Im taz-blog von Schröder/Kalender finden sich dieser Tage zwei interessante Kapitel aus einem im konkret-literaturverlag erschienenen Buch mit dem Titel „Pop-Shop“, in dem es um im Knast interviewte jugendliche Mitbürger arabischer Herkunft geht, sie äußern sich u.a. über Frauen/Nutten und Fußball/Kampfsport.
Schröder/Kalender schreiben dazu: “ ›POP Shop‹ ist kein neuer Titel aus dem Programm von Kiepenheuer & Witsch, vielmehr bezeichnen so Gefangene und Gefängnispersonal die Freizeitsperren, die verhängt werden, wenn Verbote übertreten wurden. Der Begriff leitet sich ab von der in den 70ern beliebte Musiksendung. Zur gleichen Zeit, wenn ›POP Shop‹ auf Sendung ging, wurden nämlich in den Strafvollzugsanstalt die Zellen verschlossen. Die Jugendlichen, die in dem Buch zu Wort kommen, hatten sich den Titel ›POP Shop‹ gewünscht.
Ein Jahr lang sprach Klaus Jünschke mit zwanzig jugendlichen Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt Köln. Das Projekt des Kölner Apell gegen Rassismus e.V. lief unter dem Titel ›Erzählwerkstatt‹. Christiane Ensslin schrieb die Tonbänder ab und traf aus tausend Seiten eine Auswahl.“
Mich beschäftigte etwa zur gleichen Zeit die Frage, wie sprechen junge Nichtinhaftierte über Fußball und Frauen…
Berlin hools ok
Der Philosoph Peter Sloterdijk meint, dass sich der Rheinische Kapitalismus in den letzten 50 Jahren zu einem „quasi-matriachalischen Betreuungssystem entwickelt“ hat, statt von „Vater Staat“ konnte man schon fast von einem „Mutter Staat“ sprechen. Dazu trug nicht zuletzt die massenhafte Akademisierung von Arbeiterkindern bei – mittels Begabtenabitur, Stipendien und der Gründung vieler neuer „Nährender Mütter“ (Alma Mater). In der (wiedervereinigten) „Wissengesellschaft“ nun – geht es aber quasi andersherum: „Für die Menschen, die außerhalb der Komfortsphäre leben, intern wie extern, ist darum die Rückkehr zur Politik der kräftigen Hand die wahrscheinlichste Lösung, eine gewisse Repatriachalisierung inbegriffen.“ Man kann es mit dem israelischen Konfliktforscher Martin van Crefeld auch so sagen: Die Zonen der Barbarei breiten sich nicht mehr nur an der Peripherie aus, sondern gehen bereits quer durch die modernen Metropolen, wobei sich die dortigen „Kriege als Fortsetzung des Sports mit anderen Mitteln“ begreifen lassen.
In der DDR gab es eine krude Mischung von „Menschen“, die sich außerhalb der (sozialistischen) „Komfortspähre“ zu behaupten versuchten: Das reichte vom evangelisch Friedensbewegten bis zum Fußballfan und -hooligan. In der erweiterten BRD nun reicht das Spektrum vom rechten Hooligan in Ostdeutschland bis zu den russischen Spätaussiedlern und den ebenfalls zu spät hier angekommenen jungen Arabern und Türken, die dafür sorgen, dass die Zonen außerhalb der „Komfortspähre“ geradezu islamisch repatriachalisiert werden. Zu ihren prominentesten „Sprechern“ avancierten die Berliner Gangsta-Rapper.
Der Berliner Fußballfan-Forscher Frank Willlmann spricht in seinem neuen Buch über die Fanscene der Ostberliner Fußballclubs Union und BFC in den Achtzigerjahren „Stadionpartisanen“ von „archaischen Mythen“ und „Männlichkeitsidealen“, die darin wiederauflebten. Die in seinem Buch dazu interviewten Ostberliner Männer äußern sich seltsamerweise ähnlich wie die türkisch-arabischen Rapper in Westberlin heute singen.
„Wir waren Arbeiterkinder/Niemand war milieugeschädigt/Aber das Tier mußte rausgelassen werden/ – gegen die Norm. In diesem Abseits tummelten sich alle möglichen Randgruppen. Unser Rückzug verlief geordnet/wenn auch ohne geraubte Weiber.“ So Union-Fan Andreas. Ein anderer, Andi, erzählt: „S. hat als Bäckerlehrling mal ein Hakenkreuz in ne Torte ringemacht und das auch noch ins Schaufenster gestellt, in Grünau. Sprüche wie ‚Gib Gas, wenn der BFC durch die Gaskammer rast,‘ waren eine sagenhafte Provokation gegen den (antifaschistischen) Staat. Wir standen für alles schlechte in der DDR. Das fand ich geil. Stühle flogen durch die Luft. Eine megageile Massenschlägerei. Wir sind wenig, aber geil. Es gehörte in der DDR zur Jugendkultur, Gewalttätigkeit und Fußball waren miteinander verknüpft.“
Der BFC-Fan Beyerchen spricht von „der Schule der Straße. Meine Kumpels, die BFCer, das war das Wichtigste in meinem Leben. Ich wollte gar keene anderen Leute kennenlernen. Gestanden haben wir anfangs auf der Gegengerade. Ich bin Deutscher, das ist für mich wichtig. Ich stehe zur alten deutschen Kultur. Über meine Straße ist kein Unioner gekommen. Irgendeiner hat ‚Attacke‘ gebrüllt und rin. Diese Sekunden, das is ein Wahnsinn. War ein Hammer, ich hab jedes Mal vor Aufregung gezittert. Wir sind volle Kanne durchgeballert. 500 Mann gegen 10.000. Wer ein richtiger Keiler war, vor dem hatte man Respekt.“ Aber einer der Gegner „verletzt den Ehrenkodex. Ich gloobe, ich hätt ihn fast totgeschlagen. Wenn er was will, soll er mit Fäusten kämpfen wie ein Mann, nicht wie ne Muschi. Der Mensch ist irgendwo Schwein. Für die Polen und die Tschechen waren wir sowieso deutsche Schweine. In Ostrau haben wir alles gejagt und barbarisch vermöbelt, was nicht deutsch sprach. Egal ob Männlein, Weiblein, Bulle oder sonst was. Die Stasi hat es nicht geschafft, die Szene zu sprengen. Das haben eher die Weiber geschafft. Nach der Armeezeit habe ich geheiratet, das war für mich als Mensch und BFCer der größte Fehler.“
Union-Fan Spatze ergänzt: „Frauen waren ooch mit bei, die konntest du an eener Hand abzählen. Auswärts war für Männer. Die gegnerischen Fans brüllten ja auch: Kinderficker, Schwule von der Wuhle, Juden Berlin usw.. Die Doc Martens Schuhe waren das A und O. Die wurden gewienert bis zum Anschlag. In diese Teile habe ich mich sofort verliebt. Ein faszinierendes Gefühl, Teil dieses wilden Mobs zu sein.“ Der Unionfan Dall erzählt, wie er dahin gekommen ist: „Mein Vater hat mich im zarten Alter von fünf Jahren eenmal zum BFC mitgenommen und eenmal zu Union. Er hat gesagt, nun mußte dich entscheiden. Fußball war in der Zone ein Männersport. Viele von den harten BFCern waren ja früher Unioner. Die sind weggegangen, weil sie ein strengeres Regiment bevorzugten, eher auf organisierte Schlägereien standen.“
Der BFC-Fan Rainer scheint das zu bestätigen: „der Respekt vor dem Staat war immer da. Wir haben den Alex sauber gehalten, alles, was nicht BFC war, hat quasi Alexverbot gehabt. Meine Kumpels hatten mich aus dem Knast abgeholt. Eine Fete vom allerfeinsten. Die ham mir nen Ostsee-Zeltplatzschein bevorgt und ein Weib angeschleppt, das war richtig geil. J.V – plötzlich hat er seine analen Jungs gegründet und war einer der dicksten Fische beim BFC.“ BFC-Fan Birgit erinnert sich: „an den kleenen Willi, der mit Filzstift an den westdeutschen Mannschaftsbus schrieb, ick weeß nich warum, ‚Anal Power Ostberlin‘.“
Der Soziologe Wolfgang Engler kommt zu dem Ergebnis: „der Hoologan zwischen Rostock und Jena war eine sehr authentische Figur der allgemeinen Krise des ostdeutschen Staatswesens“, Harald Wittstock, der einstmals für Fußallfans Zuständige bei der Stasi, spricht von einer „negativen Randgruppe“, der man mit „positiver Jugendarbeit“ beizukommen versuchte. Dazu gehörte auch der Aufbau eines IM-Netzes: „Ich hatte zum Beispiel eine Quelle, die hat drei Monate gesessen, und der erste, den dieser Junge angerufen hat, als er rausgekommen ist, war nicht seine Mutter, das war ich. Mein Kollege und ich haben immer gesagt, wir sind die ersten Streetworker. Die Aufmerksamkeit wurde erst erhöht, als dieser rechtsradikale Touch reinkam. Die Ausländerproblematik kam auf. Die nationale Frage und ein vereintes Deutschland, wobei sie mit der BRD auch Probleme hatten, diese Gesellschaft empfanden sie als Multi-Kulti-Unsinn.“
Die Fußballforscherin Anne betont dagegen das Unpolitische der Fans: „Durch Gewalt konnte man ‚gestalten‘, man hatte Fun, der Lebensfluß war gesichert, auch gegen die Polizei und den Staat. Dabei ging es nicht um Ideologie, sondern um die Definition einer Haltung.“ Der BFC-Funktionär Fips erinnert sich: „Das große Problem war, daß sich ab 1980 immer mehr Gewaltszenen beim Fußball abspielten. Union und der BFC waren immer verfeindet, das zog sich durch ganz Berlin, selbst in Diskotheken und Jugendclubs gab es Schlägereien.“ Der BFC-Trainer Jürgen meint dazu: „ein Teil sucht extremer seine Emotionen loszuwerden als der andere. Allgemein lebt man dafür, zahlt dafür, kämpft dafür, liebt dafür.
Der Fußball-Fotograf Harald erklärt sich das „Gewaltproblem“ so: „Die sagten mir damals: Manche ficken zu Hause ihre Kinder und prügeln ihre Frauen, wir prügeln uns mit Gleichgesinnten. So wurden sie ihren Frust los, im nachhinein verstehe ich das auch. Wie erklärt man sich Rowdytum? Damals waren das Leute, die vielleicht im Leben einfach zu kurz gekommen waren, auch, was die intellektuelle Ausstattung betraf. Es waren in der Regel Rabauken. Und zum Schluß hatten die Unioner einen Schwerverletzten und einen Toten. Für die DDR-Politik war damit die Grenze überschritten. Hauen ist nicht so meine Art. Aber einmal spielte Pankow gegen ne türkische Mannschaft, und die foulten ganz schlimm. Da schoß es aus mir raus: Atatürk, du Arschloch! Da kam der Türke auf mich zu, guckte mich scharf an und brüllte zurück: Honecker, du Arschloch! Da lachen sie heute noch drüber.“
Die Gangsta-Rapper, die ihre Songs unter dem Label „Aggro Berlin“ veröffentlichen, üben sich vor allem in verbaler Gewalt, wobei sie jedoch betonen, dass sie dabei bloß die realen Zustände in ihren Ghettos, d.h. in den armen Einwanderervierteln Berlins rüberbringen: „Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel!“ (Bushido)
„Aggro Berlin steht für ich/ Ficke dein Arsch extrem.“ (Sido) „Wer ist so Aggro wie ich und mein Schwanz/ Ich sitz dir im Nacken und fick deine Angst.“ (Bushido) „Keine falsche Bewegung/ sonst fick ich alles in meiner Umgebung/ alles was dir weh tut ist gut für mich/ und steigert meine Erregung.“ (B-Tight) „Du fickst deine Frau zärtlich ich fick sie auf Aggro/ Euch fehlt Aggressivität und Ich bin und Ich bin und Ich Bin auf Aggro.“ (alle drei)
„Ich bin die Faust im Arsch deiner Tochter/ Ich hab das ‚Age‘ und vertick es an Kids/ Ich stehe für Geld und ich schwimme in Flows/ Mit der Nase voll Schnee und deiner Mutter auf dem Schoß.“ (Bushido) „Dann mal kucken wie es ist/ Wenn jeder von uns sein Schwanz in dein Arsch packt. Es geht nicht anders/ Ich bin der Arschfickmann.“ (Sido) „Fotzen ficken und Scheine zählen,/ daraus besteht mein ganzes Leben.“ (B-Tight) „Deine Mama denkt, dass Aggro nur aus Spass ist/ heute merkt sie etwas hartes wenn mein Schwanz in ihrem Arsch ist/ Ich hab dir gezeigt dass dein Leben noch von Gestern ist/ und deine Kinder Missgeburten weil du deine Schwestern fickst.“ (Bushido). „Alles Votzen, alles Votzen, alles Votzen, alles Votzen, alles Votzen, alles Votzen, alles Votzen…/ Alles Votzen ausser Mama, glaubt mir keine Frau ist so hammer,/auch wenn ich kacke bau sie steht hinter mir./ Mein Blut für sie, egal was passiert.“ (B-Tight) Die neueste Veröffentlichung der Berliner Rapper K.I.Z. heißt „Das muttergefickte Album“.
