vonHelmut Höge 06.05.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Nach seinem geglückten Weltraumflug meinte der jüdische Philosoph Emmanuel Lévinas: “Mit Gagarin wurde endgültig das Privileg der Verwurzelung und des Exils beseitigt”. Seitdem git es keine “Heimat” mehr. Nach Auflösung der Sowjetunion gab einer der letzten MIR-Kosmonauten jedoch bereits zu bedenken: “Wir haben unser Hauptproblem nicht gelöst. Wir können in den Weltraum fliegen, dort arbeiten und wieder zurückkehren, aber wir haben keine natürliche menschliche Betätigung im Weltraum – im Zustand der Schwerelosigkeit – gefunden. Bis jetzt haben wir keine produktive Tätigkeit dort oben entwickeln können. Ich empfinde das als persönliches Versagen.”

Zur Erinnerung an Gagarin und dem darauffolgenden “Tag der russischen Kosmonautik”, sozusagen aus aktuellem Anlaß, hier ein Vortrag von Natalia Hantke:
Neulich war ich zur Eröffnung der Ausstellung “Flug zum Himmel”, des russischen Malers Adrej Rudjev eingeladen. Über die Chance, einen Vortrag im Zeiss-Grossplanetarium Prenzlauer Berg halten zu dürfen, habe ich mich sehr gefreut. Damit ließ sich endlich eine Mission erfüllen, die mir einst mein Vater mit auf den Weg gab. Zu meinem 12. Geburtstag hatte ich unerwartet ein Briefmarkenalbum geschenkt bekommen – mit dem ich jedoch nichts anfangen konnte. Meine Vorliebe für Systematik war noch unterentwickelt. Das Album enthielt eine Markenkollektion zum Thema Kosmos, die meinen Vater sofort begeisterte. Fortan sammelte er chronologisch alle sowjetischen Briefmarken, mit dem Schwerpunkt Raumfahrt. Meine Aufgabe war es, am Wochenende anhand der Neuzugänge die Namen der Kosmonauten, die sich gerade im All befanden, auswendig zu lernen. Die Markensammlung wurde immer größer, ich auch – 1991 ging ich nach Deutschland und die sowjetische Raumfahrt geriet in eine schwere Krise. Trotzdem gab mein Vater die Hoffnung nicht auf, dass ich eines Tages doch noch etwas für die ruhmreiche Kosmonautik tun würde. Nun war der Tag gekommen: Ich stand am Rednerpult – und begann:

“Seit einiger Zeit arbeite ich in der ,Leserbrief-Redaktion’ der russischsprachigen Berliner Zeitung “Evrasia direkt”. Der Job macht mir trotzdem Spass, weil die Leser manchmal für Überraschungen gut sind. In der letzten Woche kam z.B. folgender Brief: ,Liebe Redaktion! Vor kurzem habe ich im ZDF eine Dokumentation über den russischen Feiertag der Kosmonautik im Wandel der Zeiten gesehen und musste mich dabei doch sehr wundern, dass ich schon vierzehn Jahre auf dieser Erde lebe, aber noch nie etwas über diesen Feiertag der alten Heimat und erst recht noch nichts über die russischen Kosmonauten, insbesondere über den ersten: Jurij Gagarin gehört habe. Wie konnte ich bloß meine Zeit einem Dieter Bohlen widmen, wenn wir so einen Jurij Gagarin haben?! Zu meiner Person kann ich nur sagen, dass ich aus einem großen sibirischen Dorf stamme. Dort waren wir Deutsche. Seit zehn Jahren lebt meine Familie in einem kleinem brandenburgischen Dorf. Hier nennt man uns Russen. Ich habe nichts dagegen, auch wenn das manchmal kompliziert wird. In Sibirien bin ich ja eine russische Deutsche und hier eine deutsche Russin. Aber wie gesagt, ich habe mich schon daran gewöhnt. Nur wenn man mich hier “Russin” nennt, möchte ich bitteschön auch gerne etwas über die russische Kultur erfahren und ebenso über die russische Kosmonautik. Bitte schmeißen Sie meinen Brief nicht weg und schreiben sie einen Artikel über Jurij Gagarin, am besten mit Foto. Er sieht sehr hübsch aus. Mit deutsch-russischen Grüßen. Helena Müller’.

Der Brief rührte mich. Es ging darin nicht wie so oft um die Pickel-, Mundgeruch-, Beziehungs- oder Sexprobleme unserer jungen Leser. Es ging um Gagarin und um die russische Forschung im All. Ich setzte mich sofort hin und schrieb einen Beitrag für die Rubrik ,Von uns an Euch’:

,Liebe Helena, liebe andere Leser und Leserinnen, Ein Vergleich zwischen Dieter Bohlen und Jurij Gagarin ist tatsächlich unmöglich, da D. Bohlen in der letzten Zeit so sehr nachgelassen hat, dass nicht mal mehr Zehnjährige noch etwas mit ihm anfangen können. Jurij Gagrin war und ist aber der sowjetische Superstar. Ein Sexidol unseres Landes. Er lebt tief in den sinnlichen Erinnerungen unserer Mütter, Omas und einiger empfindsamer Väter. Er ist unser Held. Dazu muss man natürlich wissen, dass er ein echter Senkrechtstarter war. Innerhalb einer Stunde und 48 Minuten wurde Gagarin weltberühmt. Genau so lange dauerte nämlich der erste bemannte Flug in den Kosmos. Der 12. April 1961 trennte fortan die Menschheit in Erdbewohner und Kosmonauten und bestätigte endgültig die Rolle der Menschen (insbesondere der russischen Menschen) als ,Gebieter und Herren der Natur und der Wolken’. Dieser Tag brachte der Sowjetunion den Neid aller Völker (insbesondere der Amerikaner. Diese haben dann in Hollywood eine Mondlandung mit eigenen Kosmonauten, die sie als Astronauten bezeichneten, um eine Verwechslung mit den Russen zu verhindern, nachgestellt, sie wollten damit die ganze Welt von ihrer Überlegenheit überzeugen).

Also dieser Tag brachte Gagarin die stolze Bewunderung aller russischen Kinder, die ab da nur noch Raketen malten und nur Gagarin liebten. Er war ein echter Star und deswegen gab es viele Legenden um seine Person. Man sagte dieses, man sagte jenes… Man sagte auch, dass Gagarin nicht als erster Kosmonaut fliegen durfte. Ein anderer sollte den Ruhm ernten, nämlich Herman Titow, weil er noch schöner und vor allem leichter als Gagarin war. Die Wissenschaftler befürchteten, wegen Gagarins Übergewicht einige wichtige Kontrollgeräte aus dem Raumschiff entfernen zu müssen. Daran sieht man, wie wenig die damaligen Ingenieure von Werbung und Image-making verstanden. Nur der Hauptkonstrukteur Korolow wußte, dass nicht das Gewicht aus einem Mann einen Helden macht, sondern das Lächeln. Und genau dieses charmante, bezaubernde Lächeln hatte der einfache Dorfjunge Jurij Gagarin. Korolow ging in das Raumschiff und riß kurzerhand die ersten besten Geräte heaus, weil er wußte, dass man nur mit so einem hinreißenden Lächeln die Weltraumforschung voran bringen konnte. Nun sieh, dass er Recht hatte. Die Fotos des lächelnden Jurij Gagarin (der damals erst 27 Jahre alt war) überschwemmten den ganzen Planeten und erzielten einen unglaublichen ideologischen Effekt. Das war die Stunde unseres Stars. Gagarin wurde als Abgeordneter gewählt, ihm wurden Denkmäler errichtet, überall wurden Straßen nach ihm benannt – dort wo es keine Leninstraßen gab, gab es unbedingt eine Gagarinstrasse sowie auf jeden Fall eine Gagarinbüste. Und sein berühmter Ausspruch beim Start der Rakete ist seitdem der beliebteste Trinkspruch aller russischen Männer: ,Ab gehts!’

Das ganze passierte nicht nur wegen seiner Heldentat. Jurij Gagarin kam tragisch ums Leben – als er 34 Jahre alt war. Er ließ uns nicht nur sein berühmtes Lächeln auf den Fotos zurück, sondern auch das Geheimnis seines Todes: Hatten ihn irgendwelche Neider umgebracht oder war er mit seinem Flugzeug in Luftturbulenzen geraten? Aber liebe Helena, lieber Leser und Leserinnen, dass werden wir nie erfahren. Ewiger Ruhm unserem russischen Jungen Jurij Gagarin, den ersten Kosmonauten, der mit seinem anziehenden Lächeln die Welt verzauberte! Laßt uns unsere Gläser mit stillem Wasser erheben und wenigstens einmal im Jahr, am Tag der russischen Kosmonautik, darauf anstoßen. Ab gehts! Eure Leserbriefredaktion…”

Standing Ovations (im Foyer des Planetariums gab es keine Stühle), einige hatten feuchte Augen. Zu mir eilte der Direktor der Treptower Archenhold-Sternwarte und bedankte sich für meinen unkonventionellen Vortrag. In seinem Schlußwort rief er dann das ganze Deutschland auf, alle in den Wende-Wirren geplünderten Gagarin-Büsten wieder rauszurücken und zur Erinnerung an diesen großen ersten Kosmonauten in seinem Planetarium abzugeben. Sodann eröffnete er mit Gagarins Spruch “Ab gehts” das Buffet.

Die Autobiographie von Jurij Gagarin “Der Weg in den Kosmos” wurde kürzlich wieder neu aufgelegt – vom Elbe-Dnjepr-Verlag Klitzschen.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/05/06/juri-gagarin/

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kommentare

  • noch viel herzergreifender lässt sich die weltraumfiffistory:LAIKA schreiben.warum das noch keiner als markenname für hundsfutter verwendelt?

  • Eigentlich toll, wenn es für Kinder und Jugendliche wieder richtige Helden geben würde, unsere waren Jaschin, beim Fußball und Täve Schur, beim Radfahren und für alle bestimmt auch Polizeihund Muchta, jedenfalls für Professor Flimmrich- freunde. Keine Moralpredigt aber was sind für die Kids Medlock und Bohlen ? Vorbilder ? (Bin Baujahr 1954)

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