Allem amerikanischen Grundrecht auf Glück zum Trotz wird der Opern- Besucher bei uns immer noch hoch subventioniert, ein Glücksspieler dagegen schwer besteuert. Während ersterer vorgibt, seine Leidenschaften veredeln zu wollen, wird letzterem unterstellt, er sei ungeeignet „for steady work as well as for the higher and more solid pleasures of life“ (A. Marshall, „Pinciples of Economics“).
Die Wirtschaftswissenschaftler definieren deswegen das Glücksspiel, ebenso wie Tabak, Alkohol und Prostitution, als ein „demeritorisches Gut“ (von „meritorisch“ = verdienstlich, „Demerit“ ist ein straffällig gewordener, suspendierter Geistlicher). Gemeinsam ist den demeritorischen Gütern, daß ihre Extrabesteuerung dem Gemeinwohl zugute kommt, zugleich aber das Gemeinwesen deren Konsumenten hartnäckig ablehnt. Etwa so wie das verabscheuungswürdige Verbrechen zugleich „Arbeitsplätze für Millionen“ schafft: „Während es einen Teil der überzähligen Bevölkerung dem Arbeitsmarkt entzieht, und damit die Konkurrenz unter den Arbeitern vermindert, zu einem gewissen Punkt den Fall des Arbeitslohns unter das Minimum verhindert, absorbiert der Kampf gegen das Verbrechen einen andern Teil derselben Bevölkerung“ (Karl Marx). Der Konsum demeritorischer Güter erzeugt nämlich eine Heerschar von Hilflosen und Helfern – über den Begriff des „Süchtigen“. Dieser Sucht-Aspekt, ebenso wie der des „Freizeitvergnügens“, wird jedoch in der Volkswirtschaftsstudie von Norman Albers ausdrücklich nicht thematisiert. Dabei handelt es sich um seine Doktorarbeit: „Ökonomie des Glücksspielmarktes in der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zur angewandten Wirtschaftsforschung,“ 1993. Der Autor entstammt einer Buchmacherfamilie, die sich auf das einzige nichtstaatlich dominierte Glückspiel geworfen hat: Pferdewetten, die durch die Landespferdezuchten legitimiert werden – und damit quasi höheren Zielen dienen. Die Studie von Albers richtet sich gegen die staatsmoralische Fesselung des Glücksspiels, ist also ein Votum für die Privatisierung, indem es die „Notwendigkeit eines Konsumentenschutzes“ in Frage stellt, denn „aus dem generellen Glücksspielverbot mit Erlaubnisvorbehalt resultiert ein Angebotsmonopol des Staates“ – mit zunehmend widersprüchlichen Folgen, so Albers.
Ausführlich und mit allerlei Formelkram wird von ihm zunächst der Erwartungsnutzenansatz im Zusammenhang einer Risikopräferenzfunktion beim Glücksspiel herausgearbeitet. Die deutsche Mittelposition – zwischen tiefsinnigem Russisch-Roulett („Das Recht auf Unglück“) und den seichtsinnigen Amerikikis, „who play with the balls of their sons“, bleibt dabei ausgespart, die Mathematik tendiert ja sowieso zur globalen Gleichmacherei. Das hört sich dann so an: „Es ist zu erwarten, daß nur bei kleinen Verlustmöglichkeiten die potentielle Freude hinreicht, die Aversion gegenüber monetären Risiken zu kompensieren“. So ein Satz könnte auch über jede Aufsichtsratssitzung der Dresdner Bank in Neon aufleuchten. Hier bezieht es sich jedoch auf Glücksspiele von der Art des Mittwochslottos, wo „nur geringe Erwartungen mit der Teilnahme verbunden werden“. An anderer Stelle heißt es dazu: „Der ,Reue‘-Ansatz (von Loomes und Sugden) korrespondiert mit dem empirisch beobachtbaren Verhalten, daß Haushalte Glücksspiele mit geringen Einsätzen und hohen Gewinnen akzeptieren, aber ,Glücksspiele‘ [in Anführungsstrichen!] mit hohen Einsätzen und geringen Gewinnmöglichkeiten ablehnen.“ Diese Anführungsstriche beim Glücksspiel (warum nicht bei den „Haushalten“?) unterscheiden z. B. den kommunistischen Zocker vom profanen Black-Jack-Spieler, der Haus und Hof verballert, was ersterer – zum Glück – gar nicht erst besitzt. Für beide gilt jedoch: „Das Teilnahmemotiv ist eine Funktion des Gewinns, und die Teilnahme selbst ist als Strategie anzusehen, die Opportunitätskosten des Nutzenentgangs durch Selbstvorwürfe zu minimieren und Freude über den Gewinn zu ermöglichen … Auf die Beweisführung, daß konkav verlaufende Nutzenfunktionen (Risikoaversion) zu konvex gekrümmten Indifferenzkurven führen et vice versa, sei hier verzichtet.“ Rand-Determinanten des Spielers als „homo oeconomicus“ verhandelt der Autor gerne in Fußnoten – Nr. 199: „Hirshleifer vermutet eine positive Korrelation zwischen Teilnahme an Spielen mit Zufallsmechanik und geringer Schulbildung, da aufgrund des niedrigen Schulabschlusses weniger auf objektive Kriterien des Spielarrangements eingegangen werden kann.“ Nr. 211 gibt den Lösegeld-Spielern recht, die eine zunehmende Verzichtbereitschaft bei steigenden Einkommen annehmen: „Für den Verlust des eigenen Lebens kann sogar Ruinbereitschaft unterstellt werden, um den Zustand ,Tod‘ zu vermeiden. Andererseits würde eine unendlich große Ausgleichszahlung für die Akzeptanz des Todes gefordert werden.“
Ziel der gesamten Studie ist indes wie erwähnt eine Befreiung des Glücksspiels aus seiner staatsmoralischen Fesselung und der damit einhergehenden Erziehungsdiktatur unserer „ora et labora“-Gesellschaft, sie ist mithin ein Votum für die Privatisierung, das die fortdauernde „Notwendigkeit eines Konsumentenschutzes“ in Frage stellt: „Aus dem generellen Glücksspielverbot mit Erlaubnisvorbehalt resultiert ein Angebotsmonopol des Staates“ – und das gestaltet sich äußerst widersprüchlich. Juristisch wird dabei z. B. mit dem Begriff des „Vermögensschutzes“ operiert: Das Bundesverwaltungsgericht sah 1982 „einen theoretischen Höchstverlust von 70 DM pro Stunde als unbedenklich an, dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof erschienen dagegen 1990 Verluste von 144 DM pro Stunde hinnehmbar … Die Crux des Kriteriums des Vermögenswertes wird vollends deutlich, wenn man den zu erwartenden Verlust von 28.80 DM pro Stunde bei einem Geldautomaten mit dem Durchschnittseinsatz beim Zahlenlotto von 10.60 DM pro Woche vergleicht.“ Einmal wollten wir in der (inzwischen wieder geschlossenen!) Berliner Filiale des britischen Wettbüros „Ladbrokes“ auf das Schiller Theater und die Batteriefabrik Belfa wetten, daß sie den Kampf gegen ihre Abwicklung durch Treuhand und Senat gewinnen: Unter Hinweis auf das hier herrschende Rennwett- und Lotteriegesetz wurde diese Wette jedoch abgelehnt, zugelassen sind nur echte Pferdewetten. Zudem schreibt das Gesetz einen Rennwettsteuersatz von 16 2/3 Prozent vor, „was“, laut Albers, „im europäischen Vergleich als restriktiv angesehen werden muß“. Gleichzeitig gilt jedoch die Absurdität, daß Spieleinsätze, die in einer Rennvereins-Annahmestelle getätigt werden, „steuerunschädlich“ bleiben. Dabei hatten wir mit unserer Arbeitsplatz-Kampfwette durchaus eine antizyklische Aktion im Sinn, denn ein „enger Zusammenhang zwischen gesamtwirtschaftlichem Wachstum und Wachstum der einzelnen Glücksspielausgabenarten“ ist unbestritten. „Diese Korrelation wird nur durch ,Sondereinflüsse‘ überlagert, wie sie etwa aus der Währungsreform 1948, der Einführung des Lottos ,6 aus 49′ im Jahre 1955, der Spielbankengründungswelle Mitte der Siebziger Jahre“ oder der Einführung von DM sowie von Spielautomaten auf dem Territorium der DDR 1990 resultierten. Albers erwähnt jedoch, daß insbesondere „das Anwachsen des Höchstgewinns im Zuge der Kolonnenpreisverdoppelung des Lottos ,6 aus 49′ im Jahre 1981 und die Einführung des Jackpots 1985 in der Folge zu einem Einsatzwachstum führten, das sich von der Einkommensentwicklung der Privathaushalte abkoppelte“. Vielleicht war unsere Wette aber auch zu sportiv gedacht: „Für den Sportwettenmarkt scheint besonders die Entwicklung am Arbeitsmarkt von ausschlaggebender Bedeutung zu sein.“ Wie am ersten Ölpreisschock 1973/74 abzulesen war, weist die Entwicklung der Sportwetteinsätze „auf eine starke Konjunkturabhängigkeit hin“. Interessant ist ferner, daß neue Spielbankgründungen „nicht zu einer Umverteilung des vorhandenen Nachfragepotentials führen, sondern zu neuem Spielerpotential mit weitgehend gleichen Spielgewohnheiten“, so daß auch die jüngsten Spielbankgründungen „zu einem proportionalen Zuwachs der Spielbankenabgabe für den betreffenden Landeshaushalt führen werden. Ein Konkurrenzdruck der Spielbanken untereinander ist nicht anzunehmen.“ Mit diesem Argument hatte sich bereits das Ostberliner Spielkasino gegen eine Schließung durch den Westberliner Senat gewehrt. Zudem wurde dort der Erhalt der Arbeitsplätze ins Feld geführt. Auch hierzu finden sich detaillierte Angaben in der Studie von Albers. 1986 zahlten westdeutsche Spielbanken insgesamt 223,5 Mio. DM Löhne und Gehälter, 60.500 DM pro Beschäftigten. Umgekehrt ging man beim Glücksspiel des kleinen Mannes, „6 aus 49“, zu Beginn noch von der Überlegung aus, daß der Mindestgewinn „dem durchschnittlichen Stundenverdienst eines Arbeiters entsprechen muß“. Mittlerweile kreisen die Marketingüberlegungen jedoch zumeist um die Höchstgewinnklasse. Sie wurde 1974 von 500.000 auf 1,5 Mio. angehoben, seit 1985 kommt es darüber hinaus mit dem „Jackpotsystem“ zur „Überwälzung nicht zur Ausschüttung gelangender Gewinne auf die nächste Veranstaltung“. Diese Ideen sind allein staatlich-steuerlicher Gier geschuldet.
Während sonst die demeritorischen Güter einer Einschränkung der Werbetätigkeit unterliegen, wird für die staatlichen Glücksspielangebote immer hemmungsloser geworben: 1990 waren die Werbeausgaben dafür bereits genauso hoch wie die Werbung der Bundesbahn und zweieinhalbmal so hoch wie die Werbung der Bundespost, zudem kommt der Ziehung der Lottozahlen im öffentlich-rechtlichen Sender geradezu ein Staatsnachrichtenwert zu – kostenlos. Für die Fernsehlotterie und die Glücksspirale wurde darüber hinaus das TV- Werbeverbot nach 20 Uhr aufgehoben.
„Die Bemühungen einiger Blockunternehmen, zielgruppengerecht besonders jüngere Erwachsene höherer Bildungsschicht und Frauen werblich anzusprechen, demonstrieren ebenfalls, daß das staatliche Interesse sich allein an der fiskalischen Ergiebigkeit der Glücksspiel-Besteuerung orientiert und nicht, wie behauptet, am Konsumentenschutz.“ Dieser könnte für den Autor sowieso nur noch in bezug auf die Teilnahmebereitschaft von Arbeitslosen an Geldautomaten-Spielen geltend gemacht werden, wo sich ein „Nachfrageverhalten“ andeutet, wie es in der „Regulierungsbegründung“ generell unterstellt wird. Und die hält Albers wiederum für nur „vorgeschoben“, um nämlich verbraucherfreundlichere Glücksspiel-Anbieter vom Markt fernzuhalten oder sie höchstens in (Baccarat-)Nischen zuzulassen. Das hat im Endeffekt dazu geführt, daß unsere Schlipszwang- Spielbanken ungefähr so freudlos sind wie Arbeitsämter oder staatliche Blockbordelle.
Als „Fazit“ soviel: „Da eine Aufrechterhaltung des regulativen Regimes dieses Marktes aus ,demeritorisch‘ begründetem Konsumentenschutz eine gänzlich anders gestaltete Angebotspolitik notwendig machen würde, … ist die staatliche Regulierung des bundesdeutschen Glücksspielmarktes in der vorliegenden Form nicht angebracht.“ Mit anderen Worten: Auch daß jeder seines Glücksspiels Schmied ist, muß erst noch mühsam erkämpft werden.
Seit dem neoliberalen Siegeszug gibt es dabei jedoch von oben und von unten kein Halten mehr. Das Bundesverwaltungsgericht bezichtigte einige staatliche Veranstalter denn auch bereits einer „aggressiven Geschäftspolitik“, als es sich für eine Aufweichung des Monopols aussprach – zugunsten einiger Nichtregierungsorganisationen wie Welthungerhilfe und Greenpeace, die eine gemeinnützige Lotterie aufbauen wollten. Sie bekommen einerseits nicht mehr genug Spenden und andererseits gilt: Je mieser die Jobperspektiven, desto mehr wird gewettet. Ende der Achtzigerjahre waren die Berliner Zeitungen noch voll mit empörten Artikeln über die Spielhallen, die sich – wie heute die Internet-Cafés, in denen primär Gewaltspiele runtergeladen werden – über die proletarischen Viertel ausbreiteten. Damals dachte man über Extrabesteuerungen sowie eine Reduzierung der Daddelautomaten übers Baurecht nach und sprach von Spielsüchtigen. Der Höchstgewinn lag bei 100 Mark. Heute kann man an den Automaten tausende von Euro gewinnen. Neben den öden Spielhallen, von denen es allerdings immer weniger gibt, existierten noch jede Menge türkische Sport- und Kulturvereine, wo die Männer Tag für Tag Karten spielten – ebenfalls um Geld. Auch diese „Cafés“ sind rückläufig, weil die Männer heute als Arbeitslose nur noch so wenig zu verspielen haben, dass die Wirte nicht mehr davon leben können. Dafür rüsteten die Berliner Spielcasinos auf – oder eher ab: Sie öffneten sich mit ihren Automaten dem Postproletariat und schafften den Schlipszwang ab. Sie werden vornehmlich von thailändischen Prostituierten, vietnamesischen Händlerinnen und arabischen Geschäftsleuten aufgesucht. Die Türken eröffneten dagegen ein Sportwettenbüro nach dem anderen, auch die Albers-Familie mischt dabei mit. Man wettet dort auf alle möglichen Spiele, vom Fußball in Prag bis zum Basketball in Detroit. Daneben treibt es immer mehr Berliner Arbeitslose zu den Pferderennen nach Hoppegarten und Karlshorst oder in den Westen nach Mariendorf, wo der FR-Redakteur Harry Nutt einst eine Zockerzeitung herausgab. Anfang des Jahres klärte er mich auf: „Die Sportwetten sind eigentlich noch immer verboten, aber diese neuen Wettbüros fallen nicht ins Staatsmonopol, weil sie formal nur Wetten ins Ausland vermitteln. Aber demnächst werden alle diese Einschränkungen sowieso wegfallen.“
Vor dem Bundesverfassungsgericht stand nämlich die Verhandlung des Verbots der Vermittlung von Sportwetten durch private Anbieter an. Überraschenderweise bestätigte das Gericht dann jedoch das staatliche Monopol auf Sportwetten, wenn auch gegen Auflagen – und machte damit den Weg frei für Verbote von privaten Anbietern. Bayern beschloß daraufhin sofort, über 130 Wettbüros schließen zu lassen. Andere Bundesländer folgten: „Nahezu flächendeckend haben die Behörden mittlerweile Verfahren zur Schließung angestrengt und Unterlassungsverfügungen verschickt. Einige Betreiber haben bereits freiwillig den Betrieb eingestellt,“ vermeldete eine Wirtschaftsnachrichtenagentur. Für Schlagzeilen sorgte das Verbot des größten Sportwettenanbieter „bwin“, der im Bundesland Sachsen über eine Lizenz aus DDR-Zeiten verfügte. Das Unternehmen kündigte an, die Verfügung juristisch anzufechten und drohte mit einer Schadenersatzklage. Ihm sprang der Bundesligist Werder Bremen bei, dessen Trikotsponsor „bwin“ ist, sowie auch andere Clubs und Sportverbände, die von der Firma gesponsert werden. Der Geschäftsführer der Deutschen Handballliga kritisierte das Verbot als rein politisch: „Der Wettbewerb wird zugunsten eines staatlichen Anbieters entschieden“, erklärte er. Desungeachtet untersagte man kürzlich Werder Bremen, zum Bundesligastart bei Hannover 96 mit einem Trikot mit bwin-Werbung aufzulaufen. Werder hatte zwar in Bremen ein Urteil zu Gunsten der umstrittenen Trikotwerbung erwirkt. Gerichtsstand für die Partie war aber die niedersächsische Landeshauptstadt.
Ermutigt durch diese und ähnliche Gerichtsurteile machte sich der Beirat des Kreuzberger Quartiersmanagements Kottbusser Tor auf, um einmal alle Glücksspielorte rund um das Kottbusser Tor zu erfassen: In nächster Nähe gibt es dort: 13 Wettbüros bzw. Spielhallen, 18 Internet-Telecafés sowie 12 Männercafés und 14 „Kultur“- bzw. „Sport“-Vereine. „Hier gibt es bald nur noch Geschäfte, die auf die eine oder andere Weise Glück verkaufen,“ erklärte dazu ein Beiratsmitglied, „und in gewisser Weise gehört auch noch der Heroindealplatz direkt am ‚Kotti‘ dazu.“
Das neue Glücksinfo ist da:
Wo soll das alles enden? Erst hatten wir den gemeinen Auto- Diebstahl mit und ohne Heimtücke bzw. Gewinnabsicht, ihm folgte später der massenhafte Abtransport in Form von zerlegten Einzelteilen über die Oder (Stichwort: „Drehscheibe zwischen Ost und West“). Davor kam aber noch das „Joy-Riding“ auf, wobei Autos bloß zum Spaß, für die Dauer einer Spritztour bzw. einer Tankfüllung, quasi „ausgeliehen“ wurden. In Westberlin gab es sogar eine Sängerin mit dem Namen Joy Rider, aus New York natürlich, die dieses US-Trend-Vergnügen in Berliner Talk-Shows anpries.
Eine auf öffentliche Verkehrsmittel zugeschnittene quasi Öko- Abart davon war dann das S-Bahn-Surfen, das sich mitunter in den Aufnahmestationen der Unfallkliniken immer noch diagnostizieren läßt. Seit der VEB-Privatisierungsphase kommen verstärkt die „Crash-Kids“ ins Spiel, die mit ihren gestohlenen PKWs so lange gegeneinander fahren, bis nur noch einer fahrtüchtig übrigbleibt. (Viele dieser „Kids“ sind, so das Stadtmagazin Zitty, Heim- bzw. Familien-Trebejugendliche)
Auch das Joy-Riding wurde weiterentwickelt: zum Airbagging. Hierbei benutzt man geklaute Autos der gehobenen Preisklasse, die man mit Karacho irgendwo gegen eine Betonwand fährt, so daß der Airbag sich aufplustert: Jugend forscht!
Eine Subvariante dazu nennt sich Double-Airbagging. Dabei lädt man seine „Schnalle“, manchmal auch „Torte“ genannt, ein, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Dann dreht man – laut Auto, Motor und Sport – das Radio oder den Kassettenrecorder „voll uff, wa!“ Und denn knallt man volle Pulle gegen die Mauer, beobachtet dabei die Freundin aber genau. Wenn das Auto mit zwei Airbags ausgerüstet war: „Na, dann hat man eben echt Glück gehabt!“ Und was sagt die Schnalle dazu? „Ick hab mir nix anmerken lassen, der traut sich doch sowieso nich, schneller als vierzig zu fahren!“ Ihr Freund verteidigt sich matt: „Ick üb doch ooch noch!“
Und wie das so ist bei neuen „Irrsinnstrends“ (Spiegel Nr. 29): Schon gibt es ein buntes Fanzine aus Hohenschönhausen namens Airbagging Today. Zusammengestellt wird das Info „über den richtigen Gebrauch von Luxuslimousinen“ („mit den jeweils neuesten Luftsack-Testergebnissen“) von Zaggi und Kurt. Wobei Zaggi für das Layout und die Autorenpflege zuständig ist und Kurt für das, was man die „großen Zusammenhänge“ nennt. In der Nr.4 („die drei haben wir allerdings übersprungen“) findet sich dazu bereits ein „Sommerloch-Text“, der einem nahelegt, das Airbagging als die proletarische Ost-Variante zum ideologieaufgeladenen Car-Banging der West-„Klasse gegen Klasse“ bzw. der Kreuzberger „Volxsport“- Gruppe zu begreifen. Und warum auch nicht? Im neuesten Heft findet sich darüberhinaus ein Beitrag von Rolf über das „Dooring“: Dieser Sport besteht darin, einen Radfahrer, der sich im Stau an einem vorbeischleichen will, abrupt durch Öffnen der Tür (door) zu stoppen. Autofahrer (im Stau) kann so etwas glücklich machen.