vonHelmut Höge 03.02.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Der Konzern sucht ewig und zunehmend Hausmeister, denn ständig werden irgendwo Niederlassungen, Tochterunternehmen, Produktionsstätten, Verwaltungseinheiten etc. zu gemacht, wo dann jedesmal etliche Hausmeister ihren Job verlieren, aber ebenso oft sogar und noch öfter werden auch irgendwo auf der Welt immer wieder neue Siemens-Dépendancen eröffnet, wo dann erneut Hausmeister gebraucht werden.

Ähnlich verhält es sich mit den Siemens-Korruptionsfällen: Bis in alle Ewigkeit könnte man hier die immer wieder neuesten Meldungen und Meinungen dazu zitieren –  insofern ist es wichtig, dass man so einen blog nicht auf Dauer anlegt, sondern sich Ziele setzt (um danach aufzuhören).

Die FAZ meldet heute: Das japanische Kartellamt ermittelt derzeit gegen Siemens.  “Die Prüfung richtet sich unter anderem gegen eine japanische Gesellschaft der Medizintechnik des Konzerns, die Siemens Asahi Medical Technologies Ltd. Am 12. Dezember hätten Beamte der japanischen Kartellbehörde Büroräume von mehr als zehn Herstellern und Zwischenhändlern von medizinischen Geräten durchsucht. Für Siemens gehe es dabei um zwei Geschäfte im Gesamtwert eines einstelligen Millionenbetrages in Euro, sagte der Sprecher.”

In den USA werde derzeit gegen Siemens auf der Grundlage des Antikoruptionsgesetzes “Foreign Corrupt Practices Act” ermittelt – vom Justizministerium und der Wertpapieraufsicht SEC. Siemens ist ein an der New Yorker Börse notiertes Unternehmen. Zuletzt wurde dort der auch in New York gehandelte Schweizer Konzern und ehemalige IEA-Partner von Siemens ABB  wegen Korruption in Nigeria, Angola und Kasachstan zur Zahlung einer Strafe von 16,4 Mio Dollar verurteilt. Die FAZ erklärt dazu:

“Die bisher höchste Strafe in einem Korruptionsverfahren wurde gegen den amerikanischen Rüstungskonzern Titan Corp. verhängt. Titan einigte sich 2005 in einem außergerichtlichen Vergleich mit Staatsanwaltschaft und SEC auf eine Zahlung von 28,5 Millionen Dollar. Titan hatte über 2 Millionen Dollar für die Beeinflussung der Präsidentenwahl in Benin gezahlt. Der norwegische Ölkonzern Statoil, der wie Siemens an der New Yorker Börse notiert ist, verglich sich Ende des vergangenen Jahres mit den amerikanischen Behörden auf eine Strafe von 21 Millionen Dollar. Dem Konzern war vorgeworfen worden, 15 Millionen Dollar Schmiergeld für ein Projekt im Iran gezahlt zu haben.”

Der Tagesspiegel unkt heute: “Das Verfahren in den USA könnte für Siemens gravierende Folgen haben.” U.a. die, dass Siemens “gezwungen wird, ein zusätzliches Aufsichtsgremium im Konzern zu installieren”, wird dazu ein international tätiger US-Anwalt zitiert.

Aus gewöhnlich gut unterrichteten ver-di-Kreisen war dagegen heute (in der Kreuzberger Kneipe “Advena” – vom Nebentisch her) zu erfahren, dass man in der neuen Dienstleistungs-Gewerkschaft plant, auch von unten etwas gegen die um sich greifende Korruption bei Siemens zu tun – und zwar will man alle Hausmeister des Konzerns organisieren und schulen. Angefangen mit der berühmten gewerkschaftlichen “Bilanz-Schulung” (die ich übrigens als Presse-Verbindungsmann  der ostdeutschen Betriebsräteinitiative bereits 1995 absolvieren durfte).

Und wie wichtig die Hausmeister (Postverteiler) sind, das wußten die früheren DGB-Kader am Nebentisch aus bitterer Erfahrung – im eigenen Haus (an der Urania) – und ich als ehemaliger Mitarbeiter in der ostdeutschen Betriebsräteinitiative wie auch als taz-aushilfs-postverteiler ebenso. Einmal organisierte die Initiative mit den Betriebsräten der großen von der Treuhand verwalteten Ost-Betriebe eine “Protestfahrt nach Bonn”.

