Notwendigkeiten vielleicht. Aber es macht keinen Spaß mehr. Man zwingt die Leute zu Nachweisen, die eigentlich nicht in ihrem Bereich liegen, denn die Finanzverwaltung müßte eigentlich ihrerseits nachweisen, daß das nicht stimmt, was dort angegeben wird. Und so war früher auch die Rechtssprechung. Da gab es eben Gesetze, die besagten: Wenn ein Unternehmer aus seiner Kenntnis des Betriebs heraus irgendetwas tut, z.B. eine Maschine anschafft und die Abschreibungsdauer dieser Maschine festlegt, dann – sagte man – weiß der Unternehmer besser Bescheid darüber (ob das länger oder kürzer dauerte), als das Finanzamt, das davon keine Ahnung hat. Heute ist es umgekehrt – da wird gesagt: Wenn Sie meinen, Sie müssen die Maschine schneller oder in einem längeren Zeitraum abschreiben, dann müssen Sie nachweisen, daß der Verschleiß auch dementsprechend ist oder die technische Überalterung dann und dann erfolgt.

Gerade bei Computern – früher ging man bei den meisten Anlagen davon aus: die halten zehn Jahre – aber heute gilt, daß sie in zwei Jahren schon wieder veraltet sind. Die sind technisch vielleicht noch brauchbar, aber wenn sie in die Zeitung kucken, wieviele Computer heutzutage verschenkt werden, dann sieht man, daß diese Systeme sehr schnell überholt sind. Das sind so Dinge, bei denen die Finanzverwaltung schon immer sehr rückständig war. Teilweise dadurch bedingt, daß sie sparsam sein mußte, was ja durchaus anerkennenswert ist, aber in vielen Gebieten auch sehr nachteilig. Ich kann mich noch erinnern, daß zu einer Zeit, als es schon elektronische Rechenmaschinen gab, die Finanzämter hier noch bei den Händlern Maschinen gekauft haben, die teilweise mit der Hand gekurbelt wurden. Wenn ein Betriebsprüfer einen Bericht über seine Prüfung schrieb, dann hat der keine Schreibmaschine zur Verfügung gestellt bekommen, der mußte sich die selber besorgen oder sich im Finanzamt eine Schreibkraft suchen, der er das diktierte. Es gab eine Zeit, in der die Bestechung von Beamten an der Tagesordnung war. Sie bekamen z.B. ein paar Kugelschreiber oder Bleistifte. Heute dürfen sie grundsätzlich nichts annehmen, dafür halten sie vielleicht hintentrum eine Schippe hin, worauf die größeren Summen abgelegt werden. Wer das Ausmaß an Bestechung – in allen Verwaltungen – kennt, der kann sich ausrechnen, was da heute üblich geworden ist. Na gut, da sind alles Praktiken, mit denen ich nichts am Hut hatte und habe. Recht muß Recht bleiben. Diesen Standpunkt mußte ich zwar im Laufe der Zeit stark revidieren, aber ich bin nicht davon abgegangen.

Es gab dennoch eine Phase des Aufstiegs – in die berufliche Perfektion, wie sie einem so vorschwebte. Und dann kam die Phase, wo man versucht hat, sich die überflüssigen Schwierigkeiten vom Halse zu schaffen. Vielleicht auch bedingt dadurch, daß man älter und ruhiger wurde. Wobei ich sagen muß, daß es mich heute noch aufregt, wenn ich von solchen Fällen höre, wie es grad neulich erst wieder der Fall war: Da hatte man bei jemandem, der eine beruflich bedingte Reise gemacht hat, zu einem Fachkongreß in Kanada, einfach ohne Erklärung die Reisekosten aus seiner Steuererklärung rausgestrichen. Und aufgrund des Einspruchs, den ich eingelegt hatte, bekam ich einen Anruf von der Bearbeiterin, die da in der Rechtsstelle sitzt: ‘Ja, sagte sie, die Kosten erkennen wir nicht an!’ Warum nicht, Sie können doch nicht eigenmächtig entscheiden, ob jemand irgendwo beruflich hin darf oder nicht?! Da sie dabei blieb, wahrscheinlich auf Anweisung von oben, bat ich sie, es mir schriftlich zu geben, damit ich mich dagegen wehren könne. Über solche Dinge kann ich mich noch immer aufregen.

Gut, man versucht als Steuerberater auch psychologisch, die Dinge zu lösen – indem man sich z.B. sagt: ‘Beamte sind oft bequem. Wenn man ihnen noch etwas zusätzlich aufbürdet – die Entscheidung über einen Einspruch etwa – dann müssen sie dafür Zeit aufwenden, die ihnen für anderes verlorengeht. In vielen Fällen gibt man als Steuerberater klein bei, weil es vielleicht auch vom Ergebnis her nicht so interessant ist, andererseits sagt man sich dann aber auch wieder: Das geht nun nicht – ‘Wehret den Anfängen’. Dazwischen liegt der Spielraum. Nachdem ich jetzt mehr als 40 Jahre den Beruf ausgeübt habe, sagte ich mir: Nun soll es aber auch gut sein. Ehe ich vom Stuhl falle, möchte ich ja doch noch mal ein paar Jahre für meine privaten Interessen haben. Das ist ein Beruf, der einen sehr stark fordert: in den letzten fünf Jahren hatte ich keinen einzigen freien Samstag und Sonntag, höchstens stundenweise. Das lag aber natürlich auch daran, daß ich mir gesagt hatte: ich will die Arbeit, die anfällt, auch versuchen allein zu machen. Also nicht mehr so ein großes Büro, mit so vielen Mitarbeitern. Weil sich ja auch in dieser Hinsicht sehr vieles negativ entwickelt hat: Es gab immer mehr Probleme damit! Da habe ich mir gesagt: Ich richte meinen Betrieb technisch so ein, statte ihn so aus, daß ich im äußersten Falle alles alleine machen kann und niemanden mehr dafür brauche. Und auf dem Stand bin ich heute – fast. D.h. ich habe die Sekretärin entlassen und habe alle anfallenden Briefe alleine geschrieben, wobei eben wichtig ist, daß man mit Computern umgehen kann.

Ich bin mit deren Enwicklung von Anfang an mitgewachsen. Als ich anfing, gab es Buchführungsarbeiten in Form des amerikanischen Journals: das wurde also alles mit der Hand geschrieben, es wurde gerechnet, ausgewertet, übertragen, wieder alles geschrieben, usw.. Dann kamen die ersten Buchungsmaschinen. Davor, das waren im Grunde nur erweiterte Schreibmaschinen gewesen. Am Ende hatten diese mechanischen Maschinen aber schon 100 Speicher – die hingen da so ähnlich dran wie die Kilometerzähler am Fahrrad. Sie rechneten die eingegebenen Zahlenkolonnen aus. Die ersten wirklichen Buchungsmaschinen vereinfachten dann sie Arbeit insoweit, als sie auch gewisse Rechenfunktionen durchführen konnten: Sie haben also Bewegungen, die buchhalterisch erfaßt werden mußten, ausgewertet, Summen addiert,, multipliziert, und die Mehrwertsteuer errechnet, die ja damals schon entstanden war, vorher gab es die Umsatzsteuer. Die konnten also rechnen und verschiedene Arbeiten machen. Sie waren zu der Zeit auch noch relativ teuer. Ich hatte hier Olivetti, die waren damals auf dem Gebiet führend, später sind sie dann abgesackt, weil sie mit der Entwicklung nicht mitgegangen sind. Man sollte damit auch Fehlerquellen vermeiden können, weil man Zahlen nicht mehr übertragen mußte. Nachher gab es schon Kontenblätter, die mit einem Magnetstreifen versehen waren, auf dem die Zahlen gespeichert wurden. Wenn sie allerdings auch nur ein bißchen beschädigt waren, dann war alles darauf verloren. Auch bei der Einsparung an Arbeit und Personal brachte meine erste Buchungsmaschine erst mal nichts: Die Angestellte, die daran arbeitete, schaffte am Tag, wenn es hoch kam, 200 Buchungen. Das ist nicht viel, es hätten mindestens 800 sein müssen. Nachdem das so eine Weile gelaufen war, habe ich mich mal neben die Mitarbeiterin gestellt und gekuckt, was die da machte: Die hat also eine Buchung eingegeben und dann aus Sicherheitsgründen, das, was die Maschine auf dem Konto gerechnet hat, noch mal im Kopf nachgerechnet. Dadurch hat sie natürlich viel mehr Zeit gebraucht. Ich habe ihr klar gemacht: So geht das nicht, Sie müssen hier jetzt arbeiten auf Teufel komm raus, die Maschine rechnet selber. Wir haben vereinbart: Sie bekommt über ein bestimmtes Pensum hinaus für jede Buchung Soundsoviel extra. Dann hat sie auf einmal 600 Buchungen, dann 800, 1200 Buchungen gar gemacht. Dann kamen die ersten elektronischen Maschinen, es fing an mit schwedischen Rechenmaschinen, die einen Papierstreifen hatten. Die waren ausgezeichnet. Sehr schnell, auch sehr sicher in der Handhabung, aber sehr sehr teuer: die kosteten damals, Anfang der Siebziger Jahre etwa, 6000 DM.
Dann kamen die ersten elektronischen Buchungsmaschinen auf den Markt, die hatten auch nur begrenzte Möglichkeiten zunächst, dadurch daß die Programme, die gebraucht wurden, nicht über irgendwelche Datenträger übertragen werden konnten, sondern noch hier mit Schaltung verlötet werden mußten. Die schrieben also genau vor, welche Arbeit und welche Funktionen gemacht werden sollten. Zu der Zeit brachte Bosch die erste Maschine heraus. Da bin ich mit dabei gewesen – von Anfang bis Ende: Die haben von mir die Erfahrung gesammelt, darüber, wie es überhaupt zu sein hat. Technisch lösen konnten sie es, aber welche Arten von Buchung es geben mußte und wie die ablaufen mußten usw., dieses “Know-How” haben sie von mir bekommen. Geld bekam ich nicht, dafür freute ich mich auf die fertige Maschine: Solch eine gab es bis dahin noch nicht! Die Entwicklungsgruppe saß drüben in Westdeutschland und ich bin da oft rübergefahren. Die Verbindung zu denen hatte sich über die Firma eines Mandanten ergeben, von dem habe ich mir dann diese Maschine später auch gekauft.

Der Durchbruch kam dann mit den Computern, die erstmalig die Möglichkeiten schufen, Programme elektronisch zu verarbeiten, die man als Befehle ihnen eingab. Nach der ersten Generation kam dann schnell die zweite, dritte, vierte. Jede brachte Neuerungen. Parallel dazu entstand als besondere Einrichtung der steuerberatenden Berufe die Datev – Mitte der Siebzigerjahre: Ein Rechenzentrum, das natürlich am Anfang auch mit großen Problemen behaftet war. Die hatten da natürlich große Rechner, die sich sonst keiner leisten konnte. Zusätzlich wurden dort auch noch Speicherkapazitäten geschaffen, indem man Daten auf andere Medien zwischenlagerte.

Die erste Erfahrung mit dem Abspeichern auf andere Medien war bei mir so: Wir hatten eine Triumph-Adler-Maschine uns bestellt und viel viel Zeit damit verbracht, um vorher alles abzustimmen: welche Programme und was damit gemacht werden sollte, und es hatte dann auch geheißen, daß es angeblich gut gehen würde, aber dann kam der Termin am Jahresende, an dem wir uns umstellen wollten, und kurz vorher sagten sie uns: Es ginge nicht – was wir der Maschine abverlangen wollten, wäre zu kompliziert. Bei Buchführungen muß man viel Sortierarbeiten machen, indem man z.B. Vorgänge, die gleichartig sind, in verschiedenen Bereichen speichert und von dort wieder woanders hin verarbeitet. So etwas kostet Rechner-Zeit. Wenn wir das Programm bekommen hätten, würden wir dafür einen Bestand von 2000 Magnetbändern gebraucht haben. Und ständig hätten wir wegen der geringen Speicherkapizität der Anlage alles auf Magnetbänder kopieren und wieder runterkopieren müssen. Für einen Vorgang, der heute zwei Minuten dauert, benötigte man damals zwei Tage. Also haben wir es dann sein lassen – und sind zu Telorix gegangen. Die hatten auch die Maschinen von Triumph-Adler, das war eigentlich nur eine Organisationsfirma. Die haben Programme entwickelt für vorhandene Hardware und uns gesagt: Wir entwickeln gerade ein Programm, das wird Ihre Probleme eher lösen. Dann haben wir uns sehr schnell mit denen zusammengesetzt und unsere Probleme da besprochen: wie das laufen mußte. Statt der ursprünglich 2000 Bänder haben wir dann nur noch 200 Bänder gebraucht, was auch noch sehr viel war. Schon allein die Verwaltung dieser Bänder, die Organisation, die war ja fehleranfällig – und ein Fehler zog sich dann immer weiter durch. Das, was da drauf war, das wurde dann ausgedruckt – auf Kundenblätter, mit denen man weiter arbeiten konnte.

Zu der Zeit hatten wir etwa 110 Mandanten. Für jeden brauchte man, sofern man auch Buchführungsarbeiten für ihn machen mußte, etwa vier Bänder, wobei es für Lohnabrechnungen wieder Extrabänder gab. Bei manchen Betrieben, sagen wir mal: mit bis zu 20 Beschäftigten, lohnte sich keine eigene Lohnabrechnung, deswegen machten wir das für sie. Kontrollieren mußten wir sie für die Steuererklärung sowieso. Der Nachteil für die Betriebe war dabei, daß sie die Auswertung immer erst später bekamen – wenn der Monat schon rum war, oder noch später. Aber auch die Lohnsteuer wurde ja immer komplizierter, weil sich auch die Gesetzgebung auf diesem Gebiet ständig verkomplizierte. Die anderen Mandanten, das waren meistens solche, die nur einmal im Jahr kamen. An sich war man früher bestrebt, möglichst viele Beratungsmandanten zu haben und wenig Buchhaltungsmandanten, weil die Buchhaltung kostenträchtiger war. Das hat sich aber geändert mit der elektronischen Entwicklung, so daß heute auch damit durchaus Geld verdient werden kann.

Jetzt hat sich dabei eine neue Teilung unter den Kollegen entwickelt. Ein Großteil wickelt seine Buchführungsarbeiten über die Datev ab. Das hat den Vorteil, daß sie keine teuren Maschinen kaufen müssen, und den Nachteil, daß sie die Verarbeitung nicht unmittelbar im Haus selbst durchführen können und es zeitlich länger dauert, bis die hin und her kommuniziert haben mit dem Rechenzentrum. Anfänglich gab es auch dabei noch viele Probleme: Die erfaßten Daten wurden auf Rechenstreifen mit speziellen Rechenmaschinen bedruckt, und wurden dann per Post an das Rechenzentrum geschickt, dort abgelesen, verarbeitet und ausgewertet, schließlich wieder zurückgeschickt. Dabei kam es oft vor, daß Streifen verwechselt wurden, bei falschen Mandanten oder falschen Beratern landeten oder sogar verlorengingen. Das hat man dadurch verbessert, daß man jetzt die Daten auf dem Telefon- Wege überträgt – über ISDN. Das geht wesentlich sicherer und schneller, aber es ist andererseits immer noch langsamer als eine Anlage, die jede Änderung sofort vornehmen kann. Wenn ich hier eine Bilanz im Hause mache und ich stelle einen Fehler fest, dann ändere ich den, korrigiere ihn und habe in einer Minute die berichtigte Bilanz ausgedruckt.

