vonHelmut Höge 13.08.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Statt ein Interview mit Mikel Lezamiz, Mondragon Corporacion Cooperativa (MCC), Direktor für Diffusion, am 16.Juni 2008, zu führen, bekamen wir einen Power-Point-Vortrag von ihm zu hören. Anschließend Betriebsbesichtigung: die Kühlschrank-, Geschirrspüler-, Waschmaschinen- und Herde-Fertigung von Fagor, danach Phototermin im Schauraum der Fagor-Verwaltung auf der anderen Seite des Flüsschens Oria.

Die Kleinstadt Mondragon in der Provinz Guipuzcoa (San Sebastian), heißt eigentlich Arrasate, aber 1260 wurde dem Ort von König Alfons X. von Kastilien der Name Mondragón verliehen. Die vier baskischen Provinzen Vizcaya (mit Bilbao als Zentrum), Guipuzcoa (San Sebastian), Navarra (Pamplona) und Alava (Vitoria) wurden Jahrhunderte lang von der spanischen Krone regiert, „aber erst im 19.Jhd. vollständig in die Staatsstruktur integriert“, wie Chris Harman in seinem Buch über die 68er-„Revolten“ u.a. in Spanien schreibt, wo „die Streiks in der ersten Hälfte der 1970er Jahre zunehmend politischer wurden, vor allem im Baskenland“. Im 20. Jahrhundert war dort die Bevölkerungszahl infolge der Industrialisierung stark angestiegen.

Mit der Integration des Baskenlandes in den spanischen Staat wächst der Widerstand. 1897 wird in den Kuranlagen von Santa Águeda de Gesalibar in Mondragón der spanische Regierungschef Antonio Cánovas del Castillo durch den italienischen Anarchisten Michele Angiolillo ermordet.

Im Baskenland wird von etwa 20% der Bevölkerung noch immer Euskara gesprochen, in der Provinz Guipozcoa sind es sogar knapp 50%. Die baskische Sprache hat seltsamerweise nur Ähnlichkeit mit der georgischen. Vor dem Faschismus hatte die größte politische Partei, die Baskische Nationalistische Partei (BNV), ihren Konservativismus mit der Forderung nach Unabhängigkeit verknüpft. Im Bürgerkrieg stand Franco für die Zentralisierung, den baskisch-nationalistischen Politikern blieb deswegen kaum etwas anderes übrig, als sich auf die Seite der Republik zu stellen. Franco bat die Deutschen, strategische Ziele im Baskenland zu bombardieren, die Wahl fiel auf Guernica.

Ein Jochen Arp schreibt – in der rechten „Jungen Freiheit“: „Guernica, heilige Stadt des baskischen Volkes, birgt die drei Symbole des baskischen Freiheitskampfes: Der Stumpf der alten heiligen Eiche (1860 durch Blitzschlag gefällt), das baskische Parlamentsgebäude Casa de Juntas und die dort befindliche neue Eiche. An der Heiligen Eiche tagte seit altersher der baskische Rat. Hier schworen die spanischen Könige, die baskischen Sonderrechte zu achten. 1936 wurde in Guernica die Autonomie erklärt. Die Stadt – Gernika-Lumo auf baskisch – wurde zu einem der tragischen Brennpunkte des spanischen Bürgerkrieges, der am 18. Juli 1936 im nordafrikanischen Melilla begann und mit der Kapitulation Madrids am 28. März 1939 endete.

General Franco, seit dem 29. September 1936 Staatschef der nationalspanischen Gegenregierung, hatte General Sperrle, den Kommandeur der deutschen ‚Legion Condor‘ gebeten, strategische Punkte Kataloniens und des Baskenlandes zu bombardieren. Die Legion Condor war aufgrund eines inoffiziellen Abkommens zwischen Hitler und Franco in Spanien mit etwa 5.000 Mann im Einsatz.

Am 26. April 1937 griffen auf dringendes Verlangen der sechs Kilometer vor Guernica kämpfenden nationalspanischen Fronttruppen 2 He 111, 1 Do 17 E und 18 zum Bombenabwurf umgerüstete Transportflugzeuge Ju 52 der deutschen Legion Condor sowie drei Savoia Marchette 79 der italienischen Interventionstruppen die Brücke von Guernica und die darüber führenden Straßen mit Spreng- und Brandbomben an. Im Tagebuch Chefs des Generalstabes der Legion Condor, General Wolfram Freiherr von Richthofen, ab 1938 Oberbefehlshaber, heißt es über das Ziel des Angriffs: ‚Straßen und Brücken einschließlich Vorstadt hart ostwärts Guernica. Dort muß zugemacht werden, soll endlich ein Erfolg gegen Personal und Material des Gegners herausspringen. Vigón (nationalspanischer Oberst) sagt zu, seine Truppen so vorzudrücken, daß alle Straßen südlich Guernicas gesperrt sind. Gelingt das, haben wir den Gegner um Marquina im Sack‘.“

Die faschistischen Armeen nahmen nach dem Sieg grausame Rache, indem sie tausende konservativ gesinnte baskische Nationalisten, aber auch Sozialisten, Anarchisten und Kommunisten ermordeten und etwa 130.000 Basken von einer Gesamtbevölkerung von nur 1,5 Millionen ins Exil trieben. Die Zurückgebliebenen wurden schwer bestraft, wenn sie sich öffentlich zu ihrer traditionellen Kultur bekannten. Selbst ein paar baskische Worte auf der Straße konnten in den 1940er Jahren zu Haftstrafen führen, die baskische Fahne war verboten.

Um Bilbao und San Sebastian lagen zwei der wichtigsten Industriegebiete Spaniens, Schwerindustriezentren wie das Ruhrgebiet in Deutschland. Die Arbeiter dort nahmen an den ersten Streiks gegen das faschistische Regime 1947, 1951 und 1962/63 teil. In den 1960er und 1970er Jahren fand in den baskischen Provinzen ein Drittel aller Streiks statt, obwohl hier nur ein Zehntel aller Beschäftigten arbeiteten. Der Trotzkist Chris Harmann schreibt: „Da ein und dieselbe bewaffnete Polizei Streikende wie auch diejenigen, die baskische Parolen erhoben, angriff, begannen sich die militanteren Arbeiter stark mit den nationalistischen Forderungen zu identifizieren – selbst Arbeiter, die aus anderen Teilen Spaniens ins Baskenland gezogen waren.“

In einem WDR-Film über „Die Jobmaschine Mondragon“ führte die Autorin Wiltrud Kremer noch 2005 den Erfolg der mit 102.000 Mitarbeitern größten Produktivgenossenschaft der Welt „Mondragon Corporacion Cooperativa“ auf den engen baskischen Zusammenhalt zurück. Ähnlich äußerte sich 2007 auch Raul Zelik in einem WDR-Radiofeature „Das baskische Labyrinth“: „Die Bevölkerung wurde spät christianisiert und war gegenüber der kastilischen Krone nicht tributpflichtig. Der Feudalismus konnte sich hier – ähnlich wie in der Schweiz – nie richtig etablieren. Das Baskenland ist aber nicht nur historisch ein Sonderfall: Nirgendwo sonst in Europa sind soziale Bewegungen so stark und vielfältig wie hier. Vor allem die Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung sind in unzähligen Projekten organisiert: in Gewerkschaftsgruppen, selbstverwalteten Jugendzentren, Nachbarschaftsverbänden, Umweltorganisationen. Und auch der baskische Bauernverband unterscheidet sich von seinen europäischen Pendants: Er gehört zum globalisierungskritischen Netzwerk Vía Campesina.

Fast alle dieser baskischen Organisationen werden von der spanischen Justiz wegen mutmaßlicher Verbindungen zur ETA mit Argusaugen beobachtet. Der Ermittlungsrichter Baltasar Garzón, der international berühmt wurde, weil er lateinamerikanische Generäle wegen Menschenrechtsverletzungen in Spanien vor Gericht stellen wollte, verbot im Baskenland Hunderte von Organisationen sowie zwei Tageszeitungen. 2002 ging er auch gegen die Baskischsprachschulen vor. Obwohl das Baskische heute als Amtssprache anerkannt ist und die Autonomieregierung viel Geld für die Förderung des Euskera ausgibt, ist Sprache im Baskenland immer noch ein Politikum.“

Die baskische Nationalpartei wollte während der Franco-Zeit die nationalistische Propaganda beibehalten, jedoch gewaltsame Konflikte vermeiden. Es kam ihr darauf an, ihre Anhängerschaft zusammenzuhalten – bis der Caudillo starb. Das Parolenrufen auf Baskisch, die Teilnahme an baskischen Festen und an illegalen Feiern zum baskischen Nationaltag wurden zum Anziehungspunkt für die aufgestaute Wut gegen das Franco-Regime – und provozierten die spanische Polizei sowie die Guardia Civil zu gewaltsamer Unterdrückung, die wiederum die Wut anheizte. Anfang der Sechzigerjahre begannen junge Nationalisten in Frankreich mit dem Aufbau einer Organisation für den bewaffneten Kampf: die ETA – Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit).

1968 ermordete die ETA ihren ersten Gegner: den Chefinspektor der politischen Polizei (Brigada de Investigación Social) Don Melitón Manzanas im Grenzstädtchen Irun. „Am Abend nach der Hinrichtung des Polizeichefs von Irun war nach übereinstimmenden Berichten der Champagner in der Stadt und der Umgebung ausverkauft,“ schrieb die „konkret“ am 10.3.1969. Während in Madrid ein Prozeß gegen fünf Angehörige der baskischen Separatistengruppe ETA vorbereitet wurde, traten fünf „rote Priester“ des Baskenlandes in einen Hungerstreik am Bischofssitz von Bilbao. Der Aufforderung des Bischofs Cirarda, das Gebäude zu verlassen, kamen sie nicht nach, berichtete die Süddeutsche Zeitung am 2.6.1969. Viermal wurde daraufhin der Ausnahmezustand über baskische Provinzen verhängt, einmal über ganz Spanien. Er setzte u.a. die Artikel 15 (Unverletzlichkeit der Wohnung), 14 (Freizügigkeit) und 18 (Verbot grundloser Inhaftierung) außer Kraft. Die ETA hatte ihre Ausbildungslager in Frankreich, wo etwa 200.000 Basken leben. Wegen der Ermordung des Geheimpolizeichefs wurden 16 ETA-Angehörige 1970 vor dem Kriegsgericht in Burgos angeklagt, das 6 davon zum Tode verurteilte. Die Linke reagierte darauf weltweit mit Protesten. Als die ETA dann einen deutschen Konsul in Burgos entführte, forderte die BILD am 17.12. 1970 Franco auf: „Begnadigen Sie die Basken!“

Seit 1968 wurden tausende von verdächtigen Basken interniert und gefoltert – bis heute. Das führte im Baskenland selbst jedoch bloß dazu, dass die Zahl der ETA-Sympathisanten stieg – vor allem in den Provinzen Guipozcoa und Vizcaya. Besonders begeisterte die Basken 1973 das ETA-Attentat auf den Klerikalfaschisten und nicht amtlichen spanischen Ministerpräsidenten Carrero Blanco: Eine Bombe schleuderte ihn und sein Auto über eine Kirche, die er gerade aufsuchen wollte.

1975 traten 100.000 Arbeiter im Baskenland in den Streik – aus Solidarität mit einigen verhafteten ETA-Aktivisten. 2000 erschoß die ETA den konservativen spanischen Kommunalpolitiker José Luis Ruiz Casado in Sant Adria del Besos. Das Attentat war eine Reaktion auf die Festnahme von 17 mutmaßlichen ETA-Aktivisten. Die französische Polizei hatte unter anderen die angebliche „Nummer eins“ der ETA, Ignacio Gracia Arregui, in Haft genommen und Bombenwerkstätten sowie Sprengstoffdepots ausgehoben.

Auf einer Webpage von ETA-Sympathisanten aus Südtirol heißt es 2002: „Gerechter Friede ist im Baskenland bis heute noch nicht eingekehrt, mit Fortsetzung der Fremdbestimmung gehen gewaltsamer Widerstand und dessen Folgen Hand in Hand: Tod, Verfolgung und Gefangenschaft. In den von Spanien besetzten Baskenprovinzen wurden rund 500 ETA-Aktivisten gefangengenommen, die bis heute ihre Strafen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen (Folter, Isolationshaft) in den berüchtigtsten Gefängnissen auf den Inseln verbüßen, dazu kommen die über 50 ETA-Gefangenen in französischen Straflagern.“

2007 erklärte die ETA ihre im Jahr zuvor verkündete Waffenruhe für beendet. In einem Schreiben, das über die baskische Internetzeitung Berria verbreitet wurde, gibt sie die Schuld am Scheitern der Friedenbemühungen der Regierung von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero. Die ETA begründete ihre Rückkehr zur Strategie des Terrors damit, dass die „Mindestvoraussetzungen für einen Verhandlungsprozess nicht gegeben“ seien. „Mit Scheinlösungen erreicht man nichts“, heisst es in dem Kommuniqué. Die Regierung habe mit „Festnahmen, Folter und Verfolgung“ auf die Waffenruhe reagiert. Am 7. März 2008, zwei Tage von den spanischen Parlamentswahlen, erschoss ein ETA-Kommando den ehemaligen Stadtrat von Mondragon Isaías Carrasco.

Ab den Siebzigerjahren näherten sich die Arbeiterbewegung und die baskische Autonomie-Bewegung immer mehr an. (1) Gleichzeitig spaltete sich die ETA jedoch mehrmals: die marxistisch-leninistisch orientierten Aktivisten setzten auf die Arbeiterbewegung, die Traditionalisten auf den militärischen Kampf.

In der Stadt Vitoria der Provinz Alava gab es keine militante Tradition, hier wurde im Bürgerkrieg auch nicht gegen den Faschismus gekämpft und niemand nahm an den großen Protestaktionen für die baskischen Gefangenen teil. Aber 1976 brach ein Generalstreik in Vitoria aus – zur Unterstützung mehrerer Fabrikbelegschaften, die streikten. Die Polizei erschoß daraufhin fünf demonstrierende Arbeiter. Das wiederum löste Solidaritätsaktionen mit Vitoria im ganzen Baskenland aus und es kam zum größten Generalstreik seit dem Bürgerkrieg. In Bilbao wurde ein weiterer Arbeiter getötet. Woraufhin dort eine halbe Million Streikende den ganzen Industriekomplex einnahm und kontrollierte – Stahlwerke, Chemiewerke und eine große Schiffswerft.

„Im Sommer 1977 konnte die spanische herrschende Klasse [dennoch] erleichtert aufatmen. Sie hatte den Übergang vom Faschismus zu einem demokratischen Regime geschafft,“ schreibt Chris Harman. Die revolutionären nationalistischen Parteien (Euskadi Eskarra und ESB/ANV) erhielten bei den Wahlen 1977 rund 9,5% der baskischen Stimmen; 1978 erhielt der politische Arm der ETA, Herri Batasuna (Vereintes Volk) 16%. „In dieser ganzen Zeit gab es heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei, die ohne zu zögern in die Menge schoß. Es war durchaus üblich, dass tausende auf die Straßen von San Sebastian oder Bilbao gingen und riefen: „ETA, bring noch mehr Polizisten um!“

In den Achtzigerjahren kam es – vor allem in und um Bilbao – zu Betriebsschließungen und Massenentlassungen – und „die einst militantesten Arbeiter Spaniens verloren ihre Zuversicht. Die passive Unterstützung eines nationalistischen bewaffneten Kampfes, in dem andere alle Risiken auf sich nahmen, trat sehr bald an die Stelle von Selbstvertrauen,“ so noch einmal Chris Harmann.

Anstelle der Schwerindustrie bekam Bilbao 1997 ein riesiges Peggy-Guggenheim-Museum. An der Konstruktion des im „dekonstruktivistischen Baustil“ errichteten Riesengebäudes war die Mondragon-Genossenschaft beteiligt, worauf man bei der MCC noch immer stolz ist.

Im Städtchen Mondragon gibt es nicht nur diese Genossenschaft, sondern seit 1989 auch eine Mediengenossenschaft namens Goienkaria. Sie gibt wöchentlich zwei Zeitungen heraus, eine davon kostenlos, sowie eine tägliche Internet-Fassung und betreibt außerdem einen Radio- und einen Fernsehsender – alles auf baskisch. Die „Goiena-Koop“ ist im Besitz der unter Franco noch illegal gewesenen „Assoziation zur Förderung der baskischen Sprache“ (AED) sowie einiger baskischer Kommunalverwaltungen und ihrer 60 Mitarbeiter, die sich auf vier Redaktionen verteilen. Diese befinden sich entlang des Oria-Tals, in dem noch 70% der Bevölkerung Baskisch sprechen. Auch die meist lokalen Anzeigen sind auf baskisch – und sogar die Interviews mit Prominenten, die die baskische Sprache für einen Unsinn halten. Die Redakteure und Techniker von Goienkaria sind vielseitig: Sie arbeiten für alle ihre Medien gleichzeitig, außerdem veranstalten sie noch Konzerte mit aus der Region stammenden Musikgruppen, deren beste Stücke sie auf CDs brennen – und verkaufen.

In Mondragon wurde im Frühjahr 2008 wie oben erwähnt ein Lokalpolitiker von der ETA erschossen. Auf der anderen Seite warf die spanische Regierung gerade die Bürgermeisterin von Mondragon wegen ihrer ETA-Sympathien ins Gefängnis. In der Altstadt von Mondragon hängen ETA-Fahnen und an der Kirche erinnern Plakate an inhaftierte ETA-Kämpfer. Speziell an den seit über 20 Jahren einsitzenden Kanto gemahnt ein Transparent an der MCC-Fabrik „Fagor Arrasate“, wo Kanto zuletzt arbeitete. (2) Die Fabrik ist eine von 124 Genossenschaften, die zur Meta-Genossenschaft „Mondragon Corporacion Cooperativa“ gehören, in der weltweit 102.000 Menschen arbeiten. In Mondragon selbst sind 70% der Bevölkerung bei MCC beschäftigt. Auch einige Mitarbeiter der Mediengenossenschaft Goienkaria arbeiteten zuvor in einer der MCC-Fabriken, aber es gefiel ihnen dort nicht.

Die Genossenschaft Mondragon wurde 1956 vom baskischen Priester José Maria Arizmendiaretta gegründet. Sein Verbot, Mitarbeiter zu entlassen, wird seit 50 Jahren eingehalten, allerdings werden im Notfall Arbeitskräftekontingente von einem MCC-Betrieb auf andere verteilt. 120 Betriebe sind reine Genossenschaften – unter dem Dach der MCC. Die Genossen in der Geschäftsführung dürfen höchstens das Achtfache des geringsten Arbeiterlohns verdienen (bei der Deutschen Bank ist es derzeit das Vierhundertfache).

Im Gegensatz zur taz und zur JW gibt es weder bei der MCC noch bei der Mediengenossenschaft Goienkaria Gewerkschaften und Betriebsräte. Man hält beides dort für überflüssig, weil jeder Beschäftigte in den autonomen Genossenschaften Arbeiter und Unternehmer gleichzeitig ist – also etwas Drittes zwischen Gewerkschaftsmitglied und Kapiteleigner. Stattdessen sind die meisten Genossenschaften Mitglied in nationalen Genossenschaftsverbänden und diese gliedern sich nach unten in regionale Verbände und nach oben in europäische – wo sie „Cooperatives Europe“ und „Cecop“ heißen.

Die MCC-Bank in Mondragon unterstützt Arbeiter bei der Gründung eigener Genossenschaften, indem sie sich für eine begrenzte Zeit (maximal 15 Jahre) mit Kapital und Beratern beteiligt. Ähnliches gilt auch für von ihr projektierte Eigentumswohnungen bzw. -häuser, wobei hier die Bedürftigkeit Bedingung ist, d.h. unter den Immobilieninteressenten werden diejenigen von MCC bevorzugt, die am wenigsten verdienen. Nach einer solchen quasi auf den Kopf gestellten Kapitallogik klingen auch einige andere MCC-Prinzipien: „Die Genossenschaft ist eine Bildungs-Bewegung, die die ökonomische Entwicklung benutzt.“ „Die Arbeit hat die Macht, das Kapital ist nur Werkzeug!“ Auf einem neuen Logo steht: „Mondragon – Humanity at Work“.

Die MCC verbreitet diese und andere Prinzipien einer alternativen Wirtschaftsweise über Bücher, Videos, DVDs und eine rege Vortragstätigkeit, außerdem kommen fast täglich interessierte Besuchergruppen nach Mondragon, wo man ihnen Filme zeigt, sie durch Fabriken führt, Produktausstellungen zeigt und Broschüren mit aufd den Weg gibt.

Anmerkungen:

(1) Raul Zelig fragte 2007 in Pamplona, wo im VW-Werk 4000 Arbeiter vorwiegend VW-Polos herstellen, den Betriebsrat Benito Uterga, inwiefern sich seine baskische Gewerkschaft LAB von den großen spanischen Verbänden unterscheidet: „Da ist zum einen natürlich die Haltung zum baskischen Konflikt. Zum anderen verteidigen die spanischen Gewerkschaften UGT und die Comisiones Obreras den Sozialpakt mit Unternehmen und Regierung – beziehungsweise: Sie unterwerfen sich den Unternehmensinteressen. Wir halten genau das Gegenteil für richtig: Wir glauben, dass es im Sinne der Arbeiter ist, gegen die Strategien der Unternehmen Widerstand zu leisten.“ Zelig berichtet weiter: Uterga diskutiert mit seinen Arbeitskollegen über die Situation in Lateinamerika. Über die Politik des bolivianischen Präsidenten Evo Morales, Bodenschätze zu verstaatlichen und mit den Einnahmen Sozialprogramme zu finanzieren. Schnell wird deutlich, dass diese Gewerkschafter wenig mit dem zu tun haben, was man in Deutschland unter einem Nationalisten versteht. Für Uterga und seine Kollegen ist die Unabhängigkeit in erster Linie ein Mittel, um eine andere Sozialpolitik durchzusetzen. Sie sind davon überzeugt, dass man den transnationalen Konzernen, nicht zuletzt ihrem Arbeitgeber Volkswagen, enge Grenzen setzen muss.“

(2) Auf der Webpage „espanien.de“ berichtete Dirk Baranek am 8.5.2008 aus Mondragon: „In der baskischen Stadt Mondragón eskaliert im Moment die politische Situation. Heute waren alle Geschäfte in der Innenstadt geschlossen und es fand eine Demonstration mit 1.000 Teilnehmern statt. Gefordert wurde die Freilassung der bisher amtierenden Bürgermeisterin, die vor einer Woche auf Antrag des Generalstaatsanwalts Garzón verhaftet worden war. Vorwurf: Nichtbefolgung von Justizauflagen, Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Amtsmissbrauch. Was war geschehen? Wie berichtet, wurde in der 23.000 Einwohner zählenden Kleinstadt kurz vor dem März-Wahlen ein sozialistischer Lokalpolitiker von der ETA kaltblütig auf offener Straße erschossen. Mondragón wird aber seit den baskischen Regionalwahlen von einer links-nationalistischen Bürgermeisterin regiert. Die Mehrheiten im Gemeinderaten sind nicht so eindeutig, aber trotzdem gelang es den PSOE-Lokalpolitikern nicht, eine den Terrorismus verurteilende Resolution durch das Gremium verabschieden zu lassen. Die ansonsten irgendwie schon halb verbotene ANV war sowieso dagegen, abr auch ein linker und ein konservatier Gemeinderat enthielten sich der Stimme. Das Entsetzen darüber war in Spanien groß, sodass sich die Zentralbehörden zur Aktion gezwungen sahen, was dann den Generalstaatsanwalt auf den Plan rief, mit den genannten Konsequenzen. Nach der Verhaftung hat die ANV inzwischen zum Generalstreik aufgerufen, dem aber laut El País nur die Geschäfte in der Innenstadt folgten. Die gewerblichen Unternehmen waren nicht betroffen. Angesichts des von den Links-Nationalisten geschürten Klimas öffentlicher Gewalt ist es allerdings kein Wunder, dass die Läden lieber dicht machen, als bei der nächsten Straßenschlacht ins Visier der Straßenkämpfer zu geraten. Für die von allen Seiten durch die Justiz in Bedrängnis gebrachten Separatisten ist der Ort inzwischen zu einem Symbol ihres unerbittlich und verbissen geführten Kampfes geworden. Bereits am Sonntag hatte es eine Demo mit 5.000 Teilnehmern gegeben, bei der namhafte Verteter der diversen Organisationen gesichtet wurden. Ohne Sitze im Madrider Parlament und im baskischen Regionalparlament nur über befreundete (Tarn-)Organisationen vertreten, stellen die Gemeinderäte so etwas wie die letzten Bastionen dar, in denen der konfrontative Kurs praktiziert werden kann und als Bühne für den ganz großen Kampf dienen. Dem wollen die Madrider Parteien nicht länger zuschauen, können auch gar nicht anders, angesichts der blutigen Spur, die der baskische Terrorismus im ganzen Land hinterlässt.“

(3) Literatur: Chris Harmann: „1968 – Eine Welt in Aufruhr“, edition aurora, Frankfurt/Main 2008

Josef Lang: „Das baskische Labyrinth“, Neuer Isp-Verlag, Köln/Karlsruhe 1988

Inaki Iriondo/Ramon Sola: „Das Baskenland – Wege zu einem gerechten Frieden: Ein Gespräch mit Arnaldo Otegi,“ Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2008 (von diesem Verlag wird auch eine kleine „baskische Bibliothek“ herausgegeben).
Der Interviewte, Arnaldo Otegi, ist Sprecher der seit 2003 im spanischen Staat verbotenen baskischen Partei Batasuna (Einheit), er skizziert eine Bewegung, die schon in der Diktatur Francos für ein unabhängiges und sozialistisches Baskenland gekämpft hat. Die historischen, politischen und identitären Wurzeln des Konflikts sind hierbei ebenso Thema wie der Versuch, Perspektiven für eine Konfliktlösung zu entwickeln. Seit 1997 in der kollektiven Führung von Herri Batasuna (Volksunion), später in der Koalition Euskal Herritarrok (Baskischen Bürger) und danach in der neuen Partei Batasuna, war Otegi Mitinitiator zweier Friedensprozesse (1998/99 und 2006/07), in denen alle politische Akteure im Baskenland gefordert waren, eine gemeinsame Lösung auszuhandeln. Gescheitert sind beide Prozesse letztendlich an der unnachgiebigen Haltung des spanischen Staates. Neben Otegi ist die gesamte Batasuna-Führung von politischer Verfolgung betroffen. Otegi wurde im Juni 2007 nach dem gescheiterten zweiten Friedensprozess und dem Ende der Waffenruhe durch die ETA verhaftet. Vom Verhandlungstisch in den Knast folgten im Dezember 2007 und im Februar 2008 weitere Parteiführer nach. Trotz der massiven Repression betont die Partei den ungebrochenen Willen der baskischen Linken, eine demokratische Lösung für diesen politischen Konflikt zu suchen.
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Es gibt wohl über keine einzelne Genossenschaft mehr Literatur als über Mondragon. In der „Monatszeitung für Selbstorganisation – Contraste“ veröffentlichten Jörg Flecker, Luise Gubitzer und Franz Tödtling 2008 nach einer Exkursion ins Baskenland einen längeren Bericht über „Mondragon – als Beispiel für betriebliche Selbstverwaltung und eigenständige Regionalentwicklung“:

Im Zuge der wirtschaftlichen Krise und der zunehmenden Arbeitslosigkeit gewinnen betriebliche Selbstverwaltunginitiativen wieder an Bedeutung (vergl. Bundesministerium für Soziale Verwaltung 1983). Neben dem Ziel der innerbetrieblichen Demokratisierung werden dabei vor allem die Ziele der Arbeitsplatzbeschaffung und -sicherung durch die Neugründung von Betrieben oder die Verhinderung von Betriebsstillegungen verfolgt. Auch in der Regionalpolitik fanden in den letzten Jahren lokale und regionale Beschäftigungsinitiativen im Rahmen der Konzeption der „eigenständigen Regionalentwicklung“ zunehmende Beachtung (vergl. Bundeskanzleramt 1981, Ganser et al. 1981, Stöhr 1981 und 1983).

Der vorliegende Beitrag behandelt die Genossenschaften von Mondragon im spanischen Baskenland als Beispiel betrieblicher Selbstverwaltung und eigenständiger Regionalentwicklung. Den empirischen Hintergrund für diesen Beitrag stellt eine Exkursion ins Baskenland und nach Mondragon dar, die vom Interdisziplinären Institut für Raumordnung der Wirtschaftsuniversität Wien im Herbst 1983 durchgeführt wurde. Die Genossenschaften von Mondragon sind aus mehreren Gründen von Interesse: Sie gehören zu den wenigen Selbstverwaltungsinitiativen, die innerhalb des marktwirtschaftlichen Systems als industrielle Produktionsgemeinschaft nicht nur überlebt, sondern auch eine kontinuierliche Expansion erfahren haben: Zu diesen Genossenschaften, die 1954 gegründet wurden, gehören heute 160 Betriebe und über 18.000 Beschäftigte. Im Zusammenhang mit der in den meisten Industrieländern stark zunehmenden Arbeitslosigkeit ist vor allem die Frage von Interesse, von welchen Faktoren diese starke Expansion der Arbeitsplätze bewirkt wurde und wie die Genossenschaften von Mondragon die allgemeine Krisensituation der letzten Jahre bewältigt haben. Weiter interessiert die Frage, in welchem Maße die Genossenschaften von Mondragon tatsächlich Selbstverwaltungsprinzipien verwirklicht haben oder ob damit eine geringere Entfremdung und höhere Arbeitszufriedenheit verbunden ist als in privaten kapitalistischen Unternehmungen.

Mondragon und das Baskenland sind jedoch auch als Beispiel regionaler Entwicklung interessant, da für die Entstehung und Expansion der Genossenschaften nicht nur innerbetriebliche sondern auch regionale Faktoren eine Rolle gespielt haben. Hier sind etwa die baskische Industrietradition und der lange Kampf des Baskenlandes um politische und wirtschaftliche Eigenständigkeit zu nennen. Zu diesen regionalen Faktoren gehören aber auch einige Organisationsprinzipien der Genossenschaften wie etwa die überbetriebliche Zusammenarbeit und die regionale Vernetzung der Betriebe oder das Ausbildungssystem. Einzelne dieser Fragen sollen im folgenden diskutiert werden, wobei zuerst die Struktur und Entwicklung der Genossenschaften von Mondragon (1) kurz dargestellt werden. Dann werden die Fragen untersucht, in welcher Weise in Mondragon Selbstverwaltungsprinzipien angewendet werden (2) und wie die Genossenschaften von Mondragon die wirtschaftliche Krise der letzten Jahre bewältigt haben (3). Zuletzt soll auf die oben genannten regionalen Aspekte der Genossenschaften von Mondragon eingegangen werden (4).

MONDRAGON – Die Entwicklung der Genossenschaftsgruppe und ihre gegenwärtige Struktur

Die Entstehung der Genossenschaftsgruppe von Mondragon ist in hohem Maße mit der politischen und wirtschaftlichen Geschichte des Baskenlandes verknüpft. Wesentliche Charakteristika dieser baskischen Entwicklung sind:
# eine lange Industriegeschichte (basierend auf Eisenerzvorkommen um Bilbao): Das Baskenland hatte dadurch früher als andere spanische Regionen eine ausgebildete Arbeiterschaft mit politischem Bewußtsein, sowie eine starke ökonomische Position im Vergleich zu anderen spanischen Regionen;
# ein starkes politisches und wirtschaftliches Unabhängigkeitsstreben (Nationalismus) und damit im Zusammenhang eine lange Geschichte von Auseinandersetzungen mit dem Zentralstaat, sowie
# eine lange Tradition von Nachbarschafts- und Gemeinschaftsstrukturen territorialer Selbstverwaltung auf Dorf-, Gemeinde- und Provinzebene und des Genossenschaftsgedankens.

Die Entstehung der Genossenschaftsgruppe reicht zurück in die Zeit nach dem Bürgerkrieg, in dem die meisten Basken auf der Seite der demokratischen Regierung und damit auf der Seite der Verlierer standen. In der Folge verliert das Baskenland – wie schon unter der Militärdiktatur Primo de Riveras jegliche Autonomie, alles Baskische wird brutal unterdrückt. Als Reaktion darauf verstärkt sich der baskische Nationalismus, der in den 50er Jahren mit der ETA zum bewaffneten Widerstand übergeht. Mondragon selbst, eine Kleinstadt im bergigen Inneren des Baskenlandes, war in der Zeit nach dem Bürgerkrieg von einem einzigen Industrieunternehmen, der Union Cerrajera, beherrscht, das für die Jugendlichen der Stadt zu wenig Ausbildungsplätze zur Verfügung stellte. Jose Maria Arizmendi Arrieta, seit kurzer Zeit Priester in der Gemeinde, gelang es mit Unterstützung der Bevölkerung im Jahre 1943 eine technische Berufsschule zu gründen. Die ersten Absolventen dieser Schule bilden sich zu Ingenieuren weiter und gründeten 1954 die erste Produktionsgenossenschaft ULGOR. Sie brachten das notwendige Kapital durch Zuwendungen von Bekannten und Verwandten, baskischen Trinkklubs und der Gemeinde auf und stellten unter Umgehung ausländischer Lizenzrechte Paraffin-Herde und später Öfen her.

