vonHelmut Höge 13.05.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Schier permanent (Trotzki) muß man sich gegen die gestalterische Strenge von Kommunismus/Kapital/Faschismus bzw. von Planern/Politikern/Machern überhaupt wehren. Über die Bürgerinitiative  Keine Erdgasverdichteranlage in Groß Köris und im Naturpark Dahme-Heideseen war hier bereits am 28.11.2007 die Rede.

Dort gibt es mittlerweile schon vier BIs, die sich gegen die Verlegung der Northstream-Gaspipeline von Gazprom mitten durch ihre Vorgärten wehren. Inzwischen hat sich eine griechische BI bei ihnen gemeldet, die allerdings gegen den geplanten Verlauf der Southstream-Pipeline von Gazprom kämpft. Und kürzlich meldete sich auch noch eine BI aus Mecklenburg-Vorpommern, die ebenfalls gegen die Ostsee-Pipeline zu Felde zieht – und dazu folgende Pressemitteilung verschickte:

Pressemitteilung 26

 

Biologen und Umweltschützer machen Front

gegen Erdgasfernleitung OPAL und

Kompressorenstation Lubmin

Pressemitteilung 26

 

Im Kampf um die Bewahrung der Natur am Greifswalder Bodden hat sich eine neue Front gebildet. Biologen und Naturschützer setzen nicht nur ihren Protest gegen das geplante Kohlekraftwerk bei Lubmin unvermindert fort. Sie warnen jetzt auch vor den Plänen des Energiekonzerns Wingas, welcher in scharfer Konkurrenz zu Concord Power zusätzlich zu dessen bereits bis zum Berliner Raum genehmigten NORDAL-Pipeline eine zweite Erdgasfernleitung mit paralleler Streckenführung von Lubmin über das brandenburgische Groß Köris, dann

aber bis zum sächsischen Olbernhau bauen will. Mit dieser Ostsee-Pipeline-Anbindungs-Leitung (OPAL) sollen pro Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas transportiert werden. So notwendig das vielleicht auch erscheinen mag, so negativ muss sich das auf Natur und Umwelt auswirken. Auf der gesamten Pipeline-Länge von 480 Kilometern werden im Bereich des Arbeitsstreifens (36 m im freien Gelände, 30 m im Wald) Bäume und Gehölze entfernt. Auch nach der Erdverlegung der Rohre wird sich ein zehn Meter breites, vegetationsfreies Narbenband durch pommersche, brandenburgische und sächsische Landschaften und Naturschutzgebiete ziehen. In Mecklenburg-Vorpommern allein soll die OPAL 52 Fließgewässer kreuzen, sieben Kilometer Vogelschutzgebiete, vier Kilometer Landschaftsschutzgebiete und dreizehn Kilometer Trinkwasserschutzzonen durchlaufen. Viele der zu erwartenden Beeinträchtigungen sind nicht kompensierbar: unwiederbringliche Verluste, die vor allem künftigen Generationen aufgebürdet werden.

Zur OPAL gehört vorläufig eine Anlande- und Kompressorenstation am Boddenstrand, die nach Fertigstellung in den Besitz der NordStream/Gazprom von Putin-Schröder übergehen soll. Das russische Erdgasbollwerk an deutscher Küste ist übrigens noch längst nicht in Sack und Tüten. Wie das Bergamt Stralsund mitteilt, erarbeitet die Firma gegenwärtig noch immer die nationalen und internationalen Antragsunterlagen. Erst wenn diese vorliegen, können die zuständigen Behörden BSH Hamburg und Bergamt Stralsund die notwendigen Verwaltungsverfahren eröffnen. Die Kompressorenstation ist dazu bestimmt, das bei Lubmin anlandende Erdgas aus der russischen Ostsee-Pipeline aufzunehmen und dessen Leitungsdruck zu erhöhen, bevor es auf die Weiterreise zur deutsch-tschechischen Grenze geschickt wird. Die Anlage soll auf Teilen eines europäischen Vogelschutzgebietes errichtet werden, welche das Umweltministerium M-V erst im Januar 2008 als „Natura 2000“-Gebiet nach Brüssel gemeldet hat. Das etwa 12 Hektar große Waldgebiet, in dem Seeadler horsten und andere vom Aussterben bedrohte Vogelarten brüten, will man Anfang 2009 roden. Die aus etwa zehn Gebäuden bestehende Anlandestation muss man sich als großes Gaskraftwerk mit petrolchemischem Outfit vorstellen. Ihre Gasturbinenverdichter sollen pro Stunde mehr als 3.000 Tonnen Erdgas komprimieren. Der mechanische Wirkungsgrad liegt bei 30-38%. Die restliche Energie fällt ungenutzt als Abwärme in Form heißer Rauchgase an, die über vier 31 m hohe Schlote in die Atmosphäre geblasen werden. Ein Kesselhaus für die Brenngasaufbereitung benötigt vier weitere Schornsteine. Insgesamt fallen CO2-Emissionen von mehr als 500.000 Tonnen pro Jahr an. Der Betriebslärm wird jahraus, jahrein dem Schallpegel startender Düsenflugzeuge entsprechen. Zu allem Überfluss wird in Lubmin eine gleichartige zweite Anlage für die NEL-Fernleitung benötigt, welche das Erdgas nach Bremen führen soll.

Die für Lubmin vorgezeichnete, lawinenartige Ansiedlung von energieintensiven Großindustrien aller Couleur, welche vom russischen Erdgas aus erster Hand profitieren wollen und nur auf die Anlandung der Ostsee-Pipeline warten, wird besonders den Tourismus auf den Ferieninseln Usedom und Rügen aufs höchste bedrohen. Der „Dammbruch für weitere industrielle Großanlagen“, den Wolfgang Georgsdorf von der Bürgerinitiative Groß Köris im Zusammenhang mit einer auch dort geplanten OPAL-Kompressorenstation befürchtet, ist an der Ostsee schon fast zur Gewissheit geworden. Ein Wingas-Mitarbeiter hat es auf den Punkt gebracht: „Wo schon was ist, kommt noch mehr davon hin.“ Gigantische unterirdische Kavernenspeicher für das Erdgas will die EWE Oldenburg in einem Salzstock bei Moeckow anlegen. Das Salz aus den Hohlräumen – 30-70 Millionen Kubikmeter – soll in den Greifswalder Bodden gespült werden. Biologen der verschiedensten Fachrichtungen sind sich mit dem Umweltministerium M-V darin einig, dass dies unvorhersehbare Gefahren für die meisten Tiere und Pflanzen der Boddengewässer mit sich bringen würde. Die Greifswalder Zoologin Christiane Fenske betonte schon vor einem Jahr: „Allergrößte Vorsicht ist geboten.“

Die Pläne für wenigstens zwei, womöglich drei große Gaskraftwerke (mit etwa 70 Meter hohen Schornsteinen) stehen schon lange auf dem Programm der von EWN-Geschäftsführer Dieter Rittscher angestrebten Lubminer Industrieansiedlungen. Seit 1999 hat Rica Münchberger vom NABU mit wissenschaftlich fundierten Gegengutachten eindringlich davor gewarnt. Trotzdem erhielt eines davon noch vom damaligen Umweltminister Wolfgang Methling eine Teilgenehmigung. Gaskraftwerke sind zwar effizienter als Kohlekraftwerke. Sie haben auch einen wesentlich geringeren Schadstoffausstoß. Doch ist unter obwaltenden Umständen in beiden Fällen an Kraft-Wärme-Kopplung nicht zu denken. Vor allem aber werden diese wie jene die gleichen Umweltschäden im Bodden erzeugen – falls man sich nicht dazu entscheiden sollte, von der Durchflusskühlung abzukommen und statt dessen Kühltürme zu bauen. Beide Kraftwerkstypen sind nämlich darauf ausgelegt, ihre Kühlwasser-Abwärme in den Greifswalder Bodden zu entsorgen: das Kohlekraftwerk 325.000 Tonnen Heißwasser pro Stunde mit einer Aufwärmspanne von 8,0° C, die Gaskraftwerke 300.000 Tonnen pro Stunde mit einem Temperaturhub von 6,5° C. Abwärmelasten definieren sich als thermische Abfälle. So warnt der Stralsunder Jochen Lamp vom Ostseebüro des WWF: „Der Greifswalder Bodden wird zur Industriekloake.“ Schon 2007 hat er darauf verwiesen, dass die lebensfeindlichen Gebiete in der Ostsee immer größer werden und die Todeszonen bereits einen Umfang von der Größe Bayerns haben. „Und man kann davon ausgehen, dass es in den nächsten Jahren noch schlimmer wird“, sagte WWF-Mitarbeiterin Christiane Feucht. Die besorgniserregenden neuen Ergebnisse der vom Institut für Ostseeforschung Warnemünde vorgelegten Kühlwasserstudie, welche Umweltminister Backhaus kürzlich der Öffentlichkeit vorstellte, bestärken den Greifswalder Biologen Günther Vater in seiner Auffassung, die Ansiedlung von Großindustrie am Greifswalder Bodden berge außergewöhnliche Risiken für die marinen Lebensgemeinschaften. Er bekräftigt erneut: „Ökonomie ist gut, aber sie muss ökologisch vertretbar sein. Alle diesbezüglichen politischen Entscheidungen stehen vor dieser Schicksalsfrage.“ Der gleichen Auffassung ist der Schweriner Arndt Müller vom BUND: „Bei den enormen Eingriffen in die Natur und wegen des Monopoli-Spiels auf dem Energiemarkt werden Menschen und Natur sonst die Dummen sein.“ Auch die Meeresbiologin Iris Menn von Greenpeace hält das Erdgas-Pipeline-Projekt „aus ökologischer Sicht für äußerst bedenklich“. In den kommenden Monaten wird das Bergamt Stralsund als Planfeststellungsbehörde die Weichen stellen.

Dr. Günther Vater

Mail: agvater@web.de

Tel. 036742-60784

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/05/13/der-gestalterischen-strenge-kontern-1/

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kommentare

  • Wo sind denn in der “Kühlwasserstudie” des Instituts für Ostseeforschung besorginserregende Ergebnisse zu finden? Die Studie gibt im Gegenteil sogar “Entwarnung”!
    Mehr Infos hier: http://www.umweltruf.de/news/111/news0.php3?nummer=13541

    Zitat aus der Ostsee-Zeitung vom
    “Die Umweltauswirkungen des umstrittenen Steinkohlekraftwerks in Lubmin auf den Greifswalder Bodden sind offenbar geringer als befürchtet. Die durch die Einleitung des Kühlwassers verursachte Temperaturerhöhung werde keinen Einfluss auf die Artenvielfalt in dem Gewässer haben, sagte der Direktor des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), Bodo von Bodungen, gestern.
    Das Institut erstellt im Auftrag der Genehmigungsbehörde ein Gutachten zu den Auswirkungen des Kohlekraftwerks auf den Bodden.”

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