Fast täglich schickt nun das Ostbüro/telegraf eine Mail und informiert über den Stand der Dinge. Hier die erste mail vom 22.10.:
ZeugInnenvorladungen durch die BAW (Bundesanwaltschaft) am 23., 24. und 25.10.2007 in Berlin
Am 31.07.2007 wurden Oliver, Florian und Axel festgenommen. Die Polizei wirft ihnen einen versuchten Brandanschlag auf Bundeswehr-LKWs vor. Zudem wurde Andrej in seiner Wohnung verhaftet. Ihm wird ein angeblich konspiratives Treffen mit einem der drei zuvor Festgenommenen vorgeworfen. Im Weiteren wurden Wohnungen und Arbeitsplätze im Umfeld der vier Verhafteten und dreier weiterer Personen durchsucht. Wie im Zuge der Durchsuchungen bekannt wurde, läuft das Ermittlungsverfahren gegen vier Beschuldigte bereits seit September 2006. Allen Sieben wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung mg (militante gruppe) nach § 129a StPO vorgeworfen.
Seit den Verhaftungen und Beschuldigungen wurden umfassende Ermittlungen auch auf das familiäre, private und politische Umfeld sowie auf die Arbeitsbereiche der vier Beschuldigten ausgeweitet. Der größte Teil der Ermittlungen läuft verdeckt, die Einschüchterungen und Ermittlungen gegen vermeintliche ZeugInnen aber durchaus direkt und offen. Es ist davon auszugehen, dass bei allen ZeugInnen Telefone, Emails und Internet-Traffic zuhause und auf Arbeit sowie Treffen mit FreundInnen überwacht wurden und werden. Von der Ausweitung von Observationen auf das weitere Umfeld ist auszugehen. Diese umfassenden Ausforschungen und der massive Eingriff werden mit abenteuerlichen Konstruktionen gerechtfertigt.
Nachdem in den letzten Wochen einige Leute vom BKA Vorladungen erhalten hatten und/oder auch durch eine direkte Ansprache aufgefordert wurden, etwas zu den Verhafteten zu sagen, sind am 10. Oktober 2007 schriftliche Ladungen von der BAW versandt worden. Bisher sind der ZeugInnengruppe und dem EA an die 20 Personen (4 Journalisten, FreundInnen, Bekannte, sowie Personen, die sich einen Zusammenhang zu den Beschuldigten nicht erklären können) bekannt.
Diese Entwicklung ist für den Alltag der Betroffenen in den letzten Wochen sehr bestimmend und setzt sie massiv unter Druck. Besonders schlimm ist die Situation für Leute mit Kindern. Wir gehen davon aus, dass die BAW diese besondere Lage systematisch als Druckmittel benutzt.
Allen zur BAW Vorgeladenen droht bei einer Aussageverweigerung die Verhängung von Ordnungsgeld (bis zu 1.000 €) und bei weiterer Verweigerung der Aussage kann Beugehaft (juristisch korrekt „Erzwingungshaft“) durch den Ermittlungsrichter von bis zu sechs Monaten angeordnet werden.
Mit dem Druckmittel von Ordnungsgeld und Beugehaft sollen die ZeugInnen gezwungen werden gegen ihre Freunde und Bekannte auszusagen. Dabei steht den Betroffenen ein Aussageverweigerungsrecht nur zu, wenn sie entweder mit den Beschuldigen verlobt, verwandt oder sonst in einem familiären Verhältnis stehen (§ 52 StPO) oder wenn sie sich durch ihre Aussagen selbst belasten (§ 55 StPO) könnten.
Ordnungsgeld oder Beugehaft kann auch nur wegen einer einzigen, nicht beantworteten Frage verhängt werden, wenn die BAW bzw. der Ermittlungsrichter der Auffassung sind, dass diese von besonderer Wichtigkeit für das Verfahren ist.
Es ist im Rahmen eines 129 a Verfahrens den ermittelnden Behörden nicht nur wichtig etwas über die vorgeworfene Tat zu erfahren, sondern sie stellen konkret Fragen über die persönlichen Zusammenhänge der Beschuldigten. In welchem Verhältnis steht oder stand die/der ZeugIn zu den Beschuldigten? Wie und wo haben die Beschuldigten sich früher engagiert? Mit wem standen und stehen sie in engem Kontakt? Und sogar welche Hobbys usw. haben die Beschuldigten? Eben auch Fragen die nicht unbedingt zu einer vermeintlichen Tataufklärung beitragen. Sie wollen Ansatzpunkte zu einer weiteren Durchleuchtung der beschuldigten Personen und Informationen, die ihnen in ihrem bisherigen Ermittlungsstand noch fehlen und zu denen sie sonst keinen Zugang bekommen. Hier sollen nun Freunde gezwungen werden, die persönlichen Verhältnisse der Beschuldigten preis zu geben. Dies geht aber niemanden – und besonders die BAW – etwas an!
Wer sich entscheidet, zu schweigen und keine Fragen der BAW zu beantworten, muss sich möglicherweise nicht nur mit der kommenden Haftsituation auseinandersetzen sondern auch damit, was mit dem Arbeitsplatz ist, wie das Kind versorgt werden soll und muss, wie die Miete zusammen kommt und, und, und…..
Aber auch auf denjenigen, die evtl. die Situation nicht aushalten, die wegen ihres Arbeitsplatzes oder anderen Gründen nicht mehrere Monate in den Knast gehen können, liegt ein immenser Druck. KeineR will den Beschuldigten schaden und niemand weiß, was die staatlichen Repressionsorgane eigentlich wollen. Die Gefahr durch Beantworten vermeintlich belangloser Fragen jemand anderen oder sich selbst zu belasten besteht bei jeder Frage. So ist es schon oft geschehen, dass aus einem Zeugen ein Beschuldigter geworden ist.