Was immer damit gemeint ist, die hier zitierten Songlines konzentrieren sich jedenfalls auf sexuellen Hooliganismus. Die Hiphoper können aber auch anders: „Wir sind 16 Fäuste, / gegen dein ganzen Clan! / Das Ghetto kriegt fame, / wenn die Sekte, / Stress macht!“ rapt z.B. Die Sekte in ihrer Ansage Nr. 3.
Das vielbesungene „Ghetto“ – einst selbstverwaltetes Stadtviertel der Schwarzen als industrielle Reservearmee – hat sich, folgt man ihrem Erforscher Lois Wacquant, zu einem „Hyperghetto“ – für die „Überflüssigen“ – gewandelt und ist global geworden. Damit einher ging seine Inslamisierung und der Aufstieg des Hiphop bzw. Gangsta-Raps. Für Wacquant sind die französischen „Banlieues“ jedoch keine Hyperghettos, sondern Armenviertel, in denen Franzosen, Araber und Afrikaner leben. Erst recht gilt dies für die Berliner Bezirke Kreuzberg, Neukölln, Wedding und Märkisches Viertel.
Ausgehend von studentisch-parodistischen Kopien des pornographischen US-Gangsta-Rap in Hamburg und Stuttgart etablierte sich in Berlin ein „echter“ – weil „authentisch orientalischer – Gangsta-Rap“, der bald alle anderen „Kunstformen“ an die Wand spielte. Ihm vorausgegangen war hier eine Medienkampagne, die gegen die drohende „Ghettoisierung“ in den o.e. Bezirken der neuen Hauptstadt berichterstattete. In ihren Songs nun präsentieren sich die Berliner Rapper, die inzwischen bei großen US-Musikkonzernen unter Vertrag stehen, als rauhe „Ghetto-Kids“, die die „Realität“ kennen – und voll rüberbringen: Knasterfahrung, Gang-Bangs, Arschficken, Schwulen-Bashing, Koks und Kunz..
Unter den Berliner Rappern gibt es allerdings Auseinandersetzungen darüber, wer von ihnen „authentischer“ ist, bzw. wer sich bloß „authentisch in Szene setzt“. Selbst der schwäbische Geschäftsführer ihres Kreuzberger Independent-Labels besteht darauf, dass er nach einem Bruch in seinem Leben bzw. mit seinem Elternhaus nunmehr „authentisch lebt“. Dazu gehört auch das Prahlen mit vielen Sexualkontakten und großen Schwänzen, was feministisch gestimmte Musikkritiker regelmäßig als „spätpubertär“ abtun – wenn nicht gar in ihren „versautesten“ bzw. menschenverachtendsten Song-Varianten verbieten wollen.
Andere Kritiker verweisen dagegen auf einen ulkigen Widerspruch: Einerseits singt z.B. der arabisch identifizierte „Hardcore-Rapper“ Bushido, der aus Tempelhof stammt und darauf besteht, aus der Unterschicht zu kommen, dass er derjenige sei, „der dich fickt, wenn die Sonne nicht mehr scheint, der pervers ist und Nutten vögelt…Und der euch alle tötet.“ Andererseits trit er dann beim Bravo-Open-Air „Schau nicht weg – Gegen Gewalt in der Schule“ auf. Seine Fans, die meist aus der „weißen Mittelschicht“ stammen, mögen darüber irritiert sein und die Presse wütend, nicht so MdB Omid Nouripour: Der Sprecher der Grünen Bundesarbeitsgemeinschaft MigrantInnen und Flüchtlinge begrüßte es ausdrücklich, „dass die Zeitschrift ‚Bravo‘ auf ihrem Antigewaltkonzert Bushido auftreten läßt, der in seinen Texten Gewalt verherrlicht.“
Und das nicht etwa um der Dialektik willen, sondern weil der Sänger nur so „seine Reime vom Anspruch der ‚Realness‘ entfremdet.“ Das sich selbst Entfremden als positiven Entwicklungsschritt, weil der aus der „Ghettorealität“ rausführt – in sagen wir harmlosere mittelruopäische Mittelschichtvergnügungen rein. Bei Wikipedia gibt es für solch ein Fading-Away der „Realness“ den Übergangs-Begriff der „authentischen Inauthentizität“. Demnach stünde der Berliner „Schwarzkopp-Macho-Hiphop“ derzeit auf der Kippe: Schmiert sich da ein folgsames Räderwerk ein oder bereitet sich eine Höllenmaschine vor?