Dazu mußten 1500 Einladungen an ostdeutsche Betriebsräte verschickt werden: der DGB hatte uns angeboten, sie über die Westberliner DGB-Poststelle rauszuschicken. An einem Donnerstag rückten zwei Leute des Arbeitsausschusses der Betriebsräteinitiative mit 1500 Briefen in der DGB-Poststelle an. Wie mit diversen DGB-Landesvorsitzenden zuvor besprochen, sollten die Einladungen über die Frankiermaschine des DGB rausgehen.

Die Poststelle des DGB wird vom Kollegen Hans geleitet. Es stellte sich schnell heraus, daß dieses Büro im Erdgeschoß die wichtigste Schaltstelle der Gewerkschaft ist.  Als erstes klärte Hans die Kollegen darüber auf, daß er eine direkte Anordnung “von oben” brauche, sonst könne er gar nichts frankieren: “Die versprechen zwar immer viel, aber ich muß das dann hier unten jedesmal ausbaden”. Dieses Problem ließ sich telephonisch noch relativ schnell erledigen – Hans stellte dafür seinen Apparat zur Verfügung. Dann mußten die beiden Leute von der Betriebsräte-Inititative aber erfahren, daß Hans “für heute” schon abgerechnet hatte (es war gerade Mittag durch) und folglich die Briefe erst am nächsten Tag frankiert werden konnten: “Sonst bin ich sofort dran, wenn morgen zufällig der Revisor vorbeikommt!”

Das wollte natürlich niemand – Hans in Schwierigkeiten bringen -, und also würde man am Freitagvormittag wiederkommen und an diesem Tag nur schon mal die Briefe mit seinem “Drucksache”-Stempel soweit vorbereiten. Bevor Hans den Stempel rüberreichte, schaute er auf seinen Kalender: “Was? Die Fahrt nach Bonn soll am 9. September sein, heute haben wir doch schon den 27. August, das kommt doch alles gar nicht mehr an. Drucksachen dürfen acht Tage bei der Post liegenbleiben. Da ist nischt mehr zu machen!”  Man klärte ihn nun seinerseits darüber auf, daß die Briefe ja nur in die neuen Bundesländer und nach Berlin gingen, was hieße, daß sie alle vom Postamt am Nordbahnhof bearbeitet würden. Und dort säße in der Abteilung für Massensendungen die Frau Schuschke, der würde man zwanzig Mark geben für die Kaffeekasse, und dann könnte man es noch schaffen. Das sei alles schon soweit vororganisiert. Der Tip war von einem freiberuflichen Betriebsratsschulungsleiter aus Pankow gekommen, der seine Einladungen immer dort abgab und mitunter schon drei Tage später die ersten Rückantworten bekam. Hans gab sich aber nicht gleich geschlagen: “Auch die Briefträger können Drucksachen erst einmal liegenlassen, wenn sie zu viel auszutragen haben … Das ist einfach nicht mehr bis zum 9. zu schaffen. Ich seh’ da schwarz!”

Während dieses Gesprächs kamen immer wieder Funktionäre und Sekretäre aus den oberen Etagen des DGB in die Poststelle und gaben schüchtern einige Briefe, mit und ohne Einschreiben, ab. Der eine oder andere blieb auch schon mal kurz dort und lächelte den beiden Leuten von der Betriebsräte-Inititative mit ihren sieben Kartons voller unfrankierter Briefe aufmunternd zu. Hans gab derweil hinten im Raum dem Hausmeister Anweisung, daß und wie er am nächsten Tag die Sendung zu bearbeiten hätte, da er, Hans, erst kurz vor Mittag kommen könnte, bis dahin aber alles erledigt sein müsse, da er am Freitagmittag gleich in Urlaub fahren wolle.

Als das geregelt war, nahm Hans erst einmal ein Kuvert aus den Kartons und wog es: “Knapp an der Kippe, geht grad noch für sechzig Pfennig raus”, sagte er. “Seid ihr ganz sicher, daß nirgends ein Blatt mehr drin ist?” Die beiden waren kurz davor, es ihm schriftlich zu bestätigen. Aber da hatte Hans schon ein neues Problem aufgetan: “Ihr habt die Briefe nicht nach Berlin und woandershin sortiert, das muß getrennt werden”. Man versprach ihm, das beim Drucksachen Abstempeln nachzuholen.

Hans entschuldigte sich daraufhin erst einmal: “Ich arbeite ja Tag und Nacht für die Kollegen, aber mal muß ich auch ‘ne Pause einlegen, ich geh’ jetzt kurz was essen”.  Als er wiederkam, nach etwa zwanzig Minuten, war die Sendung schon fast zur Gänze durchgestempelt und die Berliner Briefe in einem Kasten aussortiert. Hans war jedoch beim Essen was Neues eingefallen: “Ihr müßt die Briefe morgen ins Postamt Berlin 30 bringen. Alle Briefe, die über diese Frankiermaschine laufen, dürfen nur dort abgegeben werden, nicht einmal beim Postamt Zoo, das steht sogar im Vertrag mit der Post drin, das haben die sich schriftlich geben lassen”. Ermattet versprachen die beiden ihm das sofort und ohne Widerrede, ja, sie schrieben sich sogar die Adresse des Postamts 30 auf.

Am nächsten Tag waren sie erst einmal noch damit beschäftigt, weitere achtzig Briefe – Einladungen an die diversen Einzelgewerkschaften – fertig zu machen. Um 11 Uhr sollten sie die fertig frankierten Briefe in der DGB-Poststelle abholen. Vorsichtshalber telephonierten sie aber noch einmal mit Hans, bevor sie losfuhren – und erfuhren, daß die ganze Sendung noch nicht bearbeitet worden sei, weil alle Nichtberliner Briefe über die entsprechenden Landesverbände rausgehen müßten, über die Berliner Zentrale könnten sie nicht abgerechnet werden, nicht einmal die nach Brandenburg (obwohl es sich dabei um ein und denselben Landesverband handelte). Außerdem müßten sämtliche Briefe statt mit sechzig Pfennig mit achtzig Pfennig freigemacht werden, weil ein Drucksachenkuvert für sechzig Pfennig nur ein Blatt enthalten dürfe, nicht drei – das sei dann eine Briefdrucksache, und die koste achtzig Pfennig. Er könne jetzt zwar die die rund 150 Berliner Einladungen freimachen, mit achtzig Pfennig, dafür habe er vom Vorstand grünes Licht bekommen, aber die wären dann alle falsch abgestempelt – nämlich mit “Drucksache” statt “Briefdrucksache”. Und dann käme noch hinzu, daß dies alles ganz schnell gehen müsse, denn die Poststelle schließe heute bereits um 12 Uhr: “Spätestens um Viertel nach 12 bin ich hier raus, und dann läuft da gar nichts mehr!”

Man fuhr trotzdem sofort los zur DGB-Poststelle, um wenigstens die Berliner Einladungen noch übers Postamt am Nordbahnhof, bei Frau Schuschke, rausschicken zu können. Unterwegs kauften die beiden Mitarbeiter der Betriebsräte-Inititative noch schnell für 1400 Mark 80-Pfennig-Briefmarken. Als sie im DGB-Hochhaus an der Keithstraße ankamen, waren die 150 von oben genehmigten Briefe bereits frankiert und in einem quasi offiziellen grauen Plastikbehälter der Bundespost einsortiert worden, den Hans ihnen großzügig als Geschenk mitgab.

Im Hinausgehen verriet er ihnen noch, daß die Regelung der Trennung von ost- und westdeutschen beziehungsweise Ost- und Westberliner Sendungen, wobei die ersteren alle über das Postamt am Nordbahnhof gingen, nur noch bis Montag gelte, ab dann würden alle in jedem Postamt “normal” bearbeitet werden: “egal wohin”.  Die beiden bedankten sich für diesen Hinweis und fuhren vom DGB-Hochhaus in Westberlin zum DGB-Gewerkschaftshaus in der Ostberliner Wallstraße, wo sie im Saal 0205 die restlichen rund 1600 Briefe per Hand frankierten.

Dazu gelang es ihnen, sich von den Sekretärinnen der Kreisstelle des DGB-Nord, im Stockwerk darunter, einen brandneuen roten Briefmarkenbefeuchtungsschwamm in einer grünen Gummischale auszuleihen – allerdings nur bis 14 Uhr, weil die Sekretärinnen dann Feierabend machen wollten.  Aber auch das schafften sie noch beinahe rechtzeitig. Leider waren die Büros dann jedoch schon abgeschlossen, so daß sie den Briefmarkenbefeuchtungsschwamm im Kaffeeküchenraum nebenan deponierten – in der Hoffnung, daß die Sekretärinnen ihn dort am Montag gleich als erstes entdecken würden.