Die Gründung dieser ersten selbstverwalteten Betriebe erfolgte vor dem Hintergrund der grundsätzlich positiven Einstellung des baskischen Arbeiterbewegung gegenüber Genossenschaften. In den Krisenzeiten der 20er Jahre wurden im Baskenland zahlreiche Versuche zur Gründung von Produktivgenossenschaften unternommen. Ein erfolgreiches Beispiel aus der Provinz Guipuzcoa, in der auch Mondragon liegt, ist die Firma „Alfa“ in Eibar, die 1920 im Anschluß an einen Streik von den Arbeitenden übernommen wurde. Aus der Produktion von Waffen, damals die traditionellen Produkte der Region, wurde später die Produktion von Nähmaschinen. Die Gründer sowie die Arbeiter dieser Genossenschaften waren in überwiegender Zahl Mitglieder der sozialistischen Gewerkschaft UGT. Erst im Bürgerkrieg der 1930er Jahre ging das Experiment „Alfa“ unter (Larranaga, 1981, S. 43ff). Der unterdrückte, aber nicht gebrochene baskische Nationalismus erleichterte das Anknüpfen an traditionelle kollektive Arbeitsformen, die in „Hauzo-Lan“, der gemeinsamen Bau- und Reparaturarbeit durch die gesamte Nachbarschaft, und „Lorra“, der gemeinsamen Erntearbeit, ihre historischen Wurzeln hat (CLP, o.J. (a), S.1).

Von bescheidenen Anfängen ausgehend – UGOR hatte 1956 nur 24 Beschäftigte – verzeichnete die Gruppe bis heute ein starkes Wachstum. Noch in den 50-er Jahren wurde FAGOR, eine Fabrik für Gasherde, eine Gießerei, die Maschinenfabrik ARRASATE und weitere Genossenschaften gegründet. Aber mit den Betrieben wuchsen auch die Probleme: Die Genossenschaftler waren als „Selbständige“ von der öffentlichen Sozialversicherung ausgeschlossen und die Finanzierung der Genossenschaften wurde zu einem bestandsgefährdenden Problem. Die zukunftsweisende Lösung wurde in der Gründung eines eigenen Finanzinstitutes, der ,,Caja Laboral Popular“ (CLP), gesehen, das außerdem die Versicherung der Genossenschaftler und die Beratung der Betriebe übernahm. Mit der CLP wurde 1960 ein regelrechter Kristallisationspunkt für die Gruppe geschaffen, denn die einzelnen Genossenschaften – sowie alle später gegründeten oder hinzugetretenen schlossen mit ihr einen Vertrag, der ihnen einerseits die Dienste der Bank erschloß, sie andererseits verpflichtete, sich an ihr zu beteiligen, ihr Berichte über den eigenen Geschäftsverlauf zukommen zu lassen und vor allem folgende genossenschaftsinterne Organisationsprinzipien zu akzeptieren: Wie schon bei ULGOR lauteten diese: Arbeitsplatzbeschaffung, Kapital im Eigentum der Arbeitenden, begrenzte Lohnunterschiede, gleichmäßige Gewinnverteilung und demokratische Organisation (CLP, o.J. (a), s. 3 ff).

Vor dem Hintergrund starken Wirtschaftswachstums aufgrund großer Nachfrage am spanischen Markt und hoher Schutzzölle erlebte die Gruppe in den 60er Jahren eine starke Expansion. So kamen um 1964 pro Jahr durchschnittlich 3 neue Genossenschaften dazu, was die Mitgliederzahl gemeinsam mit dem Ausbau der bestehenden Betriebe bis 1970 auf 8.570 anwachsen ließ. Auch qualitativ ist ein Aufschwung zu verzeichnen:

ARRASTE wird zur führenden Maschinenfabrik des Landes und die Produkte der meisten Genossenschaften werden technologisch anspruchsvoller. In zunehmenden Maße werden elektronische Bauteile, hochwertige Maschinenteile, Thermostate, Ventile usw. hergestellt. Ebenfalls in die 60er Jahre fällt eine Veränderung in der Struktur des Gruppe: Im Raum Mondragon schließen sich die Genossenschaften zu einer Art Dachgesellschaft (ULARCO) zusammen, deren Aufbau und Funktion später noch genauer zu schildern sein wird. Die 70er Jahre werden von Thomas/Logan (1982) als Phase der Konsolidierung bezeichnet, in der zwar anfangs das Wachstum fortgesetzt werden konnte, später aber auf die Krise, von der die Gruppe erst um 1980 betroffen war, reagiert werden mußte. Heute stellt die Genossenschaftsgruppe mit über 160 Betrieben und etwa 18.800 Mitgliedern einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor des Baskenlandes dar. Die Struktur der Gruppe Ende 1982 bestand die „Mondragongruppe“ aus 160 Genossenschaften, die sich folgendermaßen auf einzelne Wirtschaftssektoren verteilen: 88 Industrie (davon 7 Gießereien und Schmieden, 25 Produktionsgüterbetriebe, 31 Maschinenteil- und Halbfertigproduktionen, 20 Produktion dauerhafter Konsumgüter, 5 Baubetriebe), 7 Landwirtschaft, 1 Konsumgenossenschaft, 44 Erziehung, 14 Wohnbau, 6 Dienstleistungen.

Als Ursache für das Überwiegen der Industrieproduktion werden einerseits die Wirtschaftsstruktur des Baskenlandes und andererseits die bewußte Ausrichtung auf produktive, mehrwertschaffende Aktivitäten genannt (CLP, o.J. (a), S. 10). Der Umsatz der Industrie-, Landwirtschafts- und Konsumgenossenschaften erreichte 1982 zusammen rund 1,7 Mrd. DM der Exportanteil betrug 32 %. Alle angeführten Genossenschaften sind Mitglieder der 4 deshalb sogenannten Genossenschaften 2. Grades: der Bank, Caja Laboral Popular, der Sozialversicherung Lagun-Aro, der Schule Eskola Politeknikoa und das Forschungszentrum IKERLAN; sie stellten mit ihren Repräsentanten die Mehrheit in deren Hauptversammlungen.

Caja Laboral Popular (CLP): Die CLP besteht aus einer Abteilung, die für sämtliche Bankgeschäfte zuständig ist, und einer „Unternehmensabteilung“, die die Förderung, Beratung und Prüfung der Genossenschaften zur Aufgabe hat. Die „Division Bancaria“ bildet mit 135 Filialen und über 522.000 Kundenkonten (wobei allein im Jahre 1982 35.270 dazugekommen sind) sowie einer Einlagensumme von 79,3 Mrd. pts (rund 1,4 Mrd. DM) die viertgrößte Sparkassenbank des Baskenlandes (Geschäftsbericht der CLP 1982). Damit erfüllt die CLP das Ziel, die – verglichen mit anderen Regionen Spaniens – sehr starke Spartätigkeit des Baskenlandes (Sparquote von 21,1%) den Genossenschaften in Form von Krediten zugute kommen zu lassen.

Die ,,Division Empresarial“ bietet den Genossenschaften technische und betriebswirtschaftliche Beratung und stellt so die Verbindung zwischen der CLP und den Genossenschaftsbetrieben her. Damit werden, zwei Ziele gleichzeitig verfolgt: Einerseits werden die Sicherheiten der Kredite der CLP verbessert und andererseits die Konsolidierung und Entwicklung der Gruppe gefördert. Die allgemeinen Ziele dieser Abteilung werden von der CLP wie folgt beschrieben: Promotion: Gründung und Aufbau neuer genossenschaftlicher Betriebe, die zur Entwicklung strukturschwacher Gebiete und bisher schwach entwickelter Sektoren im Baskenland beitragen. Beratung: Unterstützung der Entwicklung der Genossenschaften durch eine kontinuierliche und enge Zusammenarbeit in technischen, wirtschaftlichen, sozialen Angelegenheiten sowie in Geschäftsführungsfragen. Information: Versehen der Leiter der Genossenschaften bzw. der Genossenschaftsgruppen mit genauer Information über die eigene Genossenschaft bzw. Gruppe sowie über den Wirtschaftssektor, in dem sie tätig ist, um eine homogenere Geschäftsführung zu erreichen. (CLP, o.J.(a), s. 3). In 7 Bereichen der Abteilung (nämlich Studien, Förderung der Landwirtschaft, Förderung der Industrie, Intervention, Beratung, Berichtswesen und Information, Städte- und Wohnbau) sind 110 Personen mit zumeist hoher Qualifikation beschäftigt. Neben vielfältigen Studien- und Förderungsaktivitäten werden Beratungen auf den Gebieten Marketing, Export, Finanzen, Recht, Technik usw. durchgeführt und die monatlichen Berichte aus den Genossenschaften geprüft. Bei Genossenschaften, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, greift das „area de intervencion“ (Interventionsabteilung) direkt in die Geschäftsführung ein und übernimmt dadurch das Krisenmanagement. Im Studienbereich werden nicht nur gruppeninterne Fragen behandelt, sondern regelmäßig umfangreiche makroökonomische Untersuchungen über das Baskenland durchgeführt und veröffentlicht.

Lagun Aro: Die Versicherungsanstalt „Lagun-Aro“ wurde 1973 aus der CLP ausgegliedert und ebenso als Genossenschaft 2. Grades organisiert, d.h. ihre Mitglieder sind die Genossenschaften der Gruppe. Samt den Familienangehörigen der Genossenschafter/innen hatte „Lagun-Aro“ Ende 1982 rund 47.700 Versicherte. Intern ist „Lagun-Aro“ in einen Sozialversicherungsbereich und einen betriebsmedizinischen Bereich untergliedert. Die soziale Vorsorge umfaßt die Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung. Die Beiträge der Genossenschafter/innen setzen sich aus einer fixen Quote von 197,- DM (1983) pro Monat und einer variablen, d.h. einkommensabhängigen Quote zusammen (1), die getrennt zur Dotierung unterschiedlicher Leistungen herangezogen werden. „Lagun-Aro“ verfügt über eigene Verträge mit Ärzten, der Selbstbehalt, den die Genossenschafter/innen bei diesen selbst zahlen müssen, beträgt 20%. Im Krankheitsfall werden 80% des Gehaltes weiter bezahlt, nur bei Erkrankungen aus Berufsgründen und bei einer Krankheitsdauer von über 2 Monaten werden 100% des Gehaltes ausbezahlt. Der betriebsmedizinische Dienst umfaßt Untersuchungen und Behandlungen, klinische Laborberichte und psychische Behandlungen sowie der Erhöhung der Sicherheit am Arbeitsplatz.

Ikerlan: Das Technologieforschungszentrum „Ikerlan“ wurde 1977 mit dem Ziel gegründet, die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Genossenschaften zusammenzufassen und voranzutreiben, um zum Zweck höherer Wettbewerbsfähigkeit technologische Autonomie zu erreichen. Dafür werden auf den Gebieten Elektronik, Mechanik, Informationstechnologie und Produktionssysteme Neuentwicklungen erarbeitet, ihre Anwendung in der Produktion gefördert und die Ergebnisse auch zu ihrer besten Verwertung an Dritte verkauft (CLP, o.J. (a), 5.27).

Eskola Politeknikoa

Die technische Berufsschule „Jose Maria Arizmendi Arriata Eskola Politeknikoa“ in Mondragon ist die älteste Einrichtung der Gruppe und heute ebenfalls als Genossenschaft 2. Grades organisiert. Ihre Hauptversammlung setzt sich zu 1/3 aus Lehrern, zu 1/3 aus Schülern und Eltern und zu 1/3 aus Vertretern der Genossenschaften und der Gemeinde zusammen. Die „Eskola“ bietet ihren 1.200 Schülerinnen (13%) und Schülern Berufsschulabschlüsse 1. und 2. Grades, Matura besonders für Ingenieurstudien und eine Ingenieurausbildung auf Universitätsniveau. Ab der Berufsschule 2. Grades besteht die Möglichkeit in die 1966 gegründete Schülergenossenschaft „Alecoop“ einzutreten, in der zur Zeit 450 Schüler und Studenten Halbtags beschäftigt sind. 80% der Absolventen der „Eskola“ treten in die Genossenschaften ein, wo besonders für qualifizierte Arbeitskräfte bisher immer ein Bedarf bestand. Für die schon im Arbeitsprozeß stehenden Genossenschafter/innen werden im Rahmen der permanenten Erwachsenenbildung Kurse abgehalten, deren Dauer zwischen einigen Monaten und 5 Jahren variiert und die an den Erfordernissen der Genossenschaften ausgerichtet sind. Die Finanzierung der „Eskola Politeknikoa“ erfolgt zu 45% durch die baskische Regierung, 35% müssen die Schüler selbst aufbringen und 20% der Mittel kommen von den Genossenschaften und der Gemeinde. Genossenschaftsgruppen: Die Genossenschaften sind nicht nur über die Genossenschaften 2. Grades – besonders die CLP – miteinander verbunden. Es wurde und werden in zunehmendem Maße direkte Zusammenschlüsse zu ,,Dachgesellschaften“ vorgenommen, um gemeinsame Einrichtungen für diverse Dienste zu schaffen, Skalenerträge zu nützen und die Vereinheitlichung interner Normen zu erreichen (CLP, 1979, S.7).

Die Bildung von Genossenschaftsgruppen erfolgte entweder durch regionale („grupos sociales“) oder branchenweise („grupos industriales“) Zusammenfassung einzelner Genossenschaften. Die 12 „grupos sociales“ haben vor allem die Aufgabe, die Nettoüberschüsse der einzelnen Betriebe gleichmäßig auf alle Genossenschafter/innen der Gruppe zu verteilen. Dafür wird von jedem Betrieb der Nettoüberschuß abzüglich der Dotierung der Sozial- und Reservefonds (insgesamt mindestens 30%) beispielsweise an ULARCO, die „grupo social“ in Mondragon selbst, abgeführt. Danach wird der „aggregierte“ Gewinn von ULARCO gleichmäßig auf alle 6.500 Genossenschafter/innen verteilt, d.h. auch auf jene, deren Betrieb in der jeweiligen Periode einen Verlust erlitten hat. Im Fall von Arbeitsplatzverlusten in einem Betrieb muß in einem anderen Betrieb der „grupo social“ die entsprechende Anzahl von Arbeitsplätzen für die Betroffenen gefunden werden, da Kündigungen nicht möglich sind. Weitere Prinzipien der „grupos sociales“ sind die Bevorzugung der anderen Gruppenmitglieder bei Einkäufen, falls gleiche Qualität und gleicher Preis gesichert sind, die Vermeidung offener oder versteckter Konkurrenz untereinander und die Einrichtung von sozialen Diensten (CLP, o.J. (b), S.9). Die „grupos industriales“ fassen Genossenschaften mit gleichen oder ähnlichen Produkten zusammen, um Vorteile im Einkauf, in der Produktion, im Vertrieb und in der Technologie daraus zu ziehen. Konkret geht es dabei um die Vervollständigung der Vertriebsnetze und der Exportbemühungen, die Technologieplanung auf der Basis gemeinsamer Investitionspläne, wobei sowohl von Ikerlan als auch von „Technologietansfers“ zwischen den Genossenschaften` profitiert wird (CLP, o.J. (b), S19; CLP, o.J. (b), S.L~f). Während die regionalen Vernetzungen, also die ,,grupos sociales“, weitgehend etabliert sind (ULARCO wurde bereits 1964 gegründet) ist die branchenweise Integration zu „grupos industriales“ noch im Aufbau begriffen.

Interne Organisation der Genossenschaften:

Im Assoziationsvertrag zwischen einem Betrieb und der CLP wird nicht nur die Teilnahme an der Gruppe vereinbart, sondern auch konkrete Bestimmungen bezüglich der internen Organisation festgelegt. Dadurch hat jede Genossenschaft der Gruppe ungefähr jene Struktur, die die Begründer der ersten Genossenschaften für ihre Betriebe entworfen haben, um demokratische Prinzipien zu verwirklichen. Mit einer Kapitaleinlage von etwa 11.340.- DM, die beim Eintritt zu mindestens 1/4 zu erlegen ist, ist jedes Mitglied an seinem Betrieb beteiligt. Es ist ausgeschlossen, Kapital zur Verfügung zu stellen und daraus Einkommen zu erzielen, ohne im Betrieb zu arbeiten. Genauso verhindern die Statuten reine Lohnarbeit, d.h. niemand ist – mit wenigen zeitlich beschränkten Ausnahmen in den Genossenschaften beschäftigt, ohne Miteigentümer zu sein. Die Kapitaleinlage wird einem individuellen Kapitalkonto gutgeschrieben und kann – durch Verzinsung und Gewinnzuschreibung vermehrt und durch Verlustzuschreibung verringert – erst mit dem Ausscheiden aus dem Betrieb wieder behoben werden. Selbst dann wird noch etwa 1/6 der Einlage als sogenannte verlorene Einzahlung einbehalten.

Das monatliche Einkommen der Genossenschafter/innen stellt formal betrachtet eine Gewinnvorauszahlung dar und bemißt sich nach einem für jeden Arbeitsplatz Index. Die Unterschiede in der Bezahlung sind auf ein Verhältnis von maximal 1:3 (in Sonderfällen) kurzfristig bis 4.5)begrenzt. Dabei entspricht dem Index 1 ein Betrag von rund 790,- DM und dem Index 3 entsprechend 2.370,- DM. Die unteren Einkommenskategorien (Index 1 bis 1,6) sind an den Lohnhöhen in der übrigen baskischen Wirtschaft orientiert, während die Einkommen im Bereich der Indizes 1,6 bis 2 um 10% und im Bereich 2 bis 3 um 40% unter den Gehältern für vergleichbare Arbeitsplätze in kapitalistischen Unternehmungen liegen. Entscheidungsstruktur Alle Mitglieder einer Genossenschaft haben Sitz und Stimme in der Hauptversammlung, die mindestens einmal jährlich zusammen tritt. Ihr obliegt die Wahl des Vorstandes, des Kontrollrates, die Entscheidung über Kapitalzufuhr, Veränderung interner Regeln, die Abnahme der Bilanz u.ä. Der Aufsichtsrat, dessen Mitglieder für jeweils 4 Jahre gewählt werden und der alle 2 Jahre zur Hälfte ausgewechselt oder wiedergewählt wird, bestimmt das Management (meist einen Direktor) für mindestens 4 Jahre. Der Direktor bzw. das Management sind mit der Führung des Betriebes betraut. Von den Genossenschafter/innen werden abteilungsweise Vertreter für den Sozialrat gewählt, der gegenüber dem Direktor bzw. dem Management die Interessen der „Basis“ wahrzunehmen hat. Ein Managementrat der einzelnen Abteilungen ist als beratendes Organ neben Vorstand und Direktor (Management) eingerichtet.

Formale und reale Selbstverwaltung der Genossenschaften von Mondragon Konzeptueller Einstieg Im Rahmen der Selbstverwaltungsdiskussion sind u.a. zwei Themenbereiche von Interesse: Selbstverwaltung als innere Organisationsform eines Betriebes und die ökonomischen Ergebnisse eines selbstverwalteten Wirtschaftssystems (z.B. Jugoslawien) oder von Selbstverwaltungsbetrieben innerhalb einer gemischten Wirtschaft (Vaneck, 1975, s. 12ff). In dem vorliegenden Artikel wird der zweite Themenbereich nur im Zusammenhang mit der Krisenbewältigung der Mondragongruppe analysiert. Selbstverwaltung als innere Organisation wurde historisch immer von denen festgelegt, die in dieser Art zusammenarbeiten wollten. Es gelten bei der Selbstverwaltung eines Betriebes also immer Prinzipien, die sich die einzelne Gruppen nach ihren Zielsetzungen, Erfahrungen, Rahmenbedingungen wie z.B. Region, Ideologie selbst gaben und die sich daher auch mehr oder weniger voneinander unterscheiden. Dabei gibt es 2 grundlegende Normen die die Basis aller Selbstverwaltungsversuche darstellen: Die Veränderung der Eigentumsverhältnisse in Richtung Kollektivierung sowie Demokratie im Arbeitsleben und Selbstbestimmung der Arbeitenden. Aus diesen Normen, die an die Stelle der Maximierung und privaten Aneignung des Gewinns treten, lassen sich verschiedene Kataloge von Prinzipien ableiten, die ihre Erreichung bzw. ihre Einhaltung sicherstellen sollen.

Erst 1971 kam es erstmals zu einer genaueren theoretischen Ausformulierung solcher Ziele durch Vaneck. Dabei definiert nicht eine Gruppe von Menschen, die einen selbstverwalteten Betrieb gründen will, programmatisch die Prinzipien, sondern ein Theoretiker postuliert, welche „Merkmale“ vorliegen müssen, damit es sich um einen selbstverwalteten Betrieb handelt. Um die Prinzipien der Mondragongruppe einordnen zu können, sind in der Darstellung einige Beispiele zusammengestellt. (2) Wie aus der Darstellung ersichtlich, sind das Solidaritätsprinzip, das Identitätsprinzip und das Demokratieprinzip grundlegend für jede Genossenschaft, wobei allerdings unterschiedliche Ausformungen dieser Prinzipien möglich sind. Große Unterschiede gibt es vor allem beim Identitätsprinzip, welches auf die Besitzverhältnisse abstellt.

Während bei den Pionieren von Rochdale eine vollkommene Neutralisierung des Kapitals (3) vorliegt, können bei Vaneck auch Nicht-Genossenschaftsmitglieder Anteile besitzen, jedoch haben diese keinerlei Aufsichtsrecht, solange die Arbeitsgemeinschaft ihren Verpflichtungen und dem Schuldendienst nachkommt“ (Vaneck, 1975, S.20). Das Solidaritätsprinzip bezieht sich auf die Verteilung der Überschüsse, die sich in regelungen bzgl. Einkommensverteilung, Ausschüttungsmöglichkeiten bzw. -quoten, Anlegen von Fonds und Verzinsung von Anteilen niedergeschlagen. Das Demokratieprinzip regelt die Mitbestimmungsmöglichkeiten der einzelnen Genossenschaftler, wobei diese nach Vaneck ,,ausnahmslos von der aktiven Mitarbeit im Unternehmen“ abhängig sein soll (Vaneck. 1975. 5. 18f).

Formale Selbstverwaltung in den Genossenschaften von Mondragon

Die Gründungsgeneration der Genossenschaften von Mondragon hat Grundsätze entwickelt, die sich zu drei Prinzipien zusammenfassen lassen:

Das Identitätsprinzip

Das Identitätsprinzip legt fest, daß alle Arbeitenden auch Genossenschaftsmitglieder sein müssen und daß alle am Kapital der Genossenschaften Beteiligten in den Genossenschaften arbeiten müssen. Jedes Genossenschaftsmitglied bringt bei seinem Eintritt eine Einlage in die Genossenschaft ein, die mit einem festen Zinssatz von 6% (Thomas & Logan, 1982, S. 155) verzinst wird und der individuelle Gewinnanteile zugeschrieben werden. Das Kapital der Genossenschaften ist so im Eigentum der Mitglieder. Eine Neutralisierung des Kapitals ist dadurch gegeben, daß über die Einlagen erst beim Austritt verfügt werden kann, sowie bezüglich jener Quoten, die den kollektiven Konten gutgeschrieben werden. Tatsächliche Neutralisierung ist nur im Ausmaß der sogenannten „verlorenen Einzahlung“ von max. 25% der Einlage (Thomas/ Logan, 1982, S. 24) verwirklicht, denn nur diese bleibt bei Ausscheiden eines Mitgliedes als kollektives Eigentum im Betrieb. Der Gewinn einer Genossenschaft wird höchstens zu 70% auf die individuellen Konten verteilt, 10% werden jährlich in einen Sozialfonds eingezahlt. Mindestens 20% werden einem kollektiven Rücklagenkonto für Investitionen, Sozialausgaben, Verlustabdeckung und ähnliches gutgeschrieben. In den ersten Jahren nach der Neugründung einer Genossenschaft und bei hohen Gewinnen können die Gutschriften auf die individuellen Konten verringert werden. Die Zuschreibung zu den individuellen Konten erfolgt nicht nach dem dort angesammelten Kapitalanteil aber auch nicht gleichmäßig auf alle Genossenschaftler: Der Nettoüberschuß wird im gleichen Verhältnis wie das Einkommen verteilt (Thomas/Logan, 1982, S. 154f).

Das demokratische Prinzip

Die Teilnahme aller Mitglieder an den Entscheidungen in der Genossenschaft erfolgt hauptsächlich in der Hauptversammlung, in der alle Sitz und Stimme haben, wobei pro Kopf eine Stimme gegeben ist. Die Hauptversammlung tritt mindestens einmal jährlich zusammen, um über Investitionen, Kapitalzufuhr und ähnliches zu entscheiden und um der Bilanz zuzustimmen. Sie kann weiter die Höhe der Kapitaleinlage neuer Mitglieder festlegen und über interne Regeln entscheiden. In der Hauptversammlung wird der Aufsichtsrat für vier Jahre gewählt, wobei die Hälfte des Aufsichtsrates, der aus 3 bis 12 Personen bestehen kann, alle zwei Jahre erneuert oder wieder gewählt wird. Diesem Gremium ist die von ihr bestellte Direktion, meistens aus einer Person bestehend, verantwortlich. Damit hat die Hauptversammlung nur indirekten Einfluß auf den Direktor, der die täglichen Entscheidungen trifft. Die direkte Vertretung der Arbeiterinteressen wird vom sogenannten Sozialrat wahrgenommen, der aus direkt gewählten Vertretern der einzelnen Abteilungen zusammen gesetzt ist. Neben seiner beratenden Funktion in allen Aspekten des Personalwesens hat der Sozialrat die Kompetenz in Fragen der Unfallverhütung, Arbeitshygiene und -sicherheit, Sozialversicherung, Lohnhöhe, Verwaltung von Sozialfonds usw. bindende Entscheidungen zu treffen (Thomas/Logan, 1982, S. 66 und 68). Eine weitere wichtige Funktion des Sozialrates ist es, den Informationsfluß zu den Arbeitenden sicherzustellen, sowie den Informationsfluß vom Aufsichtsrat zu den übrigen Organen und zwischen den einzelnen Genossenschaftlern (Thomas/Logan, 1982, S. 191).

Das Solidaritätsprinzip

Das Solidaritätsprinzip findet auf der Mitgliederebene im maximalen Lohnverhältnis von 1:3 und im Grundsatz der Arbeitsplatzschaffung seinen Ausdruck. Auf der Ebene der Genossenschaften ist die Solidarität durch die Einrichtung von Genossenschaftsgruppen (grupos sociales und grupos industriales) verwirklicht. Der Umverteilung von Gewinnen und Verlusten innerhalb dieser Gruppen vermindert das individuelle Risiko.

Reale Selbstverwaltung in den Genossenschaften

Im folgenden werden Aspekte der Demokratie- und des Solidaritätsprinzips diskutiert, das Identitätsprinzip (Identität von Kapital und Arbeit) wird im Abschnitt 3 (Mondragon und Krise) noch ausgeführt. Die Hauptversammlungen sind stark besucht, im Durchschnitt nehmen 80% der Mitglieder an ihnen teil. Bei bestimmten Entscheidungen ist die Stimmabgabe verpflichtend. Die tatsächliche Entscheidungsmacht liegt aber in vielen Fällen bei den Mitgliedern des Aufsichtsrates, und Mitgliedern, die aufgrund ihres Informationsvorsprungs kaum angreifbar sind und häufig auf Abstimmung verzichten. Reges Interesse und lebhafte Diskussionen gibt es fast nur in Geldfragen wie z.B. Kapitalzufuhr und Lohnhöhe. Durch die Kompetenzverteilung im Betrieb sind Anträge von Arbeitern nicht so fundiert wie solche vom Management, wodurch ihre Realisierbarkeit leichter in Frage gestellt werden kann. Nach Auskunft von Genossenschaftsmitgliedern wurden beispielsweise Vorschläge zur Veränderung der Arbeitsorganisation mit dem Hinweis auf Geldmangel abgelehnt. Die in den Statuten vorgesehene Möglichkeit zur Abwahl von Aufsichtsratsmitgliedern wird zwar selten genützt, wurde aber schon einige male ergriffen. Das zeigt, daß der Aufsichtsrat der Hauptversammlung nicht nur formal, sondern tatsächlich verantwortlich ist. Für die Abwahl eines Direktors müssen wichtige Gründe vorliegen, denn dieser wird nicht direkt von der Hauptversammlung bestellt. Weitere Ursachen für die Probleme in der Mitbestimmung liegen in der Größe mancher Genossenschaften, wie z.B. ULGOR mit über 3.000 Mitgliedern oder Fagor mit über 1.600 Genossenschaftlern. Beklagt wird auch das fehlende Engagement vieler Genossenschaftler: besonders bei den jüngeren Mitgliedern herrsche eine rein instrumentelle Arbeitseinstellung vor (II-EP., 1983).

Die Politechnische Schule ist auch als Instanz gedacht, die den jungen Menschen kooperative Einstellung und Engagement in der Selbstverwaltung vermitteln soll und sie ist daher als Genossenschaft mit Mitbestimmungsrecht der Schüler konzipiert. Tatsächlich sehen sich die Schüler bzw. ihre Vertreter in Hauptversammlung und Direktionsrat jedoch meist einer Koalition von Lehrern und Vertretern der Genossenschaft gegenüber, die gemeinsam über zwei Drittel der Stimmen verfügen. Hinzu kommt eine relativ starke Selektion: von 250 Schulanfängern bleiben nach dem ersten Abschnitt 150 übrig, was auf einen gewissen Leistungsdruck schließen läßt (vergl. IIr-EP., 1983, S. 53).

In Alecoop, der Genossenschaft der Schüler und Studenten, werden die leitenden Funktionen von permanent dort beschäftigten Personen ausgeübt, während die wechselnden und halbtagsbeschäftigten Schüler und Studenten nur ausführende Tätigkeiten übertragen bekommen. Die Selbstbestimmung der Mitglieder einer Genossenschaft dürfte – besonders in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten – durch den Einfluß der CLP gemindert sein, den diese durch ihre Beratungs- und Kontrollfunktionen, wie sie im Assoziationsvertrag vorgesehen sind, ausübt. Durch die Notwendigkeit am internationalen Markt zu bestehen ist für die Genossenschaften Wettbewerbsfähigkeit sehr wichtig. Das drückt sich auch in der Arbeitsorganisation aus, die durch traditionelle Methoden geprägt ist. In der Haushaltsgeräteproduktion von Fagor fanden wir Fließbänder vor, und auch die Frauen in der Herstellung elektronischer Komponenten müssen sich nach den beschlossenen Sollvorgaben richten. Eine weitere Auswirkung der Selbstverwaltung ist die starke Betonung der Sicherheit und der Hygiene am Arbeitsplatz, die durch ständige Kontrolle des betriebsmedizinischen Dienstes Lagun Aro und durch das Weisungsrecht des Sozialrates gewährleistet sind. Auch die psychische Komponente findet am Arbeitsplatz stärkere Berücksichtigung. Im Gegensatz zu den privatkapitalistischen Betrieben, deren Eigentümer nach Aussagen der Unternehmervereinigung Confebask noch stark in der Zeit der Diktatur verhaftet sind, haben die Genossenschaften ein menschliches Arbeitsklima. Das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen ist weniger patriarchalisch, sondern eher kooperativ (IIR-EP, 1983, S. 10ff). Ausdruck des humaneren Klimas ist die niedrige Fluktuation und die hohe Motivation wie einige Untersuchungen zeigen (Logan) sowie eine niedrige Absentismusrate.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß durch die völlige Einbindung in die kapitalistisch organisierte Marktwirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit ein wesentliches Orientierungsmuster ist. Daher ist im Arbeitstempo, Produktivitätsstreben, Arbeitsorganisation und Arbeitszeit wenig Unterschied zu einem privatkapitalistischen Unternehmen zu sehen. Auch das Produktionsprogramm ist vor allem durch ,,Gewinnkriterien“ bestimmt. Durch die gleichmäßige Verteilung der Überschüsse und das Fehlen von Gewinnabflüssen sowie die geringen Einkommensunterschiede kommen den Arbeitenden die Anstrengungen direkt zugute. Darin liegt ein wesentliches motivierendes Element. Ist damit der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit im Marx`schen Sinne aufgehoben?

Formal ist der Gegensatz in der Mondragon Gruppe dadurch überwunden, daß es keine Kapitalisten und keine Lohnabhängigen mehr gibt, sondern die Genossenschaftler, eine ,,Personalunion“ aus beiden darstellen. Die Produktionsfaktoren, Kapital und Arbeit bleiben jedoch getrennt und können gegensätzliche Interessen bewirken, wobei das Kapitalinteresse in der Form eines Gesamtinteresses der Genossenschaft erscheint. Die Einbettung in die Marktwirtschaft erzwingt nämlich einen rentablen Kapitaleinsatz, was in Krisenzeiten auf Kosten des Faktors Arbeit gehen kann.
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Anmerkungen:

(1) Diese Beiträge sind nicht mit dem Arbeitnehmerbeitrag vergleichbar, da hier Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil enthalten sind.
(2) Die Auswahl erfolgte nach den Kriterien weiteste und engste Orientierung, theoretischer und praktischer Ansatz und Bezug zu Österreich. Weiter wurden nur Selbstverwaltungsmodelle im Rahmen einer gemischten Wirtschaft herangezogen.
(3) Neutralisierung des Kapitals heißt, daß keine Möglichkeit zur persönlichen konsumtiven Nutzung des Kapitals bzw. der Kapitalanteile besteht. Das Kapital steht also nur zur kollektiven, intensiven Nutzung zur Verfügung.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/08/13/genossenschaftenmondragongoienkaria_14/

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kommentare

  • Um Mondragon geht es auch in dem neuen Buch des slowakischen Philosophen Dr. Lubos Balah (30). Er ist Autor der Bücher „»Soziale Gerechtigkeit und Identität« (2006) und »Zurück zu Marx?« (2009). Bei den slowakischen Parlamentswahlen am 12. Juni tritt er als Kandidat der sozialdemokratischen SMER-SD an.

    Die Junge Welt interviewte ihn kürzlich:

    Sie haben vor kurzem ein Buch mit dem Titel »Zurück zu Marx?« veröffentlicht. Worum geht es in dem Werk?
    »Zurück zu Marx?« ist mein zweites philosophisches Buch. Ich sollte noch erwähnen, daß ich als Politikwissenschaftler an der Slowakischen Akademie der Wissenschaften arbeite und lehre. In meinem Buch führe ich auf 530 Seiten in die sozial-liberalen und neo-marxistischen Theorien der Gerechtigkeit ein. Außerdem erläutere ich meine eigene Gerechtigkeitstheorie basierend auf einer Radikalisierung der Theorie des amerikanischen Philosophen John Rawls und dem Ersetzen von Marx‘ Kriterium der Arbeit, also Fähigkeiten und Talente, durch das Kriterium der »Arbeitheit«, darunter verstehe ich die wirklich eigene Leistung und den Willen zu arbeiten. In dem Buch gibt es Kapitel über Wirtschaftsdemokratie – ein Beispiel ist die baskische Genossenschaft Mondragón Corporación Cooperativa –, Modelle von Wohlfahrtsstaaten und über klassische linke Themen wie soziale Gerechtigkeit, positive Freiheit, öffentliches Eigentum und soziale Rechte. Ich habe das Buch im Herbst 2009 veröffentlicht und die erste Auflage mit 1000 Büchern war nach ein paar Monaten verkauft. Im vergangenen Dezember war es einer der Bestseller für mein Verlagshaus, da normalerweise in der Slowakei wissenschaftliche Bücher sich ungefähr einhundertmal verkaufen. Ich bin mir sicher, daß der Erfolg des Buches zeigt, daß viele Menschen in der Slowakei des Neoliberalismus und Antikommunismus überdrüssig sind. Karl Marx ist wieder im Spiel. Es gibt sogar Pläne, das Buch ins Russische zu übersetzen – ich hoffe, das geschieht bald.

    Wie ordnen Sie die Meiar-Regierung der 1990er Jahre politisch ein?
    Sie war ganz klar keine antiimperialistische Regierung in einem positiven Sinne, ich würde eher den Begriff isolationistisch benutzen. Ich kenne die Theorien, daß Meiars Slowakei nur deswegen isoliert wurde, weil sie sich nicht dem internationalen Kapital beugte. Es gibt viele Leute, die Meiar als eine Art Held sehen. Aber er hat nichts anderes gemacht, als das Volkseigentum für ein paar Kronen an einige slowakische Diebe anstatt an das transnationale Kapital zu verkaufen. Der Privatisierungsprozeß unter Meiar war eine Tragödie. Außerdem war er autoritär und streng konservativ. Ich bin glücklich, daß Meiar 1998 die Macht verlor. Die gesamte slowakische Linke lehnte seine Politik ab, aber wir hatten nicht geahnt, was danach kommen würde. Die neoliberale Ära Dzurinda war ein Sturz vom Regen in die Traufe.

    Meciar hatte aber einen radikal linken Koalitionspartner, die Arbeiterassoziation der Slowakei (ZRS). Die Partei rühmt sich im Internet damit, wichtige Privatisierungen im Bereich von Gas, Energie, Telekommunikation, Banken und Versicherungen verhindert zu haben.

    Das muß für einen ausländischen Beobachter sehr überraschend sein, aber die ZRS war nur eine Art Kasper in der damaligen Koalition. Es ist wahr, daß Meiar kein Neoliberaler war, aber er war in der Kulturpolitik sehr konservativ, in der Wirtschaft eher zentristisch mit einiger sozialer Rhetorik. Auf jeden Fall war er kein Linker, und die Privatisierungen waren eine Katastrophe. Das heißt nicht, daß die Privatisierungen unter Dzurinda besser waren – nein, im Gegenteil! – sie waren sogar noch schlimmer. Aber ich muß einräumen, daß strategische Industriebereiche unter Meiar – vielleicht auch dank der ZRS – nicht privatisiert wurden. Aber das war auch das Maximum, was diese heute tote Partei rausholen konnte.

    In Berlin war offenbar niemand glücklich, als die Bildung der ersten Fico-Regierung 2006 bekanntgegeben wurde. Wie reagierte Deutschland damals?
    Es kam zu Problemen mit der SMER in der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), weil die europäischen »Sozialisten« – inklusive der Deutschen – die Koalitionspartei SNS nicht in der Regierung sehen wollten. Die SMER versuchte, die europäischen Partner davon zu überzeugen, daß die SNS keine extremistische Partei, sondern nur konservativ und patriotisch ist. Ich persönlich mag die HZDS und die SNS nicht – sie sind beide erzkonservativ. Aber es gab keine Alternative vor vier Jahren. Ich denke, daß die SMER-SNS-HZDS-Koalition ein geringeres Übel ist als die Hardcore-Neoliberalen und ungarischen Nationalisten, die von 2002 bis 2006 regierten. Diese Regierung war die einzige Chance, das zu beenden. Die große Mehrheit der Bevölkerung unterstützte dann auch diesen Weg. Ich bin sicher, daß niemand in Berlin darüber froh war.

    Wie würden Sie die derzeitige Fico-Regierung beschreiben? Ist es eine antiimperialistische Regierung oder eine ganz normale sozialdemokratische?
    Es ist eher eine normale sozialdemokratische, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß Robert Fico der am weitesten links stehende Premier in Mitteleuropa ist, vielleicht sogar in ganz Europa, seine Rhetorik ist schon manchmal antiimperialistisch, und seine Außenpolitik ist nicht so blind pro-amerikanisch. Unter seiner Regierung wurden unsere Beziehungen zu Rußland, China und Vietnam verbessert, und Fico unterstützt auch symbolisch Kuba. Es ist schwer für ein kleines Land, revolutionäre Schritte zu machen, aber ich bin sicher, daß seine Regierung derzeit die beste für die Slowakei ist.

    Als Fico ins Amt kam, kündigte er an, alle Privatisierungen zu stoppen. Gab es keine Privatisierungen seit 2006?
    Nein, es gab keine Privatisierungen mehr im Bereich des strategischen Staatseigentums. Fico stoppte sogar im letzten Moment die Privatisierung des Flughafens von Bratislava, und es kam zu Verstaatlichungen: So wurde das slowakische Öltransportunternehmen Transpetrol verstaatlicht. Fico kämpfte mit den zuvor privatisierten Energiemonopolen und den mächtigen Pensionsverwaltern. Ich denke, in dieser Hinsicht ist seine Politik konsequent links, auch wenn ich mir mehr Schritte zur Demokratisierung der Wirtschaft, Belegschaftsbeteiligungen an privaten Konzernen und Raum für öffentliches und staatliches Eigentum wünschen würde.

    Ist der Neoliberalismus in der Slowakei besiegt?
    Die Wahlen am 12. Juni werden es zeigen, aber ich denke, daß der Hardcore-Weg, der von 2002 bis 2006 beschritten wurde, versperrt ist. Das heißt nicht, daß alles in der Slowakei richtig läuft. So würde ich mir z.B. sehr ein progressives Steuersystem wünschen. Um ehrlich zu sein, sind wir das einzige OECD-Land mit einer flat tax. Wir brauchen mehr Verteilungsgerechtigkeit in der Republik, aber zuerst müssen wir ein Wiedererstarken der Rechten verhindern!

    Als Fico Premier wurde, erklärte Belarus, daß sich die belorussisch-slowakischen Beziehungen sehr gut entwickelten. Zu welchen Staaten verbesserten sich die Beziehungen außerdem?
    Vor allem zu China, Vietnam, Rußland und Serbien…

    …und auch Libyen und Syrien?
    Ja, vor allem zu Libyen. Ich selber habe an Treffen des Parlamentspräsidenten mit politischen Führern aus Rußland, China und Vietnam teilgenommen. Außerdem darf man nicht vergessen, daß die Slowakei ihre Truppen aus dem Irak abgezogen hat. Allgemein kann man sagen, daß unser Land eine pragmatische Außenpolitik betreibt.

    2006 hat Mikuláš Sedlák, der Wirtschaftsberater von SNS-Chef Ján Slota, gesagt, daß die Wurzel der Probleme der Roma im Osten des Landes die Arbeitslosigkeit ist; jeder Roma benötige einen Arbeitsplatz. Hat die Regierung versucht, jedem Roma einen zu verschaffen?
    Keine Regierung im Kapitalismus kann jedem einen Job geben, aber es gibt Anstrengungen, den Roma zu Arbeit zu verhelfen, z.B. mit Hilfe der sogenannten sozialen Unternehmen. Das sind öffentliche Firmen, die vor allem den Armen und Unausgebildeten Arbeit geben, vor allem den Roma. Aber es bleibt schwierig, private Firmen dazu zu bewegen, den Roma Arbeit zu geben. Der Staat hat zu wenig Einfluß in der Wirtschaft.

    Wie ist der Status der Ruthenen in der Slowakei heute?
    Die Ruthenen sind eine staatlich anerkannte nationale Minderheit in der Slowakei. Es gibt mit ihnen keine Probleme in der Gesellschaft. Sie genießen ihre Minderheitenrechte und scheinen ganz zufrieden damit zu sein. Die Ruthenen haben sogar die Fico-Regierung unterstützt, als Ungarn seinen Druck wegen des slowakischen Sprachengesetzes, wonach öffentlich nur slowakisch gesprochen werden darf, 2009 erhöht hat. Das hat die Kluft in den ungarisch-slowakischen Beziehungen vertieft, aber die Slowakei konnte diesen Streit gewinnen. Vielleicht ist das der Grund für Orbán, der Slowakei so zu schaden, wie er es in den vergangenen Wochen getan hat. Ich hoffe, daß die nationalistischen Drohungen vergehen und wir uns ganz auf die sozio-ökonomischen Belange konzentrieren können. Wenn es nach mir geht, dann sollten nicht die nationale Frage, sondern der demokratische Sozialismus, die Rechte der Arbeiter und die Klasseninteressen, Prioriät haben. Das habe ich auch schon geäußert, als ich für die KSS arbeitete, und das sage ich nun, da ich für die SMER arbeite. Ich werde diese Position auch in Zukunft vertreten. Ich glaube an die klassenlose Gesellschaft, und ich muß herausfinden, wie man am besten dafür kämpft. Vielleicht haben wir eines Tages in der Slowakei eine ähnliche Partei wie die deutsche Linke. Ich denke, alles ist noch am Anfang.

  • Hi Genossen und GenossInnen,

    am 22. November 2008 (Samstag) gibts ne Kiezdisco in den Schnarup-Katakomben als Benefiz gegen Repression im Baskenland.
    Alles wie immer im Schnarup-Thumby, Scharnweberstr. 38, Berlin-Friedrichshain.

    Infos: http://www.myspace.com

    solidarische Grüße
    Internationalistischer Abend
    antifaschistisch, antikapitalistisch, revolutionär!
    jeden 1., 3. und 5. Montag im Monat

  • Andreas Wegner meint, man sollte auch noch schildern, wie wir in Mondragon ankamen – und zwar mit dem Bus von Madrid, er hielt mitten im Ort und wir gingen auf das Tor zur Altstadt zu. Zwei ältere Männer kamen uns entgegen und wir fragten sie nach dem Mondragon Hauptquartier. Einer sprach Englisch, es war ein Baske aus Amerika, der auf seine alten Tage wieder in die Heimat gezogen war. Der andere telefonierte nach einem Taxi.

    Die Taxifahrerin, die dann mit ihrem Mercedes ankam, bemühten wir auch in den nächsten zwei Tagen. Sie fuhr uns ins MCC-Verwaltungsgebäude auf dem Berg. Dort empfahl man uns das Hotel Mondragon unten in der Ortsmitte, wo wir jedoch erst am nächsten Tag zwei Zimmer bekamen. Eine Nacht mußten wir in einem Hotel im Nachbarort talrunter übernachten. Dort gab es ebenfalls eine große Mondragon-Fabrik. Überhaupt war die ganze Gegend übersät mit Mondragon-Produktionsstätten, egal in welche Richtung man fuhr.

    Andreas packte seine Plattenkamera aus und baute sie auf. So bewegten wir uns photographierend durch den Ort, wobei er meistens unter dem schwarzen Kameratuch steckte. Auf diese Weise entdeckten wir eine MCC-Sprachschule, das MCC-Rechenzentrum, die MCC-Uni, den MCC-Kindergarten mit Schule, zwei noch nicht ganz fertige MCC-Entwicklungszentren, wo in das eine bereits eine Microsoft-Abteilung eingezogen war, ein kleines MCC-Gästehaus oben auf einem Berg usw..

    Am Nachmittag traf sich der ganze Ort auf dem Marktplatz, wo eine kleine Tanz- und Musikveranstaltung stattfand. Die Kneipen waren voll, in den Restaurants gab es gute und billige Menüs, die Tapas schmeckten hervorragend und die Mondragoner waren alle sehr freundlich.

    Als wir die Herd-, Kühlschrank- und Waschmaschinen-Fabrik besichtigen, führte uns die MCC-Pressesprecherin durch die Hallen, eine junge Französin und ein Sansalvadorianer aus Kanada schlossen sich ihr an. Später im Showroom ließ man uns alleine – kucken und photographieren.

    Abends im Hotel Mondragon entdeckten wir in einer Vitrine in der Lobby lauter MCC-Bücher, -Videos und -DVDs, man konnte sie nicht kaufen, aber stundenweise ausleihen. Am nächsten Morgen ging Andreas noch einmal alleine los, um in der Altstadt und in der Mediengenossenschaft zu photographieren. Dort war man – z.T. aus eigener Erfahrung – nicht so begeistert von dem ganzen MCC-Produktions- und -Produktivitäts-Ethos, das die Stadt beherrschte.

  • Inge Reuter-Baum (Düsseldorf):

    Vielleicht sollte man auch noch erwähnen, dass in Mondragon in vielen kleinen Betrieben Schlüssel hergestellt werden. Die Schlüssel werden in die ganze Welt exportiert. MCC hält sich aus dieser Branche bewußt heraus, um den Kleinbetrieben keine Konkurrenz zu machen. Wie es ja überhaupt zu den Prinzipien der Mongragon-Genossenschaftsgruppe gehört, keine Genossenschaft unter ihrem Dach zu vereinen, die einer der schon dazugehörenden Konkurrenz macht.

  • Es gibt es auch noch einen kritischen Dokumentarfilm über Mondragon – von Anne Argouse und Hugues Peyret: „Les Fagor et les Brandt“. Die beiden Filmemacher schreiben dazu:

    „En 2005, l’entreprise espagnole Fagor rachète Brandt et devient un des leaders du secteurde l’électroménager européen. Les salariés français sont inquiets et redoutent les licenciements. Mais Fagor n’est pas une entreprise comme les autres, c’est une coopérative. Elire et révoquer ses dirigeants, voter les salaires et la redistribution des bénéfices, c’est le mode de fonctionnement de Fagor, la coopérative phare de la Mondragon Corporacion Cooperativa, le plus grand groupe coopératif du monde, 7ième entreprise d’Espagne. Comment un réseau de coopératives, souvent assimilées en France à des petites entreprises sans ambition, a-t-il pu atteindre une telle échelle ? Confronté à la mondialisation ce modèle est-il est-il exportable?“
    ———————————————————————————————
    Nachdem MCC-Fagor in Mondragon die französische Hausgeräte-Fabrik Brandt gekauft hatte, schrieb die CGT-Betriebsgewerkschaftsgruppe von Brandt 2006 einen offenen Brief an die IG-Metall-Gewerkschaftsgruppe in der Nürnberger AEG-Fabrik:

    „Wir haben von Ihren Streik gehört, gegen der Verlagerung Ihrer Fabrik die Betriebschliessung verursachen würde. Wir unterstützen Ihren Kampf. Es ist auch unserige Kampf, 1/3 von unseren Maschinen sind schon im November ausgelagert worden; für die Verlagerung der Fabrikation der Waschmaschinen (von oben gefüllt und von den Marken Vedette, Brandt, Fagor und Bosch) in eine Fabrik von Fagor (Wrozamet) in Wroclav in Polen. Wir würden gern über Ihren Kampf informiert werden und mit der Hausgeräte-Gewerkschaft von Deutschland korrespondieren. Verliert den Mut nicht ! Für die Gewerkschaft CGT der Fabrik Fagor Brandt in Lyon (Frankreich)
    Florence Lavialle Tel 33 4 72 72 50 36 Mail : cornefle at wanadoo punkt fr
    Bitte antworten!“
    —————————————————————————————————————
    Über die Nürnberger AEG-Fabrik, die dem schwedischen Konzern Electrolux gehört, war dann 2006 auf der „World Socialist Web Site“ zu erfahren:

    „Vertreter von IG- Metall und dem schwedischen Elektrokonzern Electrolux haben sich in der Nacht zum Dienstag in München – in zum größten Teil geheimen Verhandlungen – auf einen Sozialtarifvertrag für die 1.750 Beschäftigten des AEG-Werks in Nürnberg geeinigt. Das traditionsreiche Stammwerk wird demnach definitiv bis Ende 2007 geschlossen und die Produktion nach Italien und Polen verlegt. Bereits Mitte des Jahres sollen die ersten 500 Mitarbeiter entlassen werden, danach sollen vierteljährlich weitere Entlassungen folgen. Über das Ergebnis der Verhandlungen sollen in Urabstimmungen Ende dieser und Anfang kommender Woche noch die Beschäftigten entscheiden. Nach Angaben der IG Metall könnte dann bereits nächste Woche in Nürnberg wieder gearbeitet werden. Fünf Wochen lang befinden sich die Beschäftigten des Werkes gegen die geplante Schließung im Streik. Auch die Beschäftigten der ausgegliederten Logistikabeilung in Nürnberg und an anderen Standorten legten die Arbeit nieder. Parallel zur Werkschließung in Nürnberg plante Electrolux die Änderung der Tarifzugehörigkeit für die eigenständigen GmbHs, was mit erheblichen Lohneinbußen verbunden gewesen wäre. Kernpunkte der ausgehandelten Vereinbarung sind die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 1,8 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr und die Eingliederung der gekündigten Mitarbeiter in eine Beschäftigungsgesellschaft für die Dauer von einem Jahr. Darüber hinaus sollen für Beschäftigte über 53 Jahre großzügigere Vorruhestandsregelungen gelten. Für die ausgegliederten Abteilungen soll ein Haustarif erstellt werden. Einzelheiten sind noch nicht bekannt, als sicher gilt allerdings, dass die wöchentliche Arbeitszeit von derzeit 35 Stunden auf bis zu 38,5 Stunden erhöht werden soll. Die Einigung, mit der die Schließung des Werkes zementiert wird, ist ein Schlag ins Gesicht der gesamten AEG-Belegschaft, die ihre Arbeitsplätze nicht tatenlos der Profitgier des Konzernmanagements opfern wollte. Der Arbeitskampf genoss große Sympathie und Unterstützung bei den Belegschaften anderer Unternehmen und der arbeitenden Bevölkerung insgesamt. Das Ergebnis, das Gewerkschaft und Betriebsrat mit dem Management vereinbarten, kann nur als Kapitulation angesehen werden. Selbst die anfänglichen Forderungen von drei Monatsgehältern Abfindung pro Beschäftigungsjahr und der Einrichtung einer Beschäftigungsgesellschaft bis 2010 wurden bei weitem nicht durchgesetzt. Dagegen liegt die Vereinbarung nur wenig über dem ursprünglichen Angebot von Electrolux. Der Konzern hatte 0,7 Monatsgehälter Abfindung und eine einjährige Eingliederung in einer Beschäftigungsgesellschaft geboten. Das Volumen des gesamten Pakets liegt bei 153 Millionen Euro. Ursprünglich waren von Gewerkschaftsseite 350 Mio. gefordert und von Electrolux 105 Mio. geboten worden. Dementsprechend zeigte sich auch der Europachef von Electrolux John Bygge zufrieden über das „sehr gute Paket“. Gewerkschaftsvertreter redeten sich den Abschluss im Nachhinein schön. IG-Metall-Vize Berthold Huber und der IG-Metall Bevollmächtigte Jürgen Wechsler, der noch vergangene Woche vor der Belegschaft großspurig den Erhalt des Werkes als Ziel ausgegeben hatte, nannten den Sozialtarifvertrag „ein gutes Ergebnis“. Auch Betriebsrat Harald Dix und Bayerns IG-Metallchef Werner Neugebauer lobten den Kompromiss. Beifall für die Beendigung des Arbeitskampfes kam auch aus der Politik. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) erklärte, er freue sich über die Lösung des Konflikts. Auch Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD), der im Dezember mit über 6.000 Menschen gegen die Schließung des Werks demonstriert hatte, verbuchte das Ergebnis als „Erfolg“. SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend nannte den Kompromiss eine „relativ gute Regelung“. Von Anfang war es Gewerkschaft und Betriebsrat darum gegangen, eine rasche Einigung mit dem Management zu erzielen. Dabei akzeptierten sie, anders als die Belegschaft, die Schließung des Werkes. Bereits vor Streikbeginn hatten sie erklärt, man wolle Electrolux die Schließung lediglich „so teuer als möglich machen“. Ihr Hauptinteresse bestand darin, die Proteste gegen die Schließung so gering wie möglich zu halten. Als sich Mitte Dezember nach der Schließungsankündigung spontane Proteste der Belegschaft entwickelten, kamen Betriebsrat und Gewerkschaft mit dem Management überein, diese in Urlaub zu schicken, um Zeit zu gewinnen. Das die IG-Metall den Arbeitskampf überhaupt ausrief und über das Nürnberger Werk hinaus ausdehnte, war zum einen dem Druck der Belegschaften geschuldet und zum anderen der Unnachgiebigkeit des Managements, das fortgesetzt Belegschaft und Gewerkschaft provozierte. Zuvor hatten Gewerkschaft und Betriebsrat bereits Lohnkürzungen und eine Reduzierung der Belegschaft angeboten, wenn das Werk erhalten bleibe. Hinter den Kulissen trafen Betriebsrat und Gewerkschaft mehrere Vereinbarungen, um negative Auswirkungen für das Unternehmen so gering wie möglich zu halten. So wurde beispielsweise ein „Notdienst“ für die Auslieferung aus dem Nürnberger Zentrallager organisiert, um die Lieferung von Hausgeräten aufrecht zu halten. Dabei wurden mit Zustimmung der Gewerkschaft Leiharbeiter als Streikbrecher eingesetzt. Besonders deutlich zeigte sich die Kumpanei mit dem Management daran, dass sich die IG-Metall weigerte, den Streik auf die Ersatzteilsparte Distriparts in Rothenburg auszuweiten. Ein Streik dort hätte binnen weniger Tage europaweit die Versorgung mit Ersatzteilen für AEG-Geräte zum Erliegen gebracht und damit Electrolux erheblich unter Druck gesetzt. Die Beschäftigten in Rothenburg hatten sich trotz massiver Einschüchterung von Seiten der Unternehmensleitung mit großer Mehrheit für Streik ausgesprochen. Mitte Februar hatte die IG-Metall den ehemaligen bayrischen Wirtschaftsminister und jetzigen Bahnvorstand Otto Wiesheu als Vermittler vorgeschlagen, nachdem sich Electrolux nach mehreren Verhandlungsrunden immer noch unnachgiebig zeigte. Wiesheu hatte bereits im vergangenen Jahr beim Münchner Werk des Chip-Hersteller Infineon zwischen Gewerkschaft und Unternehmen vermittelt. Auch dort hatte der Kampf für einen Sozialtarifvertrag zur baldigen Schließung des Werkes geführt. Als Wirtschaftsminister gehörte Wiesheu von 1993 bis 2005 einer Landesregierung an, deren rigorose Sparpolitik Tausende von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst vernichtete. Der CSU-Politiker, so Bayerns IG-Metallchef Werner Neugebauer, sei „ein Mann, der Brücken bauen kann“. Das Ergebnis der Verhandlungen wurde am Dienstag von den Beschäftigten des AEG-Werks mit Empörung und Wut aufgenommen. Als Streikleiter Jürgen Wechsler der versammelten Belegschaft den Kompromiss erläuterte, erntete er Durchweg Pfiffe und Buhrufe. Symptomatisch für die Stimmung in der Belegschaft war die Reaktion eines türkischen Mitarbeiters, den die Süddeutsche Zeitung mit den Worten zitierte: „Die stecken doch alle unter einer Decke“. Wütend bezichtigte er seine eigenen Interessenvertreter des Komplotts mit den Managern. Betriebsrat Harald Dix forderte die Belegschaft umgehend dazu auf, dem Kompromiss in der Urabstimmung zuzustimmen, da seiner Ansicht nach nicht mehr erreicht werden könne. 25 Prozent müssen für das Verhandlungsergebnis votieren, damit es tatsächlich in Kraft treten kann. Am Mittwoch, einen Tag nachdem Dix die AEG-Belegschaft verraten und verkauft hatte, reiste er mit einer Delegation zum Werk des Baggerherstellers CNH nach Berlin, um der Belegschaft „Mut zu machen“. Diese wehrt sich gegen eine Verlegung des Standortes nach Italien. „Beim Streik benötigt man einen langen Atem“, riet Dix. „Aber Vorsicht: Man darf auch nicht überziehen.“ Der faule Kompromiss, den Gewerkschaft und Unternehmensleitung vereinbart haben, hat nicht nur Auswirkungen für die 1.700 Beschäftigten in Nürnberg. Dem Konzern ging es auch darum, ein Exempel zu statuieren. Electrolux plant in den kommenden Jahren die Schließung weiterer Werke in „Hochlohnländern“. Deren Belegschaften werden unter Druck gesetzt und gegeneinander ausgespielt. Die feige Kompromissbereitschaft der Gewerkschaften spielt dem Konzern dabei in die Hände. Einmal mehr wurde in Nürnberg deutlich, dass die Gewerkschaften zu einem ernsthaften Kampf zur Verteidigung von Arbeitsplätzen nicht in der Lage sind. Im Gegenteil: Sie isolieren sie und würgen sie letztendlich ab. Ihre Furcht besteht dabei darin, dass der Protest gegen Massenentlassungen bei AEG und anderen Betrieben, wie auch der Streik im Öffentlichen Dienst zu einer breiten Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung führen könnte.“

    ———————————————————————————————————–
    Unter dem Titel „Understanding Mondragon – Globalization Process: Local Job Creation through Multi-Localization/ Facing globalization threats to community stability“ veröffentlichten zwei Wirtschaftswissenschaftler an der Mondragon-Universität, Jose Mari Luzarraga Monasterio und Dr. Inazio Irizar Etxebarria sowie der Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von Deusto Dr. Dionisio Aranzadi Telleria eine Analyse der Arbeitsplatzentwicklung im Prozeß der Globalisierung. Einige Abschnitte aus dem 31seitigen Text seien hier zitiert:

    Recent studies conclude that even though parent companies employment declines, it would have declined even more if these firms had not invested abroad. (Barba Navaretti 2003). According to the European Commission, „de-localization“ is the biggest worry of the European (E15) community. Economic Geography emerges as an alternative to this phenomenon, attempting to reinforce the importance of place-based socio-economic development and the role of community enterprises or industrial worker cooperatives. (Hudson 2001, Williamson et al 2002).

    Here we find, probably, the biggest difference between firms committed or not to its local community. An industrial capitalist firm, to remain competitive can face the challenge of globalization with at least two options or strategies: multi-localization or de-localization. A worker cooperative committed to their coop members community, has only one option, multi-localization, what is more, it seems to be the solution to avoid de-localization, defending their local community from the impact of globalization’s trigger threat, „unemployment“.

    But the globalization process is also affecting community-based, democratic and social enterprise structures. The traditional local structure of worker cooperatives‘ was not adequately prepared to compete in a capitalistic global market. The new global structures were needed by the cooperatives, causing a „demutualization“ or a „cooperatives hybridization process“ (Spear 2001, Borzaga 2001). This has lead to the appearance of new cooperative realities „Cooperative holding“ (Cote 2001, Chaves 1999) and new concepts such as „neo-cooperativism“ (Larrañaga 2005) or „coopitalism“ (Defourny, 1999).

    That was the case for Mondragon, which, as a network of worker cooperatives committed to the Basque region choose to handle foreign investment in a multi- localization strategy, opting to use FDI on private companies while creating new greenfield affiliate firms abroad or while acquiring partially (through joint ventures) or firms owned exclusively by a Coop. This fact has been pointed out as a divergence from their traditional cooperative approach and a mutation of its model in the sense that MCC behaves as „a traditional capitalist employer operating in low-wage countries“ (Huet 1997) with a capitalist expansionism growth illogic for worker-owned business finite growth ethic, „sacrificing the long-valued buffer zone between them and the turbulence of the international market“ (Cheney 19998). At the same time, some authors keep a close look on the Mondragon Cooperative Experience’s evolution, with the hope that „infant“ affiliate companies evolve through adolescence to maturity, following their Parent Companies‘ spirit (Vanek 2007), the possibility of MCC becoming a new „Democratic Multinational Enterprise“ (Errasti et al 2003), or one of the best examples of democracy in the business world (Malone 2001).

    At the end of 2006 the 12 Industrial divisions of MCC employed 42.444 people, 19.079 cooperative members,14.601 employees working abroad in 65 production factories of 25 „Multinational Cooperative Companies“ (GLOBALCOOPS) and international sales represented 56,7% of their total sales.9 This makes MCC the 7th biggest corporation in Spain in total sales and the first of the European ranking in „Employee Shareownership“ companies.

    MULTI-LOCALIZATION VS. DE-LOCALIZATION

    Contrary to what one might think, MCC’s first international steps had no strategic plan nor did a debate about globalization of cooperatives take place. According to MCC’s international department director „If we could have maintained our business here we would not have moved abroad.“ and followed with „We were doing what we had to do; the worst service we could do to the society was to disappear“. The decisions were taken to defend local employment in the coming future. That was the case with one of the first factories created abroad back in 1989. COPRECI S.Coop, a cooperative that makes components for household appliances (founded in 1963) was asked to open a factory in Mexico by their US customer in order to continue being a strategic global provider. Curiously the same US client recently (2006) has relocated their factory to China, COPRECI Group still provides the same product but now from their production plant in China. COPRECI Mexico is still open, with a 600 employee’s workforce and lead by a Mexican general manager that recently has become a „Coop collaborator -member“.

    Once MCC opted to remain competitive in its markets competing at home and abroad against multinationals (Clamp 2003) the necessity of international multi-localization became apparent. As far as the issue of competitiveness is concerned, several studies have shown that multinationals perform better than companies limited to one country in global and local markets.14 As we mentioned before, for a traditional capitalist firm de- localization or relocation is an alternative, for a worker cooperative is not. This defensive strategy, which may anticipate a shorter or longer future, has been the common cause behind all MCC international projects abroad. Given the fact that the „international dimension“ was identified as a fundamental tool for Mondragon industrial cooperatives competitiveness, a specific Internationalisation department was created in the new MCC central services structure in 1990. The first Internationalisation four-year plan was launched for 1991-199415 with one objective, „to promote the cooperatives‘ internationalisation process“.

    How has Mondragon been able to maintain employment in the parent companies in the Mondragon region where labour costs are 5-8 times higher cost than in Eastern Europe or 20-25 than in China or India?

    The phenomenon of downsizing, plant closures and multiple layoffs has reached crisis proportions in high cost labour countries in Northern Europe and in the North of the US. In order to avoid this same fate, MCC needed to globalize and quickly. A new slogan in the minds of MCC managers typified their approach: „How many new jobs do we need to create abroad to maintain one job at home?“ It has been already almost 20 years since MondragMondragon Cooperatives‘ activity. We believe this is sufficient time to do a quantitative analysis of the social and economical efficiency of this international strategy. Therefore, we have chosen to analyze MCC Global activity during 1996-2006 for MCC Industrial Division Cooperatives. Furthermore, we focus on what Ormaechea (co-founder of MCC19) considers worker’s cooperatives‘ most important action, „employment growth“. This is done at three levels: the level of the Parent cooperative, the level of the Mondragon Region local community and the global level (Parent Coop + traditional environment + abroad). We compare those cooperatives with at least a production plant abroad (GLOBAL COOPS) with the rest of the industrial LOCAL COOPS. At the end of 2006, we identified 25 GLOBALCOOPS with 65 „production plants abroad“.