Für meine Computer-Kenntnisse habe ich nur wenig theoretische Anregung mir von außen geholt, wie ich das auf anderen Gebieten auch getan habe. In all den Jahren habe ich nur zwei berufsständische Tagungen besucht, weil ich mir gesagt habe: Ich kann mir die Lösung dieses oder jenen Problems alleine viel besser beschaffen. Für die erste EDV, die ich hier als Stecksystem habe, die auch noch von der Programmierung her sehr einfach war und primitiv, habe ich mir am Anfang, 1986, noch einen Organisationsberater reingeholt, der mir die Programme entworfen hat, die ich hier brauchte. Dadurch daß ich ständig mit dem zusammengearbeitet habe, bekam ich natürlich auch dessen Kenntnisse mit, so daß ich heute alle Programme, die ich dafür brauche, selber machen kann. Problematischer ist es natürlich bei der EDV, wenn es darum geht, irgendwelche Datenbanken, die heute meist auf CD-Rom sind, zu verarbeiten: Dabei ist man heute auf Gedeih und Verderb auf die Qualität der angebotenen Produkte angewiesen. Aber dafür gibt es natürlich heute auch Stellen oder Leute, die man kennt. Ich habe z.B. hier – von der JURIS, das ist eine Firma, die Datenbänke für Juristen zusammenstellt – eine Datenbank für Steuerrecht. Die hat sich mittlerweile so entwickelt, daß die gesamte Rechtssprechung der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs, sämtliche Verwaltungsanweisungen und sämtliche Gesetze – auf dieser einen Diskette drauf ist. Was hier bei mir noch in zwei Doppelreihen von Büchern steht, die sich immer wieder vermehren, das geht auf eine Diskette und die wird zwei mal im Jahr auf den neuesten Stand gebracht. Sie ist nicht ganz billig, aber man kann z.B. darauf sofort sehen, welche Prozesse und Streitfragen anhängig sind bei den Finanzgerichten. Die werden auch noch alle danach sortiert, auf welche Gesetzes-Quelle sie sich beziehen. Was man sich früher mühsam aus Zeitschriften und Büchern erlesen mußte, das kann man heute verhältnismäßig leicht und schnell finden. Es gab zwar früher auch Inhaltsangaben in den Bänden, mit denen die Rechtssprechung gesammelt wurde, aber man mußte sich bei einem Problem jeden Jahresband vornehmen. Dazu gab es dann zwar wieder Bände, die längere Zeiträume zusammenfaßten, aber auch da mußte man erst einmal suchen. Und dann mußte man dazu noch all die Kommentare lesen und vergleichen. Das ist alles viel viel einfacher geworden. Und im Ergebnis ist es dadurch auch billiger geworden. Die Bände kosteten vielleicht 7-800 DM im Jahr, die CD-Rom kostet – bis Update – vielleicht 1200 DM. Aber da habe ich darüberhinaus noch viel mehr Sachen drauf, und ich finde alles schneller. Außerdem könnte ich heute auch deswegen schon gar nicht mehr so wie früher mit den ganzen Büchern arbeiten, weil ich gar nicht mehr den Überblick habe.

Meine EDV-Anlage war eigentlich als Schreibsystem gedacht gewesen. mit dem normale Briefe geschrieben werden und Dateien gespeichert werden konnten – also sämtliche Mandantendaten, mit dem man aber auch Steuerklärungen abfassen konnte. Heute gibt es natürlich viele Programme, die da noch mit rangehängt werden können, bei der Datev z.B. auch, aber zu meiner Zeit, als ich die mitentwickelte, war das noch nicht üblich: da war meist noch keine geschlossene Systematik drinne. Und dann kam also hier die erste richtige EDV-Anlage, 1987, die hatte drei große Rechner und arbeitete mit Magnettrommeln, die eingesetzt wurden. Kompliziert war die Anlage z.B. noch bei der Datensicherung, da mußten die schweren Trommeln ständig gewechselt, die Sicherungsplatte rausgenommen und eine ander reingetan werden usw. Heute schiebt man das Magnetband ein und da ist so viel Kapazität drauf, daß man praktisch sämtliche Daten auf einem kleinen Band unterbringen kann. Und aus den großen Rechnern wurde im Laufe der Zeit ein kleiner Kasten. Dann ist das schließlich alles noch vernetzt worden, so daß man von jedem Arbeitsplatz aus alles bearbeiten kann. Das ist eigentlich die letzte Entwicklung, die ich hier noch mitgemacht habe. Und damit arbeite ich jetzt – bis ich demnächst ganz aufhöre.”

Fassen wir zusammen: Ulrich Wolfframs Firma hatte nach dem Krieg erst einmal 12 Angestellte, weil sie erfolgreich war, erhöhte sich die Zahl der Mitarbeiter mit der Zeit auf über 24. Aber dann kam die elektronische Datenverarbeitung und jede neue Innovation reduzierte die Arbeitsplätze in Wolfframs Kanzlei – bis er nur noch eine Sekretärin beschäftigte, die er zuletzt ebenfalls entließ, um abschließend ganz alleine – für sich – in seinem Büro in Charlottenburg am Theodor-Heuss-Platz zu sitzen. Dieses wirklich erfüllte Arbeitsleben hat mich deprimiert – und ich glaube Ulrich Wolffram auch etwas.

Ähnliches wie in seiner Kanzlei spielt sich derzeit auch in anderen Firmen ab – in Versicherungen, bei der Post und in Sparkassen zum Beispiel. Einmal interviewte ich dazu eine “Bankerin” namens Ramona Krause.