Wir können niemandem die Entscheidung wie er/sie sich verhält, abnehmen. Aber wenigstens den finanziellen Ruin werden wir gemeinsam verhindern. Neben Ordnungsgelde, Haftkosten und Anwaltshonoraren müssen laufende Kosten für Miete, Krankenversicherung etc. bezahlt werden. Dafür brauchen wir dringend finanzielle Unterstützung von Euch! Deshalb sammelt Geld, macht Party`s und/oder überlegt euch Patenschaften.
Spendenkonto:
Klaus Schmidt, Konto-Nr.: 20610-106, BLZ: 10010010 Stichwort „Keine ZeugInnen“
Solidarität statt Paranoia!
Wir lassen niemanden allein!
Aussageverweigerungsrecht für ALLE!!!
Schafft Öffentlichkeit, sammelt Spenden!
– Solidarität mit allen Verhafteten und Beschuldigten!
Kontakt zur ZeugInnengruppe:
keine-zeuginnen [at] so36.net
Zweite Mail:
Bündnis für die Einstellung des § 129a-Verfahrens c/o Haus der Demokratie und Menschenrechte e.V. Greifswalder Straße 4 D-10405 Berlin Deutschland einstellung [at] so36.net http://einstellung.so36.net Telefon 01577-4300652 An die Redaktionen Berlin, 23. Oktober 2007 *Pressekonferenz zur Urteilsverkündung des Bundesgerichtshofes* Sehr geehrte Damen und Herren, angesichts der angekündigten Entscheidung des Bundesgerichtshofes über die Haftbeschwerde von Andrej H. lädt das Bündnis zur Einstellung des 129a-Verfahrens Sie zu einer Pressekonferenz ein. am Mittwoch, 24. Oktober um 14 Uhr im Haus der Demokratie, Robert-Havemann-Saal Anwesend sein werden: Cristina Clemm, Rechtsanwältin von Andrej H. Wolfgang Kaleck, Vorsitzender des Republikanischen Anwaltsvereins und Verteidiger im Verfahren Alain Mundt, Rechtsanwalt bei den ZeugInnenvorladungen Ulrich von Klingengräff, Verteidiger im Verfahren Wir freuen uns, Sie dort begrüßen zu können. Claudia Grothe Bündnis zur Einstellung der 129a-Verfahren
Dritte Mail:
Berlin, 23. Oktober 2007 Kundgebung gegen Aussageerpressung am Mittwoch in Berlin Im §129a-Verfahren gegen vermeintliche Mitglieder der "militanten gruppe" legt die Bundesanwaltschaft (BAW) nach. Im Verfahren gegen die in U-Haft sitzenden Axel, Florian, Oliver und Andrej, der derzeit von der Haft verschont ist sowie drei weitere Beschuldigte sind mindestens 20 Personen von der BAW vorgeladen. Darunter sind FreundInnen und Bekannte, aber auch Personen, die sich einen Zusammenhang zu den Beschuldigten nicht erklären können. Allen zur BAW Vorgeladenen droht bei einer Aussageverweigerung die Verhängung von Ordnungsgeld bis zu 1.000,00 €. Bei weiterer Verweigerung der Aussage kann Beugehaft (juristisch korrekt „Erzwingungshaft“) durch den Ermittlungsrichter von bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Mit dem Druckmittel von Ordnungsgeld und Beugehaft sollen die ZeugInnen gezwungen werden gegen ihre Freunde und Bekannte auszusagen. Dabei steht den Betroffenen ein Aussageverweigerungsrecht nur zu, wenn sie entweder mit den Beschuldigen verlobt oder verwandt sind oder sonst in einem familiären Verhältnis stehen (§ 52 StPO) oder wenn sie sich durch ihre Aussagen selbst belasten (§ 55 StPO) könnten. Um die ZeugInnen zu unterstützen, laden wir zu einer Kundgebung ein: am Mittwoch, 24.10.2007 ab 15:30 Uhr am BKA Treptow (Berlin), Elsenstr./Ecke Am Treptower Park Wir freuen uns über eine Ankündigung und die Berichterstattung in Ihren Medien. Kontakt: ZeugInnengruppe / Ermittlungsausschuss Berlin Gneisenaustr. 2a 10961 Berlin keine-zeuginnen [at] so36.net Pressekontakt: 0157 / 72 13 67 63
Vierte Mail:
EA / ZeugInnengruppe
23.10.2007 15:53
Heute begannen die ersten ZeugInnenvorladungen durch die Bundesanwaltschaft (BAW) im
129a (mg) Prozess .
Um 9:00h heute morgen begannen die ersten Termine der als ZeugInnen geladenen Personen im 129a (mg) Prozess durch die BAW. Soweit uns bis jetzt bekannt ist ging die Befragung (zumindest der ersten 3 Personen) sehr schnell über die Bühne, da gleich die erste Frage mit:“ Ich mache hier keine Aussagen“ beantwortet wurde. Darauf hin verhängte die BAW ein Strafgeld in noch nicht bekannter Höhe (möglich sind bis zu 1000 Euro) und die Person konnte wieder gehen. Allerdings ist es der BAW möglich Personen mehrfach zu laden und dann auch Erzwingungshaft/Beugehaft von bis zu 6 Monaten zu verhängen.
Da wir aber davon ausgehen das auch bei weiteren als ZeugInnen vorgeladenen Personen Strafgelder und darauffolgend eventuell auch noch Erzwingungshaft/Beugehaft verhängt werden, sind wir auf eure Solidarität angewiesen.
Also kommt alle Morgen am 24.10. um 15:30h Elsenstr./Am Treptower Park (gegenüber des BKA Gebäudes in dem die ZeugInnenbefragungen stattfinden) zur Kundgebung gegen die Aussageerpressung!!!
oder spendet z.B. auf das EA-Konto:
Klaus Schmidt
Konto Nr.: 20610-106
BLZ: 10010010
Stichwort: „Keine ZeugInnen“
weiter Informationen findet ihr unter:
Fünfte Mail:
Haftbefehl gegen Berliner Soziologen aufgehoben
Die Bundesrichter haben gerade den skandalösen Haftbefehl gegen Dr. Andrej Holm aufgehoben, wollen aber nicht sagen was eine terroristische Vereinigung ist.
http://juris.bundesgerichtshof.de
Mitteilung der Pressestelle
Nr. 154/2007
Haftbefehl gegen Berliner Soziologen aufgehoben
Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten – einen promovierten Soziologen, der u. a. an der Berliner Humboldt-Universität beschäftigt ist – ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Auf seinen Antrag hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 1. August 2007 Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen. Dieser ist auf den Vorwurf gestützt, der Beschuldigte habe sich mitgliedschaftlich an der linksextremistischen gewaltbereiten Organisation „militante Gruppe (mg)“ beteiligt, der die Strafverfolgungsbehörden, insbesondere aufgrund entsprechender Selbstbezichtigungsschreiben, eine Serie von Brandanschlägen zurechnen, die seit mehreren Jahren überwiegend in dem Gebiet Berlin/Brandenburg begangen worden sind. Mit Beschluss vom 22. August 2007 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt, worauf der Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist. Gegen diesen Beschluss hat der Generalbundesanwalt Beschwerde eingelegt.
Sechste Mail:
Taz, 25.10.2007 Der Soziologe Andrej Holm, der als Andrej H. unfreiwillig berühmt wurde, verlangt seine volle Rehabilitierung. INTERVIEW: UWE RADA taz: Herr Holm, sind Sie erleichtert? Andrej Holm: Ja. Haben Sie damit gerechnet, dass der Bundesgerichtshof den Haftbefehl nicht nur ausgesetzt lässt, sondern sogar aufhebt? Die Anwälte waren optimistisch, weil sie die Aktenlage kennen. Der BGH hat nun bestätigt, dass die Vorwürfe Konstrukte sind, wilde Thesen. Für den Ermittlungsrichter am BGH, der den Haftbefehl gegen Sie am 1. August ausgestellt hat, reichten diese "Konstrukte und Thesen" allerdings aus. Deshalb war nicht unbedingt damit zu rechnen, dass der 3. Strafsenat den Haftbefehl nun komplett aufheben würde. Aber wir gingen davon aus, dass die Haftverschonung bestätigt wird. Dagegen hatte ja die Bundesanwaltschaft Beschwerde eingelegt. So, wie es nun gekommen ist, ist es eine schallende Ohrfeige für die Bundesanwaltschaft. Der BGH hat klargemacht, dass man alleine mit Spekulationen keinen dringenden Tatverdacht und damit einen Haftbefehl begründen kann. Welche Rolle spielte der öffentliche Druck? Es gab ja selten bei einem 129a-Verfahren so große internationale Proteste. Wie mir meine Anwälte versichern, ist mein Fall der erste, bei dem ein Beschuldigter, der wegen 129a in Untersuchungshaft kommt, noch vor Prozessbeginn wieder rauskommt. Zumindest für die Haftverschonung vom 21. August ist der Protest hier in Deutschland, aber auch international von großer Bedeutung gewesen. Es haben sich ja nicht nur Wissenschaftler zu Wort gemeldet. Auch bei der Generalbundesanwältin kamen tausende Briefe an. Der internationale Protest richtete sich gegen die Festnahme des Soziologen Andrej Holm. In seiner gestrigen Entscheidung bescheinigt Ihnen der BGH aber auch eine "Einbindung in die linksextremistische Szene". Die Unterstützer haben sicher meine Arbeit als Stadtsoziologe in den Vordergrund gestellt. Auf der anderen Seite war immer klar, dass es auch darum geht, dass ich als Linker in sozialen Basisbewegungen aktiv bin. Das ist Teil meiner Überzeugung, die auch meinen Kollegen aus der Wissenschaft bekannt ist. In den Stellungnahmen ist aber auch explizit darauf hingewiesen worden, dass es kein Verbrechen ist, wenn die Wissenschaft sich mit sozialen Bewegungen verbündet; wenn wir also den Elfenbeinturm der Theorien verlassen und uns in die Protestbewegungen einmischen. Die Unterstützungsbewegung war damit auch eine Unterstützung für die kritische Wissenschaft. An Ihrem Namen bleibt trotz allem der Vorwurf des Terrorismusverdachts. Was heißt das für Ihren weiteren Werdegang als Soziologen, der ja auch von öffentlichen Aufträgen abhängig ist? Wenn man meinen Namen jetzt im Internet eingibt, tauchen vor meiner fachlichen Expertise zwei Seiten Fallbeschreibung Andrej H. auf. Das ist natürlich für jeden künftigen Auftraggeber eine Hürde, die es zu überwinden gilt. Wir werden nun mit der Forderung Druck machen, das Verfahren einzustellen. Wir werden darüber hinaus dazu beitragen, den Verlauf des Verfahrens in dem notwendigen Maße, auch für die Öffentlichkeit, zu dokumentieren, um zur endgültigen Rehabilitierung zu gelangen. ------------------------------- Taz, 25.10.2007, Kommentar VON UWE RADA Am Mittwoch wurde in Berlin der Opfer der RAF gedacht. Dabei warb Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erneut für seine neuen Antiterrorgesetze. Zur gleichen Zeit kam in Karlsruhe der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zusammen. Seine Aufgabe war keine historische: Es ging um die Bewertung der aktuellen Ermittlungsmethoden im Kampf gegen den Terrorismus. Mehr zum Thema Im konkreten Fall hatte das Gericht zu entscheiden, ob der unter Terrorverdacht stehende Berliner Soziologe Andrej Holm wieder in Untersuchungshaft muss. Den Haftbefehl gegen Holm hatte es drei Wochen nach seiner Verhaftung am 1. August ausgesetzt. Daraufhin hatte Generalbundesanwältin Monika Harms Beschwerde eingelegt. Zur Überraschung vieler haben die Bundesrichter gestern nicht nur die Beschwerde abgelehnt, sie haben den Haftbefehl sogar in toto aufgehoben. Kann man den Terror, die Entführungen und Morde der RAF mit Brandanschlägen auf Bundeswehrfahrzeuge gleichsetzen? Generalbundesanwältin Monika Harms, die am Mittwoch bei der offiziellen Trauerfeier für die RAF-Opfer dabei war, hat dies getan. Ihre Behörde rückt linken Brandstiftern mit dem gleichen Paragrafen 129 a zu Leibe wie einst den Mitgliedern der RAF. Und sie scheut auch nicht davor zurück, auf abenteuerliche Konstrukte zurückzugreifen, um gegen Verdächtige das ganze Antiterrorprogramm aufzufahren, das Schäuble noch verschärfen will. Das Gericht hat dem nun einen Riegel vorgeschoben. Ein bloßer Verdacht rechtfertige zwar Ermittlungen, aber noch lange keinen Haftbefehl, so ihr Urteil. Da müsse die Bundesanwaltschaft schon mehr bringen als vage Vermutungen. Deutlicher kann eine Ohrfeige für die Ermittlungsbehörden nicht ausfallen. Bleibt die Frage, ob es sich bei den weiteren Beschuldigten, die zur gleichen Zeit wie Holm festgenommen wurden, um Mitglieder einer terroristischen Vereinigung handelt. Darüber hat das Gericht am Mittwoch nicht entschieden. Es wird das aber bald müssen. Darf man Sachbeschädigungen als "Terrorismus" werten? Die Antwort kann vor dem Hintergrund des Deutschen Herbstes nur lauten: nein. Denn solcher Übereifer untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat. ------------------------------------------------------- Stern http://www.stern.de/politik/deutschland/:Militante-Gruppe-Ab/600888.html Der Bundesgerichtshof hat den Haftbefehl gegen einen Berliner Soziologen aufgehoben, der Mitglied der "Militanten Gruppe" sein soll. Die entscheidende Frage aber hat das Gericht nicht beantwortet: Handelt es sich bei der "MG" um Terroristen? Eine Spurensuche von Susanne Balthasar. Es war wohl ein Grillanzünder, der in jener Juli-Nacht in Brandenburg zum Einsatz kam. Das ist das übliche Hilfsmittel, mit dem die Autos flambiert werden: Ein kokelnder Grillanzünder wird auf den Reifen gelegt. Am nächsten Tag steht dann in der Zeitung: Wieder Brandanschlag auf Auto - über 80 waren es allein in diesem Jahr in Berlin. Meistens werden die teureren Sorten abgefackelt, inzwischen brennen auch kleinere Autos, Firmenwagen oder Polizeiautos. In Brandenburg ging es um drei Lkw der Bundeswehr. Zu einigen Brandanschlägen hat sich die "Militante Gruppe" (MG) bekannt. Sind deren Mitglieder Terroristen? Der Generalbundesanwalt ermittelt unter dieser Annahme und beantragte im August Haftbefehl gegen Andrej H. einen promovierten Soziologen, der Mitglied der "MG" sein soll. Der Bundesgerichtshof (BGH) setzte den Haftbefehl aus, der Generalbundesanwalt legte Beschwerde ein, der BGH lehnte die Beschwerde diesen Mittwoch ab. Damit bleibt Andrej H. auf freiem Fuß. Aber die entscheidende Frage ist immer noch nicht geklärt. Das BGH wird in den kommenden Wochen in einer zweiten Entscheidung klären müssen, wie die "MG" einzustufen ist. "MG" strebt kommunistische Weltherrschaft an Nimmt man ihre eigenen Verlautbarungen ernst, ist die "Militante Gruppe" eine linksterroristische Vereinigung. Sie strebt eine kommunistische Weltordnung an und will dafür die Strukturen der Gesellschaft zerschlagen. Zu insgesamt 25 Anschlägen gegen öffentliche Gebäude oder Fahrzeuge hat sich die "MG" bekannt, Personenschaden hat es nie gegeben. Nach sechs Jahren Fahndung wurden nach der Brandenburger Feuernacht mit den drei mutmaßlichen Tätern und Andrej H. erstmals vermeintliche Mitglieder verhaftet. Außerdem werden drei weitere Berliner Wissenschaftler und Publizisten verdächtigt, der "MG" anzugehören. Andrej H. gilt als Kopf der Berliner Gruppe. Er hatte sich schon Monate vor dem Anschlag mit einem der mutmaßlichen Brandstifter von Brandenburg getroffen. Gemeinsam mit seinen akademischen Freunden geriet der Soziologe schon Mitte 2006 ins Visier der Fahnder. Der Verdacht nach Paragraf 129a: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die im Haftbefehl dargestellte Beweislage ist allerdings dünn. Einer der Wissenschaftler macht sich durch seinen Beruf verdächtig: "Als promovierter Politologe ist er zum einen intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der 'Militante(n) Gruppe' zu verfassen, zum anderen stehen ihm als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die erforderlichen Recherchen durchzuführen." Ein anderer verwendet soziologische Begriffe wie "Gentrifikation", die auch in den "MG"-Texten vorkommen. Reicht das aus? Namhafte Wissenschaftler haben gegen die anfängliche Inhaftierung von Andrej H. protestiert; die englische Zeitung "The Guardian" ätzte über das "Guantanamo in Germany". "Rechne mit einer Einstellung des Verfahrens" Würde der Terrorismusparagrafen 129a tatsächlich zur Anwendung kommen, drohen Andrej H. und seinen Freunden einige Jahre Haft. Doch davon will Matthias Weise, einer der Verdächtigen, der in Wirklichkeit anders heißt, nichts wissen. "Ich rechne mit einer Einstellung des Verfahrens", sagt er stern.de bei einem Gespräch in einem Berliner Café. Er hatte im Juli 2007 auf der Arbeit davon erfahren, dass die Bundesanwaltschaft gegen ihn ermittelt. Seine Freundin rief auf dem Handy an: "Die Polizei ist da, deine Wohnung wird durchsucht." Mehr zum Thema Arnulf Baring: Lafontaine ein "nationaler Sozialist" Bundesdatenschutzbeauftragter Peter Schaar: "Jeder hat etwas zu verbergen" Das Terrorjahr 77: Die Geschichte der RAF Auch Anwalt Sven Lindemann, der einen der mutmaßlichen Attentäter von Brandenburg vertritt, gibt sich gelassen: "Ich halte den Terrorismusverdacht für unhaltbar." Lindemann zitiert den Paragrafen 129a. Darin heißt es, die Straftat müsse bestimmt sein, "durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen eine internationale Organisation erheblich zu schädigen." Wie sollen drei angezündete Lkw einen Staat erheblich gefährden, fragt Lindemann. Wenn bei den - nun schon traditionellen - Ausschreitungen am ersten Mai in Kreuzberg die Autos brennen ist nur von Randale und Chaoten die Rede. Generalbundesanwältin Monika Harms sieht das im Fall der "MG" naturgemäß anders. Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte sie Ende August: "Der Staat soll vorgeführt werden als einer, der solchem Treiben hilflos ausgeliefert ist. Das darf man nicht verharmlosen. Es sind keine dummen Bubenstreiche, wenn Autos angezündet werden." Dass die Tat bei den Mai-Krawallen als weniger schwer wiegendes Delikt gilt, erklärt ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, spiele dabei keine Rolle. Wichtig sei, dass die Mitglieder der "MG" mehrfach ihre revolutionäre Absicht erklärt haben. Paragraf 129 weitet Befugnisse mächtig aus Die Folgen für die Beschuldigten sind enorm. Bei einem Paragraf-129a-Verfahren weiten sich die Befugnisse der Ermittler mächtig aus. Zunächst einmal verschieben sich die Zuständigkeiten von der Landes- auf die Bundesebene. "Die Ich-hab-nichts-zu-verbergen-Fraktion würde staunen, wenn die wüsste, was da möglich ist", sagt Matthias Weise. Dann zählt er auf: Sein Handy und das seiner Freundin wurden abgehört und geortet. Seine Internet-Logins wurden beim Provider überprüft, ein GPS in sein Auto montiert, eine Kamera vor der Haustür. Anhaltspunkte für einen Verdacht sind schnell gefunden: Wenn man bei einer Verabredung am Telefon nicht Grund und Ort nennt, kann das für das BKA ein Indiz für ein konspiratives Treffen sein. Weise nennt das Vorgehen der Ermittler "gruselig". Unter Strafrechtsexperten ist der Paragraf 129a umstritten. "Lex RAF" nennen ihn seine Kritiker oder auch "Ermittlungsparagraf". Sie befürchten, dass der Staat seine erweiterten Befugnisse missbraucht, um Einblick in die politische Subkultur zu bekommen. Schätzungen zufolge verlaufen über 90 Prozent der Verfahren im Sande. Nur selten kommt es zu einer Anklage, die Verurteilungen der letzten Jahre lassen sich an einer Hand abzählen. Gleichwohl kritisiert Lindemann den Paragrafen scharf: "Das ist ein politischer Kampfbegriff um Leute zu kategorisieren." Einzelhaft, Glasscheibe, Zensur Im Falle seines Mandanten heißt das: Einzelhaft, Besucher dürfen ihn nur durch eine Glasscheibe sehen, und die Post des Verteidigers wird mitgelesen. Würde das gleiche Verfahren etwa wegen Brandstiftung laufen, da ist sich Lindemann sicher, wären alle drei Männer auf freien Fuß gesetzt worden. Schließlich ist keiner von ihnen strafrechtlich aufgefallen, alle haben Arbeit und einen festen Wohnsitz. Andrej H. ist vorerst draußen. Aber das bedeutet nichts. In den kommenden Wochen wird der BGH noch mal entscheiden. Dann wird es darum gehen, ob die "MG" als terroristische Vereinigung einzustufen ist. Die Deutschen werden dann aufhorchen. Möglicherweise werden sie erfahren, dass das Gericht zu wissen glaubt, dass die RAF nicht ohne Nachahmer geblieben ist. ------------------------------------------- junge Welt, 25.10.2007 / Inland / Seite 5 »Ziel bleibt Einstellung des Verfahrens« Internationale Solidarität hat zur Aufhebung des Haftbefehls beigetragen. Ein Gespräch mit Andrej Holm Interview: Sebastian Wessels Der Berliner Soziologe Andrej H. wurde am 31. Juli 2007 wegen »Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« nach Paragraph 129a des Strafgesetzbuchs in Untersuchungshaft genommen und ist seit 22. August gegen Kaution auf freiem Fuß. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft H. vor, als Verfasser von Bekennerschreiben an einer als terroristisch eingestuften Organisation namens »militante gruppe« (mg) beteiligt zu sein Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat den Haftbefehl gegen Sie aufgehoben. Die Karlsruher Richter sehen anders als die Bundesanwaltschaft (BAW) keinen dringenden Tatverdacht. Sind Sie erleichtert? Ja, auf jeden Fall. Der Druck eines Haftbefehls ist nicht so einfach auszuhalten, zumal die BAW ja gefordert hatte, mich wieder in Untersuchungshaft zu nehmen. Überrascht hat mich die Entscheidung aber nicht sehr, denn aus den Akten läßt sich mit halbwegs gesundem Menschenverstand kein Haftbefehl konstruieren. Auf der anderen Seite sind wir ein bißchen enttäuscht darüber, daß sich der BGH noch nicht durchringen konnte, die Grundsatzentscheidung zu treffen, ob der Paragraph 129a in diesem Fall überhaupt angewendet werden kann. Diese Entscheidung steht noch an? Für die anderen drei Beschuldigten, die noch in Untersuchungshaft sitzen, haben die Anwälte Haftbeschwerden eingereicht. In den kommenden Wochen ist daher mit einer Grundsatzentscheidung des BGH zu rechnen. Die BAW hatte gegen Ihre Haftverschonung sofort Widerspruch eingelegt; begründet hat sie dies mit angeblich dringendem Tatverdacht und Fluchtgefahr. Wie erklären Sie sich, daß derart schwere Geschütze gegen Sie aufgefahren werden? Ich erkläre mir das so, daß die BAW nicht hinter das von ihr aufgestellte Konstrukt zurückweichen wollte. Der Ermittlungsrichter hat ja auf ihren Antrag hin ein Jahr lang immer wieder diese stetig zunehmenden Überwachungsmaßnahmen gegen mich und die anderen Beschuldigten beschlossen, immer auf Grundlage des angeblichen Tatverdachts. Man hätte also im Prinzip ein Jahr intensive Ermittlungs- und Ausschnüffelungsarbeit in den Wind schreiben müssen. Doch wie die Bundesrichter nun deutlich gemacht haben, waren die Maßnahmen rechtswidrig. Nur mit einem Anfangsverdacht nach 129a läßt sich dieser tiefe Eingriff in die Persönlichkeitsrechte nicht begründen, den wir erleben mußten. Ein Haftbefehl erst recht nicht. Sie haben viel öffentliche Solidarität erfahren – seitens des Bündnisses für die Einstellung der 129a-Verfahren, aber auch von Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland. Hatte das einen Einfluß auf das Vorgehen der Behörden? Die Unterstützung auch aus dem internationalen Raum hat sicher dazu beigetragen, daß der Ermittlungsrichter die Haftverschonung angeordnet hat. Soweit wir informiert sind, bin ich auch seit Jahren der erste, der aufgrund eines Vorwurfs nach 129a in Haft genommen und vor Verfahrensbeginn wieder herausgelassen wurde. Was sind die nächsten Schritte? Zunächst warten wir ab, wie der BGH auf die drei Haftbeschwerden reagieren wird. In jedem Fall wird auch weiterhin breite Unterstützung notwendig sein. Ziel bleibt die Einstellung des Verfahrens für alle sieben Betroffenen. ------------- bdt0576 3 pl 548 dpa 4519 KORR-Inland/Terrorismus/ BGH steht vor der Frage: Was ist eigentlich «Terrorismus»? Von Wolfgang Janisch, dpa = Karlsruhe (dpa) - Im Jahr 2007 dürfte «Terrorismus» zu den meistgebrauchten Wörtern gehören. Die allgegenwärtige Bedrohung durch islamistische Glaubenskrieger ebenso wie das Gedenken an die Terrortaten der Roten Armee Fraktion (RAF) haben dem Begriff Konjunktur verschafft. Da mutet die Frage fast ein wenig überraschend an, der sich der Bundesgerichtshof (BGH) demnächst wohl widmen wird: Was genau ist eigentlich Terrorismus? Auslöser ist ein Fall, der - ohne ihn zu verharmlosen - eher zur Kategorie «Terrorismus light» gezählt werden darf. Die «militante gruppe» (mg) fackelt seit rund sechs Jahren im Raum Berlin Polizeiautos ab oder wirft Molotow-Cocktails auf Behördengebäude und schickt seitenlange Bekennerschreiben hinterher, in denen wahlweise gegen den «neuen deutschen Imperialismus», die «G8-Schweine» oder die «kapitalistische Barbarei» polemisiert wird. Es bleiben beträchtliche Schäden zurück - doch Risiken für Menschen haben die nachtaktiven Militanten bisher sorgsam vermieden. Am Mittwoch kassierte der BGH den ohnehin schon außer Vollzug gesetzten Haftbefehl gegen einen Berliner Soziologen, der - so glauben die Ermittler - die Bekennerschreiben für die Truppe formuliert haben soll. Die Indizien waren zu dünn, befand der BGH. Gerichtsroutine also. Wäre da nicht die vom BGH selbst aufgeworfene Frage, «ob es sich bei der "militanten gruppe" nach den Maßstäben der einschlägigen Strafvorschrift tatsächlich um eine terroristische Vereinigung handelt». Noch lässt der BGH die Frage unbeantwortet, doch in etwa drei Wochen könnte er sich dazu äußern. Dann will er über die Haftbeschwerden von drei mutmaßlichen «mg»-Mitgliedern entscheiden, die Ende Juli beim Versuch geschnappt wurden, Bundeswehrlastwagen in Brandenburg anzuzünden. Zwar ist der Terrorismusparagraf 129 a Strafgesetzbuch seit seiner Schaffung im Jahr 1976 oft genug unterhalb der Schwelle von Mord und Bombenanschlägen zum Einsatz gekommen. Doch vor vier Jahren hat die rot-grüne Koalition erstmals eine Definition von «Terrorismus» ins Gesetz geschrieben. Ein Begriff, der schon deshalb international hoch umstritten ist, weil ein und dieselbe Person entweder Terrorist oder Freiheitskämpfer sein kann - je nach Perspektive. Nach der Definition gehören zwar nach wie vor mittlere Delikte wie Brandstiftung und die «Störung öffentlicher Betriebe» zum Katalog der Terrortaten. Voraussetzung ist aber nun, dass sie bestimmt sind, beispielsweise «die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern» oder «Grundstrukturen eines Staates ... zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen». Damit setzte Rot-Grün einen EU-Rahmenbeschluss um - durchaus in dem