vonHelmut Höge 29.11.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

Mehr über diesen Blog

“Dieser Abschaum!” meinte eine Dame im Restaurant gegenüber dem taz-café und zeigte auf die vor liegende BILD, wo Britney Spears und Paris Hilton ohne Höschen in New York abgebildet waren. Der Begleiter der Dame gab ihr recht, wenn auch etwas nachdenklicher.

In New York – an der Freiheitsstatue und am Kennedy-Airport – befinden sich Tafeln mit den Gedichtzeilen von Emma Lazarus aus dem Jahr 1883: “Kommt zu mir, ihr müden und armen / Gedrängten Massen, die ihr nach freiem Atmen euch sehnt … /Schickt sie zu mir, die Heimatlosen, Sturmverwehten: / Ich hebe meine Fackel am goldenen Tor.”

Die drei Punkte stehen für eine Zeile, die man weggelassen hat, weil man die frisch Eingewanderten nicht gleich brüskieren wollte. Sie lautet: “Den elenden Abschaum eurer wimmelnden Gestade”. Die Dichterin dachte dabei an all die Hungernden und Arbeitslosen, die sich hoffnungslos in den Küstenstädten Europas ballten.

So hatte die etwa zur selben Zeit in Emden gegründete Sparkasse u. a. die Aufgabe, allen Kleinkriminellen, Pennern und Prostituierten ein One-Way-Ticket nach drüben zu finanzieren, damit man sie endlich loswurde. Für die hiesigen Herrschenden zählten zum Abschaum zudem auch noch alle Sozialdemokraten und die unruhigen jüdischen “Luftmenschen”. Auch sie schob man gerne nach Amerika ab. Aber dort waren sie auch nicht gern gesehen: Der amerikanische Genetiker Charles B. Davenport versuchte noch 1925, die “genetische Minderwertigkeit” insbesondere der jüdischen Emigranten nachzuweisen, indem er ihre “Wanderlust” als “moralische Schwäche” und diese wiederum als “erblich” begriff. Hinter ihm und den Emder Sparkassengründern standen die Ideen von Herbert Spencer und Charles Darwin, wonach die Gesellschaft ständig ihre “ungesunden, langsamen und unzuverlässigen Mitglieder ausscheiden” muss. Wer sie unterstützt und integriert, begünstigt nur die Vermehrung dieser “Unfähigen” und handelt damit wider die Natur – was “der Nachwelt einen immer größer werdenden Fluch” beschert.

Es ist klar, warum die amerikanische Bourgeoisie diesen “Sozialdarwinismus” sofort begeistert aufgriff und finanzierte – allen voran Harriman, Rockefeller und Carnegie. Und es ist auch verständlich, warum die neoliberale Sozialdemokratie das sozialdarwinistische US-Bildungssystem hier und heute durchsetzen will. Erst der Bolschewismus setzte dem etwas entgegen: eine Umdrehung. Sein  Lamarckismus hub mit dem berühmten neutestamentlichen “Nadelöhr”, als dem einzigen Weg ins Himmelreich, an – durch das bekanntlich eher ein Kamel als ein Reicher geht.

Demzufolge wurden dann ab 1929 die ausbeuterischen “Kulaken” nach Plan vernichtet, die Intelligenzija als “klassenfremd” gezielt benachteiligt und gleichzeitig die “Dorfarmut” zu Trägern des sozialistischen Aufbaus erklärt – dies auch noch bei Mao: “Je schmutziger ein Bauer, desto reiner seine Seele!” Überhaupt galten die Spencer’schen “Unfähigen” – Kriminelle, Prostituierte und Obdachlose – der bolschewistischen Arbeitermacht als “klassennahe”, was noch im westdeutschen SDS als “Randgruppenstrategie” aufschien und sich u. a. darin niederschlug, dass jede “Kommune” entlaufene Heimkinder und Ex-Knackis beherbergte.

Das ist lange vorbei, die quasi-biblische Frage stellt sich aber noch immer: Werden diese “Unfähigen” von der (kapitalistischen) Gesellschaft “ausgeschieden”, weil sie die Guten sind, d. h. die moralisch Hochstehenden? Oder sind sie bloß von Geburt an Benachteiligte, die man fördern muss (qua 2. und 3. Bildungsweg und freier Uni), damit sie nicht am Rande dahinvegetieren?

Für diese gilt, was der ehemalige Black-Panther-Führer Booby Seale 2001 meinte: “Mit Abschaum – Schlägern, Zuhältern und Drogendealern – kann man keine Revolution machen!” Für jene aber das, was der Psychologieprofessor Peter Brückner einmal über seinen ersten lukrativen Job im Westen – nach Übersiedlung aus der DDR – äußerte: “Dass mich das Geld politisiert hat (und nicht, wie die jungen Generationen, die Sexualität), hat eine Moral. Es gibt Zustände – individuelle wie gesellschaftliche -, in denen einzig ein Stück Ruchlosigkeit produktiv ist, und wo die ,individuelle Interessen-Orientiertheit’ viel weniger sozial integriert als Armut, Sozialarbeit, Tugend.”

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/11/29/abschaum-2/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Ach bitte – – schreiben Sie doch nicht so einen Unsinn. Britney Spears und Paris Hilton als “verfolgte Minderheit” ? Diese beiden Personen und tausende wie sie zählen doch zu den erstklassigen Profiteuren der Mediengesellschaft, und alle Tabu-Brüche und Schocks sind sorgfältig kalkuliert. Das dient alles nur dem Geschäft. Man wundert sich nur, dass die BILD-Leserinnen es nicht merken, wie sie manipuliert werden. Nun ja, warum sollten sie ? Sich über andere vermeintlich erheben ist ja die Lieblingsbeschäftigung vieler Menschen. Übrigens auch der taz-Leser! Warum sonst schreiben Sie in Ihrem Artikel so herablassend über die BILD-Leserinnen ? Der Splitter im Auge der anderen, und der Balke im eigenen!

    Oh ihr Heuchler. Die Nähe der taz zur BILD ist leider nicht nur geographischer Natur…. (haben Sie nicht sogar schon einmal ein gemeinsames Blatt herausgebracht, letztes Jahr zu Ostern ? ich meine mich an so etwas zu erinnern).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert