vonHelmut Höge 16.08.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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„Schreib Dir dein Paßwort auf, dann kannst du von da aus ein paar Texte schicken,“ meinte Blogwart Broeckers zu mir, als ich ihm heute mittag sagte, ich fahr morgen nach Island, denn als Aushilfshausmeister stehen mir nun zwei Tage Urlaub zu. Wladimir Kaminer hatte mich eingeladen, ihn zu einer Lesung in Reykjawik zu begleiten. Sein isländischer Verlag hatte sich anläßlich der Veröffentlichung seines zweiten Romans auf Isländisch mit dem dortigen Goethe-Zentrum zusammengetan und eine Veranstaltung organisiert.

Bis zur Wende gab es dort ein gut ausgestattetes Goethe-Institut, nachdem die Bundesregierung jedoch überall im plötzlich offenen Ostblock Dependancen eröffnet hatte, war sie gezwungen, aus Einsparungsgründen einige im Westen zu schließen. Weil die Isländer die letzten Germanen (Wikinger) sind und überhaupt relativ deutschfreundlich, dachte man, sie würden auch ohne Goethe auskommen. Die Schließung wurde dort jedoch als ein äußerst unfreundlicher Akt wahrgenommen – und aus Protest sogar eine Goethebüste ins Meer versenkt.

Der Westberliner Künstler Wolfgang Müller (von der „Tödlichen Doris“), sowieso ein großer Islandfreund, eröffnete daraufhin sozusagen eigenhändig ein neues Goethe-Institut in Reykjawik, die Stadtverwaltung gab ihm dazu freundlicherweise die verwaiste Telefonnummer des alten. Darüberhinaus veröffentlichte er dann auch noch ein Islandbuch „Blue Tits“ im Verlag Martin Schmitz, das nichts zu wünschen übrig läßt. All das machte nun wieder das Außenministerium so unruhig, dass es sich herabließ, wenigstens ein kleines Goethe-Zentrum in Island zu betreiben, um sich dort quasi die Goethehoheit zurück zu erobern. Wolfgang Müller konterte mit der Gründung einer Stiftung namens „Walter von Goethe“ (einem schwulen Enkel des Dichters). Als erstes veröffentlichte seine „Foundation“ auf deutsch und isländisch das naturwissenschaftliche Hauptwerk Goethes „Die Metamorphose der Pflanzen“.

So viel wußte ich bereits, als ich Wladimir Kaminer anläßlich der Vorstellung seines ersten ins Isländische übersetzten Romans nach Reykjawik begleitete. In der kleinen aber gemütlichen Hauptstadt bekam ich es dann aber vor allem mit Historikern der isländischen Fischindustrie zu tun – und das interessierte mich viel mehr als Goethe, denn die isländische Fischindustrie hängt eng zusammen mit der westdeutschen, die vor allem in Bremerhaven konzentriert war und mit der ich mich als geborener „Fischkopp“ schon mehrmals beschäftigt hatte.
Langer Vorrede kurzer Sinn: Ich habe diesen ganzen Fischkomplex hier schon mal quasi vorab aufbereitet, ab Montag bin ich dann vielleicht in der Lage, eine Fortsetzung zu liefern.

In Bremerhaven, der westdeutschen Stadt mit den meisten Arbeitslosen neben Wilhelmshaven, war bis 1983 „die größte Fischereiflotte“ stationiert. Sie befand sich zuletzt im Besitz der Firmen Nordstern (Frosta), Dr.Oetker und Nordsee. Letztere gehörte früher dem US-Konzern Unilever, dann geriet sie in den Besitz der US-Assett-Dealers Apax Partners München, der sie filettierte, zuletzt wurde 2005 die „maritime Restaurantkette“ an den ehemaligen Bäckereibesitzer Kamps und die japanische Bank Nomura verkauft. Das Fischfang-, – verarbeitungs- und -verkaufsunternehmen „Nordsee“ legte allein 70 Schiffe still und entließ 5.000 Mitarbeiter. Die Reste der Flotte – acht Schiffe, die den drei Firmen zuletzt noch gehörten – kauften schließlich die Isländer. Sie erwarben nach der Wende auch noch das, was nach einem für die Treuhandanstalt erstellten „Versenkungsgutachten“ der Roland-Berger Unternehmensberatung München von der DDR-Fischfangflotte übrigblieb.

In Bremerhaven hingen an der Hochseefischerei außerdem noch zwei Werften sowie etliche Schiffsausrüster und Netzmachereien, die ebenfalls pleite gingen. Auf den restlichen Werften wurden zumeist Containerschiffe gebaut, sogenannte Zahnarzt-Pötte, die zum Beispiel die Münchner Conti-Reederei Dr. Wagner als Abschreibungsobjekte auflegt. Nach der Vulkan-Pleite wurde die Belegschaft von einer Beschäftigungsgesellschaft namens MyPegasus übernommen, die dem schwäbischen IG-Metall-Juristen Jörg Stein gehört, der sich zuvor schon mit riesigen ABM-Kontingenten zum „größten Arbeitgeber Sachsens“ aufgeschwungen hatte – vorübergehend. Auch die Bremerhavener Vulkanarbeiter wurden bald wieder „freigesetzt“. Sie werden kaum irgendwelchen Billigarbeitsplätzen im Süden hinterherziehen. Fast alle haben eigene Boote und arbeiten nicht selten nach Feierabend in Vereinen mit, in denen man alte Schiffe – auf ABM-Basis – restauriert.

In Bremerhaven gibt es inzwischen mehr solch stiller Museumsschiffe als bemannte. Dennoch boomt auch das Hafengeschäft – mit Containern und Autoverladung. Gerade wurde der Strom- Kai verlängert, sein weiterer Ausbau ist bereits in Planung. Aber Arbeitsplätze schafft das wenig: Die sogenannte Loco-Quote wird im Hafen immer niedriger. Zudem gehört der ganze Betrieb mit 700 Beschäftigten der Bremer Lagerhaus-Gesellschaft und das ist der Prototyp eines sozialdemokratischen Versorgungsmonopols: immer in den roten Zahlen die nur im Sozialismus – weil dort Planerfüllung- und -übererfüllungsszahlen – etwas Positives waren.

Bremen und Bremerhaven sind, obwohl 60 Kilometer auseinanderliegend, ein Stadtstaat. 1825 erwarb Bremens Bürgermeister Smidt das Land an der Wesermündung vom damaligen englisch-hannoverschen Königshaus. Das Geld stammte zumeist von süddeutschen Auswanderern, die manchmal monatelang auf ein Schiff nach Amerika warten mußten und in dieser Zeit in Bremen erbarmungslos ausgenommen wurden.

Jetzt haben die „Süddeutschen“ aber den Spieß umgedreht. Vorläufiger Höhepunkt ist der Masterplan für einen „Ocean Park“ in Bremerhaven – für zwei Milliarden Mark -, mit dem ein Wiesbadener die Stadt aus der ökonomischen Misere zu ziehen verspricht. Echte Haie sollen die Besucher umschwimmen, die in Glasgängen durch Riesenaquarien wandeln. In Berlin versucht damit auch gerade ein Hotelinvestor sein Glück. In Bremen wollte man sich gleichzeitig – wegen der Zukunft und aus Verbundenheit mit dem Dasa-Konzern mit einem noch kostspieligeren und ebenfalls von Süddeutschen bzw. von Amerikanern (der Firma „Pro Fun“) geplanten Einkaufs- und Erlebnis-Center namens „Space-Park“ zieren – um der arbeitslosen Jugend einen echten Ausweg aus ihrer irdischen Misere aufzuzeigen: In der Weltraumeroberung, die jedoch in den USA, ebenso wie in Rußland gerade drastisch reduziert wird. Nicht zuletzt deswegen, weil sie in den letzten siebzig Jahren das „Hauptproblem“ nicht gelöst hat, wie ein russischer Kosmonaut das nannte: „Wir können zwar in den Weltraum fliegen, dort arbeiten und wieder zurückkehren, aber wir haben keine natürliche menschliche Betätigung im Weltraum – im Zustand der Schwerelosigkeit – gefunden. Bis jetzt haben wir keine produktive Arbeit dort oben entwickeln können. Ich empfinde das als persönliches Versagen“. Der Bremerhavener „Ocean Park“ wurde von der Bevölkerung noch vor Grundsteinlegung abgeschmettert, der Bremer „Space Park“ ging bereits kurz nach seiner Einweihung pleite.

Island gehört im Gegensatz zu Norddeutschland mit 3,4% Arbeitslosigkeit zu den wenigen ökonomisch prosperierenden Regionen in Europa, wobei dort die Fischerei die Landwirtschaft als Haupterwerbszweig abgelöst hat. Inzwischen beschäftigt die isländische Fischverarbeitungsindustrie schon polnische und russische Gastarbeiter in Größenordnungen. Dieser Prozeß begann damit, daß das Land während des Zweiten Weltkriegs seine Fischfangflotte modernisierte und dann sukzessive seine Schutzzone von 3 auf 200 Meilen rings um die Insel ausdehnte – was schließlich auf eine Wirtschaftshoheitszone von 758.000 Quadratkilometer hinauslief. Dabei kam es – insbesondere mit den Engländern – zu zwei „Kabeljau-Kriegen“, ein dritter bahnt sich seit einiger Zeit bereits mit Norwegen – bei Spitzbergen – an.

Die isländischen Fischbestände erholten sich trotz der ausgeweiteten Schutzzone nur langsam, so daß weitere Schutzmaßnahmen eingeführt wurden: 1984 ein Quotensystem, nach dem jedem Schiff für die einzelnen Fischarten eine bestimmte Fangmenge zugeteilt wird. Die Quoten können getauscht und verkauft werden. Unter den Schiffseignern mendelten sich dabei bereits einige „Quoten-Barone“ heraus, die heute in Saus und Braus, z.B. in Spanien, leben – und so das auf Gleichheit abzielende isländische Sozialgefüge durcheinanderbringen.

Neuerdings leidet insbesondere die isländische Fischverarbeitungsindustrie zunehmend darunter, daß immer mehr Trawler ihre Fänge selbst verarbeiten und sie außerdem direkt in Bremerhaven anlanden, wo sie doppelt so viel dafür bekommen wie in Island. Inzwischen stammen schon fast 80% aller in Bremerhaven gelöschten und verauktionierten Fische von isländischen Trawlern. Der deutsche Großhandel hat mit den isländischen Reedereien regelrechte „Fahrpläne“ ausgearbeitet, um eine größere „Versorgungssicherheit“ zu erreichen.

Es gibt 270 Fischarten vor Island, gefangen werden aber vor allem Kabeljau, Schellfisch, Seebarsch, Lodde und Plattfische. In Fischzuchtbetrieben werden daneben noch Lachs, Forelle, Saibling und Heilbutt gemästet. Die isländische Fischindustrie verarbeitet etwa 1.500.000 Tonnen Fisch jährlich. Seit 1991 können isländische Fischereiprodukte zollfrei in die Europäische Union eingeführt werden. Wegen seiner klugen Fischereipolitik will Island jedoch nicht der EU beitreten, obwohl es Beitragszahler ist, weil es die Kontrolle über seine nationale Hauptressource Fisch, um die das Land so lange gekämpft hat, nicht in die Hände der Gemeinschaft geben will.