Ramona K. (geboren 1973 in Thüringen) wollte nach Abschluß der 10. Klasse eigentlich Außenhandelskauffrau werden, aber der Außenhandelsbetrieb für Elektrotechnik am Alexanderplatz, bei dem sie bereits einen Ausbildungsvertrag unterschrieben hatte, ging im Sommer 1990 zu Recht davon aus, dass er nicht mehr lange existieren würde. Deswegen reichte er ihren Namen und ihre Anschrift einfach an die Sparkasse weiter, die sich schräg gegenüber befand. Von dort schrieb man ihr, dass sie vorbeikommen solle, um den Lehrvertrag zu unterschreiben. Und das tat sie dann auch: “Obwohl ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, was ich da zu tun hatte. Aber wir haben doch immer gelernt, dass Arbeitslosigkeit das Schlimmste sei”.

Am 1.September fing sie in der Filiale am Alexanderplatz an. “Und da bin ich dann jeden Tag – neun Jahre lang – hingegangen. Zum Schluß war ich allerdings immer öfter krank geschrieben – über jeden Schnupfen habe ich mich gefreut. Es war eine total inhaltsleere Tätigkeit – nur Zeit absitzen, und auf die Uhr kucken und schier verzweifeln, weil die Minuten nicht verstreichen”.

Nach einigen Monaten wurde Ramona in eine Marzahner Filiale versetzt: “Die war noch halb ostisch: es gab nur Giro-, Sparkonten und Ratenkredite”. Zuerst lernte sie dort Auszüge einsortieren und dann Scheckhefte abstempeln. Die Kunden mußte sie an ihre Kolleginnen verweisen, da sie noch zu wenig vom Geschäft verstand. Aber ihre Kolleginnen wußten selber nicht richtig Bescheid – mit der über sie gekommenen kapitalistischen Wirtschaftsweise und der ganzen neuen Produktpalette der Sparkasse, denn im selben Jahr fusionierten die Westberliner mit den Ostberliner Sparkassen – zur Landesbank Berlin, die damit die Begrenzungen des öffentlich-rechtlichen Regionalprinzips der Sparkassenorganisation abstreifte. Außerdem wollte man auch über die Immobilienfinanzierungsgeschäfte hinausgehen und selbst in das Bauträgergeschäft samt Immobilienfonds einsteigen. In der Marzahner Filiale war 1990/91 schwer was los: “Da standen schon morgens um 8 über 100 Leute vor der Tür und warteten darauf, dass wir um 9 aufmachten”.

Zwei mal in der Woche mußte Ramona zur Berufsschule – die bald ebenfalls in den Westen verlegt wurde. Das traf dann auch für Ramona selbst zu, die in eine Kufürstendamm-Filiale versetzt wurde. Dort sortierte sie weiter Kontoauszüge ein. Außerdem fing sie an, sich durch die “Arbeitsanweisungen”, mit denen alle Bankvorgänge bis ins Kleinste geregelt werden, zu lesen: 14 dicke Aktenordner. “Und dann habe ich auch meine ersten Sparverträge – Termingelder, Kontoeröffnungen usw. – verkauft”. Ihre Gruppenleiterin im Servicebereich verbrachte ihre Tage damit, die Termingeldvorgänge zu verwalten: “Ich durfte ihr helfen – indem ich z.B. die Bestätigungsschreiben in Briefumschläge steckte. Weil ich ja noch Auszubildende war, las sie mir die diesbezügliche Arbeitsanweisung in voller Länge vor”.

Ramona hatte sich wunders was gedacht, was sie alles kennen mußte, um den Kunden etwas verkaufen zu können: “Im Prinzip waren es aber immer nur fünf Produkte: Sparkonten, Girokonten, Bausparverträge, Versicherungen und Investmentfonds”. Ihre Sicherheit stieg im Maße sie merkte, dass man gar keine große Ahnung darüber haben mußte. “Stattdessen haben wir manchmal über eine halbe Stunde darüber diskutiert, ob jemand nun eine EC-Karte kriegt oder nicht”. Einmal kam ein Kunde zu ihr, der sein Konto auflösen wollte. Solche Leute sollte sie immer nach den Gründen fragen. Er sagte: “Sie kennen doch sicher die Sparkassenwerbung, in der ein Discjockey eine Platte auflegt? Darunter steht: ‘Würden Sie ihm etwa Ihre Kreditkarte geben? Wir schon!’ Dieser Typ, das bin ich. Nur dass die Sparkasse mir nie eine Kreditkarte geben wollte. Deswegen wechsel ich jetzt die Bank”.

Immer wieder bekamen die Angestellten Post von der Personalabteilung: Absender war mal die Sparkasse, mal die Landesbank, mal die Bankgesellschaft Berlin. Ramona weiß bis heute nicht, wer ihr Arbeitgeber war. “Das Problem war auch, dass die Sparkassen eigentlich einen öffentlichen Auftrag hatten und haben: den kleinen Mann zum Sparen zu ermuntern und sein Geld zu verwalten. Indem man aber die Sparkasse mit allen möglichen Kreditinstituten unter einer Holding zusammengepackt und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt hatte, waren wir irgendwann auch dazu da, Aktien unserer eigenen Firma anzubieten. Durch diese Fusionen wurde alles immer gewinnorientierter. Girokonten waren nur noch Peanuts. Ich bekam Anschisse, wenn ich einen Kunden, der ein Girokonto eröffnen wollte, eine halbe Stunde lang beraten – und ihm dabei nicht mindestens ein Sparbuch verkauft hatte”.