    (…)

    The previous analysis may prove that Mondragonians were right in their intuition to use international multi-localization FDI (Foreign Direct Investment) as a tool to maintain and increase cooperative employment at home, but the strategy of introducing capitalistic structures might have a direct impact on Cooperatives members‘ evolution.

    COOP MEMBERS vs. NON MEMBERS:

    Numerous scholars have recently pointed out the risk of Mondragon’s international policy, which is, growing their non-cooperative employment under affiliated private economic structures. The original Mondragon commitment to never employ more than 10% non members was exceed using a variety of contractual relationships. Furthermore, the fact that they do not have a plan to transform these affiliated companies into a cooperative has been considered a departure from cooperative principles (Huet 1997).

    Therefore our second analysis is focused on Mondragon GLOBAL COOPS cooperative member’s evolution and their representation out of the total workforce and the Parent cooperatives‘ workforce. There are previous qualitative analyses on Mondragon workers democratic control degeneration process (Kasmir 1996, Cheney 1999). Our analysis does not measure nor include the qualitative impact, but the quantitative evolution of coop members vs. non members.

    (…)

    CONCLUSIONS

    The current paper „Multi-localization vs. De-localization“ demonstrates quantitatively:

    – The interest of „international production multi-localization“ strategy to deal with globalization’s threats to community stability (downsizing and de-localization), based on MCC activity during 1999-2006.

    – Mondragon parent cooperatives with foreign production plants, (GLOBAL COOPS) have a bigger net job growth than Mondragon Local Coops in parent cooperative (28% > 14%), in the local community (52%>25%) and in total (141% >21%) during the period analyzed 1999-2006.

    – Mondragon Cooperatives‘ FDI has a direct positive impact on employment growth in the local community (21%>12%) and a similar behaviour in the parent cooperative (7,8% = 7,5%) during the three years after FDI investment.

    – Mondragon GLOBAL COOPS number of coop members over total workforce internationally has been strongly affected by their international affiliated companies‘ policy.

    – Mondragon GLOBAL COOPS‘ number of coop members out of total workforce at Parent cooperatives has not been significantly affected by their international affiliated companies‘ policy. Being higher on GLOBALCOOPS (84% >75%)

    The previous conclusions are coherent with Place-based ownership models as a better counterforce to Globalization threats to community stability (Inbroscio, Williamson and Alperovitz 2003). Mondragon Cooperatives not only has maintained but has created new jobs in their local community employment.

    FDI does not necessarily result on parent companies jobs destruction, (Barba Navaretti and Castellani 2004). In the case of Mondragon Industrial Cooperatives, even exist a positive relationship and creates new jobs. Horizontal integration has been the main reason for cooperatives multi-localization abroad in Brazil, Mexico, India or Turkey. China and some specific cases in Eastern Europe respond to Horizontal and Vertical integration at the same time.

    We may say that jobs abroad, even in LDC countries, are not especially unskilled ones. The General Manager of the 30% of the production plants in these countries is local, and as an average only one Director from the parent cooperative is working there, so local teams drive the production plants.

    We conclude, on the one hand globalization presents important threats to local traditional community stability and cooperatives structure. On the other hand leverages the capacity of wealth creation through employment growth on economic developed countries (20.531 new jobs since 1999) and on the developing ones (12.298 new jobs since 1999).

    But Mondragon Cooperative Experience is not just employment growth, since its very beginning was pursuing a „New type“ of enterprise, coherent with the Human, Christian and Work community solidarity ideals (Aranzadi 1976). On future papers we study the reality of those 65 production plants abroad and their current challenges to evolve from infancy through adolescence to maturity (Vanek 2007).

    REFERENCES

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    YIN R.K., 1984, Case Study Research: Design and Methods, SAGE, US.

  • „Kontakte, Quellen und Literatur“ – von Hans Nerge:

    Kontakte:
    MCC – Mondragón Corporacion Cooperativa
    Paseo José María Arizmendiarrieta, No 5
    20500 – Mondragón – Guipuzcoa, Espana

    Tel: 0034-43-77 93 00 Fax: 0034-43-79 66 32
    E-mail: info@Mondragon.mcc.es
    Internet: http://Mondragon.mcc.es

    Leserforum Demokratische Zukunft:
    http://www.geocities.com/leserforum

    Besuchsmöglichkeiten:
    Einige Genossenschaften können besucht werden. Auskünfte für
    Touristen gibt die Gemeindeverwaltung: Ayuntamiento de
    Mondragón, Tel: 0034-43-77 09 00

    Übernachtungsmöglichkeiten:
    Hotel 2* ARRASATE Biteri Etorbidea Tel: 79 73 22
    Hostal 2* MUSAKOLA Bo Musakola Tel: 79 20 50
    Hostal 2* TXIRRITA Bo Guesalibar Tel: 79 52 11
    Pension 2* URIZAR Fererias Tel: 79 12 93
    MCC hat auch ein eigenes Gästehaus

    Reisemöglichkeiten:
    Flugverbindung über Flughafen Bilbao

    Verkaufsniederlassung in Deutschland:
    MCC, Nördliche Ringstr 100,
    73033 Göppingen, Tel: 07161/20040

    Quellen:
    Whyte and Whyte: Making Mondragon
    (295 S), mit großer Bibliographie zu Mondragon im Anhang;
    (New York State School of Industrial-and Labor Relations)
    ILR PRESS, 1988 Cornell University,
    Ithaca, NY 14851-0952
    ISBN 0-87546-137-9 (gebunden);
    ISBN 0-87546-138-7 (paperback)

    Henk Thomas: Selfmanagement in the Mondragon Cooperatives
    Inst of Social Studies, 2597 JR The Hague, The
    Netherlands (14 S.-Artikel
    in:W. Riedijk:
    Appropriate Technology for Developing Countries
    Delft Univsity Press 1982 ISBN 90 6275 085 0

    Sepp Rottmayr: Selbständigkeit in Partnerschaft, Betriebsmodell
    für kooperative Unternehmen (537 Seiten)
    Bayerischer Raiffeisen- und Volksbankenverlag (BRVG)
    Bestell-Nr. 952 999 ISBN 3-9804100-3-X

  • Viele Maschinen in den Mondragon-Fertigungsbetrieben stammen aus Deutschland. Vor einiger Zeit erwarb Mondragon die beiden Maschinenbaufirmen Danobat-Bimatec in Limburg an der Lahn und die Overbeck GmbH in Herborn/Hessen. Wie diese beiden Firmen, deren Geschäftsführer viel mehr verdienen als alle Mondragon-Leitungskader,
    in das „MCC-Reich“ – so nennt der Stern den baskischen Genossenschaftsverbund – integriert werden können, ist noch offen. Auch, ob hier ebenfalls das Mondragon-Prinzip gelten soll, dass höchstens 10% der Mitarbeiter keine Genossen sein dürfen.

    Letzte „MCC-News“:

    The co-operative KIDE, which has its headquarters in the town of Berriatua in the province of Bizkaia and is part of the Mondragón Group, has just signed an agreement in New Delhi with the Indian company Roots Cooling, to set up a joint-venture called RCS KIDE Pvt. Ltd. which will manufacture coldrooms. Previously, last November, a preliminary agreement had been signed with the technical support of the Mondragón Group’s office in India with the details of the final agreement and the business plan for the new company established over the last few months. The new production plant will probably be built in the Indian state of Maharastra, the capital of which is Mumbai (Bombay), although the final location will not be confirmed until the summer. The initial investment will be 3 million euros. The manufacture of coldrooms is scheduled to start in March 2009 with a workforce of 25 people and a turnover for the first year of 5 million euros. The workforce will be gradually increased in line with the increase in production, until it totals 80 people by the company’s fourth year of operation, when sales will account for 20 million euros. RCS KIDE Pvt. Ltd. is being set up to produce the best insulation panels and the best refrigerator doors in India and aims to become the market leader in quality coldrooms in the big Indian market.

    The co-operative KIDE, manufacturer of insulation panels and coldrooms, is the leader in the food industry coldroom sector in Spain and has subsidiaries in France and Portugal. From the plant in Berriatua, it also supplies other European and Latin American markets. KIDE, which posted a turnover of 30 million euros in 2007, is immersed in an ambitious internationalisation plan, as in addition to the new Indian company, another production plant is being built in the Chinese city of Jiaxing, which is scheduled for inauguration next June. With these two projects in India and China, the Berriatua co-operative is trying to consolidate its presence in international markets with great potential for growth, to thereby guarantee the future of its business. For this same reason, the company is looking at other possibilities for setting up abroad in the future, especially in the Latin American markets.

  • Michael R. Krätke bezieht sich in seinem Text über Genossenschaften – „Wirtschaftsdemokratie und Marktsozialismus“ – an einer Stelle auch auf Mondragon:

    Karl Renner hat in den zwanziger Jahren, im Blick auf die jahrzehntelange, wechsel-
    olle Geschichte der (Konsum)Genossenschaften, eine Lehre gezogen, die auch im Blick auf
    das berühmte „Transformationsgesetz“ von Bedeutung ist (vgl. Renner 1931). Da alle
    Genossenschaften unter Kapitalmangel leiden, müssen sie sich einen Akkumulationszwang
    auferlegen, d.h. die Ausschüttung und Verteilung der Erträge unter die Genossen künstlich
    eingrenzen – was die meisten Genossenschaften ohnehin taten. Genossenschaften stehen unter
    einem starken Konkurrenzdruck kapitalistischer Betriebe. Daher ist es gerade für erfolgreiche Genossenschaften nicht nur wichtig, selbst zu wachsen, sondern auch andere genossenschaft-
    liche Betriebe in ihrer Umgebung wachsen und gedeihen zu sehen. Aus dieser schlichten
    Überlegung folgt eine Strategie der Ausbreitung der sozialistischen Inseln, die sich
    zusammen schliessen, verbinden und verbünden müssen – bei Strafe des Untergangs.
    Wachstum heißt die Parole, also auch: Akkumulation von Genossenschaftskapital, das
    wiederum investiert wird und zwar in neue genossenschaftliche Unternehmungen, die den
    genossenschaftlichen Sektor insgesamt verstärken und die Genossenschaften von
    privatkapitalistischen Banken, Händlern, Versicherungen, Vorproduzenten usw. nach und
    nach unabhängig machen. Diese Expansion – durch Investition in die Gründung neuer
    genossenschaftlicher Betriebe, wie es im Fall der Genossenschaftsbanken immer wieder
    geschehen war, kann der Neigung der erfolgreichen Genossenschaften, sich abzuschließen
    und die Betriebsdemokratie aufzugeben, entgegenwirken. Das kann und wird funktionieren,
    wenn die Genossenschaften sich in einem größeren Umfeld von freundlich gesinnten,
    unterstützenden Organisationen (Gewerkschaften, Parteien, Stiftungen) bewegen, also von
    der moralischen Ökonomie der Arbeiterbewegung getragen werden.
    ——————————————————————————-
    Das vergleichsweise gelungene baskische Experiment scheint diese These von Renner zu
    bestätigen: Die Produktionsgenossenschaften in Mondragón gingen schon sehr bald, 1959,
    dazu über, eine Genossenschaftsbank zu gründen. Später kam ein Netz von
    Konsumgenossenschaften hinzu, das dann durch weitere Unternehmen, z.B. eine eigene
    Sozialversicherung für die Beschäftigten, aber auch Schulen und schließlich eine Technische
    Universität ergänzt wurde. Die verschiedenen Genossenschaften schlossen sich bald zu
    einem Gesamtverband zusammen, der auch über einige Entscheidungs- und
    Planungsbefugnisse für die Gesamtheit aller teilnehmenden Genossenschaften verfügt.
    Aktuelle Informationen über den Stand der Dinge in der Mondragón Genossenschaftsgruppe
    findet man auf deren website, http://www.mondragon.mcc.es, in spanischer und englischer
    Sprache.
    ————————————————————————–
    Was Ernest Jones und Karl Marx 1851 und 1852 sahen und propagierten, erwies sich
    auch nach Jahrzehnten kapitalistischer Entwicklung noch als richtig: Die Genossenschaftsbe-
    wegung muß im großen Stil, im nationalen Maßstab organisiert werden. Denn die Produzen-
    ten-Demokratie im einzelnen Betrieb kann sich auf Dauer nur behaupten, wenn sie in eine
    ökonomische Struktur eingebettet ist, die es auch den erfolgreichen Betrieben und deren
    Genossen schwer macht, sich abzuschließen bzw. (die zweite Möglichkeit) ihre Genossen-
    schaftsanteile an Außenstehende (Kapitalisten) zu verkaufen und ihrerseits
    Kapitaleigentümer zu werden. Daraus folgt nicht, dass alle einzelnen Betriebe unbedingt die gleiche „genossenschaftliche“ Verfassung haben müssen; eine „gemischte“ Ökonomie, in
    der verschiedenartige Unternehmensformen nebeneinander bestehen, kann durchaus eine
    Alternative sein, solange die Übermacht rein privatkapitalistischer Unternehmen dadurch
    verringert wird. Allerdings bedeutet jeder Schritt über die betriebliche Wirtschaftsdemokratie
    hinaus – abgesehen von der bewußten und systematischen Förderung genossenschaftlicher
    Betriebe – auch den Beginn einer Art von gemeinschaftlicher Planung der Genossenschaften,
    die strategische Entscheidungen über die Bündelung ihrer Kräfte und den gezielten Einsatz
    ihrer vereinten Investitionsmittel zu treffen haben. Ohne eine Strukturpolitik, eine auf
    Branchen und Regionen gerichtete Expansionspolitik läuft die „Wirtschaftsdemokratie“
    Gefahr, auf wenige und weniger gewichtige Branchen zurückgedrängt bzw. in Nischen und
    Ghettos eingesperrt zu werden. Ergo gehört eine auf Schlüsselsektoren und – branchen
    gerichtete Investitionspolitik, mithin Investitionsplanung und -lenkung zur
    genossenschaftlichen Wirtschaftsdemokratie (vgl. Nove 1992). Aber auch das ist nicht
    genug. (…)

  • Hans Nerge hat ein ganzes Buch über die Genossenschaft Mondragon geschrieben:
    „Auf der Suche nach der zukunftsfähigen Gesellschaft – Fundort Mondragon“

    In einem Nachwort schreibt der Autor:

    Dieses Buch hat seinen Anfang genommen in dem kleinen „Arbeitskreis
    Dritte Ökonomie“ der E.F. Schumacher-Gesellschaft für politische Ökologie e.V. in München.

    Beim Literaturstudium zur alternativen Entwicklungshilfe in diesem
    Zusammenhang stieß ich auf einen Artikel über Mondragon, der meine
    Aufmerksamkeit erregte. Ich hatte bis dahin noch nichts davon gehört. Die weitere
    Suche förderte das englischsprachige, detaillierte Werk „Making Mondragon“ von
    Whyte and Whyte zutage, dessen Autoren Lehrstühle für Arbeitssoziologie an der
    Cornell-University in New York innehaben.

    Mondragon ist ihr Forschungsgegenstand seit den sechziger Jahren. Die
    Autoren haben das Vertrauen der Mondragoner gewonnen, und diese haben ihnen
    Einblick in ihre Strukturen und Abläufe gewährt. Ihr Bericht macht in
    beeindruckender Weise verständlich, worauf der Erfolg der kooperativen
    Produktionsweise Mondragoner Art beruht. Ihre Forschungsarbeit ist die
    Hauptquelle der in diesem Buch über Mondragon widergegebenen Informationen.

    Lehren aus Mondragon:

    Welche Faktoren sind für die Entstehung des kooperativen Wirtschaftssystems in
    Mondragon von Bedeutung?
    Betrachten wir zunächst den kulturhistorischen Hintergrund: Die Tatsache,
    daß Basken und Japaner (siehe Kapitel „Schlanke Produktionsweise“) unabhängig
    voneinander mit ähnlichen Traditionen ähnliche Produktionsweisen hervor-
    gebracht haben, zeigt meines Erachtens, daß die Kulturgeschichte als Wirkungs-
    faktor zweifellos beteiligt ist.
    Das heißt, wenn wir bei uns für die Ausbreitung der Mondragon-Ökonomie
    arbeiten wollen, müssen wir ein größeres Stück Überzeugungsarbeit leisten, als
    dies in Mondragon notwendig war. Denn bei uns sind heute die wertvollen
    sozialen Traditionen durch die Massenmedien weitgehend aus dem kollektiven
    Gedächtnis verdrängt worden.
    Als ein zweiter, ebenso begünstigender Faktor ist meines Erachtens die
    historische Situation am Ende des Krieges anzusehen. Unter solchen Umständen
    ist das etablierte Machtgefüge im Staat geschwächt und zur wirksamen Kontrolle
    des Landes kaum fähig. In der Geschichte waren dies häufig Momente politischer
    Veränderungen und gesellschaftlicher Neuanfänge.
    Die gegenwärtigen Krisenerscheinungen bei uns, die Massenarbeitslosigkeit
    und die Verschuldung des Staates bis zu seiner Handlungsunfähigkeit, sind in ihrer
    Wirkung auf das Machtgefüge noch nicht vergleichbar. Sie wären aber ein stetig
    wachsender Druck für gesellschaftliche Veränderungen, wenn sie von den Medien
    nicht weitgehend ignoriert, sondern ihrer gesellschaftlichen Bedeutung gemäß zum
    Gegenstand öffentlicher Diskussion gemacht würden.
    Hoffen wir, daß die Massenarbeitslosigkeit und Staatsverschuldung sich als
    historisch begünstigende Faktoren für die Ablösung der kapitalistischen
    Produktionsweise durch die demokratische herausstellen werden.
    Der dritte zu bewertende Faktor ist Don José Maria. Seine Handlungsweise
    hat eine Reihe von Aspekten, die jeder für sich als ein eigener Faktor von großer
    Bedeutung anzusehen sind.

    Da ist zunächst der Vorgang, daß ein solch kritischer und politischer Geist
    überhaupt Theologie studierte und in die damals in Spanien gesellschaftlich
    einflußreiche Stellung eines Priesters gelangen konnte.
    Das würde die Kirche bei uns heute wahrscheinlich nicht mehr zulassen.
    Seine Vorstellungskraft, ein solches Ziel zu entwickeln, der Entschluß, allein
    auf sich gestellt für seine Verwirklichung zu arbeiten, und die Fähigkeit, den
    praktischen Weg dahin im Beruf des Priesters gefunden zu haben, stellen für mich
    eine gewaltige intellektuelle und menschliche Pionierleistung dar, wie man sie nur
    selten in der Geschichte antrifft.
    Die persönlichen Lebensumstände eines Priesters boten die Voraussetzung
    dafür, daß Don José eine Aufgabe von solcher Dimension überhaupt für sich ins
    Auge fassen konnte. Denn das Privatleben eines katholischen Pfarrers
    unterscheidet sich bekanntlich von dem eines normal arbeitenden Familienvaters
    mit durchschnittlicher Alltagsbelastung um einiges. Es gibt jenem Handlungs-
    möglichkeiten, die diesem gewöhnlich verwehrt sind.
    Als politischer Kopf erkannte Don José die Möglichkeiten, die ein Priester
    hat, um auf die Menschen einzuwirken. Er stellte diese Möglichkeiten ganz in den
    Dienst seiner Sache. Ich kann mir vorstellen, daß seine Predigt am Sonntag eine
    größere Wirkung auf die Mondragoner Bürger ausübte, als alle Zeitungen an den
    sechs Tagen der Woche zusammengenommen.
    Es besteht für mich kein Zweifel, daß die Unterstützung durch die Bürger ein
    bedeutender Faktor für den Erfolg war, denn weder die erste Ausbildungs-
    einrichtung noch die erste Kreditkooperative wären ohne die tatkräftige Hilfe der
    Bürger zustande gekommen.
    Die Mondragoner waren aber seinem Anliegen wahrscheinlich auch
    aufgeschlossener gegenüber, als es von den Menschen bei uns heute zu erwarten
    ist, denn zum einen war der Krieg noch nicht vergessen, und zum anderen
    unterscheiden sich die überlieferten Wertvorstellungen der Basken doch etwas von
    den unsrigen.
    Seine Vorgehensweise in der Sache zeugt vom richtigen Verständnis der
    Grundlagen, auf denen die moderne Gesellschaft ruht: Das Wichtigste ist die

    Ausbildung, deshalb mußte mit ihr der Anfang gemacht werden. Dann kommt die
    Organisation der Arbeit und dann das Kapital.
    Die Ausbildungsstätten in Mondragon sind den vergleichbaren Einrichtungen
    bei uns zweifellos überlegen, weil sie auch auf die organisatorischen Seiten des
    Produktionsablaufs in den Betrieben vorbereiten. Wenn wir ein auf Dauer
    konkurrenzfähiges Genossenschaftssystem bei uns aufbauen wollen, wird es wohl
    nicht ohne eine entsprechende Verbesserung unserer beruflichen
    Ausbildungseinrichtungen gehen.
    Ein besonderer Faktor von eigener Bedeutung war die frühe Gründung der
    Kreditbank, nachdem der erste industrielle Gemeinschaftsbetrieb sich als
    überlebensfähig erwiesen hatte. Ohne diesen Schritt hätten die Kooperativen eine
    solche Entwicklung nicht nehmen können. Er zeigt, daß Don José die
    Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Politik durchschaut und ihre große
    Bedeutung für sein Projekt erkannt hatte.
    Von noch größerer Bedeutung aber waren seine Bemühungen um die Jugend.
    Hier lag seine größte und schwierigste Aufgabe:
    Wenn ein Neuanfang zu wirklich bleibenden Veränderungen führen sollte,
    dann mußte er die Jugend dazu bringen, ihre eigene Zukunft selbst in die Hand zu
    nehmen.
    Daß ihm dies zusammen mit der neuartigen Wirtschaftsform gelungen ist,
    macht ihn für mich zu einem der großen Männer des zwanzigsten Jahrhunderts.
    Nichts anderes als das, was Don José Maria vor fünfzig Jahren tat, müssen
    wir heute tun: wir müssen uns an die Bevölkerung und ganz besonders an die
    Jugend wenden.

    Kritik

    Nach unseren Maßstäben läßt die Produktpalette des Genossenschafts-
    Verbundes sehr zu wünschen übrig. Aktivitäten mit Bezug zur Umweltproblematik
    sind kaum vorhanden. Meines Erachtens ist dies ein Zeichen dafür, daß in der
    Region die Probleme und/oder das Bewußtsein der Bürger noch nicht den Stand
    erreicht haben, der zur Nachfrage solcher Produkte führt und ökonomisch
    tragfähige Aktivitäten ermöglicht.
    In unseren Regionen dagegen haben die kooperativen Ansätze zum
    allergrößten Teil eine ausgeprägte umweltbezogene Orientierung, wie auch das
    weiter unten beschriebene Modell der genossenschaftlichen Ingenieurgruppe in
    München zeigt.
    Der geneigte Leser ist daher aufgefordert, fein säuberlich zu unterscheiden
    zwischen dem Prinzip der demokratischen Produktionsweise und ihrer besonderen
    – allerdings erst einmaligen -Ausformung am konkreten Orte Mondragon. Hier
    sollte das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Bei uns hätte und hat
    die genossenschaftliche Produktionsweise in bezug auf Umweltorientierung ein
    anderes Gesicht.

    Lohnspreizung

    Mancher von uns wird das Ausmaß und die Entwicklung der Lohnspreizung
    in Mondragon zum Anlaß nehmen, dieses Wirtschaftssystem als nicht
    erstrebenswert anzusehen oder ganz abzulehnen. Auch mit meinen Vorstellungen
    von einer gerechten Wirtschaftsweise sind die Lohnunterschiede in Mondragon
    nicht vereinbar.
    Die wichtige Frage, die hier zu stellen ist, lautet: Führt der Mondragoner
    Weg aus dem kapitalistischen System heraus oder nicht? Die Tatsache, daß die
    Lohnspreizung seit den Anfängen kontinuierlich angestiegen ist, bereitet auch mir
    ernsthafte Sorge. Dieses Thema ist von großer Bedeutung und muß sorgfältig
    bearbeitet werden:
    Keine Frage, die Einkommensverteilung ist der grundlegende Maßstab, an
    dem die Menschlichkeit einer Gesellschaft zu messen ist. (Aus diesem Grunde
    erfahren wir auch bei uns nichts über sie.) Aber es hat den Anschein, daß eine

    menschliche Gesellschaft mit den konkreten Menschen hier und heute nicht zu
    machen ist. Wie kann das sein?
    Die kapitalistische Gesellschaft ist eine hierarchische Gesellschaft. Ohne die
    Hierarchie funktioniert sie nicht. Wir alle sind mit dieser Hierarchie im Blickfeld
    aufgewachsen. Unser beruflicher Werdegang bemißt sich danach, welchen Platz
    auf der Stufenleiter wir erreichen.
    Wozu dient die Hierarchie? Die kapitalistische Gesellschaft muß eine
    Eigentumsverteilung aufrechterhalten, die von einem leeren Sparkonto bis zu mehr
    als hunderttausend des durchschnittlichen Jahreseinkommen reicht. Sie muß eine
    Einkommensverteilung aufrechterhalten, die z.B. in den USA den Bereich von
    10Tsd bis 100Mio Dollar pro Jahr – also das zehntausendfache – umschließt.
    Wie werden die Menschen dazu gebracht, solche immer noch feudalen
    Zustände aufrechtzuerhalten? Wir Sklaven in den gewerkschaftlichen
    Lohngruppen haben keine Wahl, wir müssen mitmachen, wenn wir überleben
    wollen.
    Das Problem der Lohnspreizung liegt darin, daß die „Besserverdienenden“
    nicht bereit sind, eine egalitäre Einkommensverteilung zu akzeptieren – auch nicht
    auf ihrem eigenen hohen Niveau. Sie beanspruchen Privilegien! Ohne diese sind
    sie nicht bereit, mitzumachen. Der Abstand nach unten muß gewahrt bleiben!
    Wie entstehen diese Ansprüche? – Sie entstehen im wesentlichen durch das
    kapitalistische Erziehungs- und Ausbildungssystem:
    Unser Edukationssystem ist von unten bis oben auf die hierarchische
    Struktur der Gesellschaft ausgerichtet. In der Regel führt es mehr oder weniger
    genau auf einen bestimmten Platz in der betrieblichen und damit auch
    gesellschaftlichen Hierarchie.
    Dies geschieht dadurch, daß viele Ausbildungsgänge so angelegt sind, daß
    sie geradewegs in die abhängige Beschäftigung und Unselbständigkeit führen; nur
    wenige Ausbildungsgänge ermöglichen dem Absolventen eine ökonomisch
    selbständige Existenz. Die erste Aufgabe des kapitalistische Ausbildungssystems
    besteht darin, die jungen Menschen dazu zu bringen, die Hierarchie zu akzeptieren
    und sich mit dem Platz abzufinden, auf dem sie darin – meist völlig ungewollt –
    landen.
    Wenn es wirklich ums Lernen ginge an unseren Schulen, dann sähe der
    Unterricht anders aus: Die große Pädagogin Maria Montessori hatte bereits
    anfang des 20. Jahrhunderts herausgefunden, daß der junge Mensch von der Natur
    mit einem Selbstentwicklungs- und Selbständigkeitstrieb ausgestattet ist, für den
    nur zum richtigen Zeitpunkt das richtige Angebot vorhanden zu sein braucht, um
    nicht mehr aufgehalten werden zu können…
    In der Regel hat der junge Student bei uns das hierarchische Prinzip in der
    Gesellschaft schon verinnerlicht. Das braucht ihm gar nicht bewußt zu sein. Es
    genügt, wenn er nach seinem eigenen Vorteil strebt und ein Ausbildungsziel zuerst
    danach auswählt, inwieweit es ihm ein hohes Einkommen verspricht.

    „Mit Speck fängt man Mäuse.“
    (Volksweisheit)

    Beim Eintritt in das Berufsleben ist er dann häufig nicht wenig überrascht
    von der konkreten Wirklichkeit der Machthierarchie im Betrieb und dem Platz,
    den man ihm darin zunächst zuweist. Dann beginnt der Gebrauch der Ellenbogen
    für die Karriere. Und das, was er sich auf diese Weise „schwer erkämpft“ hat, soll
    er freiwillig aufgeben? Eine egalitäre Einkommensverteilung wird er nicht
    akzeptieren!
    Die Hürden nach oben zu überwinden, gelingt nicht durch fachliches
    Können. Für den Aufstieg entscheidend ist die Qualifikation zum Sklaventreiber.
    Für diejenigen, die allein durch gute Arbeit nach oben kommen wollen, bleiben die
    Hürden unüberwindlich. Weil dies so ist, brauchen wir das Märchen vom
    „Tellerwäscher zu Millionär“: Hat es einmal einer von Millionen durch gute Arbeit
    geschafft, so steht es groß in der Zeitung, damit alle sehen, wie wunderbar unsere
    Gesellschaft ist.
    Wie sähe dagegen ein demokratisches Ausbildungssystem aus?
    Ein demokratisches Ausbildungssystem bestünde ausschließlich aus
    gleichwertigen Ausbildungsgängen. Es wäre ausschließlich horizontal gegliedert
    in verschiedene Fachgebiete. Der Absolvent würde mit allen Fähigkeiten und
    Kenntnissen ausgestattet, die er braucht, um in seinem Fachgebiet eine
    ökonomisch selbständige Existenz führen zu können.
    Die heutige Trennung des Ausbildungswesens in zwei Bereiche, den
    praktischen Berufen auf der einen und den theoretischen auf der anderen Seite, die
    Spaltung der Gesellschaft in Handwerker und Akademiker, in Schichten mit
    niedrigerem und höherem gesellschaftlichen Ansehen und Einkommen wird im
    demokratischen Ausbildungssystem so nicht mehr bestehen können. Jede
    Berufsausbildung wird für das jeweilige Gebiet die notwendigen praktischen und
    theoretischen Fähigkeiten gleichermaßen vermitteln. Jeder Beruf wird ein
    „Kopfhandwerk“ sein.
    Denn die Trennung von Kopf und Hand ist absolut widersinnig: Sie macht
    jeden Menschen zum Krüppel: Der Kopf kann nichts ohne die Hand, die Hand
    nichts ohne den Kopf machen. Ohne Verbindung zwischen beiden ist
    realitätsgerechtes Handeln nicht möglich.
    Die künstliche Trennung von Kopf- und Handarbeit schafft die
    Notwendigkeit für ein neues, künstliches Verbindungsglied zwischen ihnen: Beide
    brauchen jetzt einen Chef, der ihnen sagt, was sie zu tun haben. Nur dann kann
    jetzt noch etwas Sinnvolles zustandekommen. (Und der Chef stellt sicher, daß
    beide sich nicht unmittelbar verständigen und direkt miteinander verhandeln
    können.)
    Daß diese Art der Arbeitsorganisation jedoch die Leistungsfähigkeit eines
    Krüppels nur unwesentlich übersteigt, erlebt jeder Arbeitende jeden Tag an seinem
    Arbeitsplatz. In der Regel weiß er nur nicht, wie er daran etwas ändern könnte.
    Die Ausstattung des Einzelnen mit den umfassenden Fähigkeiten des
    Kopfhandwerkers ist die erste Voraussetzung für die kooperative Ökonomie. Die
    zweite Voraussetzung ist, daß es ihm leichtgemacht werden muß, die reale
    Berufspraxis kennenzulernen und z.B. als Hospitant Zugang zu allen
    Arbeitsbereichen der Wirtschaft zu bekommen. Die dritte Voraussetzung ist, daß
    der Absolvent zum Zeitpunkt seines Abschlusses über ein gesellschaftliches
    Erbteil verfügen können muß (siehe Kap. 12.3.1), mit dessen Hilfe er
    Produktionsmittel erwerben oder sich in einen bestehenden Gemeinschaftsbetrieb
    eingliedern kann.
    Auf dieser ökonomischen Basis sind dann feudale Einkommensunterschiede
    nicht mehr möglich. Auf dieser Basis kann sich dann eine Gesellschaft entwickeln,
    die den Namen „Demokratie“ wirklich verdient.
    Eine solch weitreichende Ausbildungsreform, wie sie hier skizziert ist, haben
    sich die Mondragoner meines Wissens jedoch nicht vorgenommen. Sie hätten
    jedoch in ihren eigenem Ausbildungssystem die Möglichkeiten dazu.
    Die Frage, die wir hier zu stellen haben, heißt: wer bestimmt heute in
    unseren Bildungseinrichtungen mit welcher Zielsetzung die Lernziele, die
    Ausbildungs-gänge und die Organisation des Lehrbetriebes? Ich kann nicht
    erkennen, daß bei uns Selbständigkeit im Denken, Entwicklung der Persönlichkeit
    und verantwortliches Handeln zu den Bildungszielen bei uns gehören.

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