Umgekehrt hat sich die deutsche Musealisierung der Fischfangflotte inzwischen von Bremerhaven bis nach Island ausgedehnt: Dort in Vik hat man einen Gedenkstein für die in der isländischen See ertrunkenen deutschen Fischer aufgestellt. Die Initiatoren schreiben: „Das Kapitel Hochseefischerei ist in der deutschen Wirtschaft im Wesentlichen abgeschlossen. Deshalb hat sich 1997 ein „Arbeitkreis Geschichte der deutschen Hochseefischerei“ gebildet, der vom Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven wissenschaftlich betreut wird – und dazu beitragen will, die mit der Hochseefischerei verbundenen Erinnerungen zu sammeln, zu bewahren und aufzuarbeiten…Die Vorstellung des Denkmal-Objekts rief in Island Rührung und große Begeisterung hervor“.

Gleichzeitig hielt man die letzten noch lebenden deutschen Hochseefischer an, ihre Island-Erlebnisse aufzuschreiben. Der ehemalige Matrose Jens Rösemann tat dies z.B. in Form eines Briefes an seinen Enkel Armin, u.a. schrieb er: „Vielleicht meinst Du, dass wir Tierquälerei betrieben hätten. So dachte ich zuerst auch. Vor allem hatte ich etwas Angst, wenn ich vor einem Kabeljau von über einem Meter stand, der mit dem Schwanz schlug und sein großes Maul aufsperrte. Aber so ist das in der Natur, einer frißt den anderen. Und wir lebten nun davon, dass wir Fische fingen. Später sah jeder von uns nicht mehr das einzelne Tier, das da an Deck lag. Es war Geld! Davon lebten wir und unsere jungen Familien daheim“.
Seit 1913 gibt es in Bremerhaven das sogenannte „Nordsee-Aquarium“, an das 1928 die „Tiergrotten“ gebaut wurden. Das Aquarium arbeitet, um seinen Fischbestand immer wieder aufzufüllen, mit dem Bremerhavener „Institut für Meeeresforschung“ zusammen, das 1986 in das „Polarforschungsinstitut“ integriert wurde. Die Lebendfische für das „Nordsee-Aquarium“ kommen außerdem auch noch von der „Bundesforschungsanstalt für Fischerei“, zu der das in Bremerhaven stationierte Forschungsschiff „Anton Dohrn“ gehört, das jedoch stillgelegt werden soll. Das „Nordsee-Aquarium“ wird seit über 20 Jahren von Werner Marwedel betreut. Nebenbei war er noch lange Zeit Mitglied im Verein der Bremerhavener Aquarienfreunde. Zu Hause besitzt er keine Aquarien, aber gelegentlich übernimmt er im Verein den „Aquariums-Notdienst“. Wir sprachen mit ihm über seine Arbeit, während wir von Becken zu Becken gingen:

In unserem Verein hatten wir bei rund 100 Mitgliedern lange Jahre nur eine Frau dabei, einmal – in der Glanzzeit – sogar zwei. Das ist auch in anderen Städten so. Begeisterte Aquarianerinnen gibt es zwar, aber man muß sie wie Stecknadeln im Heuhaufen suchen. Hier im Nordsee-Aquarium kommen die meisten Fragen über irgendwelche Fische auch von Männern. Als ich hier anfing, hatten wir außer Nordsee-Aquarien nur einige wenige Becken mit tropischen Fischen. – Wir hatten einen Eichhörnchenfisch in rot, diese Art haben wir immer noch, die halten sich meistens im Dunkeln auf, am liebsten in Höhlen. An der Höhlendecke oft mit dem Bauch nach oben. Wenn sie an einer Wand entlangschwimmen, drehen sie ihr auch den Bauch zu. Dann hatten wir einige Kaninchenfische, die sich alle paar Minuten umfärbten: Mal hatten sie ein Schachbrettmuster, mal waren sie gestreift, dann einfarbig gelb, dann wieder braun. Wie kaum ein anderer Fisch waren sie Stimmungen unterworfen. Sie wurden aber hier nicht besonders alt, sie waren zu empfindlich. Ein Seemann – Herr Sielinsky – schenkte uns dann noch einen grauen Doktorfisch. Er hatte ihn beim Tauchen im Roten Meer, nach dem 6- Tage-Krieg – als der Suez-Kanal gesperrt war, gefangen. Damals war er Fünfmarkstück groß. Wir haben ihn heute noch. Dann das Fuchsgesicht, der sieht auch aus wie ein Dachs und ist auch so gestreift. Eine irreführende Bezeichnung also. Genauso wie bei jenem Drückerfisch, dessen lateinische Bezeichnung besagt, dass es sich um einen „schwarzen“ handelt, bloß, der ist überhaupt nicht schwarz, eher blau-violett. Die Wissenschaftler, die ihn benamten, haben ihn wahrscheinlich als Spiritusleiche vor sich gehabt, und da war er schwarz. Oft hat man auch Männchen und Weibchen verschiedenen Arten zugeschlagen, weil sie so unterschiedlich gefärbt waren. Manchmal müssen heute noch Umbenennungen vorgenommen werden. Leider bekommen wir nur selten Fische geschenkt. Die Korallenfische kaufen wir von Großhändlern oder bekommen sie von anderen Aquarien im Austausch.

Hier, in Becken 1, das ist ein Kabeljau, von einem Krabbenkutter gefangen. Das ist ein Weibchen, die sitzt mit ziemlicher Sicherheit jetzt steif voll Laich, und das wird ihr auch wohl das Leben kosten. Nur in den seltensten Fällen werden die im Aquarium ihren Laich los. Wenn Männchen dabei sind, kommt es gelegentlich vor, die treiben häufig. Aber die Chance, aus dem besamten Laich was hoch zu kriegen, ist gleich Null. Wenn man Glück hat, kommt es bei ihr zu einem Notlaichen. Ich kann sie aber nicht rausnehmen aus dem Becken und streifen, wie es die Fischer beispielsweise mit Lachsen tun, sie ist zu groß und würde sich dabei verletzen, außerdem kann ich sie gar nicht halten, sie ist viel zu glatt. Die meisten dorschartigen sind sehr berührungsempfindlich, das ist auch der Grund, warum sie so gut wie nie in Aquarien zu sehen sind.

Hinten, im Reservebecken, haben wir noch junge Kabeljaus, die kann ich aber nicht nach vorne ins Aquarium tun, die würde sie gleich auffressen. Die sind von Krabbenfischern an der Wurster Küste gefangen worden. Im Frühsommer kommen die Krabben langsam in Küstennähe. D.h. sie werden nur „Krabben“ genannt. Eigentlich sind das Sandgarnelen, hier nennt man sie auch Granat. Ihnen folgen die Jungdorsche. Bei dem Weibchen im Becken sind etliche Seewölfe. Dass die so alt aussehen und teilweise zahnlos sind, liegt daran, dass sie in der Natur zweimal im Jahr einen Zahnwechsel durchmachen. Sie ernähren sich fast nur von hartschaligen Tieren. Also von Muscheln, Krebsen, Krabben – von richtigen Krabben, im Plattdeutschen „Dwarslöper“ genannt: Seitenläufer. Dazu gehört auch der Taschenkrebs. Diese Seewölfe nun werden in der Gefangenschaft unwahrscheinlich faul: Sie gewöhnen sich sehr schnell an die Nahrungsbrocken, die wir ihnen geben, und rühren dann hartschalige Tiere nicht mehr an, versuchen gar nicht erst eine Muschel beispielsweise zu knacken, und dadurch werden ihre Fangzähne vorne nicht mehr beansprucht und spröde, brechen dann leicht ab. Deswegen sehen einige von diesen Seewölfen, wenn sie so zahnlos träge in dem im Aquarium aufgespannten Fischernetz dösen, wie Greise aus.

Hier im Eck-Aquarium, das ist ein kleiner Heringsschwarm. Die sind sehr schwierig zu halten. Das Schlimmste ist ein Stromausfall. Die sind es gewohnt, dass morgens das Licht angeht und abends aus. Wenn es aber mal tagsüber ausgeht, dann heißt das für sie: Feind von oben! Die sehen einen Schatten und hauen ab, wobei sie hier dann gegen die Scheibe oder die Steine schwimmen und sich mindestens den Kiefer brechen. Die haben relativ schwache Kiefer. Man sieht hier, dass viele von ihnen einen deformierten Kiefer haben, das hat aber andere Ursachen, wir sind noch am Rätseln: möglicherweise liegt es an der Nahrung, eine Mangelerscheinung also. Heringe verlieren auch sehr leicht ihre Schuppen, die sehr lose aufsitzen und nur durch eine extrem schwache Außenhaut geschützt sind. Wenn man diese Fische anfaßt oder sie erschreckt irgendwo gegenschwimmen, dann rieseln die Schuppen wie Konfetti herunter. Die Stellen, wo die Schuppen fehlen, werden dann leicht von Bakterien und Pilzen befallen. So kostet uns jeder Stromausfall einige Heringe. Wenn so ein Schwarm eine Weile im Aquarium gelebt hat, dann ist die Gefahr mit der Zeit allerdings nicht mehr so groß: Sie lernen es, sich darauf einzustellen, dass sie hier nicht mehr derart weitläufig – wie im Meer gewohnt – reagieren können. Dieser Schwarm hier, von ca. 20 Fischen, das waren mal 200. Die kriegen wir aus dem Aquarium in Wilhelmshaven, die haben einen eigenen Kutter mit einer Fangvorrichtung im Jadebusen: Ringwadennetze, die funktionieren mit vertikalen Absperrungen, mit denen die Heringe gewissermaßen in die Kammern reingelotst werden, wo sie dann rausgeschöpft werden, also gar nicht an die Luft kommen. Das ist die schonendste Art des Fangens überhaupt. Bei uns haben einzelne Heringe schon bis zu sieben Jahren überlebt. Sie sind Dauerfresser, die füttert man besser mehrmals am Tag wenig, als einmal viel. Das habe ich aber erst im Laufe der Zeit herausgekriegt.

Wir hatten bei denen im Becken noch einen Hummer mit drin. In jungen Jahren häuten die sich sehr oft, später dann immer seltener. Das ist für die nicht ohne Risiko, die sind dann nämlich, weil der neue Panzer sehr weich noch ist, der Gefahr ausgesetzt, von Fischen und anderen gefressen zu werden. So ist der hier auch gestorben: – die Fische haben ihn angeknabbert. In der Natur verstecken die Hummer sich zwischen Steinen, hier im Aquarium ging das nicht. Und so ein Hummer ist für die Fische eine Delikatesse. Manchmal kommt es auch vor, dass ein Fühler oder eine Schere beim Häuten im alten Panzer steckenbleibt und dann laufen die bis zur nächsten Häutung halbamputiert herum. Sie sind aber in der Lage, sie beim nächsten Mal wieder neu auszubilden. Wenn es sich um eine Schere handelt, ist die regenerierte manchmal allerdings etwas kleiner – vorübergehend. Aber das grenzt auch so schon an ein Wunder, wenn man sich vorstellt, dass der unter seinem Panzer, an dem die Schere fehlt, eine neue ausbilden muß – dass die da drunter also irgendwie Platz finden muß.

Hier schwimmt eine ganz besondere Seltenheit: ein Schellfisch. Jetzt ist der drei Jahre bei uns. Es gibt kein anderes Aquarium, das Schellfische hat. Vor drei Jahren hatten wir erstmalig elf bekommen, davon blieben drei am Leben, und dann bekamen wir ein Jahr später noch mal sechs, von denen ebenfalls drei übrigblieben, so dass wir insgesamt sechs überlebende besaßen. Vor etwa einem Vierteljahr starb dann der erste von denen und so ging das weiter, so dass der hier der letzte ist und der sieht auch noch ganz gut aus, nur auf dem einen Auge ist er blind. Seine Mitschwimmer hatten etliche Blessuren und Lädierungen gehabt. Schellfische sind ausgesprochen heikel. Viele Dorschartige sind, wie gesagt, schwierig zu halten und schwierig aus dem Wasser zu holen. Das geht eigentlich nur mit Jungtieren, die sich näher an der Wasseroberfläche aufhalten. Wenn es gelingt, die schonend zu fangen, kann man den einen oder anderen dann auch zum Schautier machen. Bei den größeren Schellfischen ist das kaum möglich. Die leben in größeren Tiefen und müssen dann erst einmal eine Druckabnahme aushalten, wenn sie ins Schleppnetz geraten. Danach werden sie die ganze Zeit mitgeschleppt und müssen den Wasserdruck beim Ziehen sowie den Druck der nach ihnen ins Netz gehenden Fische aushalten. Schließlich wird das Netz aus dem Wasser gehievt. Das führt wieder zu einer plötzlichen Druckabnahme und dann wird das Netz am Stert geöffnet und die ganzen Fische poltern aufs Deck, wobei die zuerst ins Netz Gegangenen zuunterst zu liegen kommen. Eine Chance gibt es eigentlich nur, wenn unter den zuletzt gefangenen, also an Deck obenauf liegenden Fischen Schellfische dabei sind und man gleich eine mit Wasser gefüllte Wanne daneben stehen hat. In den 15 Jahren, die ich hier bin, haben wir zwei oder drei solche Fälle gehabt, dass wir auf diese Weise an lebende Schellfische herangekommen sind, aber auch die sind am nächsten Tag jeweils immer gestorben. Die sind aus den Reservebecken gar nicht erst in die Schaubecken gekommen. Dieser hier stammt von den Leuten vom Forschungsschiff „Anton Dohrn“, die einmal das Glück hatten, einen Schwarm zu erwischen, in dem die Tiere noch nicht voll ausgewachsen waren und die sich zum anderen an Bord wahnsinnig bemüht hatten, die Tiere am Leben zu erhalten: Sie haben laufend das Meerwasser in den Becken gewechselt und zusätzlich noch Eisstücke mit reingehängt. Schellfische sind sehr temperaturempfindlich. Wenn der hier stirbt, ich glaube nicht, dass wir noch einmal welche bekommen werden.

Die „Anton Dohrn“ wird verkauft demnächst und die „Walter Herwig“, die die Aufgaben mit übernehmen wird, die hatte zwar mal Becken an Bord, aber die sind schon vor Jahren ausgebaut worden und ich weiß nicht (auch die Leute von der Bundesforschungsanstalt wissen es noch nicht), ob sie wieder welche eingebaut bekommen. In den letzten Jahren hat die Versorgung mit lebenden Fischen durch diese Schiffe sowieso nachgelassen, weil die andere Forschungsaufgaben und dementsprechend andere Fahrtprogramme durchzuführen hatten. Die „Victor Hensen“ – vom „Institut für Meeresforschung“ – wiederum ist zum Fangen dieser hochmaritimen Arten nicht ausgerüstet: Sie ist kleiner als die „Anton Dohrn“ und hat ganz andere Fangvorrichtungen an Bord: – Grundschleppnetze in der Hauptsache, sogenannte „Dredschen“. Damit können sie uns höchstens Plattfische, oder auch mal, mit Glück, Knurrhähne beschaffen. Mit großem Glück: die Viecher sind nämlich so schnell, die schwimmen aus den Schleppnetzen wieder raus, bzw. lassen sich damit gar nicht erst einfangen. Die „Hensen“ hat uns vor allem hochinteressante niedere Tiere mitgebracht, die wir immer gerne genommen haben, um die Becken farbenfroher und abwechslungsreicher zu gestalten: Seenelken und Seerosen z.B..

Die Besucher fahren natürlich auf die Sachen ab, die im Wasser frei herumschwimmen und ein bißchen Größe zeigen. Beim Schellfisch hier, die Mitschwimmer, das sind graue Knurrhähne. Als die gefangen wurden, war ich selbst mit auf Fahrt. Da hatten wir 75 graue Knurrhähne im Netz. Das war früh morgens und ich war hochbeglückt darüber. Aber gegen Abend, als es schon wieder in Richtung Küste ging, da hatten sich bereits alle wieder verabschiedet – bis auf vier Tiere. Die sind dann nachts hier noch in die Becken reingekommen. Am nächsten Morgen lebten nur noch zwei, und die haben wir heute noch. Vor einigen Jahren bekamen wir dann von der „Anton Dohrn“ noch zwei weitere Knurrhähne, die sich witzigerweise beide gehalten haben. Das ist insofern merkwürdig, als wir in der Zeit davor, über zehn Jahre, nie einen grauen Knurrhahn hier zu Gesicht bekommen hatten, rote schon eher, obwohl die grauen in der Nordsee häufiger vorkommen. Der rote ist weiter im Süden beheimatet, im Mittelmeerbereich. Im Spätsommer kommt er teilweise bis in die Nordsee. Die roten Knurrhähne sind dekorativer, sie geben mehr her als die grauen: – die Brustflosse ist größer und herrlich blau eingefaßt, sieht aus wie ein Schmetterlingsflügel.

Hier im Aquarium muß man immer auch an die Besucher denken. Ich persönlich kann mich über irgendeinen neuen unscheinbaren kleinen Krebs freuen, den wir noch nie gehabt haben, aber die Besucher wollen entweder etwas ganz Verrücktes sehen – mit solchen Hauern! Wie ein Wildschwein! Oder es muß entweder knallgrün oder knallrot sein, dass einem am Besten die Augen weh tun, und dann muß es im Becken auch noch hin und her flitzen wie aufgezogen. Wenn etwas nur am Boden liegt, dann ist das todlangweilig, dann wird an die Scheiben geklopft. So etwas hassen wir natürlich, aber was soll man machen? Immerhin gibt es aber doch auch viele, die unsere Bemühungen wenigstens interessant finden.

Zum Beispiel hier bei den jungen Katzenhaien: Jetzt sieht man das nicht mehr, da hängen sonst immer eine ganze Reihe von Eikapseln. Die sind jetzt alle ausgeschlüpft. Ich hänge die einzeln ins Becken, normalerweise hängt man die als Traube auf und dann veralgen die, und dann ist ein Ei unbefruchtet, das wird schlecht, verpilzt und wird faul, wobei dann alle anderen nach und nach auch befallen werden und dann kommt nichts mehr dabei raus. Um das zu verhindern, habe ich eine Konstruktion gebastelt, so dass die Eikapseln jetzt quasi wie auf einer Wäscheleine im Becken hängen. Anfänglich, weil ich was darüber schreiben wollte, habe ich jedes Ei auch noch numeriert, mit kleinen wasserfesten Reitern. Auf alle Fälle, wenn jetzt ein Katzenhai-Ei mal schlecht wird, macht das nichts. Die anderen kriegen wir fast alle durch.

In diesem Becken hier, der Meeraal, der war schon beinahe zu groß, als er gefangen wurde. Je älter die Fische, desto schwerer ist es, sie in der Gefangenschaft zu halten. Das erste halbe Jahr hat der kein Futter angenommen. Er war damals etwa halb so groß wie jetzt. Zum Teil lag das daran, dass er an der Küste Süditaliens gefangen wurde. Dort hatte er es wärmer gehabt. Wir sind hier durchweg auf Nordsee orientiert und müssen deswegen das Wasser kälter fahren. Da brauchte er also erst einmal eine ganze Zeit, um sich zu akklimatisieren. Das soll nicht heißen, dass Seeaale nicht auch im kalten Wasser vorkommen: Man hat schon in der irischen See welche gefangen, auch in der Nordsee, aber er war eben Mittelmeerklima gewohnt. Und wie bei allen Fischen ist es so, dass bei zunehmender Kälte die ganzen Stoffwechselvorgänge langsamer ablaufen, sie weniger fressen usw.. Aber nach einem halben Jahr fing er dann an, erstmalig nach was zu schnappen und heute frißt er mir aus der Hand. Ich erschrecke mich aber immer noch. Mit ihm geht das nämlich folgendermaßen: Ich halte einen toten Tintenfisch in der Hand, plätschere kurz, das merkt der sofort und kommt mit der Nase hoch und guckt. Dann weiß ich schon, jetzt darf ich mich gleich nicht erschrecken, denn es gibt einen enormen Knall: Er reißt das Maul gewaltig auf, zieht dadurch die Beute rein und knallt das Maul wieder zu. Alles blitzschnell. Er saugt nicht, sondern zieht die Beute im Sog durch das Aufreißen des Mauls rein.

Mit ihm im Becken leben noch einige Schollen. Hier vorne, das ist gerade eine linksäugige. Bei Schollen gibt es gewissermaßen Links- und Rechtshänder. Wenn die aus dem Ei kommen, schwimmen sie erst einmal wie andere Fische auch. Im Verlauf von drei bis vier Wochen wandert dann langsam das eine Auge hoch, bis es an der Kopfkante ist. Dieser Vorgang ist programmiert nach der Art des Plattfisches. Das gehört mit zum Bestimmungsschlüssel der Arten. Bei der Flunder, beim Steinbutt und bei der Scholle – entweder rutscht bei denen das linke Auge oder das rechte rüber. Wenn wir also einen Plattfisch bestimmen sollen, gucken wir erst einmal: ist er links- oder rechtsäugig? Dann geht es weiter: ist die Seitenlinie ganz gerade oder gebogen, welche Form hat sie? Dann der nächste Punkt: ist die Haut glatt oder hat sie Höcker? Die Zeichnung ist erst einmal noch uninteressant, weil die Arten sich darin ähneln können – wie Flunder, Kliesche oder Scholle; da gibt es Übergänge oder Standortformen, und dann gibt es gemeinerweise auch Blendlinge: das sind zufällige Kreuzungsprodukte – beispielsweise zwischen Flunder und Scholle. Weil es da Überschneidungsgebiete gibt – sie leben zusammen und da laicht vielleicht ein Schollen-Pärchen ab und gleich nebenan ein Flunder-Pärchen – kann es passieren, dass der Samen in die falsche Richtung abgeht, oder auch, dass sogar zwei verschiedene Tiere miteinander laichen. Und dann kommt jetzt noch dazu, um die Sache noch kniffliger zu machen: dass einige Arten links- und rechtsäugig sein können. Bei der Flunder ist das am Häufigsten – etwa 30 Prozent. Bei der Seezunge und Rotzunge habe ich es noch nie erlebt, auch noch nicht beim Steinbutt.

Der Seeaal, der hier mitschwimmt, läßt die in Ruhe, weil sie ihm zu groß sind. Aber dafür hat er was anderes angestellt: Wir hatten, als der noch Futter verweigerte, drei Flußaale mit im Becken, auf die war ich immer sehr stolz, weil das die ältesten Mitschwimmer hier im Aquarium waren. Jetzt haben wir noch einen – seit 1966 lebt der hier. Obwohl das – wenn man so will – hier eine Vergewaltigung für ihn ist. Normalerweise leben die Aale ungefähr zehn Jahre in Süßgewässern, also in Flüssen, zumindest die Weibchen. Bei den Männchen streitet man sich heute noch so ein bißchen darum. Da fressen die sich also dick und fett und dann gehen sie auf die Reise ins Sargassomeer, sie fressen nicht mehr, der Darm bildet sich zurück, alles nur noch Geschlechtsorgane, die sich ausdehnen: beim Männchen Sperma, beim Weibchen Eier. Im Sargasso-Meer ist der Laich ausgereift und wird dort abgelaicht und dann sterben die Aale. Die Larven nehmen, wenn sie ausgeschlüpft sind, anschließend den gleichen Weg zurück, den die Eltern genommen hatten. Beim Lachs ist das ähnlich so. Im Aquarium haben die Aale die Möglichkeit, älter als zehn, vierzehn Jahre zu werden, aber sie können nicht mehr wandern. D.h. einige haben es doch geschafft. Als ich 1970 hier anfing, hatten wir noch acht Flußaale. Und immer, wenn wir frisches Seewasser bekamen für die Becken, haben die das mitgekriegt – gerochen. Dann wurden die unruhig, ganz high, und verspürten einen unbändigen Drang zum Wandern: Sie kamen alle aus ihren Verstecken nach oben, die Nase an die Stelle, wo das frische Meerwasser einlief und ein- oder zweimal im Jahr passierte es, dass die eine Lücke in der Aquarium- Abdeckung fanden, und wenn wir am nächsten Morgen kamen, dann lag irgendwo eine Aalleiche. Wir haben dabei aber auch schon mal Glück gehabt und er saß nur ein paar Becken weiter in einem anderen Aquarium und wir brauchten ihn bloß zurückzutragen. Auf alle Fälle: von den ursprünglichen acht Flußaalen waren nur drei übriggeblieben, und die waren dann mit dem Meeraal zusammen. Als der seine Fastenzeit beendet hatte, fraß er als erstes einen davon auf. Drei Wochen schwamm er mit einer dicken Beule am Bauch herum und dann kam das Aalgerippe, sauber, ohne Fleisch drum herum wieder zum Vorschein: die Wirbelsäule samt Schädel. Na gut, immerhin fraß er wieder, und dann nahm er danach auch Futter von uns an. Als er dann aber noch einen zweiten Flußaal fraß, war ich doch sauer auf ihn. Da habe ich den letzten dann gerettet und in ein anderes Becken getan. Einen Vorgänger von diesem Seeaal hatten wir in Becken 7, als ich anfing. Der ließ sich auch gut füttern, der war damals schon einige Jahre hier, und verhielt sich etwas anders als dieser hier – er sitzt ja gerne, der andere schwamm ständig umher. Eines Tages fraß er nicht mehr. Wir waren zu zweit hier auf der Station – damals noch: „Sag mal, hat der bei dir was gefressen?“ – „Nö!“ – „Bei mir auch nicht!“ Das Tier sah dabei nicht schlecht aus – „Frißt der vielleicht seine Mitschwimmer auf?“ – „Nö!“ Der wurde immer dicker, und dann fiel mir auf: der Kopf wurde langsam spitzer, und die Augen größer, der Bauch stärker. Irgendwann habe ich dann geschnallt, dass das ein laichreifes Weibchen war. Als ich mal frei hatte, starb es.

Zu der Zeit haben wir die durch Unfall gestorbenen Tiere noch an die Bären draußen verfüttert. Das war so üblich (würde ich natürlich mit meinem eigenen Hund nicht machen), aber das hatten wir von unseren Vorgängern noch so übernommen. Mein Kollege hat dann den toten Meeaal aufgeschnitten und fast einen 10-Liter-Eimer voll Laich herausgeholt. Daran war der gestorben – an Laichverhärtung. Wenn das nicht rauskommt, dann sterben die daran. Nur selten gibt es ein Notlaichen. Der rote Knurrhahn schafft das meistens – manchmal auch nicht: Vor einer Woche haben wir ein reifes Knurrhahn-Weibchen auf diese Weise verloren. Die roten Knurrhähne sind da hinten im Becken, dies hier sind Aalmuttern – ein irreführender Name. Er kommt daher, dass man lange Zeit nicht wußte, woher die Aale stammen. Sie kamen plötzlich als Glasaale den Fluß herauf, aber woher? Jemand stellte die Behauptung auf, wahrscheinlich ein Fischer, die erzählen oft solche Märchen, er hatte wohl eine solche „Aalmutter“ aufgeschnitten und darin kleine Fische entdeckt, die genau wie Glasaale aussahen – diese Art bringt lebende Junge zur Welt, und deswegen hat er sie Aalmutter genannt, eine völlig irreführende Bezeichnung.

Im nächsten Aquarium, die Seerosen und Seenelken, haben wir vom Institut für Meeresforschung, einige auch vom Aquarium Helgoland. Lange Jahre haben wir diese Tiere regelrecht verbraucht; die wurden regelmäßig hier angeliefert und wir haben die ins Becken gesetzt, die siedeln sich dann auf den Steinen an, und wir haben die mit Muschelsaft gefüttert. Die dickkörnigen Seerosen, die in den Tentakelkronen nicht so fein verästelt sind wie die Seenelken, sind weniger heikel in der Ernährung, weil sie große Futterbrocken annehmen. Bei den Seenelken ist das anders – die nahmen kein Futter an und zehrten von ihrer eigenen Substanz, so lange bis sie verschwunden waren, nur noch ein kleines Klümpchen. Das kriegten wir lange Zeit nicht richtig in den Griff. Wir haben alle möglichen Rezepte für sie zusammengestellt – mit Vitaminen und in den abenteuerlichsten Zusammensetzungen. Irgendwann ist mir aufgefallen – wir hatten gerade sehr viele neue bekommen und die auf mehrere Becken verteilt -, dass die immer dann herrlich standen, wenn ich gerade die Fische gefüttert hatte. Ganz extrem war dieses Verhalten, wenn ich Kalmare verfütterte. Daraufhin habe ich gezielt den Saft dieser Futtertiere, der übrigbleibt, wenn man sie ausschlachtet, in ein Becken mit Seerosen und Seenelken geschüttet – und siehe da: sie gingen hoch wie explodiert. Und damit hatte ich es. Inzwischen sind wir so weit, dass wir Kalmare auf Vorrat im Mixer zubereiten und durch einen Stoff passieren und dann die Flüssigkeit in Tagesportionen abgepackt tieffrieren. Dann braucht man morgens nur noch so einen Würfel aus der Tiefkühltruhe holen und ins Becken geben. Dazu kriegen sie dann noch einmal in der Woche jede ein Stück Muschelfleisch. Mit einer Pipette, die ich mir dafür extra gebaut habe – vor allem für die Seenelken. Bei den Seerosen ist das einfach: sobald ein Tentakel mit dem Fleischstück in Berührung kommt, explodieren am Ende seine Nesselkapseln und die Nesselfäden halten das Fleisch fest, bis die anderen Tentakeln sich rübergebeugt haben und die Nahrung zur Mitte hin in die Mundöffnung, die zugleich auch After ist, reindrücken. Der Magen befindet sich im Stielteil – im Gastralraum. Er ist – anders als bei uns – eine Sackgasse. Bei den feintentakeligen Seenelken purzelt ein Stück Fleisch meistens herunter. Wenn ich es aber mit der Pipette mit leichtem Druck genau in der Mitte des Tieres plaziere, dann zieht sich die Seenelke zusammen und ihre Tentakeln bilden einen Wulst drumrum, so dass der Futterbrocken nicht mehr rausfallen kann und das Tier in der Lage ist, das Fleisch langsam in sich „reinzuschlürfen“. Auf diese Idee ist mal jemand aus Köln gekommen, als er – entgegen der Weisung des Aquariumsdirektors – auch die Seenelken einfach mit großen Muschelfleisch-Stücken fütterte. Als der Direktor dahinter kam, war er entsetzt: Diese Tiere sind doch Planktonfresser! Noch entsetzter war er, als er erfuhr, dass die Seenelken schon seit Monaten so gefüttert wurden. Aber seitdem weiß man, dass das möglich ist.

Hier, diese Nelke ist gerade umgefallen. Im Moment haben die Algen auf den Steinen wieder arg zugenommen und da können sie sich nicht mehr so richtig schneckenförmig fortbewegen, wenn sie den Standort wechseln wollen. Sie lassen sich dann einfach umfallen und richten sich woanders wieder auf. Beweglich sind sie also, aber sie reagieren nicht auf die Fütterungszeiten – dass sie vorher schon unruhig würden oder so. Wie die Katzenhaie beispielsweise, die den ganzen Vormittag verschlafen und dann kurz vorm Füttern anfangen, unruhig im Becken herumzuschwimmen.

Die Haie schlafen bisweilen so fest, dass ich mit den Händen mal einen von einem Becken ins andere setzen konnte, und der das erst im anderen gemerkt hat und erschrocken aufgewacht ist. Hier, bei diesem großen Katzenhai-Weibchen ist mir mal was Dummes passiert: Ich hatte zwei Praktikantinnen und denen habe ich das Füttern gezeigt. Bei dem Hai-Weibchen habe ich ihnen gesagt: „Die ist ein bißchen dumm, da müßt ihr das Futter in der hohlen Hand für sie hinhalten. Sie ist ungefährlich, sie kommt dann an und nimmt sich das. Da braucht ihr keine Angst bei zu haben.“ Und dann habe ich es den beiden Mädchen vorgemacht, muß dabei aber wohl nicht richtig aufgepaßt haben und die Finger ein wenig gespreizt, denn die hat mir dabei so in den Finger gebissen, dass ich vor Schmerzen den Beckengang entlang gesprungen bin. Das war, als ob mich ein Nußknacker gepackt hätte.

Das gleiche ist mir mal mit jungen Dorschen passiert, das sind junge Kabeljaus, bzw. Kabeljaus, das sind geschlechtsreife Dorsche aus der Nordsee. In der Ostsee heißen sie immer Dorsche. Die Wissenschaftler unterscheiden gewisse subtile Standortunterschiede, aber an sich ist das alles ein und dasselbe. Die Mitschwimmer vom Katzenhai-Weibchen, die gefleckten Seewölfe, die sind sogar so bissig, dass sie die Fischer durch deren Stiefel hindurch in den Fuß beißen, die stehen deswegen in Weidekörben an Bord, wenn das Netz mit Seewölfen auf Deck geleert wird. Als Aquarium-Fische sind die aber sehr nett, nicht bösartig, und sie sind alle Individualisten, zeigen oft ganz unterschiedliche Verhaltensweisen und sind sehr neugierig. Wenn ich da oben stehe, kommen sie alle an. Die würden mir wohl auch die Finger abbeißen, wenn ich sie ins Wasser hielte, aber nur, weil sie denken, das ist Futter, nicht aus Bösartigkeit. Früher überlebten diese Fische hier immer nur kurze Zeit: Laut alten Aufzeichnungen, die ich mir mal vorgenommen habe, lebte der gestreifte Seewolf, heute in Becken 1, durchschnittlich drei Monate; der gefleckte Seewolf schaffte es maximal einen Monat, am Leben zu bleiben; und die Wasserkatze oder auch blauer Seewolf (haben wir zur Zeit nicht) bestenfalls zwei Wochen. Das Wasser war denen zu warm. Das änderte sich erst 1972, als hier die Anlage verbessert wurde. Die gefleckten Seewölfe schaffen es jetzt bis zu viereinhalb Jahren. Mit der Zeit verschwinden allerdings ihre dunklen Flecken und sie werden einfarbig braun. Das ist vielleicht auch eine Mangelerscheinung.

Das hier ist eine Amphore – bei den Korallenfischen, aber keine echte. Die habe ich gebaut. Damals war ein junger Tierpräparator hier (zur Vertretung eines kranken Kollegen), der seine Lehrzeit gerade beendet hatte und der sehr interessiert war. Den habe ich gebeten, doch mal aus Polyester mit mir was zu bauen. Das wollte der auch gerne machen, aber wir brauchten dazu Material, für etwa 100 Mark. Die bekamen wir nicht – kein Geld mehr in der Kasse zum Jahresende, woraufhin mein Chef mir das Ganze ausreden wollte. Aber ich wollte unbedingt eine Amphore haben: als Höhle für bestimmte Krebse und Fische, vor allem Muränen. Der Präparator musste dann wieder gehen und ich habe begonnen, mit Zement zu experimentieren. Damit hatte ich sowieso schon angefangen, verschiedene Aquariumsaufbauten draus zu machen. Als Kern nahm ich Styropor, den ich mit Zement ummantelte. Eine Armierung aus Metall durfte ich nicht verwenden, weil das im Seewasser oxydiert und das Wasser vergiftet. Wenn diese Zementamphoren mit der Zeit ein wenig zerbröseln, ein Henkel abbricht, Algen sich darauf festsetzen und Seepocken, dann sehen die sehr original aus.

Dieser Rotfeuerfisch, der da gerade drumherum schwimmt, der ist giftig. Das Gift befindet sich hauptsächlich in seinen hartstrahligen Rückenflossen, die er zur Abwehr benutzt. Wenn er sich angegriffen fühlt, stellt er diese Flossen hoch. Das Gift ist ein Blutgift auf Eiweißbasis und sehr unangenehm, wenn man auch nicht gerade daran stirbt. Es gibt kein Gegengift dafür. Die Fälle, wo Leute von Rotfeuerfischen gestochen werden, passieren immer häufiger, weil immer mehr Aquarienfreunde diese gefährlichen Tiere halten. So Gruseltiere scheinen sowieso immer beliebter zu werden. Bei Karstadt in den Zooabteilungen gab es früher Meerschweinchen, Papageien und Guppies. Und heute Vogelspinnen, Giftschlangen, Krokodile und Piranhas…Der Stich eines Rotfeuerfisches ruft einen wahnsinnig stechenden Schmerz hervor, der sich ausbreitet. Man wird wie benebelt vor Schmerzen. Es braucht Wochen und Monate, bis man völlig wiederhergestellt ist. Auch die Atemwege werden zeitweilig davon in Mitleidenschaft gezogen. Ich habe zwei Fälle kennengelernt: Das eine war ein Kollege, den ich gebeten habe, seine Erfahrung damit mal aufzuschreiben für unsere Zoo-Zeitung, so etwas interessiert die Leute nämlich. Und ich habe jetzt auch noch einen amerikanischen Artikel dazu übersetzt. Der andere Fall war in Aurich. Ein älterer Aquarianer, schon fast 80, der aber immer noch seine Fische sich selber zweimal im Jahr im Mittelmeer fing. Viele seiner Fische, die er besaß, hatte er sich selbst gefangen. Und weil einige von denen mittlerweile zu groß geworden waren, fuhr ich dort hin, er wollte sie uns schenken. Ein Gegenmittel nun hat im letzten Jahr mein jetziger Chef – Dr. Wandrey – in Hamburg erfahren: Man muß sofort die Stichstelle erweitern, wie beim Schlangenbiß, und dann heißes Wasser darauf gießen. So heiß wie möglich, weil dieses Eiweißgift dabei langsam gerinnt oder jedenfalls am Ausbreiten im Körper gestoppt wird. Einige Ärzte hatten bisher kaltes Wasser empfohlen, das bewirkt aber genau das Gegenteil. Dem amerikanischen Artikel habe ich entnommen, dass es in Australien ein richtiges Gegengift dafür gibt, aber man kommt da nicht dran. Es wird unter Verschluß gehalten oder darf nicht ausgeführt werden.

Bei der Muräne hier, einer Sternmuräne, sagt man, dass ihre Mund- Schleimhäute giftig sind. Auf alle Fälle ist ihr Blut, genauso wie beim Aal, giftig. Die Muräne nebenan habe ich lange Zeit als „unechte, falsche Netzmuräne“ geführt. Es gibt zwei Arten – bei der einen sind es schwarze Flecken auf weißem Grund, bei der anderen ist es umgekehrt – und diese hier ist eine Lycodontis favagineus, die haben wir nun auch schon einige Jahre hier. Zuerst lebte sie noch mit einem Schlangenaal zusammen.

Unser allererster Chef, den ich hier noch erlebt habe, hatte beim Großhändler eigentlich zwei Muränen bestellt. Aber als die beiden Tüten ankamen, mit den Tieren, da war in der einen ein Rotfeuerfisch, den er auch bestellt hatte, und um den tobte die ganze Zeit ein Schlangenaal, es waren ingesamt zwei, die habe ich genommen und sie ins Becken gesetzt. Mein Chef stand derweil vor dem Glas und schaute sie sich an. Ich ging dann auch rum, um sie mir anzuschauen, sah sie aber nicht mehr: sie waren weg! Und sie blieben auch weg. Aber nach einigen Tagen sah man einen aus einer Fuge der gemauerten Rückwand rausgucken. Eigentlich hatte der Maurer alles dicht verfugt, aber die hatte doch noch ein winziges Loch gefunden. Der andere steckte im Sand. Diese Burschen haben die unheimliche Begabung, sich blitzschnell im Sand – mit ihrer verhärteten Schwanzspitze zuerst – reinzudrücken. Man kann gar nicht so schnell gucken. Irgendwann tauchen sie dann ganz woanders wieder auf – vorsichtig mit dem Kopf zuerst. So bleiben sie stundenlang liegen – bis Futter kommt, das riechen die sofort, mit ihren zwei langen Nasenröhren und – zackzack – kommen sie dann an. Ich habe die mit Sandgarnelen gefüttert. Diese Schlangenaale sind ja sehr klein, aber wie werden mit riesigen Garnelen fertig. Ich habe sie sehr gemocht! Als wir nun die Netzmuräne bekamen, hatte ich einen der Schlangenaale gerade in ein anderes Becken getan, aber dafür war da noch eine Stern- oder Schneeflockenmuräne mit im Aquarium. Kurz darauf fehlte zuerst der Schlangenaal und dann auch die Sternmuräne. Den Schlangenaal habe ich verzweifelt gesucht, aber nicht gefunden. Als nun auch noch die Sternmuräne fehlte, sah man, dass die Netzmuräne bedeutend größer geworden war – da hatte sie beide Fische gefressen. Ich habe sie dann strafversetzt zu den großen Fischen in ein anderes Becken. Und da passierte dann noch was: mit einem Rotfeuerfisch. Ich weiß nicht, ob der schon tot war, oder ob sie ihn getötet hat, auf alle Fälle haben wir bei der Fütterung gemerkt, dass sie ihn von unten gebissen hatte und sich um ihn herum drehte. Das machen Aale gerne, dass sie sich um einen Nahrungsbrocken drehen, um ihn zu zerkleinern. Als wir angelaufen kamen, sahen wir, dass sie den Rotfeuerfisch schon in zwei Hälften zertrennt hatte. Ich nehme an, dass sie aus Freßlust einfach den ersten besten Fisch angegriffen und getötet hat. Wir haben dann umgebaut und umgeplant und dann hat sie Einzelhaft bekommen. Eigentlich ist das Becken jetzt ein bißchen zu klein für sie.

Man hat so den alten Erfahrungswert, dass Fische in kleinen Aquarien auch klein bleiben, bei ihr stimmt das aber augenscheinlich nicht, die ist immer weiter gewachsen. Ganz allein ist sie seit dem Herbst nicht mehr: Sie hat noch eine Putzergarnele dabei. Da habe ich zuerst auch nicht geglaubt, dass das gut geht. Wir hatten zwei bestellt, es kam aber nur eine, und der fehlte eine Schere. Die kam erst bei der nächsten Häutung wieder, da war die Garnele also wieder komplett. Sie verstand sich schon am ersten Tag mit der Muräne – ist gleich auf der rumgeturnt und ans Maul gegangen und hat ihr mit der einen Zange zwischen den Zähnen rumgepult. Die meisten Korallenfische kennen die Putzergarnelen und suchen gezielt deren Kolonien auf. Die Garnelen gehen denen ins Maul und kommen aus den Kiemen wieder raus. Es gibt aber auch Fische, die fressen die Garnelen einfach auf – Rotfeuerfische und Drückerfische beispielsweise.

Hier in dem großen Becken, das ist jetzt der Doktorfisch, den ich eingangs bereits erwähnte. Es gibt eine ganze Reihe von Doktorfischen. Der Name kommt daher, dass sie am Schwanzstiel zu beiden Seiten ein herausklappbares Messer haben, scharf wie das Skalpell eines Baders. Deswegen nannte man sie früher auch Seebader, später dann – mit der Verfeinerung der Medizin – Chirurgenfische. Im Nachbar-Aquarium haben wir noch andere Doktorfische: den blauen Palettenfisch und den Philippinen-Doktorfisch. In der Gefangenschaft sind sie durch die Bank alle etwas heikel, weil sie eine dünne Haut haben. Sie sind durch sehr wenige Schuppen nur geschützt, was heißt, dass sich auf ihrem Körper leicht irgendwelche Parasiten ansiedeln können. Sie reagieren auf Wasserveränderungen immer sehr negativ. Als wir den grauen Doktorfisch bekamen, Fünfmarkstückgroß, von jenem Seemann, habe ich ihn zuerst in ein leeres Becken getan, in dem nur eine Zylinderrose lebte. Und dann waren da noch kleine Nesseltierchen – sogenannte Hydroid- Polypen, die sich explosionsartig vermehrt hatten (vergleichbar etwa mit dem Vorstadium von Quallen): Sie sind zuerst festsitzend wie Seenelken, machen da eine gewisse Entwicklung durch und lösen sich dann vom Boden, um freischwebend durchs Wasser zu driften – als medusenähnliche Tiere, die sich später erneut irgendwo festsetzen. Diese Art von Polypen nun saß fest und vermehrte sich durch Knospung, wobei sie einen regelrechten Rasen bildete. Der Doktorfisch, als der ins Becken kam, hat die als erstes völlig abgeweidet. Das ist ihm gut bekommen. Er nahm danach nämlich auch Futter, das wir ihm anboten, und wuchs kräftig, so dass er irgendwann zu groß fürs Becken war und in ein größeres mit anderen Fischen zusammengesetzt werden konnte. Er hat etliche Aquarien bisher schon durchwandert, und ist immer größer geworden. Als er etwa 20 cm groß war, kam er in das Korallenfisch- Becken, in dem er jetzt ist. Zuletzt war er in Becken 17 zusammen mit Fledermaus-Fischen, das ging auch wunderbar. Zusammen mit denen kam er dann in das große Becken und als erstes hat er dort die armen Fledermaus-Fische gejagt und die fürchterlich unter Streß gesetzt. Ich musste die laufend behandeln – mit Kupfersulfat-Lösung, das ins Wasser geschüttet wird, dabei muß man die genaue Dosis finden – zu wenig nützt nichts, zu viel ist tödlich. Fledermaus-Fische haben eine noch empfindlichere Haut als Doktorfische. Man benutzt sie auch als Indikator für schlechtes Wasser – sie reagieren als erste darauf. In Köln hält man sie deswegen zusammen mit den wertvollen Karett-Schildkröten: Die Fledermaus-Fische zeigen rechtzeitig an, wenn das Wasser erneuerungsbedürftig ist. Bei uns waren sie ständig von einem Hautparasiten – Oodinium – befallen, weil der Doktorfisch sie unter Streß hielt. Er ist sehr starken Stimmungen unterworfen. So wie er jetzt gefärbt ist – fast durchweg grau – ist er ganz unaufgeregt und in normaler, guter Befindlichkeit: zufrieden. Wenn er sich freut, beispielsweise wenn Futter in Sichtweite gerät, wird der Schwanz schneeweiß und die Körperfärbung dunkler, die Einfassung der Rückenflosse in Ocker kommt deutlicher heraus und zusätzlich violette Wellenlinien. Wenn er sich ärgert, wird der Schwanzstiel superweiß und der Körper ganz dunkel – fast anthrazitfarben, dann ist er so erregt, dann möchte er am liebsten die Scheibe einschlagen vor Aggessivität und dann geht er irgendeinem Mitschwimmer ans Leder. Und so hat er vor kurzem den armen Kugelfisch angefallen, mit der er sich lange Zeit gut verstanden hatte. Die schwammen immer zusammen, aber urplötzlich mochte er ihn nicht mehr leiden. Der Kugelfisch ist sowieso ein bißchen doof. Was Futterannahme betrifft, da ist er ein bißchen dösig: Wenn die anderen längst satt sind, hat er erst gemerkt, dass es was gab, und dann ist er auch noch sehr langsam. Andererseits, wenn man ihm mit dem Finger zu nahe kommt, das ist mir mal passiert, dann stanzt er einem sauber ein Stück Haut heraus. Gerade neulich wieder beim Scheibenputzen, da hatte ich mich auf den Rotfeuerfisch konzentriert, was ich immer tue, und da kam der Kugelfisch von der anderen Seite und ich freute mich noch über seine Zutraulichkeit, aber – bumms – hatte er mich am Wickel. Zwar trage ich dicke Handschuhe, aber da beißt der auch noch durch. An dem Tag jagte der Doktorfisch ihn derart, dass ich das Becken mit einer Scheibe unterteilt habe, eine Woche lang, dann beruhigte sich der Doktorfisch wieder und ich habe sie erneut zusammengelassen. Wegen seiner ewigen Jagd auf die Fledermaus-Fische kam mein Chef damals an und sagte zu mir: „Wissen Sie was, den geben wir nach Berlin!“ – „Nee!“ hab ich gesagt, „nur über meine Leiche!“ Ich hatte ja über die Jahre hinweg fast so ein inniges Verhältnis zu dem bekommen, als hätte ich ihn an meiner Brust aufgezogen. 14 Jahre ist der schon hier. Total ungewöhnlich für so ein empfindliches Tier. Wir haben uns dann geeinigt und die Fledermaus-Fische nach Berlin gegeben, da konnte ich mich leichten Herzens von trennen, weil ich für die ja laufend neue Kupferlösung anrühren musste. Das war eine Katastrophe.

Später hat der Doktorfisch mal mit seinem Dorn, (den kann er als Angriffs- und Verteidigungswaffe benutzen, indem er ihn aufstellt) eine Süßlippe, ein absolut harmloser Fisch, ein Geschenk aus Köln, dem hat er mit seinem Schwanzstiel einen Schlag an die Seite verpaßt, und die Süßlippe hat sich natürlich furchtbar erschrocken und ist abgezischt, wobei der Dorn ihr einen Schnitt von der Kieme bis zur Schwanzwurzel gerissen hat. Eine böse Wunde, die ist nachher aber wieder verheilt. An sich haben die beiden sich gut vertragen. Aber irgendwann hat der Doktorfisch eben wieder mal einen Rappel bekommen. Der Chef hat irgendwo noch ein Foto von der Verletzung der Süßlippe. Das kann ich Ihnen nachher mal zeigen.

P.S. Zwei Jahre nach diesem Interview erfahren wir, der der Gießener Nachtportier und nunmehr Wahlbremerhavener Dr. Burghard Scherer und ich, von Werner Marwedel: Der Doktorfisch ist tot! Noch mal ein Jahr später teilt das „Nordsee-Aquarium“ mit, dass Werner Marwedel in den wohlverdienten Ruhestand gegangen ist, im Bremerhavener Aquariumsverein ist er jedoch nach wie vor aktiv.

P.P.S.: In der Hauptstadt von Island, Reykjavik, gibt es seltsamerweise kein Aquarium, dafür jedoch Fischgeld, d.h. auf den isländischen Münzen – 1-Kronen, 5-Kronen, 10-Kronen, 50-Kronen und 100-Kronen – hat man die hauptsächlichsten Fischarten (und eine Krabbenart) geprägt, die den Reichtum der Insel ausmachen: Geld = Fisch. Allerdings wurde die Fischindustrie jetzt von der Aluminiumindustrie als Haupteinnahmequelle der Isländer abgelöst. Schon gibt es aber eine in- und ausländische Protestbewegung gegen den geplanten Bau von fünf weiteren Aluminiumfabriken, die immer mit einem Staudamm und einem Wasserkraftwerk einhergehen.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/08/16/auf-kollegenbesuch/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Die taz meldete Mitte 2009:

    Es geht langsam wieder aufwärts mit Island – vor allem deswegen, weil die Fischpreise erheblich gestiegen sind.

    Eldey.de meldet:

    Besonders umstritten ist in Island der Walfang. Die Internationale Walfangkommision (IWC) verbietet derzeit noch die kommerzielle Jagd auf die Meeresäugetiere. Island hingegen tritt für eine Wiederaufnahme des Walfangs ein. Das Thema ist mittlerweile Gegenstand des Streits und unterschiedlicher Auffassungen geworden. Viele Vertreter der isländischen Regierung und der Wirtschaft befürworten die Wiederaufnahme des Walfangs zur Unterstützung der Fischereiindustrie, die mit rückgängigen Fangquoten zu kämpfen hat. Begründet wird diese Absicht mit der Erholung der Walbestände in den Weltmeeren. Ob durch eine Lockerung des Fangverbots für Island wieder eine Einnahmequelle entsteht, ist nicht sicher. Das Washingtoner Artenschutzabkommen verbietet derzeit noch den Handel mit Walprodukten. Doch selbst nach Aufhebung des Handelssperre und Wiederaufnahme des Walfangs dürfte diese Branche gemessen an den Erträgen des Fischfangs nur eine geringe Bedeutung für den isländischen Gesamtexport haben, da die international zu vergebenden Fangmengen zum Schutz der Wale voraussichtlich niedrig gehalten werden.

    Eine andere Möglichkeit, die Meeressäugetiere kommerziell zu nutzen, liegt in der Walbeobachtung für Touristen und Tierfreunde.

    Von verschiedenen isländischen Häfen stechen in der touristischen Hauptsaison zahlreiche Boote in See, um Wale und Delphine dem interessierten Beobachter näher zu bringen. Mittlerweile bildet die Walbeobachtung einen festen Bestandteil im Angebot der isländischen Tourismusbranche.

  • Das war eine tolle Rundgangsbeschreibung, vielen Dank.
    Eine Frage bleibt mir noch:
    Warum schreiben Sie denn vom „roten Knurrhahn“, wenn seine Flossen blau sid?

    Beste Grüße
    Gabriele

  • Seien Sie bitte tapfer, kleine Männin. Es lohnt sich.

    Zu Island: Warum eine Goethebüste im Meer versenken? Der kann sich nicht meer wehren. Hatten die keine Büste des Bundeskanzlers oder des deutschen Außenministers zur Hand? Oder haben die letzten Wikinger sich nicht getraut?
    Polyphem – Sohn des Poseidon

  • Um diesem Strang hier zu folgen braucht man ja Urlaub, weiss bloss dass Kaminer die olle Talkshowkrampe irgendwann mal ne Wette mit den Kaffee Burgerboys verlor und ein Teil seines Bucherlöses dorthingeht, wenigstens ein ehrlicher Mann.
    Mach jetzt Urlaub mit Motörhead all right.

  • „Frisch, frei, stark, treu!“

    Es gibt fast 2.000 Sportvereine mit insgesamt 442.000 Mitgliedern in Berlin, wobei die Fußballvereine am beliebtesten sind und der Frauenfußball derzeit immer beliebter wird. Dies trift in gewisser Weise auch auf schwul-lesbische, jüdische und Behinderten-Sportvereine zu. Daneben wird das Boxen in Vereinen – ähnlich wie in Amerika auch hier für junge Emigranten: insbesondere unter den Rußlanddeutschen und den Türken sowie auch den Türkinnen – immer attraktiver.

    Der größte Berliner Verein ist der Hertha Sport-Club mit 8.343 Mitgliedern (zum Vergleich: der FC Bayern München hat 93.422 Mitglieder). In den 90er-Jahren nahm die Zahl der Sportvereine für kurze Zeit ab – und die der Fitness-Center zu. Diese Tendenz ist – aus ökonomischen Gründen – seit 2001 wieder rückläufig. Ebenso gibt es seitdem auch wieder mehr Sportplätze: 1140 Hallen und 1086 Spielfelder sind es derzeit in Berlin.

    Das deutsche Sportwesen begann 1811 mit dem Turnvater Jahn – auf seiner „Turnwiese“ in der Hasenheide. Er mußte dafür ins Gefängnis, denn die dort betriebenen gymnastisch-nationalistischen Übungen waren als eine Art Guerillatraining gegen Napoleon gedacht. Ähnliches passierte Mitte der Achtzigerjahre noch einmal mit der autonomen Kreuzberger „Kiezmiliz“, die sich in ihrem Sportclub in der Waldemarstraße im Nahkampf übte.

    Mit dem Erstarken des Bürgertums fanden neben dem Turnen auch die „englischen Sportarten“ – Tennis, Fußball, Rugby – hier Anhänger, sie dienten u.a. zur sozialen Distinktion. Als diese Sportarten populär wurden, wich das Bürgertum auf andere aus: Polo, Golf, Segeln etc.. Dem Rostocker Segelclub gelang es sogar, im Sozialismus noch elitär zu bleiben. In der DDR waren die Sportvereine großenteils den Gewerkschaften untergliedert.

    Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildeten sich am linken Flügel der bürgerlichen Sportbewegung die ersten Arbeiter-Turnvereine, sie lehnten den Fußball zunächst als „roh und unzivilisiert, egoistisch und konkurrent“ ab. Diese antibürgerliche Einstellung wiederholte sich 1973/74 mit der Gründung „alternativer Sportvereine“ – in Berlin waren das der „SV Solidarität“ und der „FC Internationale“.

    Vor dem Ersten Weltkrieg miltitarisierte sich die Sportbewegung erneut – u.a. wurde das „Handgranaten-Weitwerfen“ zu einer populären Disziplin. Nach und nach wechselten die kriegsverschonten Jahrgänge vom Turngerät zum Fußball. Ab 1918 gewann speziell der Arbeiterfußball immer mehr Anhänger. Er spaltete sich dann in kommunistische und sozialdemokratische Verbände. Diese Spaltung ging 1929/30 quer durch fast alle Sportvereine. Bei dem z.B. in Berlin-Johannisthal 1895 gegründeten „Männerturnverein Deutsche Eiche“ z.B. führte dies zum Anschluß der inzwischen dort so genannten „Freien Sportler“ an den Arbeitersportverein „Fichte Johannisthal“, wobei deren einstiger Sportgruß „Frei Heil“ sich zum kommunistischen „Rot Sport“ wandelte.

    Beiden Verbänden – SPD/ATSB und KPD/Rotsport – gemeinsam war, dass sie der Presse verboten, ihre Spieler in Sportberichten beim Namen zu nennen, um einen „Starkult“ zu vermeiden, und dass sie die sportliche Betätigung als gesunde Einübung in Disziplin, Militanz und Klassenkampf begriffen. Da die meisten Sportverbände ab 1933 nur noch „Arier“ als Mitglieder aufnahmen, erlebten die jüdischen Vereine zunächst einen Aufschwung. 1938 wurden sie jedoch alle verboten, die Arbeitersportvereine hatte man bereits vorher aufgelöst. Nach 1945 wurden statt ihrer „Einheitsverbände“ zugelassen.

    Der Berliner Verein Hertha BSC mußte für seinen Neuanfang 1949 noch 29 Anträge ausfüllen – davon sechs in englischer, drei in französischer und vier in russischer Sprache. Begonnen hatte er 1892 auf einem Bolzplatz in Mitte. Irgendwann wollten die Jungs nicht mehr nur gegeneinander spielen, sie waren aber noch zu jung, um einen Verein gründen zu können, dies übernahm dann der Onkel eines Spielers. Die Vereinsgründungsfeier fand in einer Kneipe in der Zionskirchstraße statt. Da man sich dort lange nicht über den Namen und die Vereinsfarben einigen konnte und zuletzt auf den Namen und die Schornsteinfarben (blau-weiß) eines Ausflugdampfers zurückgriff, hieß es später: „Die Hertha wurde im Suff gezeugt!“ Seinen Spielplatz pachtete der Verein schließlich am Weddinger Bahnhof Gesundbrunnen – an der „Plumpe“. 1923 fusionierte er mit dem „Berliner Sport-Club“ (BSC).

    Gleich an der „Plumpe“ wuchs damals der spätere Stasichef Mielke auf, der sich dann aber im kommunistischen „Arbeitersportverein Fichte“ stählte und später – zu DDR-Zeiten – den Fußballverein BFC Dynamo quasi unter seine Fittiche nahm, wobei er gelegentlich Schiedsrichter oder Trainer zu „Offiziere im besonderen Einsatz“ machte. 1988 ließ er bei einem Europacup-Spiel in Bremen sogar die Telefone der gegnerischen Mannschaft abhören. Und als Werder Bremen in Ostberlin spielte, wurde die Mannschaft im Palast-Hotel einquartiert, wo sie von „Stasi-Nutten“ geradezu umlagert wurde. Man zog dafür die Frauen sogar von der Leipziger Messe ab. Eine, Yvonne, erinnert sich noch heute gerne an diesen „Riesenspaß im Palast-Hotel“ damals. Dies ein erneuter Hinweis darauf, dass in Deutschland Sport und (kalter) Krieg gerne eine enge Verbindung eingehen.

    Ähnlich verhält es sich bei den Vereinen überhaupt, in denen das Bürgertum sich nach der gescheiterten Revolution 1848 im kleinen Kreis wieder zusammenfand. Schon bei ihren „Gesangsvereinen“ vermutete die Obrigkeit oft, daß sie „demokratische Tendenzen“ beförderten – und ließ sie polizeilich überwachen. Tatsächlich verstanden die Mitglieder ihren Vereinszweck – Chorgesang – als „gesellschaftsbildend“. Und unter Gesellschaft verstand man eine „Geselligkeit, in der die Menschen einander ‚freudig‘, ‚gleich‘, ‚offen‘ begegnen – eine konversierende Interaktion, in der die Teilnehmer sich sympathisierend, symmetrisch, aufrichtig miteinander ins Verhältnis setzen“ (Georg Stanitzek). In der Vereins-Geselligkeit werden gemeinsame Interessen gepflegt und es wird eine soziale, politische oder kulturelle Identität gehegt. Im Maße diese verschwindet, kann es dabei auch um regionale oder lokale Identifizierungen gehen – wie etwa bei den berüchtigten Fußballfanclubs. Dennoch hat der eingetragene Verein viel mit Aufklärung zu tun, er ist sozusagen die juristische Form ihrer sozialen Organisation – die verspätete deutsche Antwort auf die Französische Revolution vielleicht sogar. Jedenfalls ein satzungssanktionierter Ort (inklusive Vereinsheim und Fahne) von meist amateurhaften Freidenkern. Auch wenn diese das mit ihrer Eintragung ins staatliche Vereinsregister noch jedesmal selbst dementierten, indem sie ihre Geselligkeit reglementieren und sich nach außen hin sowohl thematisch als auch personell beschränken. Deswegen haben z.B. auch die zwei o.e. Berliner Vereins-„Alternativen zum bürgerlichen Sport“ inzwischen große „Probleme“, wie die taz berichtete: Sie gelten aufgrund ihrer friedensbewegten „alternativen Tradition als uncool“ – und sie sind ein Verein und haben „damit eine uncoole Organisationsform“.

    Unter dem Titel „Frisch, frei, stark, treu“ stellte der Belgische Photograph Gerson Bettencourt Ferreira im Künstlerhaus Bethanien eine Porträt-Serie von Berliner Sportlern und Sportvereinen aus. Und im Eulenspiegel-Verlag erschien ein DDR-Fußballbuch von Frank Willmann, Jörn Lutter und Andreas Gläser: „Anstoß, Abpfiff, Aus“. Zuvor hatten die Autoren bereits im Basisdruck-Verlag ein Fanbuch über den 1.FC Union Wuhlheide veröffentlicht: „Und niemals vergessen – Eisern Union“, sowie dann auch – im Verlag das Neue Berlin – ein Buch über den BFC Dynamo Berlin in Mitte: „Der Meisterclub“. Ihr erstes Buch schrieben sie als Fans des 1.FC Union, alle weiteren als Sportjournalisten. Das schönste Vereinsbuch erschien kürzlich im Selbstverlag einer Fanfrau namens Traute König: Was ist ein Fan? Warum wird man einer und wie bleibt man es? Diese Fragen hat Traute König von klein auf sozusagen persönlich beantwortet – und nun auch noch in ihrem neuesten Buch, das sie an den entsprechenden Sportstätten auch selbst verkauft. Die jetzige Hertha-Fanfrau ist inzwischen Frührentnerin – wie ihr Mann Peter, der als Schachspieler internationale Turniere besucht.

    Traute König interessierte sich als Kind zunächst für den Berliner Radsport, dann wurde sie Jazzfan und zuletzt Fußballfan. Gemeinsam ist dem Ehepaar außerdem das Hobby Galoppsport. Sie besaß sogar einmal ein Pferd und ihr Mann erstellte ein Computerprogramm mit den Daten aller Pferde, Jockeys und Rennen – als Wetthilfe. Dabei sind die Königs gar nicht so am Gewinnen interessiert, eher am Unterwegs- und Dabeisein. Sie pendeln zwischen ihren Wohnungen bei Frankfurt und am Wannsee und sind vor allem treue Fans, und so heißt ihr Buch dann auch „Mein Leben als Fan“. Sie verkauft es für 7 Euro, so viel wie die Herstellung kostet. Traute König erzählt Anekdoten und porträtiert ihre alten und neuen Idole. Zum Beispiel den Radrennfahrer Fritz Jährling, Berliner Jugendmeister 1940. Er bekam nach dem Krieg von seiner Mutter rote Socken gestrickt – deretwegen er dann bald auch so genannt wurde. Oder Gerhard Löffler, „1933 in den Radsport hineingeboren“. Er sagte der Autorin: „Einmal Rennfahrer, immer Rennfahrer.“ 1953 traten in Traute Königs Leben „große Veränderungen“ ein: Sie wurde Sachbearbeiterin im Rummelsburger VEB Berliner Kraftverkehr, heiratete, ließ sich wieder scheiden – und anschließend von ihrem Bruder in Westberliner Jazzkneipen wie die „Eierschale“ entführen. Einmal fuhr sie in die damalige „Jazzhochburg“ Frankfurt am Main, wo es ihr sehr gut gefiel, sie fand dann dort prompt eine neue Stelle – bei der Lufthansa, wo sie 35 Jahre blieb. Außerdem eröffnete sie einen Singleclub, der noch heute besteht und in dem es „viele gute Jazzveranstaltungen gibt“. Besonders beeindruckt war sie immer von Trevor Richards New Orleans Trio. Im Singleclub lernte sie auch ihren heutigen Mann Peter kennen. Dessen Schachclub-Vorsitzender war an einem Rennstall beteiligt. Bald lernten Peter und Traute König über ihn weitere „Pferdeleute“ kennen und wurden Galoppsportfans. „Als ich später das Buch ,Der Pferdeflüsterer‘ las, dachte ich: ,Det kann ick ooch!'“ Nach ihrer Frühpensionierung 1992 fing sie mit ihrem Mann an, ein Buch über Pferderennen zu schreiben. Dazu schafften sie sich einen VW-Bus an und fuhren von Rennbahn zu Rennbahn, wo sie später auch das Buch verkauften. Weil das Schreiben des ersten Buches so viel Spaß gemacht hatte, nahm das Ehepaar anschließend gleich zwei weitere in Angriff: „eins über Jockeys, die für Deutschland reiten, und eins mit Geschichten aus dem Rennsport“. In ihrem Fanbuch hat sie nun ebenfalls einige Jockey-Porträts untergebracht, unter anderem eins von Christian Zschache, der nach einem Sturz querschnittsgelähmt war. Für ihn sammelte Traute König 1999 als Nikolaus verkleidet auf der Frankfurter Rennbahn Geld. Besonders verbunden fühlt die Autorin sich dem Jockey Eduardo Pedroza: Als der mit Diamante ein Rennen in Dresden gewann, gewann auch sie – eine Dreierwette. 1999 mietete das Ehepaar König eine Wohnung in Wannsee. Im selben Jahr lernte sie im Flugzeug die Hertha-Mannschaft kennen – und ging kurz danach zum ersten Mal in ihrem Leben ins Olympiastadion. Traute Königs üppig bebildertes Fanbuch endet mit dem „Schlusswort: Blau-weiße Hertha – Du bist unser Sportverein – Du wirst es für immer sein!“

  • Die taz hat es bisher leider noch nicht zu einem Aquarium gebracht, wohl aber zu einem eigenen Verein – er stand am Anfang des „Projekts“, das erstmalig nach dem Deutschen Herbst auf dem Tunix-Kongreß Anfang 1978 vorgestellt wurde. Kurze Zeit später erfolgte bereits die Eintragung des Vereins der „Freunde der alternativen Tageszeitung“ in das Vereinsregister (ich habe vergessen, in welches). Dieser e.V. wurde dann jedoch nach der Wende in die taz-Genossenschaft überführt. Der taz-Verein hatte auch eine Fußballmannschaft, die in den letzten Jahren immer mehr ausdünnte, d.h. immer weniger tazler als Spieler hatte.
    Lange nachdem ich dort aufgehört hatte mitzuspielen, kam ein belgischer Fotokünstler auf die Idee, sich den Berliner Sportereinen während seines Berlinstipendiums zu widmen. Mich bat er dazu um einige Recherchen,die hier angefügt seien, denn für ihn, wie ebenso dann auch für den Leiter des bulgarischen Kulturinstituts, war die deutsche Vereinsmeierei ein kleines Rätsel – ein Phänomen.

    Als Institution quer zum Ständestaat kultivierte man in Deutschland neben der staatsgläubigen evangelischen und katholischen Kirche den Verein. Einen satzungssanktionierten Ort von Querdenkern also, die das mit ihrer Eintragung ins staatliche Register jedoch noch jedesmal selbst dementierten – auch wenn heute das Reglement des Vereinslebens meist einer Bürgerinitiative dienlich ist – und umgekehrt. Im neuen Wort nun „Non-Govermental Organisation“, kurz NGO, ist beides enthalten: der zivile Ungehorsam als kollektives Projekt und die emsige Politikberatung als Stammtischwichtigtuerei.

    Auf dem Land spiegelt der Schützenverein oft noch die lokalen Machtverhältnisse 1:1 wider, und im Jagdverein sind die Reichen oder der Adel fast wieder unter sich, nur im Fußballverein geht es für alle ums Ganze, doch auch hier führen intern meist die, die auch draußen das Sagen haben, das große Wort. Im machtaufklärerischen Neuberliner „Club von Berlin e.V.“ hat man dies sogar großbürgerlich zum Prinzip gemacht. In der DDR wurde das Vereinsleben zum Teil unter dem Dach des Kulturbunds gepflegt bzw. entnazifiziert. So gebührte dort denn auch den Briefmarkensammlern und Anglern der größte Einfluß auf den Verband. Die FKK-Vereine gingen bereits in der Frühzeit der DDR in eine regelrechte „Bewegung“ (während des Sommers) über. Das Single-Point-Movement obsiegte dabei schließlich, d.h. setzte ausgehend von Usedom sein Anliegen durch. Ähnlich mächtig waren auch die Datschenbesitzer, nur dass sie statt kollektiv verbotene Vereinsziele zu verfolgen individuelle Eingaben en masse machten.

    Seit den Anfängen der Arbeiterbewegungs-Vereine brauchen die Kassenwarte das besondere Vertrauen der Mitglieder, weswegen meist solche gewählt werden bzw. sich zur Wahl stellen, die „gut mit Geld umgehen“ können. Nicht selten wird aus einem quasi gemeinnützigen Verein wenig später schon ein wirtschaftliches Unternehmen mit festen Arbeitsplätzen. Die alternative Tageszeitung z.B. startete ihr Projekt nach dem Deutschen Herbst zunächst als „taz-Verein“. Umgekehrt versackt bei der ständigen Gründung immer neuer Vereine ein Großteil der Satzungsziele bereits in der Anfangsphase, d.h. die mindestens sieben Gründungsmitglieder zerstreiten oder zerstreuen sich derart, dass alle schriftlichen Aufforderungen, ihren Verein endlich aus dem Register zu löschen von der Vereinsadresse ungeöffnet zurückkommen.

    Einmal gründeten wir einen Verein zur Unterstützung des Gutsbesitzersohnes, Anarchisten, Satanisten und Galeristen Jes Petersen aus Schleswig-Holstein. Laut Satzung ging es uns dabei um die Pflege von Art Brut oder so. Als Mitgliedsbeitrag wurden 100 DM jährlich vereinbart. Obwohl meine damalige Freundin Sabine Vogel – als Kunsthistorikerin und Schwäbin – die Vereinskasse übernahm, habe ich nach Zahlung des ersten Jahresbeitrags nie wieder etwas von dem Verein gehört, obwohl ich bis heute nicht ausgetreten bin und der Künstler Kapielski sich verpflichtet hatte, in seinem Kampfblättchen UMPKFDKS regelmäßig über die aktuelle Vereinsentwicklung zu berichten. Zu scheitern droht auch die Gründung eines Kultur- und Beratungsvereins für die in Berlin lebenden mongolischen Studenten und Gewerbetreibenden, den mein Kollege Dondog Batjargaal und ich seit langem planen: Es fehlt uns dazu noch immer die Mindestzahl an Mitgliedern. Über die Satzung sind wir uns einig – sie orientiert sich am bulgarischen Kulturverein, den der Leiter des bulgarischen Kulturinstituts Christo Bakalski unlängst gründete. Er berichtete darüber in dem Film „Unser Ausland“ von Dorothee Wenner, in dem es u.a. auch um das deutsche Vereinswesen geht. – Ein Phänomen, das immer wieder die Ausländer beschäftigt hat. Besonders begeistert waren davon in den Sechzigerjahren die – zumeist kommunistischen – „Gastarbeiter“ aus der Türkei: Noch bevor sie aus den Wohnheimen auszogen, gründeten sie Arbeiter-Vereine, mieteten billig Räume an, möblierten sie – und schufen sich so ihren ersten Freiraum zum Überleben und Überlegen. Noch heute gibt es in Kreuzberg solche türkischen Arbeiter-Vereine – und im Mehringshof sogar noch einen, in dem allwöchentlich eine Leninschulung stattfindet. Auch manche linke Zeitung schafft es übrigens, als Vereinsorgan durchzugehen – finanztechnisch gesehen.

    Sowieso hat der Verein viel mit Aufklärung zu tun, er ist sozusagen die juristische Form ihrer sozialen Organisation – die deutsche Antwort auf die französische Revolution vielleicht sogar. Mindestens eine Möglichkeit, um immer wieder der „Blödigkeit“ entgegenzuwirken auf allen Feldern und in jedem Winkel – meist leider vergeblich.

    Dabei ist die „Blödigkeit“ selbst bereits eine Tugend. In seiner ausführlichen Studie darüber resümiert der Gießener Germanist Georg Stanitzek, „daß Blödigkeit letztlich nur ein Zögern des Individuums vor dem Eintritt in die Moderne darstellt“. Die Gebildeten im Vorfeld der Französischen Revolution haben der mangelnden Selbstdarstellungskraft des aufstrebenden Bürgertums gegenüber dem alten Adel denn auch ganze Ratgeber-Bibliotheken und -Zeitschriften gewidmet. Seitdem ist die „Blödigkeit“ als Wort zwar aus der Mode gekommen, jedoch nicht der Fakt, daß man öfter als einem lieb ist, das Gefühl hat, sich wieder mal weit unter Wert verkauft oder sonstwie daneben benommen – d.h.: nicht im rechten Licht gezeigt zu haben.

    Wenn der Verein eine aus Stammtischgesprächen hervorgegangene bürgerliche Rede- und Auftrittsschulung ist, dann versteht man leicht, warum Dichter und Künstler (zumal antibürgerliche) selten einem Verein beitreten – und immer seltener. Oder wenn, dann keine aktiven Mitglieder werden. Im Gegenteil, lieber nehmen sie das Vereinsleben von außen aufs Korn. Man nennt das auch Europäische Ethnologie – wenn es gut gemacht ist. Derzeit erleben wir eine starke Abwertung des von Linken einst angeschobenen Kunstvereins, stattdessen finden die Leute eher postmodern „projektorientiert“ zueinander. Das hängt mit der Finanzierung zusammen: die Kommunen wollen die Kunstvereine nicht ewig mit Sach- und Personalmitteln ausstatten, stattdessen setzen sie mehr und mehr auf zeitlich begrenzte Kulturevents. Der Projektemacher ersetzt den Künstler-Kurator, aber das ist ein anderes Thema. Im Ergebnis müssen die Vereine sich jedenfalls derart effektivieren, dass daraus so etwas wie der bereits existierende und sehr gut betuchte Berliner „Verein der Freunde der italienischen Nationalgalerie“ wird. Das ist dann jedoch eher antiaufklärerisch, d.h. dabei wird genau das ausgeklammert, was in den „Beschreibungen des Individuums im 18.Jahrhundert“ (so der Untertitel der Doktorarbeit von Georg Stanitzek) noch zentral bzw. das Ziel war: „Gesellschaft ist Geselligkeit, in der die Menschen einander ‚freudig‘, ‚gleich‘, ‚offen‘ begegnen, ist konversierende Interaktion, in der die Teilnehmer sich sympathisierend, symmetrisch, aufrichtig miteinander ins Verhältnis setzen“.

    Und entscheidend ist dabei die Heterogenität, die in den Vereinen denn auch immer gefährdet ist. Fast vorbildlich waren bis zuletzt in Ost und West immer die Schachvereine, auch Clubs genannt. Wenn der Verein den Salon beerbt hat, dann das urbane Clubbing nunmehr das Vereinsleben. Wobei jedoch noch zu fragen wäre, ob die ganzen modernen Clubs nicht nach den selben Regeln wie die Vereine funktionieren. Schon in den Dörfern gab es ein ständiges Hin und Her-Gewusel zwischen Vereinssitzungen, Schankraum, Tanzdiele – und dem angrenzenden Wäldchen, sogar die Außentoiletten hatten noch ein wichtige Geselligkeitsfunktion – in dieser Gesellschaft. Überhaupt war die rurale viel sündiger als die urbane Geselligkeit.

    Neulich war ich das erste Mal im Kitkat-Club: Abgesehen davon, dass alle halbnackt und einige Mädchen sogar ganz nackt herumliefen, handelte es sich dort eigentlich um ein sehr gesittetes Tanzvergnügen, auch wenn die Betreiber das wahrscheinlich nicht gerne hören. Da schwingt noch etwas vom FKK-Verein als Kulturauftrag mit: koedukative Sublimierung. Hier wie ebenso in den Swinger-Clubs haben deswegen auch die Frauen das letzte Wort. Um sie anzulocken, räumen diese Etablissements den Frauen ebenso freien Eintritt ein, wie viele traditionellen Vereine weiterhin unter großem „Frauenmangel“ leiden.

    Dem entgegen stemmen sich die vielen „Vereinsnudeln“, also Frauen, die sehr viel für die Geselligkeit in ihren Kreisen tun, deswegen ist das Wort auch nur ein bißchen pejorativ, denn fast jeder freut sich über einen gelungenen Abend oder sonstwelche Kollektivaktivitäten. In der DDR war der eigentliche Verein, verstanden als kleinste gesellige Zelle, die Brigade – es gab Brigadetagebücher, – ausflüge und endlose -sitzungen. In der Rindermastbrigade der LPG Saarmund war Renate unsere Vereinsnudel: sie organisierte regelmäßig Theaterbesuche mit anschließenden Tischreservierungen und kümmerte sich um den Busfahrer, der die Brigade nach Potsdam fuhr und spät abends wieder zurück brachte. Bei Opel Eisenach heißen die Produktions-Brigaden jetzt -Teams, ansonsten hat sich aber nicht viel geändert. Auch beim Fußball spricht man mehr und mehr statt vom Verein vom Club oder Team, wobei das Ziel unverändert geblieben ist: Geselligkeit, d.h. hier – Abgeben, Dribbeln, Kunststückchen (wie Kopfball, Fallrückzieher, Blutgretsche, sterbender Schwan usw.), Vorlagen machen, Zusammenspielen…- und natürlich Beiträge kassieren, um die Fahne und das Emblem zu entwerfen, das Outfit zu verbessern, die ganze Erscheinung und last but noch least die Webpage zu gestalten.

    Kurzum: Wir werden den Verein nicht los – weil wir die Gesellschaft nicht verlassen können. Auch wenn neoliberale Politiker wie Margret Thatcher meinen: „Ich kenne keine Gesellschaft – nur Individuen“. Wladimir Kaminer z.B., der vor 15 Jahren die auseinander fallende sowjetische Gesellschaft verließ, ist jetzt Mitglied in einem Ostberliner Schrebergarten-Verein – und schreibt sogar schon an einem Buch darüber.

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