Der Spiegel recherchierte dazu bereits auf dem „Ghaza-Streifen“ – der Neuköllner Sonnenallee im Abschnitt zwischen Hermannplatz und Fuldastraße, die vor allem von Palästinensern bewirtschaftet und belebt wird. Dort wird nun „das Geschäft der Straße mit den Mittel der Straße geführt“. Der Spiegel-Reporter will sogar rausgefunden haben, dass der Gangsta-Rapper Bushido da seine Schutztruppe aus den Kreisen einer „Araber-Familie“ rekrutiert, die mit einem anderen „Clan“ dort verfeindet ist, der dem Gangsta-Rapper Massiv die Body-Guards stellt. Dann ließ seine Plattenfirma Sony BMG auch noch verlauten, Massivs Texte seien „authentischer als die von Bushido“ . Und „bei der letzten ‚Echo‘-Verleihung trafen sie aufeinander. Beide eskortiert von ihren Clans,“ schreibt der Spiegel. Gehört auch das noch mit zum Sich Entfremden vom Anspruch der ‚Realness‘ durch Anerkennung?
Oder passiert da umgekehrt das, was der Kritiker Martin Reichert beobachtete: „Man wanzt sich habituell an die Umgangsformen der niederen Stände heran, um Authentizität vorzutäuschen“. Der Spiegel weiß jedoch inziwschen: „Die Echo-Verleihung ging ausgesprochen friedlich ab, und doch ist die Veranstaltung in den Akten des LKA verzeichnet, als ein besonderes Vorkommnis.“ Nicht nur die Polizei hat die „Schwarzköpfe“ auf den „sozialen Brennpunkten“, ob sie nun rappen oder nicht, im Visier, auch die Presse diskutiert das „Phänomen“ geradezu herbei: „Ganz verliebt ins Ghetto-Klischee“, nannte der Berliner Journalist Murat Güngör diese geballte mediale, polizeiliche und politische Aufmerksamkeit, die seiner Meinung nach nur bewirke, dass die Armut, die Arbeitslosigkeit und die fehlenden Bildungschancen in den „Einwanderervierteln“ ignoriert werden.
Dem widerspricht der Spiegelreporter: Für ihn sind z.B. die „Hits“ des Gangsta-Rappers Sido „schockierende Bulletins“ aus der „Realität im Märkischen Viertel“. Und was ist „authentischer“ als ein Bulletin? Der Presse gegenüber erklärte Sido, die Randale, die Spannungen im Kiez, das sei „kein Produkt von Hiphop, sondern Hiphop ist nur das Produkt der Verhältnisse“. Also gibt es im MV Elend und Unruhen? „In seinen Texten beschreibt Sido eine Welt aus Gewalt und Drogen, schnellem Sex und schnelleren Autos,“ so faßt der Musikkritiker Thomas Winkler Sidos „Bulletins aus dem Märkischen Viertel“ zusammen. Zwar meint er damit nicht, dass es dort wirklich so abgeht, aber er attestiert Sido und den anderen Berlinern, ihre „Kombination aus Straßen-Authentizität, Party-Raps und harten Reimen“ komme den „originalen Vorstellungen“ des kritischen amerikanischen „Conscious-Rap“ noch am nächsten. Die orientalischen Berliner Hiphopper kopieren den US-Rap also am perfektesten – und zwar den sozialkritischen.
Ihr Kreuzberger Label „Aggro Berlin“ legt demgegenüber jedoch Wert auf die Feststellung, dass ihre „Musik die Realität hier schildere“. Das sieht auch der Spiegel so: „Wer Sidos Songs hört, merkt schnell: Es sind weniger die schmutzigen Wörter, die iritieren, sondern es ist der Blick auf eine brutale Wirklichkeit“. So führt der maskierte Rapper in einem Stück auf dem Album „Maske“ seine „Zuhörer wie ein Fremdenführer durch seinen ehemaligen Wohnblock im Märkischen Viertel, dem berüchtigten Trabantenviertel im Norden Berlins: Der Hausmeister im 1. Stock ist ein Ex-Sträfling und bessert sich sein Geld mit Pornofotos auf. Im Stockwerk 12 wird mit Falschgeld hantiert. Auf der 4. Etage lebt ein Drogenwrack. Und ganz oben riecht es streng – denn da hängt ein Toter.“
Wers glaubt wird selig. Unter Realität wird im Allgemeinen die Gesamtheit des Realen gefasst, wobei real das ist, was auch außerhalb des Denkens existiert. Sehen wir einmal von radikalen Konstruktivisten wie Heinz von Foerster ab, der sich auf einem Dahlemer Symposium zu der Behauptung verstieg: „Es gibt keine Realität!“ Wenn man jedoch mitbekommt, wie die Bürgerpresse ihre Berliner Ghettoreportagen zusammenhaut und gleichzeitig den daraus schöpfenden Rapsongs der Berliner Hiphopper über Drogen, Gewalt, schnelle Ficks und noch schnellere Autos – beinharte „Realness“ attestiert, möchte man dem Konstruktivisten glatt zustimmen.
In der Jungen Welt findet sich zu diesem ganzen „Komplex“ am Dienstag noch der folgende Text – über politisch unkorrektes Schwulsein:
„Narziß ertrinkt in einer Kaskade falscher Bilder – von den sozialen Rollen bis zu den Medien – und wird so um seine Substanz und seine Stellung gebracht.“ (Julia Kristeva)
Ein Schwulenverband hat Strafanzeige gegen den Gangsta-Rapper Bushido gestellt. In den Medien hatte man zuvor seinen „schwulen- und frauenfeindlichen Auftritt“ vor dem Brandenburger Tor kritisiert und seine Sprüche wie „Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel!“ zitiert. Der Witz ist, dass Bushido selbst schwul ist – in dem Sinne, dass er in seinem Leben und in seinen Texten einem männerbündischen Ideal nachhängt, das alle, die sich in den Arsch ficken lassen, verachtet, aber genau dies am Liebsten praktizieren möchte. Man kennt diese Art von MännlichSein aus russischen Knast-Songs und amerikanischen Knast-Filmen. Sie gilt aber auch in den hiesigen Fußballfan-Kreisen und bei schlagenden Verbindungen sowie unter Pfadfindern und vermutlich auch Neonazis. Rechte Intellektuelle frequentieren z.B. besonders gerne die Prenzlauer Berg Hardcore-Schwulen-Kneipe „Stahlrohr“ („Darker than dark“). Klaus Theweleit hat diesen „Komplex“ in seinem Buch „Männerphantasien“ aus dem in Deutschland/Preußen kultivierten Militär-Eros abgeleitet. Diesen Männern ist das Mißgeschick passiert, dass sie zwar töten, aber nicht ficken können, meinte dazu Heiner Müller einmal.
Geradezu als Leitkultur könnte man heute die schwulen Männerbünde in den traditionellen Milieus des Orients bezeichnen. Die von dort nach Deutschland emigrierten Männer (ebenso wie viele aus Russland) sehen denn auch in den heterosexuellen Jungmännern hierzulande allererst Weicheier und Schlappschwänze, die es nicht mal mehr schaffen, ihre allzu dominanten und deswegen unattraktiven Frauen in den Arsch zu ficken – zu schweigen von Männern, die derartiges für sich begehren bzw. mit sich machen lassen (müssen).
Desungeachtet sind dort wegen der völligen Absenz von Frauen in der Öffentlichkeit homosexuelle Kontakte derart weit verbreitet, dass z.B. im Nordirak in den Männergefängnissen die Hälfte der Insassen wegen „schwulem Sex“ einsitzt und das liberale Marokko seit langem als „Schwulenparadies“ gilt. Roland Barthes hat es noch halb kolonialistisch (aktiv-passiv) genossen und in seinem Nordafrika-Tagebuch „Begebenheiten“ beschrieben. Die wieder im Glauben erstarkenden Orientalinnen von heute haben aus dieser um sich greifenden Not eine Tugend gemacht, indem sie sich nur auf Arschficks einlassen, auf die Weise ihre Jungfernschaft bewahren – und dennoch gleichzeitig sexuelle Erfahrungen sammeln, wie die taz-Journalistin Waltraud Schwab – entsetzt ob dieser migrantischen „Macho-Falle“ – in ihrer Bushido-Kritik hervorhob.
All dies spielt sich jedoch mittlerweile in einer dem Sozialen gleichsam enthobenen medialen Liebes-Codierung ab, die – nach höfischer Liebe, Libertinismus, Romantik und Pornographie – diese Formen noch einmal alle remixt, statt ihr Ende zu unterstreichen. Denn „heute ist Narziß ein aus dem psychischen Raum Verbannter, ein liebeshungriger, prähistorisch anmutender Außerirdischer,“ meint die französische Psychoanalytikerin Julia Kristeva. Und das habe zur Folge, dass „die Homosexualität des Mannes auf der Suche nach einer weiblichen Haltung gegenüber dem Mann verwaist – und in eine sofortige erotische Realisierung münden muß. Der Frau wiederum fehlt es an einem Mittler zur Übernahme des angeblich väterlichen Gesetzes, was sie der Paranoia in die Arme treibt.“ Zwischen diesen beiden „Leerstellen des zeitgenössischen Diskurses“ steht der junge Narziß: „er hat kein Territorium, das ihm gehört“ (das Ghetto der Berliner Rapper ist ebenso virtuell wie das Deutschland der Neonazis).
„Ohne Vaterwert stellt der heutige Narziß das Negativbild eines potentiellen Homosexuellen ohne Begehren dar. Einer abscheulichen Mutter ausgeliefert, aber modern und emanzipiert wie er ist, wagt er nicht, sich das Recht herauszunehmen, sie zu bekämpfen.“ Während der arabisch identifizierte Rapper Bushido bei seiner alleinerziehenden Mutter lebt, die Anerkennung hartgesottener palästinensischer „Paten“ sucht und die verweiblichten deutschen Schwulen abwehrt, singt der weiße Rapper Eminem „Mother, I’m gone kill you“ (und verlor prompt einen Beleidigungsprozeß gegen seine ebenfalls alleinerziehende Mutter). Die eher intellektuellen Berliner Rapper K.I.Z. nannten Ende August ihr neuestes Werk „Das muttergefickte Album“ – und blieben damit einstweilen im Vagen.
Die letzten „Vaterwerte“, die den Krieg überlebt hatten, wurden einst von den „68ern“ überwunden: „Father, I’m gone kill you!“ sang Jim Morrison. Wo das aufgrund eigener Schwäche nicht möglich war, flüchteten die Söhne durch den Orient hindurch „nach Indien“, wie gerade der Film „Hippie Massala“ noch einmal deutlich macht. Für beide Geschlechter gilt nun jedoch, dass die unaufhaltsame „Erosion des liebenden Vaters eine Leerstelle im psychischen Raum erzeugt hat“. Und diese kann nicht mit „Analverkehr – aber mit Kondom“ oder „Viagra auf Geschäftskosten“ aufgefüllt werden. Noch viel weniger mit staatsrechtlichen Tritten in den Arsch.
In der taz-kolumne „Normalzeit“ war darüber zuvor zu lesen:
Am Wochenende wurden erneut mehrere Ausländer auf zwei Dorffesten von vermeintlichen Neonazis körperlich angegriffen. Gleichzeitig trat der mit pornografischen Songs über Gewalttätigkeiten in den Berliner Einwanderervierteln reich und berühmt gewordene Tempelhofer Gangsta-Rapper Bushido auf einem Bravo-Konzert gegen Gewalt an Schulen vor dem Brandenburger Tor auf.
Alle drei Events wurden von Bild bis taz aufs Schärfste verurteilt. Der untote Merve-Philosoph Kurt Leiner, auch „Fascho-Kurt“ genannt, gab bereits im Vorfeld zu bedenken: „Die Medien brauchen den, der die Gewalt im Realen vollzieht; der Gewalttäter braucht das Medium als seinen Spiegel.“ Die „Gewalt“ (u. a. gegen Schwule), die von den Berliner Gangsta-Rappern besungen wird, findet jedoch auch ohne den Umweg über das „Reale“ in die Medien, weil die Realness („Authentizität“) der Sänger darauf beruht, dass sie aus dem Ghetto stammen und die „Spannungen“ dort „kein Produkt des Hiphop sind, sondern umgekehrt, der Hiphop das Produkt der Verhältnisse“, wie der Rapper Sido der Presse erklärt.
„Durch den totalen Ausschluss der Gewalt tritt die irreguläre Gewalt vor allem bei denen auf, die als soziale Gruppe vom Aus- oder Einschluss betroffen sind“, schreibt Kurt Leiner, und weiter: Wenn der für den Krieg plädierende Faschismus „die politische Theorie der Gewalt ist (die das 20. Jahrhundert mehr dominiert hat als die letzte bürgerliche Theorie dieser Art, die Klassenkampf-Doktrin des Marxismus)“, dann ist dieser neotürkisch-arabische Kiez-Hiphop die Fanfare eines Bürgerkriegs im Medialen. Die Medien sind laut Leiner „völlig auf Gewalt fixiert, damit sie sonst nirgendwo mehr stattfinden kann“. Man könne demnach den „Frieden“ auch als „das Reich der Diskurse“ betrachten – und den „Krieg“ als „das Reich der Körper“. Deswegen begrüßt zum Beispiel der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft MigrantInnen und Flüchtlinge der Grünen, Omid Nouripour, den Auftritt von Bushido vor dem Brandenburger Tor ausdrücklich: weil man ihn mit solchen Medien-Ereignissen von seinem „Anspruch auf Realness entfremdet“.
Auch „der Nazi“ hadert dergestalt mit der „Authentizität“, denn er „imitiert gewissermaßen die Gewaltproduktion der Medien, indem er sie auf das Reale projiziert“. Für den Berliner Philosophen und Ex-und-Pop-Wirt ist der Krieg nichts weiter als eine Eskalation des Realen, die jede symbolische Ordnung an ihre Belastungsgrenze bringt (heute, da „allein die Androhung von Gewalt bereits strafbar ist“): Jeder Akt der Gewalttätigkeit setzt eine Differenz frei – und „wenn die Gewalt different wird, erzeugt sie den Konflikt als Zeichen“.
Leiner bezeichnet den „gesamten Komplex des Sozialen“ als ein „Walten“, dessen „Ursprung und Movens“ die „Gewalt, die gewalttätige Eröffnung der Differenz“ ist, deren „sprachliche und intellektuelle Organisation man Verwaltung'“ nennt, denn „Walten“ leitet sich laut Leiner von der indogermanischen Wurzel „ual-dh-beherrschen“ ab: „Walten ist die präsymbolische Form dessen, was in der symbolischen Ordnung zu Macht wird. Und das Soziale ist ,Bewältigung‘ (Steuerung) des ,Waltens‘ (Schicksal).“
Demgemäß bezeichnet das Hamburger Montagsmedium Der Spiegel die Songs des Rappers Sido aus dem Märkischen Viertel denn auch als „Bulletins“ und realistischen „Blick auf eine brutale Wirklichkeit“. Während dieser in Wahrheit bloß einige B.Z.-Schlagzeilen über das vermeintliche „Problemviertel“ nebeneinander montiert hatte.
Was wir vom Ereignis im Realen wissen, ist für Leiner bloß das, als was uns das Ereignis „im Imaginären erscheint“, und dieses wird wiederum von den Medien gespeist. „Gewalt ist Leben,“ darauf läuft Kurt Leiners „Zombologie“, die ihm die Anthropologie ersetzen soll, hinaus. (Sie erschien gerade als 292. Merve-Band.) Dem gemäß wären die oben erwähnten „Events“ kein Leben (mehr), sondern – situationistisch gesprochen – „Spektakel“ oder postproletarische „Nekromantik“.
Sido und Bushido machen nichts anderes als Öl ins feuer zu gießen.
Es gibt kein Ghetto, es gibt nur eine unfähige Regierung und Presse, die es nicht gebacken bekommen die Probleme die wir mit nicht integriebaren Ausländern haben beim namen zu nennen.
Stattdessen wird der so genante Kampf gegen rassismus unter dem diffusen Begriff. “kampf gegen Rechts” geführt.
Eine Bierzeltschlägerei in Mügeln wird dazu beutzt, einen ganzen Landstrich in den Dreck zu ziehen, umgekehrt wird relativiert, wenn ein Islamofaschist einen Rabbiner absticht.
In Berlin muss sich ein Kippaträger Sorgen um Leib und Leben machen, betrit er gewisse besonders bereicherte Viertel- soll das etwa kein Rassismus sein?