Mit den Investmentfonds, von denen es hunderte gibt, war es folgendermaßen: “Wenn man einmal begriffen hatte, wie die aufgebaut sind und funktionieren, dann hat jeder von uns seine drei oder vier Favoriten im Dauerangebot gehabt, wobei man jedem Kunden das selbe erzählt hat. Man muß sich das so vorstellen, dass jeder Banker drei Platten im Kopf gehabt hat – über Giro- bzw. Sparkonten sowoe über Kredite und Investmentfonds, die er täglich mehrmals abgespult hat”.

Zwar versprach die Sparkasse immer mehr Dienst am Kunden, gleichzeitig wurden jedoch über die Einführung von Bankautomaten, Telefonbanking und Internetbanking – und mittels aggressiver Werbung – die Kunden geradezu genötigt, ihre Bankgeschäfte selbst bzw. zu Hause zu erledigen. Das hatte zur Folge, dass bald niemand mehr in die Filialen kam, “dem wir unsere individuelle Vermögensberatung angedeihen lassen konnten”.

Dagegen wurde jedoch ein tolles Mittel entwickelt: Die Angestellten bekamen Computerlisten aus der Zentrale mit den Daten von hunderten von Kunden – denen sie dann in der einen Woche telefonisch z.B. Bausparverträge verkaufen sollten. In der nächsten Woche war es ein anderes, angeblich wieder besonders auf die jeweiligen Kunden zugeschnittenes Produkt – z.B. Lebensversicherungen. “Mir war das peinlich und unangenehm, diese armen Menschen noch nach Feierabend zu Hause zu belästigen. Deswegen habe ich irgendwann die Listen einfach so ausgefüllt: ‘Kunde will nicht’ oder ‘Kunde hat schon’. Irgendwann hatte ich aber so gut wie gar keine realen Kunden mehr – und hatte nichts zu tun”.

Das war schon so in der Sparkassen-Filiale am Rüdesheimer Platz, wohin man Ramona inzwischen versetzt hatte. Sie bewarb sich deswegen für die neue Filiale am Potsdamer Platz in den dortigen “Arcaden”. “Aber da habe ich mich erst recht gelangweilt”. Es gab da die neue Funktion eines Empfangsmanagers: der hatte ein kleines Sitzpult – mit Schildchen und Laptop, auf dem Computerspiele liefen. Er mußte aber die ganze Zeit auf die piepsenden Automaten im Vorraum blicken. Hauptsächlich kamen Touristen rein, die nur mal kucken wollten. Weil die Öffnungszeiten länger als die Arbeitszeit waren, mußten die “Banker” reihum den Empfangsmanager ablösen: “Das war der entwürdigendste Job, den wir da hatten. Man hatte nichts zu tun und wurde wie ein Affe im Zoo angegafft. Ich habe tatsächlich befürchtet, dass man mir da irgendwann ein Banane zustecken würde und mir deswegen ein Schild “Füttern verboten” gekauft, das ich ans Stehpult gehängt habe. Mein Chef fand das jedoch nicht so lustig”.

Ramona arbeitete ansonsten im Servicebereich und dort hatten die Mitarbeiter Stehpulte. Wenn wirklich mal ein richtiger Kunde auftauchte, dann stürzten sofort drei oder vier Kollegen in der Hoffnung auf einen Gesprächspartner zu ihm hin. Meistens wurden sie jedoch enttäuscht, weil der Betreffende nur eine Überweisung abgeben wollte. “Meine verantwortungsvolle Aufgabe als Bankkauffrau bestand dann darin, mit diesem gelben Zettel vier Meter nach rechts zu laufen und ihn in den Hauspostkasten zu werfen, um anschließend die vier Meter zurück zu laufen und am Stehpult auf die nächste Überweisung zu warten. Nichts zu tun zu haben am Arbeitsplatz – das ist die Hölle. Viel schlimmer als Arbeitslosigkeit! Das Gehirn schläft ein, man kämpft mit der Müdigkeit und die Zeit steht still. Den ganzen Tag wartet man auf Feierabend. Ich habe in den neun Jahren Sparkasse echt an Wortschatz eingebüßt und vor allem an Lebensfreude”.

Ramona versuchte dagegen an zu gehen, indem sie die wenigen einfachen und doofen Tätigkeiten so gründlich und zeitaufwendig wie möglich erledigte. Einmal sortierte sie aus lauter Verzweiflung tagelang “irgendwelche Listen” nach ihrem Datum. Das war zwar vorschriftsmäßig, aber völlig unwichtig. “Als ich damit fertig war, bin ich zum Friseur gegangen. Meiner Kollegin habe ich gesagt: ‘Ob ich hier dumm rumsitze oder 50 Meter weiter – das ist doch gehupft wie gesprungen’.”

Zuletzt am Potsdamer Platz hatte sie gleitende Arbeitszeit, deswegen kam sie immer später. Ein Jahr lang sogar täglich eine Stunde, so daß sie schließlich ein “irres Defizit” auf ihrem Zeitkonto hatte. Man konnte zwar theoretisch die Unterstunden abends abbauen, indem man länger blieb, aber da es ja nichts zu tun gab, gingen alle immer pünktlich nach Hause. Zunächst hatte es immer nur einen “langen Freitag” – bis 18 Uhr – gegeben. Um sich diese Qual zu versüßen, feierte die Belegschaft oft anschließend noch ein bißchen. Gegen 22 Uhr wurde es plötzlich ruhig: die Klimaanlage hatte sich ausgeschaltet. “Da merkte man erst mal, in was für einem Lärm wir täglich arbeiten mußten: ein subtiles Dauerrauschen, das jede Gehirntätigkeit lähmte”. Dazu kam noch der Großraumbüro-Geruch: eine stinkige Mischung aus dem Kohlendioyxd-Ausstoß der Leute, ihren Parfüms und Aftershaves, Schweiß und Staub. Außerdem herrschte ein ständiger Sauerstoffmangel, denn man durfte die Fenster nicht öffnen wegen der Klimaanlage und die konnte man wiederum nicht selber einstellen. Im Sommer war sie auf ganz kalt gestellt, um die Kunden mit einer “angenehmen Kühle” reinzulocken. Aber die Mitarbeiter an ihren Stehpulten mußten sich Strickjacken überziehen und froren trotzdem die ganze Zeit.

