vonHelmut Höge 04.09.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Dazu hat sich gerade mein taz-Blogkollege Heiko Werning ausführlich geäußert, mich geht das eigentlich nicht so viel an, aber am Wochenende konnte ich plötzlich im Großraumbüro die vielen Leute am Computer nicht mehr sehen, auch nicht das Geräusch, das die Tastaturen beim Tippen von sich geben – und schlich mich deswegen ins Kino: in einen Spielfilm über Olga Benario, den meine (Aushilfshausmeister-) Kollegen von der Jungen Welt rezensiert haben wollten. Sie hatten ihn mir mit den Worten schmackhaft gemacht „Das ist der teuerste brasilianische Film aller Zeiten“ und „Du hast doch auch schon was zu dem letzten Doku-Film über Olga Benario geschrieben“. Nun – nach dem zweiten Film und weil ich auch schon zwei mal was in der Galerie „Olga Benario“ vorgelesen habe – darf ich mich fast als Olga-Benario-Filmexperte bezeichnen. Als solcher behaupte ich: die Brasilianer haben da das Kunsttück fertig gebracht, aus Olga eine Eva zu machen. Der Reihe nach:

1. Die Semidokumentation „Olga Benario – ein Leben für die Revolution“

Jemandem aus der DDR was über Olga Benario zu erzählen, heißt Eulen nach Athen tragen. Über 100 Straßen sind dort nach ihr benannt, dazu jede Menge Schulen, Kitas und Brigaden. Und auch wenn vieles inzwischen nach Angela Merkel u.a. umbenannt wurde, ist Olga Benario dort doch noch immer unvergessen. Nicht zuletzt, weil die 2000 in der DDR gestorbene Schwester von Jürgen Kuczinsky, Ruth Werner, die einst als in China eingesetzter Oberst der Roten Armee den Decknamen „Sonja“ trug, 1962 eine viel gelesene Biographie über sie veröffentlichte: „Die Geschichte eines tapferen Lebens“.

Weniger bekannt ist vielleicht, dass Olga Benarios zwei grosse Lieben sich an den zwei großen Langen Märschen in der Geschichte des Partisanenkampfes beteiligten. Ihr zweiter Mann, der brasilianische Revolutionär Louis Carlos Prestes gilt gar als der Erfinder des „großen Fußmarsches“ – wie die 25.000 Kilometer-Expedition seiner rebellischen „Kolonne Prestel“ in Brasilien genannt wird. Dieser Gewaltmarsch begann 1924 nach einem gescheiterten Aufstand seiner Militäreinheit. Danach bezeichnete man Prestes in Brasilien als „Ritter der Hoffnung“. 1930 emigrierte er nach Moskau, von wo aus ihn die Kommunistische Internationale vier Jahre später als Aufstandsspezialist unter falschem Namen erneut nach Brasilien schickte. Als Partnerin gab man ihm Olga Benario mit. Unterwegs verliebten sich die beiden – für den 37jährigen Prestes war es das erste Mal: Er hatte bis dahin immer nur gekämpft.

Olga Benario war dagegen zuvor in Moskau mit Otto Braun liiert gewesen, den sie 1927 in Berlin mit Waffengewalt aus der Moabiter U-Haftanstalt befreit hatte. So ähnlich wie es zuletzt dort Inge Viett mit Till Meyer u.a. tat. Nach ihrer Befreiungsaktion wurde Olga Benario von der Linken in ganz Deutschland gefeiert. Sie und Otto Braun tauchten unter und flohen dann nach Moskau, von wo aus die Revolutionärin dann im Auftrag der Komintern unter falschem Namen einige Kurierreisen nach Westeuropa unternahm. Otto Braun verliebte sich derweil in eine Russin und wurde dann von der Kommunistischen Internationale (KI) als Aufstandspezialist nach China – in Mao Tse Tungs Hauptquartier geschickt, wo er 1934 an dessen Langen Marsch teilnahm. Bei dieser 10.000 Kilometer-Expedition blieben 70.000 kommunistische Kämpfer auf der Strecke, die restlichen 20.000 machten dafür unterwegs „Chinas Wirklichkeit zu ihrer eigenen“, wie Otto Braun später in seinen „Chinesischen Aufzeichnungen“ schrieb, die 1973 in der DDR erschienen, wo der Autor 1990 starb.

Weniger erfolgreich war dagegen die Mission von Olga Benario und Carlos Prestes: Auch dessen zweiter Versuch, einen Volksaufstand in Brasilien zu entfachen, schlug fehl. Während der Rest ihrer KI-Gruppe nach Verrat verhaftet und teilweise ermordet wurde, konnten Prestes und Olga Benario zunächst untertauchen. Sie wurden schließlich aber doch gefaßt. 1936 schob man die schwangere Olga Benario nach Deutschland ab, wo sie in Gestapohaft kam: 1942 wurde sie vom KZ Ravensbrück aus nach Bernburg gebracht, wo man sie in der Gaskammer ermordete. Ihre Tochter Anita war zuvor der in Mexiko lebenden Mutter von Prestel übergeben worden. Sie ist heute Professorin an der Universität von Mexiko-City. Ihr Vater Louis Carlos Prestes starb 1990.

Diese und weitere Details aus dem Leben Olga Benarios erfährt man als Kommentar aus dem Film von Galip lyitanir. . Der 1950 in Ankara geborene und heute in Köln lebende Regisseur hat darüberhinaus für seinen ersten Film „Olga Benario – ein Leben für die Revolution“ einige Zeitzeugen aus dem Frauen-KZ sowie Schriftsteller und Sänger in Brasilien gefunden, die weitere Geschichten über die „leidenschaftliche Revolutionärin“ zu erzählen wußten. Und neben Archivmaterial hat er einige Episoden aus dem Leben Olga Benarios von Schauspielern nachstellen lassen. Herausgekommen ist dabei eine „ergreifende und aufwühlende Semi-Dokumentation“ über eine „außergewöhnliche und mutige Frau“ – schreibt seine Verleihfirma „Neue Visionen“. Ich kann dem zustimmen, nachdem ich die Pressevorführung gesehen habe. Alles in allem ist es zwar ein recht konventioneller Film geworden – dafür handelt er aber von einer Frau, die alles andere als das war. Und er wird das seine dazu beitragen, dass ihr kurzes aber heroisches Leben nicht vergessen wird, so wie es sich bislang auch die kleine Neuköllner Galerie „Olga Benario“ zur Aufgabe gemacht hat. Dort kann man übrigens die Olga Benario Biographie von Ruth Werner noch käuflich erwerben, ebenso wie demnächst auch den Film von Galip Lyitanir auf DVD.

2. „Olga“ – der Filmfilm

Das sei der „teuerste brasilianische Film aller Zeiten“, trompetete das N.D.. Stimmt gar nicht! Es ist der billigste. „Filmstarts.de“ spricht von einer überdehnten „telenovela“, ich würde es ein übles Sat-1-Machwerk nennen. „Olga“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Fernando Morais, den die Produzentin Rita Buzzar zum Ausgangspunkt ihres Films nahm: „Sie rollte Morais gesamte Recherche nochmals auf, um ein historisch stimmiges Drehbuch zu erarbeiten,“ schreibt eine Rezensentin. Auch das ist grundfalsch: Zwar kommen fast alle bekannten Ereignisse aus dem Leben der deutschen Kommunistin und Komintern-Agentin Olga Benario darin vor, aber sie werden nur erwähnt – lieblos gestreift. Hübsch inszeniert ist dagegen Olga als Geliebte des Volkshelden Luis Carlos Prestes. Telenovelamäßig sehnen die beiden Revolutionäre sich sowieso nach nichts anderem als häuslichem Glück und familialem Frieden.

Als Olga – im Knast – merkt, dass sie schwanger ist, scheut Regisseur Jayme Monjardim selbst vor einer Nacktszene nicht mehr zurück. Später, nachdem man sie nach Nazideutschland ausgeliefert hat, wo sie – bereits halb auf dem Weg ins KZ – in einem Gefängnis bei Berlin entbindet, sieht man sie nur noch halbnackt ihrem Kind die Brust gebend oder es an sich drückend. Die Olga-Darstellerin Camilla Morgado, über die ich nichts Schlechtes zu sagen wüßte – außer das, was sie von sich selbst sagt: „Ich bin eine typische Brasilianerin, die alles im Leben mit großer Leidenschaft angeht“, wurde vom N.D. gefragt: „Hat der Film, den vier Millionen Zuschauer sahen, das Bild von Olga Benario in Brasilien verändert?“ „Sogar grundlegend,“ antwortete sie, der damalige Präsident „Vargas hat sie als Prostituierte verunglimpft, und das hatte sich in vielen Köpfen festgesetzt. Erst jetzt wurde vielen klar, wie tief die Liebe zwischen Benario und Prestes war…“

Armes Brasilien! Wie verblödet muß dieses Telenovelaland, das einmal – in den Sechzigerjahren noch – die wunderbarsten Revolutionsfilme produzierte, geworden sein, dass es sich jetzt für solche „Fragestellungen“ interessiert. „Ich will nicht mehr stark und tapfer sein,“ weint Olga und klammert sich an die Gitterstäbe des Naziknasts, nachdem man ihr das Kind weggenommen und – ohne sie darüber zu informieren (Schufte!) – der Mutter von Carlos Prestes (dem Kindsvater) übergeben hat. Diese, ihre Quasi-Schwiegermutter, sieht übrigens Inge Meysel zum Verwechseln ähnlich – und spielt auch genauso. Derweil ihr Sohn, Carlos Prestel, in einem brasilianischen Knast schmachtet.

Er wird von Caco Ciocler gespielt, der ebenso wie die Olgadarstellerin Morgado zuvor nur durch seine Telenovela-Auftritte bekannt war. So kläglich wie dieser ganze Hintergrund ist auch der Realhintergrund dieser Lovestory inszeniert – der kurze Volksaufstand gegen die halbfaschistische Diktatur von Vargas: gleichsam unwillig und immer nur mit sparsamsten Mitteln in den engsten Straßen – kammerspielartig – angedeutet als kurzes Kampfgetümmel, um dann sofort wieder in die Verschwörerzentralen und auf die ernsten Gesichter und Dialoge der Drahtzieher zurück zu kommen: hie Prestes und Genossen, da Vargas mit seinem Armee- und seinem Polizeichef. Letzterer ist zu allem Überfluß auch noch ein ehemaliger Mitkämpfer von Prestes. Er wurde seinerzeit unehrenhaft wegen Diebstahl aus der ersten Aufstandsarmee des „Ritters der Hoffnung“ entlassen. Auch hier also keine (Polizei-) Politik, sondern nur dumpfe private Rache. Früher hieß es „alles private ist politisch“, jetzt ist es genau umgekehrt -und sowieso alles nur noch eine Frage der Gene, d.h. des Forpflanzungsgeschäfts.
Prestes wird nicht wie Olga vom Staat ermordet, sondern 1945 aus der Haft entlassen – als großer Freund des Diktators Varga. „Viele Brasilianer sehen darin einen Verrat an Olga“ – der Prostituierten? Typisch Mann, werden insbesondere die Brasilianerinnen sagen. Und so soll sich Prestes laut Camilla Morgado, die sich natürlich in diesen ganzen Themenkomplex erst einarbeiten mußte, dann auch verteidigt haben – mit den Worten: „er wolle seine persönlichen Belange nicht über die Politik stellen“.

Das versteh ich zwar nicht, aber darauf kommt es nun auch nicht mehr an. Wo es doch selbst der Aufstandsspezialistin Olga im Film ähnlich geht: „Ich werde dieses Land nie verstehen“, sagt sie. Die Biographie, die Ruth Werner über Olga Benario schrieb, hieß: „Die Geschichte eines tapferen Lebens!“ Schon im Titel wurde damit 1962 Einspruch gegen ein mögliches Rio-Rührstück – „Ich will doch gar nicht tapfer sein“ – à la „Olga“ angemeldet. Weggelassen wurde in diesem Film, dass Olga Benario, die in Moskau mit Prestes pro forma „vermählt“ wurde, dorthin zusammen mit ihrem Liebhaber Otto Braun, geflüchtet war. Nur seine Befreiung mit „Waffengewalt“ aus dem Moabiter Gefängnis wird gezeigt.

Olga war eine emanzipierte Kommunistin – und keine Provinzlerin, die darauf wartete, von einem Latinlover wachgeküßt zu werden – damit sie zu ihrer wahren Bestimmung – Muttersein – (zurück) findet. Die Hauptdarstellerin gibt zu, dass sie mit diesem Widerspruch, der für sie ein Mentalitätsunterschied ist, Probleme gehabt hat. Herausgekommen ist dabei dennoch am Ende nicht mehr als ein zweiter brasilianischer „Verrat an Olga“. Dass was man an dem Film von Galip Lytanir seinerzeit moniert hat – seine etwas biedere Rechtschaffenheit – erscheint mir nach diesem zweiten Film geradezu seine Stärke zu sein. Galip Lytanir hat mit sehr wenig Geld versucht zu verstehen, was ein Aufstand ist und wie er scheiterte. Schon Trotzki hatte sich immer darüber erbost, wenn jemand im Zusammenhang eines Aufstandes von „organisieren“ sprach. Die herrschende brasilianische Vorstellung davon ähnelt leider noch immer der des faschistischen Theoretikers Curtius Malaparte, der einen Aufstand nicht von einem Staatsstreich unterscheiden konnte – aber ein großsprecherisches Buch darüber schrieb, das unentwegt wieder neu aufgelegt wird und im wesentlichen aus fiktiven Dialogen namhafter Drahtzieher besteht.

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