Bewusstsein, dass der Paragraf damit auf den «Kernbereich terroristischer Gefährdungen» begrenzt werde. Kritiker fordern, dass dies nun auch in die Tat umgesetzt werden muss. Terroristisch sei eine Tat nur dann, wenn sie staatliche Tätigkeiten so stark beeinträchtige, «dass der Staat als Ganzes leidet», schreibt der Kölner Strafrechts-Professor Thomas Weigend in einem Aufsatz. Die Taten der «mg» dürften an der Grenze liegen. Klarere Konturen für den Terrorismusparagrafen werden auch deshalb gefordert, weil er häufig nur als Vehikel zur Einleitung von Ermittlungen genutzt wird, wenn noch kein Verdacht auf konkrete Straftaten vorliegt. Gegen mehr als 1300 Personen wurde in den 90er Jahren wegen Terrorverdachts ermittelt - im selben Zeitraum gab es nicht einmal 40 Urteile aufgrund der Vorschrift. Im Mai hatte sich der BGH schon einmal mit einer Korrektur befasst. Die rot-grüne Regierung hatte die bloße Werbung für eine terroristische Vereinigung, die zu RAF-Zeiten die «Sympathisanten» ins Visier der Ermittler brachte, aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. In einer Grundsatzentscheidung stellte der BGH klar, dass fortan nur noch das konkrete Werben um Unterstützer für eine bestimmte Gruppierung strafrechtlich geahndet werden kann - weshalb der allgemeine Aufruf zum Dschihad («Heiliger Krieg») nicht mehr als Werbung für eine Terrorgruppe gilt. Der Beschluss stammt vom 3. Strafsenat - der nun auch für die «mg»-Haftbeschwerden zuständig ist. dpa wj yyswb a3 ol241643 Okt 07 brb0112 3 pl 520 lbn 4517 Terrorismus/Linksextremismus/ (Zusammenfassung 1645 - neu: Künast und Kundgebung) BGH hebt Haftbefehl gegen Berliner Soziologen auf = Karlsruhe/Berlin (dpa/bb) - Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Haftbefehl gegen den Berliner Soziologen Andrej H. aufgehoben, dem eine Mitgliedschaft in der linksextremen «militanten gruppe» (mg) vorgeworfen wird. Nach einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss besteht zwar Anlass zu Ermittlungen gegen den Wissenschaftler. Ein «dringender Tatverdacht», der für einen Haftbefehl erforderlich ist, liege aber nicht vor. Der 36-Jährige ist schon seit Ende August auf freiem Fuß. Sein Haftbefehl war gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt worden. Der BGH steht zudem möglicherweise vor einer Grundsatzentscheidung zur Einstufung extremistischer Aktivitäten als Terrorismus. Der Soziologe war mit drei anderen Verdächtigen aus Berlin verhaftet worden. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen Mitgliedschaft in der linksextremistischen «militanten gruppe» vor, die für zahlreiche Brandanschläge verantwortlich gemacht wird. Der Wissenschaftler sei nach bisherigen Erkenntnissen in die linksextremistische Berliner Szene eingebunden, unter anderem bei der Veröffentlichung der Szenezeitschrift «radikal», hieß es am Mittwoch beim BGH. Auch soll er konspirative Kontakte zu mindestens einem Mitbeschuldigten unterhalten haben. Einer der Anwälte des Soziologen, Volker Ratzmann, sagte, durch die Entscheidung habe sich bestätigt, dass die Vorwürfe gegen den Soziologen «haltlos und konstruiert» seien. Die Anwälte wollten nun die Einstellung des Verfahrens beantragen, erklärte Ratzmann, der auch Fraktionsvorsitzender der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus ist. Durch die BGH-Entscheidung sei klar, dass auch die Haftbefehle gegen die anderen Verdächtigen aufgehoben werden müssten. Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Renate Künast, sprach von einer «Ohrfeige für die Generalbundesanwaltschaft». «Es kann in einem Rechtsstaat nicht angehen, dass eine Person aus blindem Verfolgungseifer der Behörden für Wochen und Monate auf einer so kümmerlichen Beweislage in Haft genommen werden kann.» Die Linke und ein Sprecher des «Bündnisses für die Einstellung des 129a-Verfahrens» begrüßten die Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Das Bündnis hatte für Mittwochnachmittag zu einer Kundgebung vor dem Standort des Bundeskriminalamtes in Treptow aufgerufen. Nach Angaben der Polizei nahmen etwa 35 Menschen an der Aktion teil. Die drei weiteren mutmaßlichen mg-Mitglieder waren Ende Juli beim Versuch festgenommen worden, auf dem Gelände der Firma MAN in Brandenburg/Havel drei Bundeswehrlastwagen anzuzünden. Damals erwirkte die Bundesanwaltschaft erstmals Haftbefehle gegen die bisher im Verborgenen agierenden Gruppierung. Seit 2001 hat sich die mg zu mehr als zwei Dutzend militanter Aktionen vor allem im Raum Berlin bekannt. Dabei handelt es sich vorwiegend um Brandanschläge auf Behörden und Fahrzeuge, Menschen sind bisher nicht verletzt worden. Nach Erkenntnissen der Ermittler soll der 36-jährige Soziologe die Bekennerschreiben verfasst haben. In seiner Entscheidung ließ der 3. Strafsenat ausdrücklich die Frage offen, «ob es sich bei der "militanten Gruppe" nach den Maßstäben der einschlägigen Strafvorschrift tatsächlich um eine terroristische Vereinigung handelt» (Az: StB 34/07 - Beschluss vom 18. Oktober 2007). Mit diesem unter Juristen umstrittenen Thema könnte sich der BGH in etwa drei Wochen befassen. Dann will das Gericht laut einem Sprecher über die Beschwerden dreier weiterer mutmaßlichen mg-Mitglieder gegen ihre Inhaftierung entscheiden. Unter Juristen ist umstritten, ob Brandstiftungen und Sachbeschädigungen mit «politischer» Zielrichtung schon für den Vorwurf einer terroristischen Vereinigungen ausreichen. Nach einer Änderung des Terrorismusparagrafen 129 a Strafgesetzbuch müssten solche Straftaten dazu bestimmt sein, die Grundstrukturen eines Staates «zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen». (Internet: www.bundesgerichtshof.de) dpa wj/lt yybb z2 bn 241641 Okt 07 xbn039 3 pl 462 vvvva DDP0600 bln/pl/Terrorismus/Soziologe/Haftbefehl/BGH/ZF2/ (Zweite Zusammenfassung - Neu: Bundesanwaltschaft) Terrorverdächtiger Soziologe bleibt auf freiem Fuß - BGH hebt Haftbefehl auf - Verteidigung kritisiert Bundesanwaltschaft --Von Norbert Demuth und Mirko Hertrich--= Karlsruhe/Berlin (ddp-bln). Der unter Terrorismusverdacht stehende Berliner Soziologe Andrej H. bleibt auf freiem Fuß. Der Staatsschutzsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe hob den Haftbefehl gegen den Wissenschaftler komplett auf. Ein «dringender Tatverdacht» bestehe derzeit nicht, hieß es in dem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss zur Begründung. Es sei nicht sehr wahrscheinlich, dass Andrej H. sich in einer «terroristischen Vereinigung» als Mitglied beteiligt habe. Damit stellte sich der BGH gegen die Auffassung der Bundesanwaltschaft. Der Terrorismus-Vorwurf gegen den Forscher hatte bei Wissenschaftlern weltweit für Proteste gesorgt. Die Bundesanwaltschaft legt dem an der Humboldt-Universität beschäftigten Soziologen zur Last, sich in der Organisation «militante gruppe» (mg) mitgliedschaftlich beteiligt zu haben. Die «mg» wird von der Bundesanwaltschaft als linksterroristische Gruppierung eingestuft. Ihr wird eine Serie von Brandanschlägen der vergangenen Jahre überwiegend in Berlin und Brandenburg zugerechnet. Der Beschuldigte war bereits vor zwei Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen worden, nachdem der Ermittlungsrichter des BGH den Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt hatte. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Bundesanwaltschaft wies nun der 3. Strafsenat des BGH zurück. Zugleich kippten die Bundesrichter den Haftbefehl gänzlich. Laut BGH belegen die bisherigen Ermittlungen «zwar die Einbindung des Beschuldigten in die linksextremistische Berliner Szene». Die für einen Haftbefehl notwendige «große Wahrscheinlichkeit», dass er sich an einer terroristischen Vereinigung mitgliedschaftlich beteiligt hat, könne aber «zurzeit nicht bejaht werden». Die Ermittlungen belegen dem BGH zufolge zwar die «konspirativ angelegten Kontakte» des Soziologen zu zumindest einem Mitbeschuldigten. Dieser soll als «mg»-Mitglied am 31. Juli an einem versuchten Brandanschlag auf drei Lkw der Bundeswehr beteiligt gewesen sein. All dies begründe zwar «den Anfangsverdacht», dass Andrej H. selbst dieser Gruppierung angehöre. Ein Haftbefehl dürfe aber nur dann erlassen werden, wenn ein Beschuldigter einer Straftat dringend verdächtig sei. Dies sei derzeit nicht der Fall. Der 3. Strafsenat ließ zudem offen, ob es sich bei der «militanten gruppe» tatsächlich um eine terroristische Vereinigung handelt. Damit habe man sich bei dieser Entscheidung nicht befassen müssen, hieß es. Der Verteidiger von Andrej H., der Berliner Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann, forderte, das Verfahren gegen seinen Mandanten sowie die weiteren Verdächtigen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung einzustellen. Auch müssten die Haftbefehle gegen die anderen Beschuldigten aufgehoben werden, «da sie auf demselben Konstrukt beruhen wie der von Andrej H.». Die Bundesanwaltschaft wird ihr Ermittlungsverfahren gegen den Wissenschaftler allerdings auch nach dem BGH-Beschluss weiterführen. Es gebe derzeit «keine Veranlassung», davon abzurücken, sagte eine Sprecherin der Behörde. Andrej H. war am 1. August mit drei weiteren Personen festgenommen worden, die den Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge geplant haben sollen. Der gegen den promovierten Soziologen erlassene Haftbefehl wurde am 22. August gegen eine Kautionszahlung und verschiedene Auflagen außer Vollzug gesetzt. Die drei anderen Beschuldigten befinden sich weiter in Berlin in Untersuchungshaft. (AZ: StB 34/07 - Beschluss vom 18. Oktober 2007) (BGH in Mitteilung, Ratzmann und Bundesanwaltschaft auf Anfrage) ddp/mio/pon 241635 Okt 07 inf 3 pl 95 Nachrichtenmeldung Inforadio 16.40 BGH hebt Haftbefehl gegen Soziologen auf/ emu Der Bundesgerichtshof hat den Haftbefehl gegen einen Berliner Soziologen aufgehoben, dem die Mitgliedschaft in der linksextremen "militanten gruppe" vorgeworfen wird. Es bestehe zwar Anlass zu Ermittlungen, aber kein dringender Tatverdacht, hieß es zur Begründung. Nach der Aufhebung des Haftbefehls übte der Anwalt des Angeklagten, der Berliner Grünen-Fraktionschef Ratzmann, scharfe Kritik an der Bundesanwaltschaft. Das Urteil des BGH zeige, dass das harte Vorgehen der Bundesanwaltschaft allenfalls auf einem Anfangsverdacht beruht habe. Der Terrorismus-Vorwurf gegen den Soziologen der Humboldt-Uni hatte auch bei Wissenschaftlern für Proteste gesorgt. 241622 Oct 07