Einmal in der Woche fand eine Filialmitarbeiter-“Besprechung” statt, die Ramona fatal an ihre alten Pionierversammlungen erinnerte: “Es wurde da alles besprochen, was jeder schon wußte. Beispielsweise wurden wir darüber belehrt, dass wir ab morgen alle ganz freundlich zu sein hatten – sowohl untereinander als auch zu den Kunden, weil wir nämlich jetzt ein modernes Dienstleistungsunternehmen seien. Ich habe bis heute nicht verstanden, warum man so etwas extra besprechen muß, jeder weiß doch, dass das Leben angenehmer ist, wenn man seinen Mitmenschen freundlich gegenübertritt – ob nun im Bus oder in einer Bank”.

Die Freundlichkeitsschulung mündete in eine regelrechte “Kampagne” – mit internen Flyern und Infos, in denen die neuen “Leitlinien des Unternehmens Sparkasse” den Mitarbeitern noch einmal verklickert wurden. Und das half auch: “Am nächsten Tag bemühte sich jeder, besonders freundlich zu sein – ‘Wie gehts?’ ‘Wie stehts?’ ‘Kann ich Ihnen irgendwie helfen?’ Das ist aber schnell wieder eingeschlafen. Es war auch überzogen, wir sind doch vorher schon alle ganz freundlich miteinander umgegangen. Bis hin zu meinem letzten Chef, dem es z.B. fürchterlich leid tat, als er mich wegen meines ständigen Zuspätkommens zur Abmahnung bei der Personalabteilung melden mußte. Fast mußte ich ihn anschließend noch trösten”.

Ramona bekam eine Vorladung, wo man ihre Arbeitseinstellung besprechen wollte. Davon ausgehend, dass die Sparkasse sie nun endlich rausschmeißen würde – und ihr somit eine Abfindung zustehe, bemühte sie außerdem noch einen Vertreter des Personalrates dorthin. Die vier hochbezahlten Damen und Herren erklärten Ramona jedoch nur – mit erhobenem Zeigefinger, dass sie mit ihrem Verhalten den Betriebsablauf störe und dass sich das ändern müsse. Und nun möge sie wieder zurück in ihre Filiale fahren und weiter arbeiten.

“Dieser Gedanke erschreckte mich so, dass ich spontan selber kündigte. Man machte mir daraufhin einen sehr wohlwollenden Auflösungsvertrag – und zwei Tage später war ich endlich frei! Ein ganzes Jahr brauchte ich – in Arbeitslosigkeit – um nach diesen neun Sparkassenjahren wieder einigermaßen zu mir zu kommen, d.h. um die ganze Fremdbestimmtheit los zu werden. Dann immatrikulierte ich mich an einer Schule für Erwachsenenbildung. Hier traf ich einige andere ‘Banker’, denen die Arbeit ebenfalls zu blöd geworden war. Um meine Ausbildung zu finanzieren, arbeite ich jetzt im Rotlichtmilieu. Dort prostituiere ich mich jedoch weit weniger als in der Sparkasse.”

Wenn Denken bedeutet, etwas zu Geld zu machen, dann bedeutet das Denken der Leidenschaft Prostitution. Dieser Satz von Lyotard geht mir in letzter Zeit immer mal wieder durch den Kopf. Denn es ist gerade das Leidenschaftliche, das in der neuen Mediengesellschaft nachgefragt wird. In ihrem mobilen Theaterstück “Umherschweifende Produzenten” haben Claudia Hamm und Jelka Plate dies am Beispiel von “freischaffenden Künstlern” als Ich-Avantgarde der Dienstleistungsgesellschaft gezeigt, in der nun auch noch die letzten – quasimütterlichen – Werte ausgebeutet werden: professionelle Freundlichkeit, emotionale Intelligenz, kommunikative/soziale Kompetenz.