Sodann ging es in rasendem Tempo zu Frau Schuschke – zum Postamt am Nordbahnhof.  Eigentlich hatte einer der beiden Helfer der Betriebsräteinititative vorgehabt, sie am Abend zuvor bereits aufzusuchen, um alle Modalitäten der Briefsendung mit ihr zu besprechen, er war aber vor verschlossene Türen geraten, mit einem Schild: “Pause zwischen 16 Uhr 30 und 17 Uhr”. Da er aus terminlichen Gründen nicht warten konnte, war er unverrichteter Dinge wieder abgezogen, wobei er sich aber insgeheim damit beruhigt hatte, daß man ja notfalls am nächsten Tag den Kaffeekassen-Solldarbeitrag auch auf dreißig Mark erhöhen könnte: Soviel sollte ihnen die geglückte Zustellung der Einladungen und damit das Gelingen einer massiven Protestpräsenz ostdeutscher Betriebsräte in Bonn eigentlich wert sein.

Als sie um 14.30 Uhr beim Postamt am Nordbahnhof ankamen, eröffnete ihnen die Mitarbeiterin von Frau Schuschke als erstes, daß sie sich die Arbeit mit den Briefmarken hätten sparen können: Ab hundert Briefe würde sie das mit einer posteigenen Frankiermaschine selbst erledigen, das wäre ein Service für Großkunden. Mit den rund 150 vom DGB frankierten Berliner Einladungen gab es weiter keine Probleme, auch wenn der eine Helfer der Betriebsräte-Inititiative voller Schrecken mit anhören mußte, wie sein Kollege, im übermächtigen Wunsch, diesmal auf Nummer Sicher zu gehen, das Problem geradezu herbeiredete. Da er aber gleichzeitig die zwanzig Mark für die Kaffeekasse gezückt hatte, ging dann doch alles glatt.

Während noch die Mitarbeiterin von Frau Schuschke die ganze Sendung aus den Pappkartons in einen größeren Container umstapelte, wobei sie den praktischen Plastikbehälter mit Tragegriff vom DGB, in dem sich die Berliner Briefe befanden, einfach einbehielt, diskutierten die beiden mit Frau Schuschke noch einmal kurz die weiteren möglichen Probleme von Massensendungen: Das mit dem falschen Stempel – “Drucksache” statt “Briefdrucksache” – konnte sie bestätigen, meinte aber, wie zur Beruhigung, es würde schon irgendwie “durchflutschen”. Von der am Montag bevorstehenden Aufhebung der Trennung in Ost und West bei der Briefsortierung hatte sie noch nichts gehört: “Da wissen Sie mehr als ich!” Ganz entschieden bestritt sie jedoch die Gefahr einer achttätigen Verschleppung von Drucksachen-Massensendungen auf Postämtern: “Das geht sofort raus, das schaffen Sie noch dicke vor dem 9. … Welchen Tag haben wir heute? Den 28. … Und der August hat sogar 31 Tag. Machen Sie sich da man keine Sorgen”.

Der Zufall wollte es jedoch, daß just in diesem Moment ein stämmiger Arbeiter aus der Sortierabtellung ankam, um die letzten vollen Container von der Stelle für Massensendungen abzuholen. Als er den mit den Einladungen der BetriebsräteInitiative sah, sagte er zur Mitarbeiterin von Frau Schuschke: “Ach, das sind ja alles nur Drucksachen, die können warten”. – Sprach’s und ging wieder über den Hof in die Sortierabtellung zurück. Frau Schuschke hob daraufhin noch einmal von vorne an: “Sie brauchen sich wirklich keine Gedanken machen, das kommt alles rechtzeitig an. Ehrlich …” Aber doch schon etwas kleinlauter und dabei verlegen lächelnd.

Sie ist übrigens Mitglied in der Postgewerkschaft. Von Hans muß angenommen werden, daß er in der ÖTV organisiert ist. Auf der Fahrt nach Hause kamen die beiden Mitarbeiter der Betriebsräte-Inititiative – in gelöster Stimmung – überein, daß man, statt wochen- und monatelang mit den Führungsspitzen der Gewerkschaften zu korrespondieren und zu verhandeln, besser daran getan hätte, den “sofortigen Schulterschluß” mit diesen beiden einfachen Mitgliedern an der Basis zu suchen … ja, die ostdeutschen Betriebs- und Personalräte-Inititiativen hatten in organisationssoziologischer Hinsicht noch viel zu lernen, soviel stand fest.

Ein paar Tage später versprach ihnen ein DGB-Vorstandsmitglied immerhin, die Kosten für die Briefmarken zu ersetzen. Und diverse IG-Metall-Landesverbände übernahmen die Kosten für die mit Bussen aus allen Landestellen nach Bonn anreisenden Betriebsräte. Zwei Tage vor Fahrtbeginn kam auch noch ein Brief vom IG-Metall-Vorstand in Frankfurt am Main: Man distanzierte sich darin aufs entschiedenste vom Einladungsbrief der Betriebsräte-Initiativen, in dem es geheißen hatte, daß die IG Metall die “Protestfahrt nach Bonn” unterstütze. Dem war also nicht so! In der Familienforschung nennt man so etwas einen Double-Bind – eine besonders heimtückische Infantilisierungsstrategie.

Aber das gehört nicht mehr zum Hausmeisterproblem von Elektrokonzernen und Dienstleistungsgewerkschaften. Und auch das Beispiel “Poststelle” bildet hierbei nur ein  hausmeisterliches “Machtzentrum” ab, von dem aus sich allerdings die Kenntnis des betrieblichen Organograms und seiner ständigen Bewegung – in Form von Neugliederungen, Abgängen, Ergänzungen, Umstrukturierungen, heimlichen Andockungen aber auch Abschiebungen – quasi wie von selbst ergibt.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/02/03/siemenshausmeister/

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kommentare

  • Was die “Infantilisierungsstrategie” betrifft – sie griff dann auch bei der “unabhängigen und branchenübergreifenden” ostdeutschen Betriebsräteinitiative, d.h. es breitete sich zunehmend Mut- und Lustlosigkeit unter den Aktivisten aus.

    In dieser Situation machten sich die Sympathisanten selbständig. Nach der Spaltung am Ende zerfielen alle Gesprächskreise. Meines Wissens brauchte es fast anderthalb Jahre, bis Einzelne oder kleinere Gruppen von Betriebsräten und “Unterstützer” wieder punktuell zusammenarbeiteten und sogar noch länger, um dann – wie im Falle einer Berliner SPD-Veranstaltung Ende 96 – wieder gemeinsam etwas zu organisieren. Inzwischen ist die ehemalige DDR fast flächendeckend zu einer Art ABM geworden.

    1995 fand bei Orwo laut Betriebsrat Hartmut Sonnenschein “eine größere Demonstration als am 17. Juni 1953” statt, wobei es um eine bloße Verlängerung der dequalifizierenden “Sanierungs-ABM” d.h. Abriß-Maßnahmen (gemäß 249h AfG) ging.

    Noch deprimierender als für die Aktivisten der Betriebsräteinitiative, zu denen auch der mittlerweile geschiedene und zwischen Ironie und Zynismus ausbalancierende Hartmut Sonnenschein gehörte, war ab 1994 die Situation für die Bischofferöder Kalikumpel. Christine Haas erzählt: “Es ist aber auch eine schwierige Zeit. Während der Auseinandersetzungen, so anstrengend sie waren, ging es fast allen gut. Es kam dabei so etwas wie eine Ganzheitlichkeit zum Tragen. Danach fiel wieder alles auseinander. Und viele wurden krank, vier starben sogar.”

    Wie nahezu überall in Ostdeutschland sind auch hier inzwischen die jüngeren, noch beweglicheren Arbeitslosen fast alle nach Westdeutschland abgewandert. Die evangelische Pastorin, die zwei ABM-Kräfte in ihrem Garten beschäftigt, geriet bereits – mit ihrer vehementen Ablehnung der Pläne einer Gießener Firma, oberhalb der Kaligrube am Ohmberg den Kalkstein abzubauen, wobei 15 Kalikumpel Arbeit gefunden hätten – in Konflikt mit den Bischofferöder Betriebsräten. Ihre Meinungsverschiedenheit schaukelte sich jedoch nicht gleich derart hoch wie die in der Berliner Initiative.

    Christine Haas trifft sich auch weiterhin regelmäßig z.B. mit dem Betriebsrat Werner Kunze, der hofft, beim eventuellen Verfüllen der Bischofferöder Grube mit Salzlauge weiterbeschäftigt zu werden. Kunze bekam gleich nach der Niederlage ein Magenleiden, zugleich bekam er aber auch sein 1972 enteignetes Land zurück und schaffte sich daraufhin ein Pferd sowie eine Kuh an, die dann ein Kalb bekam. Seitdem, so sagt er, gehe es ihm wieder etwas besser. Christine Haas bedauert, daß so viele Kalikumpel ihr nach dem Arbeitskampf sagten: “Ich kämpfe nicht mehr!” Aber auch, daß jetzt überhaupt so viel “rückwärtsgewandtes Zeug” im Eichsfeld passiert: Schützenvereinsgründungen, Traditionsumzüge, sogar Fahnenweihen: “Zum Glück hat man so etwas noch nicht an mich herangetragen.”

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