Sie werden den beiden Regisseurinnen selber permanent abverlangt. Jürgen Kuttner rief in ihrem Stück noch einmal die unwilligen und schlecht gelaunten, dafür aber unkündbaren DDR-Kellnerinnen in Erinnerung – als “echte Errungenschaft des Sozialismus”. Zuvor hatte es einen Volksbühnen-Kongreß über das neue “Recht auf Faulheit” gegeben: Mit einer szenischen Beratung der Wiener “Arbeitsmannequins”, die darauf hinauslief, daß alle Leute zu einem sagen “Die Arbeit steht Ihnen aber gut!”. Kürzlich lud die Arbeitsgruppe “Prekäre Perspektiven” in der Kreuzberger Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst Mark Terkessidis ein, der uns erzählte, dass a) die Kreativen besonders häufig depressiv werden und b) dass ihre Depressionen quasi Avantgarde seien. Das rechtfertige es, die neuen Leiden der jungen Kreativen gewissermaßen klassenanalytisch zu verallgemeinern. Dazu gehöre auch deren primäres Projekt-Kriterium “spannend” sowie, dass eine Veranstaltung nicht länger als anderthalb Stunden dauern dürfe. Konkret wurde dann das derzeitige Ummünzen links-alternativer Umgangs- und Organisationsformen zu rauhen Mainstream-Institutionen auf Dauer kritisiert – und was man dagegen tun könne. Dabei wurde nicht zuletzt der Veranstalter selbst – die NGBK thematisiert – und das wiederum geriet bald in gewerkschaftliches Fahrwasser. Davor hatten die Herausgeber von “Wildcat” einen Abend mit Schilderungen aus proletarischen Betriebskämpfen – gegen die wachsende Prekarisierung – bestritten. Die Depression, wie man auch die zunehmende Arbeitslosigkeit nennt, überfalle die Kreativen laut Terkessidis regelmäßig nach Abschluß eines “Projekts” – aber nicht, weil sie nicht wissen: Was tun? sondern im Gegenteil: weil es “ein Meer von Möglichkeiten” gibt. Es ist ein Leiden an der Fülle, nicht an der Leere.

Auch der Zagreber Philosoph Boris Buden beklagte bereits: “Alles wird Kultur!” (Politik, Kritik, Krieg usw.), letztendlich und höchstens also nur noch “spannende Veranstaltung”, wobei Terkessidis riet: “Die Honorare dafür unter einander offen zu legen!” damit man nicht Wachs “in den Händen der Macher” sei. Im übrigen wären die Depressionen inzwischen schon die häufigste Usache für Arbeitsausfälle – vor den Rückenleiden. Letzteres kann man durchaus als eine proletarische Krankheit bezeichnen. Aber auch hierbei ließe sich die Honorar-Diskussion noch wesentlich verbessern: So fragte mich z.B. vor einiger Zeit Zigmund, ein polnischer Betonfacharbeiter, ob 200 Euro zu viel seien: Die hätte er nämlich gerade einem Arzt gezahlt, der seine Rückenschmerzen lindern sollte, damit der ihn nicht krank schreibe. Ich konnte ihm als (kreativer) Selbständiger da kaum weiter helfen, weil es bei mir egal ist, ob mich jemand gesund oder krank schreibt. Von Zigmund mußte ich mir dafür sagen lassen: Als geharnischter Globalisierungskritiker wäre ich da wieder mal fein raus. Mit Terkessidis hätte ich ihm darauf antworten können: “Doch ist es notwendig, dass die kritische Stoßrichtung der grassierenden politischen Kulturveranstaltungen hinter deren Kulissen getragen wird. Tatsächlich braucht man heute für den Protest die Veranstaltung gar nicht mehr zu verlassen: Man kann dableiben und gegen die neoliberalen Arbeitsverhältnisse im Hintergrund demonstrieren.” Genau! Ich kann mich noch an Streiks bei Narva, Belfa und Bischofferode erinnern, wo das Faxgerät beim Betriebsrat ununterbrochen Soli-Faxe ausspie – und wir uns schon damals ebenso mißtrauisch wie ratlos gefragt hatten: Reicht das? Derzeit droht jedoch – noch schlimmer – die allgemeine “Vernetzung” zum einem inhaltsleeren Ritual zu werden, der den Solipsismus fördert statt ihm damit etwas entgegen zu setzen.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/08/16/111/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Boxen ist gut, meine Frau ist Tänzerin sie weiss noch nicht dass ihre Zeit mit 40 oder 50 Jahren noch längst nicht abgelaufen ist, es ist schade um solche Potentiale wenn sie verwelken.
    Was ist alt und sieht trotzdem klasse aus, richtig Madonna huah.
    Vielleicht sollte sie wirklich auswandern, wo man doch hier in den Manageretagen eh nur frisch behaartes fickt.

  • Recht auf Faulheit, scheisse ich bin 31 und kriegs nicht auf die Reihe meinem Chefarschloch den Finger in den Arsch zu stecken, hätte so gerne mehr Zeit für die schönen Seiten des Lebens, aber zuviel schmierige Idioten und ihre Probleme um mich rum. Ein lebenslanger Marathon ohne Hoffnung mal wo anzukommen soll das hier nicht werden, Heloten macht die Beine breit für Hoffnung, Frieden, Zweisamkeit, scheiss Kleinfamilienfaschismus
    Gegen diese Kultur;- die Volksbühne zahlt an ihre handarbeitenden Leute so sie aus überbetrieblicher Ausbildung kommen keinen Zuschlag, mitgehangen und klassenverbunden,- schaffen sie auch keine Sammelbüxe für ausgenommene Auszubildende. Für 4€ die stunde Bühnenbild bauen hurra, Zwischenmenschlichkeit.. da schlag ich mir immer wieder gerne die Seite mit diesem Spaghettiarmproleten aus “D.D.über alles” von Tucholsky und Heartfield auf. Schlingensief hol mir den Nazi zurück aber laber mal nicht nur immer solch Antirealschul-Mittelaltergewichse auf TV.

  • Gelegentlich begegnet man jedoch auch mal umgekehrt einer “exemplarischen Aufhebung getrennter Lebensbereiche”: So z.B. in der Person der Boxerin und Künstlerin Esther Röhrborn. Näheres über sie findet man jetzt im blog vom 8.November.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert