Besuch beim Genossenschaftsverband sowie bei drei Produktivgenossenschaften (für Leder- und Metallprodukte, Textilien und Spielzeug) – in Südböhmen und Mähren. Andreas Wegner photographierte, Stepan Benda dolmetschte und filmte.
Wir begannen unsere Interviewtour in Prag – bei:
1. JAN WIESNER, Präsident des Verbandes der böhmischen und mährischen Produktivgenossenschaften. (Prag, Wenzelsplatz) – SCMVD
Interview-Fragen (vorab notiert):
a) Aufgabe des Verbandes/Und Verhältnis zu den Mitgliedsgenossenschaften
b) Entwicklung der tschechischen Genossenschaften aus dem Sozialismus heraus
c) Sind diese aufgrund ihrer Erfahrung mit dem Sozialismus besonders unideologsch und pragmatisch?
d) Besteht die Gefahr, dass sie sich irgendwann nicht mehr von anderen Firmen unterscheiden – und ggf. die juristische Form dann auch wechseln (GmbH oder AG)?
e) Wieviel verdienen die Geno-Mitarbeiter und wieviel die -Manager: 1:6? Und gibt es eine Gewinnbeteiligung?
f) Geht es in den Genossenschaften auch um Soziales, d.h. darum, dass die Mitglieder sich allseits bilden und in der Lage sein sollen, alle möglichen Kopf- und Handarbeiten in der Genossenschaft machen zu können? Gibt es eine Rotation bei den Aufgaben?
g) Geschehen viele Geno-Gründungen in Tschechien aus Kapitalmangel?
h) Haben Genossenschaften Zukunft – werden sie mehr? oder weniger?
i) Gibt es ein Verbesserungs-Vorschlagswesen in den Genossenschaften?
k) Sehen Sie boch gravierende Mängel in den Genossenschaften bzw. in deren Produkten?
l) Sehen Sie bei einer möglichen Kooperation zwischen Genossenschaften und dem Designfachbereich der Universität Usti nad Labem die Gefahr einer wachsenden Arbeitsteilung?
Nach Auflösung des Sozialismus 1989/90 bzw. der Trennung zwischen Tschechien und der Slowakei 1992/1993 wurde mit der Novellierung eines neuen Genossenschafts-Gesetzes das alte Prinzip „Ein Genosse – eine Stimme“ aufgeweicht, dahingehend, dass nun auch die Höhe der Einlage für die Anzahl der Stimmen maßgeblich sein kann.
Herr Wiesner in seinem üppigen Verbandsbüro scheint ein bißchen mit den Unternehmerverbänden konkurrieren zu wollen, also mit denen auf gleicher Augenhöhe zu verkehren. Sein Verband gibt die Monatszeitschrift „Vyrobni Druzstevnictvi“ heraus.
2. Genossenschaft DUP – 393 17 Pelhrimov, Remenovska 1999, Galanteriewaren (Manikürsets, Etuis, Diplomatenkoffer, Schminkkoffer, Aktenkoffer), sowie eine Brauerei namens „Pilger-Bräu“. Wir sprachen mit Ing. Josef Cakovsky, Sales Department Manager
Am Hauptstandort der DUP besichtigten und filmten wir ferner die Näherei, die Lederwerkstatt, den Schauraum, das Designzentrum, die Verwaltung, das Lager und die Kantine.
Und hielten uns dort eine halbe Stunde im großen Saal auf, wo die Frauen an Pfaff- und Adler-Nähmaschinen arbeiteten, zwischendurch gingen immer wieder einige zum Mittagessen raus. Im Saal wie überhaupt in dem ganzen Gebäude standen überall Topfpflanzen, ein Radio lief.
Die ganzen Arbeitsprozesse waren von einer gewissen Gelassenheit geprägt. Keine Hektik, kein Maschinenlärm, obwohl etwa 20 von 60 Nähmaschinen ständig in Benutzung waren. Es gab auch keine Anzeichen von Erschöpfung, Überanstrengung oder Genervt-Sein. Die Frauen waren in allen Altersgruppen. Schon allein das stand in scharfem Kontrast zu den Bildern von jungen Näherinnen, wie man sie aus Filmen über chinesische Fabriken kennt. Die „beste Näherin“ ist in der DUP wohl sicher nicht eine, die am meisten Teile pro Schicht zusammennäht.
Von der Betriebsleitung waren keine genauen Angaben über ihre Löhne zu erfahren, nur dies: Sie würden sich an der untersten Grenze der in Mähren üblichen Durchschnittlöhne bewegen. Am Hauptstandort arbeiten heute etwa 200 Leute – einschichtig.
Früher gab es in der ganzen Genossenschaft 800 Mitarbeiter, es wurde zweischichtig gearbeitet. Nach der Wende gründeten sich zwei Betriebsteile aus, dafür wurde 2001 die Brauerei noch mit übernommen. Dort arbeiten 29 Leute.
Früher wurden von der DUP täglich 6000 Manikürsets produziert – sie gingen vor allem in die Ukraine, nach Russland, Ungarn und in die DDR. Heute wird schwerpunktmäßig vor allem die Ukraine beworben. Die Marketing-Abteilung hat 7 Mitarbeiter, plus einen Externen, der die Plakate macht und die Photomotive auswählt: meistens ein kaum bekleidetes junges Mädchen, das sich ein schickes Manikür-Etui vor die Blöße hält. Für die Ukraine produzierte man kürzlich einen Werbeclip auf DVD: Es zeigt die Herstellung von Nagelscheren, -feilen etc. in der DUP-Metallfabrik in Novy Rychnov, dort u.a. den Einsatz eines erst nach der Wende angeschafften Industrieroboters – namens „Emil“, der vier Arbeiter ersetzt. Dieser Firmenwerbefilm ist seitdem mein Lieblingsvideo: Während in manchen Genossenschafts-Werbefilmen kein einziger Arbeiter vorkommt, auch wenn es um die Produktion geht (daneben bekamen wir auch viele Videos, auf denen nur die Produkte gezeigt werden), sieht man auf dem DUB-Video nur Arbeiter und feuer- bzw. funkensprühende Maschinen. In der DUB-Metallfabrik arbeiten heute 65 Leute. Die meisten Maschinen stammen von der Firma Berger in Wuppertal. Früher arbeiteten dort an 7 Maschinen 7 Arbeiter, heute bedient einer allein sieben Maschinen. Nebenbei wird in der DUP-Genossenschaft auch im Auftrag produziert – z.B. für Siemens und BMW, Außerdem Rollstühle für Meyre/BRD, Erste-Hilfe-Taschen für das Schweizer Rote Kreuz, für die tschechische Feuerwehr usw.. Dazu lautet die Angabe der Geschäftsführung;: 40% eigene Produktionen, 60% Kooperationen. Der Betriebsleiter der Metallfabrik, er hält 9 Stimmen, meint: Entscheidend bei den Genossenschaften sei das Statut, das sie sich selbst gibt. Bei der DUP kann man seine Anteile nur an jemanden verkaufen, der Mitglied ist oder wird. Zur Zeit werden jedoch keine neuen Mitglieder aufgenommen. Am Hauptstandort in Pelhrimov, wo vor 13 Jahren die Lehrlings-Abteilung geschlossen wurde, wird beklagt, dass man heute kaum noch Lehrlinge findet, es gibt keine Ausbildung als Sattler mehr in ganz Tschechien und dass man auch Nachwuchsprobleme in der Metallverarbeitung hat, zu der eine große Galvanisier-Abteilung gehört.
Die Genossenschaft DUP wurde am 15.5. 1945 gegründet – um den Frauen im Ort und drumherum, deren Männer im KZ oder im Gefängnis gewesen waren, eine Verdienstmöglichkeit zu verschaffen. Zu Anfang bemalten sie Holzobjekte. Diese sind im Schauraum noch zu besichtigen.
Für das Bier möchte man in Deutschland Absatz finden, deswegen wurde ein Prospekt auf Deutsch hergestellt.
Interviewfragen: a) Wie kommt es zu den verschiedenen Standorten?
b) Wieviele Mitarbeiter insgesamt – und wieviele sind davon Mitglied in der Genossenschaft? Wieviel verdienen die Mitarbeiter durchschnittlich?
c) Warum wurde noch die Brauerei dazugekauft?
d) Würden Sie lieber ausschließlich Produkte unter einem DUP-Label herstellen und verkaufen?
e) Wer macht die Werbung in der Genossenschaft?
f) War die Anschaffung des Roboters Emil erst der Anfang – wollen Sie noch mehr Abschnitte der Produktion automatisieren?
3. Genossenschaft VYVOJ, 589 13 Trest, Franze Kafky 13 – stellt Männer-Anzüge und Uniformen sowie Trachtenklamotten, Sportkleidung, GORE-TEX-Klamotten, Overalls, Frauenjacken, -röcke und -hosen her. Wir sprachen hier mit JUDr. Rostislav Dvorak, chairman of general management.
Der Geschäftsführer ging beim Interview sogleich in medias res, wie Josef Neckermann zu sagen pflegte: „China hat das höchste Produktionsniveau auf der Welt. Und das ist maßgebend. 70% der Verbraucher kaufen, was ihnen gefällt und billig ist. In Deutschland entscheiden allerdings immer mehr auch soziale und ökologische Produktionsfaktoren. An sich ist die Textilindustrie in Europa faktisch nicht mehr existent. Kollektive Entscheidungsprozesse sind hervorragend – beim gemeinsamen Grillen am Feuer, aber nicht in einem modernen Produktionsbetrieb.“
Die Genossenschaft VYVOJ wurde 1931 gegründet – von 19 Leuten, kleinen Herstellern, die sich von der Industrialisierung bedroht fühlten und deswegen zusammenschlossen. Heute hat die Genossenschaft 250 Mitarbeiter, davon sind 100 Genossen. Das Minimum, um Mitglied zu werden, liegt bei 5000 Kronen (in der taz bei 500 Euro) – das bedeutet 1 Stimme. Der Chief-Manager und sein junger Stellvertreter haben bereits 70% der Stimmen auf sich vereint. „Das Genossenschafts- oder Transformationsgesetz von 1992, im Rahmen der Privatisierungen entstanden, hat radikale Veränderungen ermöglicht. Das Stimmengewicht richtet sich nun nach der Höhe der Einlagen. Die Genossenschaften können das machen wie sie wollen. VYVOJ hat zur Festigung der Arbeitsdisziplin die Macht konzentriert, über das neue Prinzip wurde dann abgestimmt – und es wurde akkzeptiert. Bei VIVOJ wird im Akkord gearbeitet, auch darüber wurde abgestimmt und es wurde angeblich ebenfalls akzeptiert.
Es werden dort vornehmlich Herrenanzüge – unter dem Label „Chairman Style“ produziert, daneben Schutzkleidung für Extrembedingungen – mit GORETEX-Materialien: für Armee, Feuerwehr, Rettungsmannschaften…Davon sind viele öffentliche Aufträge, man braucht dafür bestimmte EU-Zertifikate. Die Herrenanzüge werden auch für Boss und Bäumler z.B. produziert, im VYVOJ-Laden sind sie natürlich billiger, daneben gibt es noch einen Laden für halb-maßgefertigte Anzüge sowie eine Schneiderei für komplette Maßanzüge. 95% der Waren gehen in den Export – in die Schweiz, BRD, Österreich und Italien. Die Stoffe bezieht VYVOJ zu 80& aus Italien und zu 20% aus Tschechien. Ihre Design-Abteilung hat 12 Mitarbeiter, ihre Marketing-Abteilung 11.
Die Genossenschaft wurde uns vom Verbandspräsidenten Jan Wiesner wärmstens empfohlen, sie sei seine beste, „absolute Spitze“, sagte er sogar – sie habe ein großes Sortiment und arbeite viel für den Export. Er machte dann auch gleich einen Termin für uns bei VYVOJ in Trest aus. Ihr Geschäftsführer behauptet von sich, er sei seit 31 Jahren in der Genossenschaftsbewegung aktiv, während des Kommunismus wären die Genossenschaften jedoch Staatsbetriebe gewesen.
Interviewfragen: a) Stunden- oder Stücklohn?
b) Warum macht die Abwertung des englischen Pfunds ihnen Probleme?
In Trest/früher Triesch wurde Joseph Schumpeter geboren, sein Elternhaus ist heute Domiziel der Schumpeter-Gesellschaft, Vaclav Klaus hält dort gelegentlich Reden. Er wurde 1993 Staatspräsident und ist es nun wieder. Er ist ein Anhänger von Margaret Thatcher, Ronald Reagan, Milton Friedman und Friedrich Hayek – hält die globale Erwärmung für eine bloße Grünen-Hysterie und ist auch sonst ein rechter Unsympath. Schumpeter war ein österreichischer Ökonom und prägte die Begriffe „Schöpferischer Unternehmer“ sowie „schöpferische Zerstörung durch Wettbewerb“. Dieser ganze illustre Haufen ist nicht gerade genossenschaftsfreundlich gesinnt – um das Mindeste zu sagen.
4. Genossenschaft JAS in 378 02 Straz nad Nezarkou, nam. Emy Destinnove 6, Gespräch mit der Sales-Managerin Vladimira Syrinek, sie arbeitete über 10 Jahre in den USA.
Diese Genossenschaft wurde 1946 gegründet, sie stellt Spielzeug aus Buchenholz her. Ihre Produkte sind CFCS und PEFC zertifiziert, das Holz stammt aus tschechischen Wäldern, die von ihr verwendeten Farben sind gesundheitlich und ökologisch unbedenklich. Zu ihren Kunden gehören Hersteller, Distributoren und Händler von Spielsachen.
Die Genossenschaft befindet sich in einem kleinen 900-Einwohner-Ort, es gibt dort ein bißchen Tourismus und etwas Kultur im Schloß, ansonsten zirkuliert sehr wenig Geld im Dorf. Von der Straße sieht man fast nur ihren kleinen Verkaufsladen. Aber dahinter erstreckt sich ein riesiges Betriebsgelände, bestehend aus einer Sägerei, einer Fräsabteilung, einem Verwaltungsgebäude, einer Färberei, einen Holzlagerplatz, einer Trocknungsanlage, einem Heizhaus zum Recyceln der Schnittabfälle, aus Lagerräumen und mehreren Schauräumen. Früher hätten sie mehr Mitarbeiter gehabt, jetzt weniger, sie müßten unbedingt wieder mehr investieren, meint die Sales-Managerin, die auch noch erwähnt, dass gerade ein Großabnehmer bankrott ging, was JAS einen Verlust von 100.000 Euro bescherte.
Außerdem haben sie immer wieder Probleme mit Produktpiraten: „Nach spätestns einem halben Jahr wird jeder neue Spielzeug kopiert“. Es sieht im übrigen ein wenig aus wie von tschechischen Kinderfilmen inspiriert. Das EU-Copyright hilft ihnen da nicht – zu teuer, sie lassen nur die mechanischen Teile schützen, das Design jedoch nicht. Die Mechanik für das Spielzeug denken sie sich selbst aus, das Design lassen sie entwerfen. Am Schluß geht es zu einer staatlichen Prüfstelle, die es im Hinblick auf die EU-Norm 71, für Kinderspielzeug, abnimmt. Das Holz wird teilweise mit Laser bearbeitet – extern, und schließlich per Hand bemalt. Die Buchen kaufen sie selbst im Wald ein und rekultivieren den Einschlag dann auch selbst. Es gibt in Straz nad Nezarkou viel Wald in der Umgebung, die Holzverarbeitung hat dort Tradition (Möbel- und Bauholz-Herstellung, ganz früher gab es dort auch Holzschnitzer), daneben hat es noch etwas Landwirtschaft im Ort.
Zunächst stellte die Genossenschaft auch für deutsche Firmen Spielzeug her – bis 2003 u.a. für Simba, aber jetzt nicht mehr, sie sind zu teuer, die Firmen nehmen nun Holzspielzeug aus China. Obwohl „Toys R Us“ gerade große Probleme mit giftigem Spielzeug aus China hatte, ist JAS damit noch lange nicht in den Konzern reingekommen. Sie wollen den Verkauf über das Internet demnächst forcieren. Auf dem Land sind ihre Produkte 100% billiger als in Prag. JAS geht zwar auf die Spielzeugmesse nach Nürnberg, aber es bringt nicht viel, die Händler wollen 300% haben und nehmen sowieso lieber Chinaware. Hauptabnehmer ist nach wie vor Deutschland, aber auch die USA und Japan sind wichtige Abnehmer von JAS – der Export macht 70% der Produktion aus. Die tschechischen Spielzeughändler beziehen derzeit mehr und mehr Waren aus China.
Abschließend fragte die Geschäftsführerin: „Womit haben wir das verdient?“ d.h. wo ist da der Haken? Antwort: Nirgendwo, sie müssen bloß das Porto für den Versand einiger ausgewählter Spielzeuge nach Berlin aufbringen. Wenn auf der Ausstellung einzelne Stücke verkauft werden, bekommen sie das, was sie dafür in Rechnung gestellt haben. Darüberhinaus bemüht sich das Projekt „Le Grand Magasin“ um weitere Absatzmöglichkeiten.
Der LGM-Kontaktmann in Tschechien und in der Slowakei, Stepan Benda, entfaltete im Anschluß an diese Reise zu den Genossenschaften und dem Genossenschaftsverband eine ebenso umfangreiche wie erfolgreiche Agitation bzw. Acquise unter den dortigen Genossenschaften, um sie zur Beteiligung an dem Kunstprojekt „Le Grand Magasin“ zu bewegen. Stepan Benda mußte 1968 die Tschechoslowakei verlassen und studierte dann Philosophie in Westberlin. Bei Klaus Heinrich wollte er über die Husserlsche Phänomenologie promovieren, begann dann jedoch ein weiteres Studium – an der Berliner Film- und Fernsehakademie. Zwischen den Interview-Terminen übernachteten wir auf seinem Mühlhof in Südböhmen, wo Stepan Benda uns in einige Feinheiten der Phänomenologie einführte. Nachts war es dort noch bitterkalt, aber morgens sangen schon die Vögel.
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Auszüge aus der Doktorarbeit „Die Entwicklung des Genossenschaftswesens auf dem Gebiet der Tschechischen Republik im Vergleich zu Deutschland“, die 2003 von Josef Janouch am Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der TU München angenommen wurde:
Die gesetzlichen Grundlagen des deutschen und tschechischen Genossenschaftswesens sind gleichen Ursprungs und gehen auf das von Schulze-Delitzsch erarbeitete, 1867 in Preußen eingeführte und 1868 im Norddeutschen Bund verabschiedete Genossenschaftsgesetz zurück, dessen Geltungsbereich 1871 auf das Deutsche Reich ausgedehnt wurde. Das in Österreich-Ungarn durch das böh- misch- königliche Parlament verabschiedete Genossenschaftsgesetz vom 09.04.1873 war von D. Randa nach dem Vorbild des deutschen Gesetzes von Schulze-Delitzsch aufgebaut.
In den ehemals böhmischen Ländern wurde die Pflichtrevision durch die Novelle des Genossenschaftsgesetzes Nr. 133 vom 10.06.1903 eingeführt, und zwar für alle Genossenschaften, die nach dem Gesetz von 1873 gegründet wurden. Die Revision in Deutschland führten ausschließlich die Revisionsverbände durch. In den ehemals böhmi- schen Ländern führte die Revision ein Prüfer des zuständigen Verbandes mit Revisionsrecht (Verband mit mindestens 50 Genossenschaften) oder des Landratsamtes (zuständig für Genossenschaften mit öffentlichem Darlehen) durch. Für Genossenschaften, die keinem Verband angehörten oder vom Land- ratsamt nicht geprüft wurden, wurde die Revision von einem, vom zuständigen Registergericht eingesetzten Prüfer durchgeführt. Die Pflichtrevision erfolgte in beiden Ländern im zweijährigen Turnus. In beiden Ländern gab es eine Ausnahmeregelung, die ab einer genau festgelegten Bilanzsumme eine jährliche Revision vorschrieb.
Mit den gewerblichen Kreditgenossenschaften, die sich später als Volksbanken erfolgreich behaupten sollten, versuchte Schulze-Delitzsch vor allem die Not der Handwerker und Gewerbetreibenden in den Städten zu mildern. Die ersten Genossenschaften nach seinem System entstanden 1849 als sog. Kran- ken- und Sterbekassen sowie als Rohstoffgenossenschaften für Tischler und Schuhmacher. 1850 wurde der erste Vorschußverein, d. h. die erste Kreditgenossenschaft gegründet (Vorschußkasse). Die Entwicklung verlief ausgesprochen positiv. Im Jahre 1859 existierten bereits 300 derartige Genossenschaften (200 Kreditgenossenschaften, 100 Rohstoffvereine). Im Gegensatz zu Schulze-Delitzsch widmete sich Raiffeisen vor allem den Sorgen der ländlichen Bevölkerung. Nach anfänglichen Gründungen von Wohltätigkeitsvereinen entstanden ab 1862 die ersten genossenschaftlichen Darlehenskassen. In ihnen vereinigte Raiffeisen seine Erfahrungen aus den von ihm gegründeten Vereinen, genauso wie die Erkenntnisse aus den von Schulze-Delitzsch gegründeten Genossenschaften. Raiffeisens Darlehenskassen unterschieden sich von den Vorschußkassen in folgenden Punkten:
– Mitglieder zahlten keine Eintrittsgelder oder Einlagen
– Keine Gewinnausschüttung
– Überschüsse wurden als unteilbares Reservekapital dem Vereinsvermögen zugefügt
– Zinserträge wurden nicht an Mitglieder verteilt
– Kleine Wirkungsbereiche der Genossenschaften erlaubten gute Kenntnisse über die Wirtschaftsverhältnisse der Mitglieder
– Risikominimierung bei der Kreditvergabe und Stärkung des Gemeinschaftsgefühls
Bei der Gründung von Genossenschaften ließen sich sowohl Raiffeisen als auch Schulze-Delitzsch von sozialen Motiven leiten. Nach kurzer Zeit konzentrierte sich Schulze-Delitzsch auf das Prinzip der Selbsthilfe und stellte die wirtschaftlichen Erfordernisse in den Vordergrund. Im Gegensatz dazu hielt Raiffeisen unter Betonung christlicher Grundgedanken daran fest, daß die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse, vor allem Mittel zum Zweck sei. Sein Ziel war die Stärkung der wirtschaftlich Schwachen, die Pflege des Gemeinschaftslebens und nicht das Streben nach wirtschaftlichem Erfolg. Die unterschiedliche Prioritätensetzung der beiden führte dazu, daß Raiffeisens Vereine neben der Kreditvergabe auch Zusatzdienstleistungen (Vermittlungsdienste für den gemeinsamen Bezug von Bedarfsstoffen) anboten, wohingegen Schulze-Delitzsch bei seinen Vorschußkassen jegliche Nebentätigkeit ablehnte. Die anfänglich wenig betonten Unterschiede der beiden Genossenschaftsformen führten im Laufe der Zeit zu einer persönlichen Auseinandersetzung zwischen Raiffeisen und Schulze-Delitzsch. Schulze-Delitzsch beanstandete bei den Gründungen von Raiffeisens Genossenschaften die Verletzung der wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen. Insbesondere bemängelte er:
(1) die Nichteinführung der, von Raiffeisen aus karitativen Gründen abgelehnten, aus seiner Sicht jedoch notwendigen, Geschäftsanteile,
(2) die Haftung der Mitglieder der Primärgenossenschaften auf zweiter Ebene, bei der Gründung von genossenschaftlichen Zentralkassen, was Schulze-Delitzsch als unredlich und gegenüber den Mitgliedern als unzumutbar erachtete,
(3) die Vergabe von langfristigen Darlehen (5 bis 10 Jahre) mit einer sechswöchigen Kündigungszeit in Ausnahmefällen, welche Schulze-Delitzsch als Verletzung der sog. Goldenen Bankregel (Überein- stimmung der Fristigkeiten von Einlagen und Ausleihungen) bewertete.
Zu 1: Schulze-Delitzsch vertrat von Anfang an die Ansicht, daß die Kapitalbildung der Genossenschaften durch Geschäftsanteile erfolgen sollte. Er nannte es „ein Haupterfordernis der Selbsthilfe“ und „die Grundbedingung eines jeden Geschäftsbetriebes“ und sah im Eigenkapital das Fundament einer Genos- senschaft. Raiffeisen hingegen vertrat, beeinflußt von den positiven Erfahrungen seines früheren Anhausener Vereins, die Ansicht, daß die Geschäftsanteile nicht erforderlich, ja sogar nachteilig seien. Bei der Festle- gung von Eintrittsgebühren und Mitgliedsbeiträgen bezog er immer die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Mitglieder mit ein. Raiffeisen war jedoch kein grundsätzlicher Gegner von Geschäftsanteilen; so hielt er diese bei Betriebsgenossenschaften (z.B. Winzer- und Molkereigenossenschaften) für erforderlich.
Zu 2: Schulze-Delitzsch hatte erkannt, daß sich die unbeschränkte Mitgliederhaftung, auf der zweiten oder dritten Ebene, der Kontrolle der Mitglieder entzieht. Er sah darin das Ende des Prinzips der Solidarhaftung. Raiffeisen andererseits hielt dies für möglich, was sich auch für kurze Zeit (zwischen 1872 und 1877) in seinem erstmals geschaffenen, dreistufigen Genossenschaftsaufbau (örtliche Darlehens-, regionale Zentralkassen, Generalbank) bestätigte.
Zu 3: Bei der Kritik der Vergabe langfristiger Darlehen versuchte Schulze-Delitzsch die Verhältnisse der Handwerker und Gewerbetreibenden auf die ländliche Bevölkerung zu übertragen. Raiffeisen ging davon aus, daß sich die ländlichen Kreditgenossenschaften deutlich von den städtischen Banken unterschieden. Die Raiffeisenkassen arbeiteten mit den Ersparnissen der einfachen Leute, die erfahrungsge- mäß oft jahrelang fest angelegt wurden und daher auch langfristig ausgeliehen werden konnten. Raiffeisen erkannte die Problematik seiner Kreditgenossenschaften bezüglich Liquidität und versuchte, durch die Gründung zentraler Geldausgleichsstellen eine Lösung zu schaffen. Schulze-Delitzsch, der das Prinzip der Dezentralisierung bevorzugte, hielt dies wiederum für einen Verstoß gegen das Genossenschaftsgesetz.
Die Streitigkeiten zwischen beiden Genossenschaftern wurden schließlich öffentlich ausgetragen, so daß die Behörden in die Auseinandersetzungen eingriffen. Im Dezember 1874 befahl das Preußische Landwirtschaftsministerium die Überprüfung der Raiffeisenkassen. Da das Ergebnis dieser Untersuchung keine Punkte der Beanstandung enthielt, nahm Schulze-Delitzsch während einer Reichstagssitzung im Januar 1876 zu der Bildung von Genossenschaften durch Genossenschaften sowie zu den fehlenden Geschäftsanteilen bei den Raiffeisenkassen Stellung und bekam Recht. Raiffeisen wurde genötigt, bei seinen Darlehenskassen Geschäftsanteile einzuführen. Dadurch waren diese wiederum gezwungen, Dividenden zu zahlen. Raiffeisen empfahl seinen Darlehenskassen, die Dividende auf die Höhe des zu zahlenden Zinssatzes zu begrenzen und den Gewinn einem unteilbaren Stiftungsfonds zuzuführen. Da Raiffeisens Generalbank 1876 und seine drei Provinzzentralkassen ein Jahr später liquidiert werden sollten, gründete er 1876 die Landwirtschaftliche Zentraldarlehenskasse in Neuwied. Aus Gründen der Haftungsfrage wählte er hierbei die Form einer Aktiengesellschaft. Ungeklärt blieb jedoch die Frage der langfristigen Kredite. Schulze-Delitzsch erkannte die Notwendigkeit von langfristigen Krediten in der Landwirtschaft an. Er verwies zu Recht darauf, daß die Kündigungsklausel, bei der in Ausnahmefällen der Kredit innerhalb von sechs Wochen zurückgezahlt werden mußte, von den Mitgliedern nicht eingehalten werden konnte. Eine gesetzliche Regelung dieses Punktes erfolgte jedoch nicht. Ein Verständigungsversuch von Schulze-Delitzsch im Jahre 1877, um die noch bestehenden Meinungsverschiedenheiten auszuräumen, wurde von Raiffeisen abgelehnt, so daß beide Genossenschaftsgründer während der letzten Jahre ihres Wirkens getrennte Wege gingen.
Tschechoslowakei
Ähnlich wie in Deutschland entstanden auch in jenen Ländern der ehemaligen Donaumonarchie, die später die Tschechoslowakei bilden sollten, Genossenschaften aufgrund des Drucks der sich verändernden wirtschaftlichen Bedingungen. Die wichtigsten Gründe hierfür waren die ökonomischen Probleme der Landwirtschaft (fehlende Finanzmittel, Verschuldung u. a.), die eine Folge der Entwicklung der Großproduktion in den böhmischen Ländern war. Kleine und mittlere Landwirte gründeten die Genossenschaften vor allem zur Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber der wirtschaftlich stärkeren Konkurrenz reicher Bauern und Gutsbesitzer, sowie als Schutz gegenüber der staatlichen Agrarpolitik. Diese Genossenschaften waren nur ein Glied in der Kette des ökonomischen Fortschritts. Charakteristisch für das Aufkommen als kapitalistisch bezeichneter Tendenzen in der Landwirtschaft, vor allem Ende des 19. Jahrhunderts, war die beträchtliche Änderung der Eigentumsverhältnisse am Boden.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten und der Suche nach einer passenden Form für die landwirtschaftlichen Unternehmungen entstand eine Reihe gut organisierter landwirtschaftlicher Genossenschaften und Selbsthilfebetriebe, essentielle Grundlage für eine spätere gut entwickelte landwirtschaftliche Produktion. Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen übernahm im Wesentlichen nach einer gewissen Angleichung die im Ausland bewährten Vereinigungsprinzipien. Trotzdem erschienen die ersten Gedanken über die Notwendigkeit solcher Betriebe in jener Zeit, in der z. B. in Deutschland die Prinzipien des Genossenschaftswesens noch nicht gefestigt waren. Die Bildung von Vereinigungen bzw. Genossenschaften und die Anwendung landwirtschaftlicher Selbsthilfe läßt sich ab dem Jahre 1848 in verschiedene Zeiträume untergliedern.
1848 – 1873
Dies war der Zeitraum einzelner Impulse von Personen ohne praktische Lösungen. Ab den 60er Jahren entstand eine Bewegung zur Gründung städtischer Kreditgenossenschaften und Kontributionsvorschußkassen. Sie waren geprägt von den Grundsätzen der Selbsthilfe. Zum Ende dieser Periode entstanden auch wirtschaftliche Selbsthilfebetriebe, z. T. in Form von Aktiengesellschaften (bäuerliche Zuckerfabriken, Mälzereien). In Mähren kam es zur Gründung bäuerlicher Vorschußkassen nach den Prinzipien von Schulze-Delitzsch.
1873 – 1895.
Der industrielle und finanzielle Aufschwung Wiens, welcher durch die fieberhafte Gründung von Betrieben im Handels- und Bankgewerbe in den Jahren vor 1873 entstand, endete mit einer Pleitewelle. Viele Betriebe mußten Konkurs anmelden oder wurden von anderen übernommen. Diese sog. „Wiener Wirtschaftskrise“ stoppte alle Bemühungen zur Gründung von neuen Wirtschaftsbetrieben. Das Genossen- schaftsgesetz von 1873 stellte eine feste Grundlage für das Genossenschaftswesen dar, die zuerst nur von den Vorschußkassen genutzt wurde. Erst ab den 90er Jahren, nachdem eine neue bäuerliche Generation in den Vordergrund trat, erfuhr das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen neuen Aufschwung.
1895 – 1918
Nach der Gründung der landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbände waren die Ortsgenossenschaften nicht länger auf sich allein gestellt. Dies war der Beginn systematischer Genossenschaftsarbeit, die durch Öffentlichkeit und Staat unterstützt und durch die Entstehung der Genossenschaftszentralen für Organisation, Revision, Kredit und Handel geprägt wurde. In dieser Zeit wurde das Netz der Kreditgenossenschaften nach Raiffeisens Prinzip voll aufgebaut, sowie viele Betriebe für Handel und Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte gegründet. Während des Ersten Weltkriegs wurde die wirtschaftliche Stärke der Genossenschaften nicht nur erhalten, sondern erhöht.
Nachdem es in den 70er und 80er Jahren in Böhmen zu einer Stagnation des Genossenschaftswesens gekommen war, nahm erst in den 90er Jahren, parallel zur Entstehung von Zentralen, die Zahl der Genossenschaftsneugründungen wieder zu. Analog zu anderen Ländern entstanden auch hier zunächst Kreditgenossenschaften mit der Aufgabe, den Landwirten billige und langfristige Kredite anzubieten. Diese Kreditgenossenschaften wurden zur Grundlage des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in Böhmen weitere Genossenschaftsformen, z. B. Ankaufs- und Verkaufsgenossenschaften, Verarbeitungs- und Produktionsgenossenschaften sowie Hilfsge- nossenschaften. Seit 1890 entstanden Genossenschaften auch aus spekulativen Gründen, in der Regel zum Nutzen von mittleren und größeren landwirtschaftlichen Betrieben.
Die genossenschaftlichen Organisationen, welche die breiten Schichten der ländlichen Bevölkerung eigentlich vor Übervorteilung schüt- zen sollten, fingen an, der im landwirtschaftlichen Bereich einflußreicheren Bevölkerungsschicht zu dienen. Diese Entwicklung lief bei den Kreditgenossenschaften vor allem in den 90er Jahren ab, bei den Nicht-Kreditgenossenschaften besonders ab Mitte der 90er Jahre und dauerte bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.
Nicht-Kreditgenossenschaften
Ankaufs- und Verkaufsgenossenschaften
Unter den Nicht-Kreditgenossenschaften besaßen die sog. Lagerhausgenossenschaften in den ländlichen Gebieten die größte Bedeutung. Gemessen an der Mitgliederzahl gehörten sie neben den Kreditgenossenschaften zu den größten Institutionen. Ihr Tätigkeitsfeld umfaßte den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen sowie den Einkauf von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln für die Genossenschaftsmitglieder. Die Gründung dieser Genossenschaften erfolgte gleichzeitig mit den von Kampelicky als Folge der Benachteiligung der Landwirte beim Verkauf ihrer Erzeugnisse bzw. beim Ankauf von Industriegütern. Die Landwirte erwarteten von den Lagerhausgenossenschaften die Preisvorteile des Großhandels sowie einen Einfluß auf die Preisbildung. Die auf Kreisebene errichteten Genossenschaften umfaßten im Allge- meinen das Gebiet eines Landkreises mit durchschnittlich 50 Gemeinden.
Verarbeitungs- und Produktionsgenossenschaften
Hierbei sind hauptsächlich die Molkereigenossenschaften zu nennen, die Milch als Frischware verkauften oder diese zu Butter und Käse verarbeiteten. Sie waren, vor allem in den Grünlandgebieten wichtige Partner für die Milchproduzenten. Der Ursprung der Molkereigenossenschaften liegt in Mähren und Ostböhmen, wo bereits 1893 in Palonin/Hana die erste Genossenschaft dieser Gattung gegründet wurde. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs entstanden ca. 120 derartige Genossenschaften. Als weitere Verarbeitungs- und Produktionsgenossenschaften wurden Anfang des 20. Jahrhunderts Brennerei-, Mühlen-, Stärke-, Trocknungs-, Flachsgenossenschaften gegründet, die jedoch nur geringe Mitgliederzahlen verzeichnen konnten (i. d. R. nur die Besitzer von Großbetrieben). Eine dominante Stellung innerhalb dieser Genossenschaften nahmen die Großerzeuger von Kartoffeln, Getreide, Flachs und Wegwarte ein.
Hilfsgenossenschaften
Nach 1900 wurden im ländlichen Raum Hilfsgenossenschaften, vor allem Elektrizitäts- und Maschinengenossenschaften, gegründet. Die Elektrizitätsgenossenschaften bestanden aus kleineren Elektrizitätswerken und befaßten sich mit der Verteilung des Stroms auf die nächstliegenden Gemeinden. Die Ma- schinengenossenschaften dienten zum Kauf von landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten (Sähmaschinen, Dreschmaschinen, Schlepper usw.) und deren Vermietung an die Mitglieder. Die Mitgliedsbeiträge dieser meist auf das Gebiet einer Gemeinde beschränkten Genossenschaften waren so hoch, daß die Maschinen bar bezahlt werden konnten. Beide Genossenschaftsformen wurden wegen der hohen Kapitalbeteiligung meist von Großbauern beherrscht. In der Slowakei und in der Karpatischen Ukraine erfuhren vor allem Versorgungsgenossenschaften einen großen Aufschwung. Das Kreditgenossenschaftswesen war nur schwach entwickelt und auch andere Genossenschaftsarten waren nur vereinzelt anzutreffen. Genossenschaftszentralen
Sämtliche bisher beschriebenen Formen von Genossenschaften (Primärgenossenschaften) konnten durch den Erwerb einer vorgeschriebenen Anzahl von Anteilen Mitglied einer Genossenschaftszentrale werden. Die gleichzeitige Gründung von Primärgenossenschaften und Genossenschaftszentralen wurde mit Hilfe der österreichisch-ungarischen Regierung bzw. nach 1918 mit Hilfe der tschechoslowakischen Regierung durchgeführt. Diese Zentralen dienten den Primärgenossenschaften als Geld-, Handels-, Organisations- und ab 1903 auch als Revisionszentralen. Die erste Genossenschaftszentrale war der „Zentralverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften“, der 1893 in Brünn gegründet wurde. Ein Jahr später entstand der „Verband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften“ in Troppau, 1896 in Prag die „Zentrale Einheit der Wirtschafts- genossenschaften und 1897 der „Zentralverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften. In Brünn wurde 1897 die „Zentrale Einheit der tschechischen wirtschaftlichen Kreditgemeinschaften und 1899 der „Zentralverband der tschechischen wirtschaftlichen Gemeinschaften gegründet. Noch zur Zeit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie entstanden zwei weitere Zentralgenossenschaften. 1901 wurde in Tropau die „Einheit der tschechischen wirtschaftlichen Gemeinschaften und 1909 in Prag der „Verband wirtschaftlicher Genossenschaften ins Leben gerufen. Alle landwirtschaftlichen Verbände in Österreich-Ungarn und somit auch die böhmischen Verbände schlossen sich freiwillig zu der Interessengemeinschaft „Der Allgemeine Verband landwirtschaftlicher Genossenschaft in Österreich zusammen. Hauptaufgaben dieses Spitzenverbandes waren die Vertretung der ländlichen Genossenschaften und deren Verbände bei der Gesetzgebung und Staatsverwaltung, die Beratung und Unterstützung in Genossenschaftsfragen, der Aufbau der Einheitsverwaltung auf der Grundlage der gesetzlichen Revision, die Herausgabe von genossenschaftlichen Zeitschriften, die Schlichtung in Streitfragen sowie die Unterstützung der Entwicklung des Agrargenossenschaftswesens. Zusätzlich unterstützte dieser Verband auch den gemeinsamen landwirtschaftlichen Einkauf, den Verkauf sowie die Produktion und übernahm die Regelung von finanziellen Verbandsüberschüssen.
Der Erste Weltkrieg unterbrach die Entwicklung der Genossenschaften und zerstörte viele davon. Nach dem Zerfall Österreich-Ungarns existierten auf dem Gebiet der neuen Tschechoslowakischen Republik ca. 50 % der Genossenschaften und 25 % der Genossenschaftsmitglieder des früheren Allgemeinen Verbands landwirtschaftlicher Genossenschaften Österreichs. Wie andere kleine Völker z. B. Dänen, Finnen, Iren, Schweizer sahen auch die Tschechen in den Genossenschaften mehr als nur eine un- ternehmerische Form für sozial schwache Schichten.
Für das tschechische Volk bedeuteten die genossenschaftlichen Betriebe gleichzeitig eine Stärkung ihres nationalen Bewußtseins. Eine Welle der Begeisterung bei der Demokratisierung der Wirtschaftsordnung in ganz Europa nach dem Ersten Weltkrieg, zusammen mit der Beliebtheit der Genossenschaftsform in der damaligen Zeit, führte nach Erlangung der politischen Freiheit dazu, daß Genossenschaften die favorisierte Form bei der Gründung neuer Unternehmen war. In den Städten war diese Tendenz stark, in den ländlichen Gebieten schwächer.
Landwirte gründeten nicht unüberlegt neue Genossenschaften, sie versuchten eher die Tätigkeiten bestehender Genossenschaften zu erweitern. Dort, wo es verantwortungsvolle und aus der Vor- kriegszeit erfahrene Menschen gab, kam es zu positiven Entwicklungen. In anderen landwirtschaftlichen Genossenschaften, wo die Erfahrungen und die Finanzkraft überschätzt wurden, kam es zum Zusammenbruch. Zu einer Ernüchterung des Unternehmertums trug auch die wirtschaftliche Depression der Jahre 1922 und 1923 bei. Erst mit der Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion auf das Vorkriegsniveau begann die Erneuerung der Tätigkeiten von Molkerei- und Brennereigenossenschaften. Auch die Bodenreform wirkte sich auf die Gründung neuer Genossenschaften positiv aus.
In der Tschechoslowakei war für die Zeit zwischen 1918 und 1938 vor allem die starke Verbreitung des genossenschaftlichen Bank- und Kreditwesens charakteristisch. Besonders für die gro- ße Zahl der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe war der genossenschaftliche Kredit eine überlebenswichtige Hilfe. Mit der Expansion wurden die Agrarbank sowie andere Kredit- und Finanzzentralen, wie z. B. die UJHD, zu monopolistischen Organisationen, welche nicht nur in die Landwirtschaft eingriffen, sondern auch in Industrie und Handel.
Im Kreditbereich versuchte die Agrarpartei mit Hilfe ihrer Institutionen die Akkumulation der Finanzmittel in der Landwirtschaft und im ganzen ländlichen Bereich unter Kontrolle zu bringen bei gleichzeitiger Verdrängung anderer Finanzinstitutionen aus dem ländlichen Raum. In den 30er Jahren war im Agrarsektor in etwa genauso viel Kapital vorhanden wie in der Industrie. Mit einem verstärkten Geldverkehr der Kreditinstitute stieg auch das Volumen ihrer Warengeschäfte. Die Lieferung von Produktionsmitteln (Dünger, Saatgut, Futter, Maschinen und Geräte) und der Ver- kauf von landwirtschaftlichen Produkten gewannen zunehmend an Bedeutung. Auch die Lagerhausgenossenschaften erweiterten ihre Tätigkeiten nach dem Ersten Weltkrieg um Getreidereinigung, Saatgutvorbereitung und um den Ankauf von Produkten für den bäuerlichen Haushalt (Bekleidung, Schuhe), den sie jedoch bald wieder aufgaben. Mit dem Anwachsen der landwirtschaftlichen Produktion auf das Vorkriegsniveau lebten auch die Molkerei- und Brennereigenossenschaften wieder auf. Solche Genossenschaften entstanden auch in Folge der Bodenreform von 1920 an Stelle von Molkereien und Brennereien früherer Großbetriebe. Eine bedeutende Rolle spielten die Elektrizitätsgenossenschaften, die nicht nur als Vertreter der Stromverbraucher fungierten, sondern auch den Ausbau der landesweiten Strom- versorgung mit finanzierten.
Die Agrarpartei bzw. die Regierung hatte die wirtschaftliche Bedeutung der ländlichen Genossenschaften erkannt und unterstützte sie, insbesondere auch die Genossenschaftsverbände und ihre Zentralen. Mit dem Ziel, eigene Gewinne zu erwirtschaften, versuchten diese Zentralen, durch die Gewährung verschiedener „Vorteile“ die Genossenschaften an sich zu binden.
Die staatliche Unterstützung der Genossenschaften umfaßte eine Reihe rechtlicher Maßnahmen. So wurde ihnen während der Wirtschaftskrise der Auftrag für die Durchführung von Getreideimporten und für die Viehverwertung erteilt und 1934 wurde ihnen nach der Einrichtung des Getreidemonopols die Verantwortung für den gesamten An- und Verkauf, die Ein- und Ausfuhr von Getreide, Mühlenproduk- ten sowie Futtermitteln übertragen. Nach der Annektion von Böhmen und Mähren wurden die tschechoslowakischen Genossenschaften umorganisiert und ebenso wie die deutschen Genossenschaften in den Dienst der Kriegswirtschaft gestellt.
Die tschechoslowakischen Genossenschaften gehörten in der Vorkriegszeit zu den erfolgreichsten und am weitesten entwickelten Genossenschaften der Welt. Während ihres Bestehens erfüllten sie die von den Mitgliedern und der Gesellschaft an sie gestellten Ansprüche und Aufgaben. Auch rein deutsche oder schlesische Genossenschaften fanden – was als Indiz für das Demokratieverständnis in der Tschechoslowakei dienen könnte – ihren gleichwertigen Platz im tschechoslowakischen Genossenschaftswesen, den sie bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges behielten.
Nach 1945
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatte die Landwirtschaft mit vielen Problemen zu kämpfen. Sie erhielt zwar Unterstützung von der staatlichen Landwirtschaftsverwaltung, diese war aber nicht ausreichend, um eine rasche Verbesserung der Situation zu bewirken. Erst die Selbsthilfeorganisationen der Genossenschaften, die auf frühere gute Ergebnisse und reiche Tradition zurückblicken konnten, ermöglichten eine Verbesserung der Organisation, den Austausch von Erfahrungen oder die Einführung neuer Produktionsformen. Die in den Zwischenkriegszeiten entwickelten Genossenschaftsformen (z. B. Lagerhaus- , Produktions-, Elektrizitäts-, Viehzuchtgenossenschaften) wurden nach 1945 durch neue Genossenschaftsformen (Maschinen-, Weidegenossenschaften, Genossenschaften für Zusammenlegung bzw. Mechanisierung) ergänzt.
In den Jahren 1945 bis 1948 ließen sich die Genossenschaften in zwei Gruppen untergliedern. Die erste, bei weitem größere Gruppe enthielt die klassischen ländlichen Genossenschaften (Lagerhaus-, Produktions- , Absatz- und Zuchtgenossenschaften), die zunächst vom Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften in Böhmen und Mähren und ab 1947 vom genossenschaftlichen Zentralrat geführt wurden. Bei der zweiten Gruppe handelte es sich um spezielle Genossenschaften, die vor allem die Mechanisierung und Elektrifizierung der Landwirtschaft verfolgten, was wiederum die Hauptvoraussetzung für die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion war. Der Aufschwung dieser speziellen, meist im Landesinneren tätigen Genossenschaften begann erst nach 1945. In den Grenzgebieten fand man hauptsächlich Weidegenossenschaften, die jedoch nur in Ausnahmefällen Gewinn erwirtschaften konnten. Dieser erfolgreiche Aufschwung fast aller Genossenschaften dauerte bis zur gewaltsamen Machtüber- nahme durch die Kommunisten im Februar 1948, welche das Ende des klassischen Genossenschaftswesens in der Tschechoslowakei bedeutete. Die in jeder Ortschaft befindlichen Kreditgenossenschaften wurden zunächst von den staatlichen Spar- kassen übernommen, jedoch nach und nach liquidiert. Nur in größeren Ortschaften überdauerten sie die Zeit des Kommunismus als Zweigstellen der staatlichen Finanzinstitute. Auch die ländlichen Nicht- Kreditgenossenschaften wurden verstaatlicht. Basierend auf dem Gesetz über die JZD vom 23.02.1949 wurde ihr Vermögen den neu gegründeten Produktionsgenossenschaften (JZD) oder den landwirtschaftlichen Staatsbetrieben zugeführt. Die Lagerhausgenossenschaften und Zentralen auf Landkreisebene wurden in die staatliche Handelsorganisation, die sog. „Zentrale für Handel mit landwirtschaftlichen Produkten“ (Ustredi pro hospodareni zemedelskymi vyrobky – UHZV) integriert. Die Maschinengenossenschaften wurden von staatlichen Traktorenstationen (STS) übernommen (Gesetz über die STS vom März 1949) und später den JZD oder landwirtschaftlichen Staatsgütern zugeführt. Die „Zentrale für Handel mit landwirtschaftlichen Pro- dukten“ wurde nach kurzer Zeit in „Landwirtschaftliches Ankaufs- und Versorgungsunternehmen“ (Ze- medelsky nakupni a zasobovaci podnik – ZNZP) und später in „Landwirtschaftlicher Ankaufs- und Versorgungsbetrieb (Zemedelsky nakupni a zasobovaci zavod – ZNZZ) umbenannt. Die Aufgabe dieser staatlichen Institute und ihrer vielen Zweigstellen war zunächst die Überwachung der vorgeschriebenen Pflichtlieferungen von landwirtschaftlichen Betrieben an den Staat sowie die Festle- gung der Preise für die landwirtschaftlichen Produkte. Mit kaum erfüllbaren Vorgaben an die privaten Landwirte bzw. finanziellen Sanktionierungen bei Nichterfüllung versuchten die kommunistischen Machthaber, die landwirtschaftliche Kollektivierung beschleunigt durchzusetzen. Ab 1960, nach deren Ende, bestand die Aufgabe dieser staatlichen landwirtschaftlichen Ankaufs- und Versorgungsbetriebe darin, den JZD landwirtschaftliche Produkte abzunehmen und gleichzeitig die Landwirtschaft mit den nötigen Produktionsmitteln zu versorgen. Hierbei ist anzumerken, daß dieser Warentausch unter der Regie der kommunistischen Wirtschaftsführung stattfand, die nicht nur festlegte, welcher Betrieb welches Produkt zu erzeugen hatte, sondern auch zu welchem Preis es verkauft wurde.
Der Startschuß für die flächenbezogene Kollektivierung der tschechischen und slowakischen Landwirtschaft wurde auf dem Parteitag der KP der Tschechoslowakei im Mai 1949 gegeben. Hierbei bemerkte der Parteivorsitzende Klement Gottwald: „Es wird bei uns keinen Sozialismus geben ohne die Umwandlung des Dorfes zum Sozialismus ([97] S. 102). Die gesamte Kollektivierung der tschechoslowakischen L ndwirtschaft verlief in drei Stufen (1949 – 1953, 1953 – 1955, 1956 – 1959). Alle Staatsorganisationen, die der KP unterstellt waren, wurden mobilisiert, um die Gründung von vier empfohlenen Genossenschaftstypen durchzuführen.
Die Jahre 1956 bis 1959 werden als dritte Stufe der Kollektivierung der tschechoslowakischen Landwirtschaft bezeichnet. Im Jahre 1959 erklärte die Regierungspartei offiziell die Kollektivierung für beendet. Zu dieser Zeit existierten 12.560 Genossenschaften mit insgesamt 970.000 Mitgliedern und einem Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche von 65,7 %. In der gesamten Tschechoslowakei erreichte man annähernd die Höhe der Vorkriegsproduktion. Trotz einer Weiterführung der gewaltsamen Kollektivierungsmaßnahmen blieben im Jahre 1959 insge- samt 760.000 Landwirte, mit einer LN über 1 ha, wirtschaftlich unabhängig. Die meisten dieser Land- wirte, die sich weigerten, den JZD beizutreten, waren in den benachteiligten Hügel- und Berggebieten angesiedelt.
Es gibt einen Roman über einen DDR-Bauern in Sachsen-Anhalt, der sich weigerte, einer Genossenschaft beizutreten – und dies auch erfolgreich durchhielt: „Nachrichten aus dem Garten Eden,“ von Beate Morgenstern, trafo-Verlag 2007
Die Geschichte der Genossenschaften in der Tschechoslowakei ging dann so weiter:
Die Krise der zentralen direktiven Führung Ende der 80er Jahre zwang die KP, beeinflußt durch die Geschehnisse in der Sowjetunion, zu einem wirtschaftlichen Umdenken.
Die Ursachen und Auswirkungen dieser nicht nur auf die Sowjetunion beschränkten Veränderungen wurden vom damaligen sowjeti- schen Präsidenten M. S. Gorbatschow in seinem Buch „Umwandlung und neues Denken für unser Land und die ganze Welt“ festgehalten. Die Änderung des wirtschaftlichen Systems in der Tschechoslowakei sollte ab dem 01.01.1989 durch verschiedene Regierungsmaßnahmen bewerkstelligt werden. Zunächst sollte die direktive Führung durch wirtschaftliche Instrumente und einen neuen 5-Jahresplan ersetzt werden. Im Gegensatz zu den früheren Plänen, die aus den Vorstellungen der Regierung entstanden, sollte dieser 5-Jahresplan aus den Wirtschaftsplänen der landwirtschaftlichen Industriebetriebe und Genossenschaften resultieren. Gleichzeitig sollten die Staatsorgane auf Landkreisebene abgeschafft werden, was für die landwirtschaftlichen Genossenschaften bedeutet hätte, daß die Befugnisse der direktiven Aufgabenerteilung dieser Organe gegenüber der JZD entfallen wären.
Diese Ereignisse führten in der Tschechoslowakei im November 1989 zur sog. „Samtrevolution“, wel- che einerseits zu einer Entmachtung der KP führte und andererseits die Entwicklung der gesamten tschechoslowakischen Wirtschaft mittels Marktwirtschaft, sowie der Erneuerung der Egentumsrechte mit Hilfe von Restitution, Transformation und Privatisierung einleitete. Noch in den Jahren 1987 und 1988, während das Konzept der Umstrukturierung bzw. die Abschaffung der direktiven Führung be- schlossen wurde, trat ein neues Gesetz Nr. 90/1988 über die landwirtschaftlichen Genossenschaften in Kraft, welches folgende Richtlinie enthielt: „Genossenschaft und ein gemeinsamer landwirtschaftlicher Betrieb sind direkte Adressaten für die Anwendung des Staatsplanes, also ökonomische Normen, na- mentlich Aufgaben, Limitierung der Beihilfen; der Staatsplan bestimmt, welche von ihnen für die Genossenschaften bindend sind.“ Dieses Gesetz, das die zu diesem Zeitpunkt noch vorherrschende kommunistische Ideologie zeigt, hob das Genossenschaftsgesetz Nr. 122/1975 und dessen Novelle Nr. 111/1984 auf. Da die früheren ländlichen Genossenschaften als juristische Personen nach dem Gesetz Nr. 229/1991 keinen Anspruch auf eine Rückgabe ihres 1948 verstaatlichten Vermögens im Rahmen einer Restitution hatten, gestalteten sich ihre Neugründungen nur sehr schleppend. Zusammen mit den aus der Zeit des Sozialismus verbliebenen Genossenschaften wurden sie Mitglieder in entsprechenden Verbänden.
Gegenwärtig sind in der Tschechischen Republik folgende Genossenschaftsverbände tätig:
– Verband landwirtschaftlicher Genossenschaften und Gesellschaften
– Verband tschechischer und mährischer Produktionsgenossenschaften
– Verband tschechischer und mährischer Spar- und Kreditgenossenschaften
– Verband tschechischer und mährischer Konsumgenossenschaften
– Verband tschechischer und mährischer Wohnungsgenossenschaften
Der Verband landwirtschaftlicher Genossenschaften und Gesellschaften vertrat zum 31.12.1998 insge- samt 827 landwirtschaftliche Genossenschaften mit 75.979 Arbeitskräften, 19 Molkerei-, 2 Geflügel-, 3 Eier-, 6 Obst und Gemüse-, 4 Ölsaaten- und 2 Bienengenossenschaften (Aussage J. Veleba, Leiter der Ökonomischen Abteilung des Verbandes). Daneben gibt es schätzungsweise 70 bis 90 genossenschaftliche Kreditinstitute auf Regionalebene, die versuchen, sich zu etablieren. Der überwiegende Teil dieser in den letzten 2 Jahren entstandenen Finanzinstitute ist derzeit bankrott, oder es wird gegen die Füh- rungskräfte dieser Institute wegen Untreue ermittelt. Als Repräsentant der vorher genannten Verbände tritt die genossenschaftliche Assoziation der Tschechischen Republik auf. Sie ist eine Interessenvereinigung juristischer Personen, die den Verhandlungen und der Bearbeitung von gemeinsamen genossenschaftlichen Angelegenheiten sowie dem Schutz der Unterstützung und der Durchsetzung von Interessen der Genossenschaften und einzelner Mitglieder dient. Die Assoziation repräsentiert Interessen des tschechischen und mährischen Genossenschaftswesens gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit. Für die Mitgliederorganisationen übt sie eine Beratungstätigkeit sowie die legislative Initiative aus und ist zusätzlich für die Wahrung gemeinsamer Interessen zuständig. Des weiteren vertritt die Assoziation das Interesse der Genossenschaften auf dem Gebiet der inter- nationalen Beziehungen.
Am Anfang der Reform im Jahre 1989 existierten in der Tschechoslowakei insgesamt 1.024 landwirt- schaftliche Genossenschaften (JZD) mit einer Durchschnittsgröße von 2.561 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche (LN). Sie bewirtschafteten 61,4 % der gesamten LN. Die übrige Fläche wurde im wesentlichen von Staatsbetrieben bewirtschaftet, nur ein kleiner Teil der LN durch private Landwirte. Die neuen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führten in der Tschechoslowakei ab 1989 auch zu einer starken Veränderung der Landwirtschaft und ihrer Strukturen. Die Voraussetzungen für das land- wirtschaftliche Unternehmertum wurden durch die Prozesse der Privatisierung landwirtschaftlichen Ei- gentums grundlegend beeinflußt. Die Grundlage der Privatisierung war die Restitution des landwirtschaftlichen Eigentums, d. h. die Rückgabe von Boden und dessen Eigentumsrechte sowie anderen landwirtschaftlichen Produktionsmitteln. Beim Boden handelte es sich vor allem um Fälle der Enteignung durch den Staat nach 1948. Diese Restitution sollte mit dem Bodengesetz Nr. 229/1991 geregelt werden.
Die landwirtschaftlichen Genossenschaften als sog. Pflichtige oder Verpflichtete (im folgenden, in Anlehnung an die tschechische Literatur, als Pflichtpersonen bezeichnet) gaben auf der Grundlage dieses Gesetzes landwirtschaftlichen Boden und andere landwirtschaftliche Aktiva an Berechtigte (im folgenden in Anlehnung an die tschechische Literatur als berechtigte Personen bezeichnet) zurück, damit diese ihre unternehmerischen Tätigkeiten als private, natürliche oder juristische Personen aufnehmen konnten. Bei diesem Prozeß traten subjektive wie auch objektive Probleme zutage. Die Genossenschaften waren nicht immer bereit, die Restitutionsansprüche zu erfüllen. Es waren wirtschaftliche wie auch persönliche Gründe, die eine Durchführung dieser schwierigen Aufgaben verzögerten. Desweiteren herrschte auch eine Diskrepanz zwischen dem auf Großproduktion ausgerichteten Genossenschaftseigentum und den Bedürfnissen der in der Regel kleinen Betriebe der Privatpersonen, denen dieses Eigentum zugesprochen werden sollte. Dabei wurde der Grundsatz eingehalten, daß nur eine natürliche Person einen Anspruch auf eine Restitution haben konnte. Mehrere politische Parteien versuchten erfolglos, diesen Grundsatz auch auf juristischen Personen, wie z. B. frühere Wirtschafts- und andere Genossenschaften, auszuweiten.
In den Jahren 1992 bis 1993 kam es zur Transformation der Genossenschaften auf der Grundlage des Transformationsgesetzes Nr. 42/1992. Dieses Gesetz war ein Spiegelbild der Ansichten über die bisherigen Genossenschaften (JZD), wobei die ganze Bandbreite von verschiedenen Unternehmensformen bis hin zu reinen Familienbetrieben betrachtet wurde. Somit bedeuteten Privatisierung, Restitution und Transformation für die Genossenschaften eine wesentliche Verkleinerung der Besitzgrundlage, genauso wie eine Verengung des unternehmerischen Rahmens. Die vom Gesetz vorgeschriebenen Voraussetzun- gen der Transformation wurden von der Mehrheit der Genossenschaften erfüllt, und damit betrachtete der Gesetzgeber die Transformation rechtlich als beendet. Auf Seiten der Unternehmen lief die Transformation jedoch weiter. Erst jetzt kam es zu einer Verhaltensänderung der Eigentümer, der Mitglieder und insbesondere des Managements der Genossenschaften. Dies war aber eine Erscheinung, die nicht nur die landwirtschaftlichen Genossenschaften, sondern auch andere Gesellschaften und Firmen betraf.
Die Anpassung der landwirtschaftlichen Genossenschaften an die neuen Gegebenheiten nach 1990 bereitete vielen Betrieben große Probleme. Mitverantwortlich dafür waren in erste Linie ungelöste eigentumsrechtliche Verhältnisse, welche gemäß den neuen Rechtsvorschriften im Rahmen der Restitution und Transformation zuerst erledigt werden mußten. Die im Prozeß dieser Umwandlung entstandenen Betriebe wurden in ihrer Entwicklung durch die Entstehung der sog. Transformationsverschuldung behindert. Wegen den unklaren Rechtsvorschriften in der TS ist diese Verschuldung der meisten Betriebe bis heute noch nicht erledigt. Auch der Mangel an Fremdkapital für notwendige innerbetriebliche Umstrukturierungen sowie Investitionen konnte wegen der Weigerung der Banken, landwirtschaftlichen Betrieben Kredite zu gewähren, nicht behoben werden.
Erst mit der aufkommenden Unterstützung der Landwirtschaft durch den Staat begann sich die Situation seit 1994 allmählich zu verbessern. Der EU-Beitritt als Ziel der tschechischen Republik beschleunigte die Anstrengungen des Staates, seine Landwirtschaft im Rahmen der europäischen Marktordnung auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu bringen.
Soweit die Auszüge aus der Doktorarbeit. Der Verfasser kommt abschließend auch noch auf die Expertendiskussion nach der Wende – Familienbetrieb oder Genossenschaft? – zu sprechen, wie sie in bezug auf die Genossenschaften allgemein seit über 100 Jahren geführt wird:
Nach der Diskussion der Transaktionskosten in Abhängigkeit von Betriebsgröße und Arbeitsverfassung, in der Vorteile des Familienbetriebes gegenüber dem Lohnarbeitsbetrieb herausgestellt werden, und den Folgerungen aus Tschajanows „Lehre von der bäuerlichen Wirtschaft“, daß sich die Frage nach der optimalen Betriebsgröße für diese Organisationsform eigentlich überhaupt nicht stellt, geht Schmitt auf die Besonderheiten landwirtschaftlicher Kollektivbetriebe ein. Dabei geht es zunächst um die Frage, ob diese dem mit Lohnarbeitskräften bewirtschafteten Großbetrieb näher stehen oder dem Familienbetrieb. Letzteres gilt in formaler Hinsicht, da die Mitglieder der Genossenschaft zugleich Eigentümer und Arbeitskräfte des Betriebes sind. Theoretisch könnte also erwartet werden, daß Beschäftigten ge- nossenschaftlicher Großbetriebe sich hinsichtlich ihrer individuellen Arbeitsleistung in quantitativer und qualitativer Hinsicht nicht von Familienarbeitskräften unterscheiden. In der Realität zeigt sich jedoch, daß sich die Mitglieder vor allem großer Produktionsgenossenschaften ähnlich wie Lohnarbeitskräfte verhalten. Darüber hinaus attestiert Schmitt dem genossenschaftlichen Großbetrieb die folgenden spezifischen Nachteile:
1) Die landwirtschaftlichen Genossenschaften sind gekennzeichnet durch Entscheidungsschwäche. Anstelle von Investitionen bevorzugen sie eine interne Verteilung des wirtschaftlichen Gewinns.
2) Den genossenschaftlichen Betrieben fehlt es an den notwendigen Druckmitteln, um die Pflichterfül lung seiner Mitglieder durchzusetzen. Aufgrund des Mitentscheidungsrechts der Mitglieder ist es nicht möglich, das Arbeitsverhalten über das Lohnniveau zu steuern. Dieser im Gegensatz zu den Privatbetrieben fehlende Hebel beschränkt die Wettbewerbsfähigkeit der Genossenschaften.
3) Das in Punkt 2 erläuterte Mittel zur Stimulierung der individuellen Leistungsbereitschaft fehlt auch bei der Leitung genossenschaftlicher Betriebe. Das Problem der nötigen geschäftlichen Beweglichkeit (Unternehmensentscheidungen) ist besonders in der Landwirtschaft, wegen den sich schnell ändernden Bedingungen, wichtig. Schnelle Entscheidungen der Unternehmensleitung benötigen Selbständigkeit und Unabhängigkeit, bedeuten aber zugleich hohe Verantwortung und ein entsprechendes Risiko, und erfordern deshalb die genaue Kenntnis der spezifischen Produktionsbedingungen. Jede davon abweichende Betriebsführung hat einen enormen Anstieg der Transaktionskosten zur Folge.
4) Zur Lösung der in Punkt 2 und 3 genannten Probleme zeigen sich zwei Ansatzmöglichkeiten. Entweder sind die Entscheidungen des Betriebsleiters so zu formulieren, daß das oberste Entscheidungsorgan einer Genossenschaft sämtliche Handlungen im Voraus festlegt (Aufstellen der Entscheidungsregeln) oder der Unternehmensleitung wird eine gewisse Handlungsfreiheit eingeräumt, wobei sie für eventuelle Fehlentscheidungen haftbar gemacht werden kann.
Entwurf eines neuen Genossenschaftsgesetzes
Der Gedanke an den Entwurf eines neuen Genossenschaftsgesetzes entstand 1997 während der Konferenz zum 150jährigen Jubiläum der tschechischen Genossenschaften. Der ehemalige Parlamentspräsident und jetzige Ministerpräsident M. Zeman hatte im Rahmen dieser Veranstaltung, die Genossenschaften persönlich aufgefordert, ein neues Gesetz vorzubereiten. Die Vertreter des tschechischen Genossenschaftswesens reagierten erfreut auf die Möglichkeit der Integration der praxisbezogenen genossenschaftlichen Problematik in den Gesetzentwurf. Es sollte ein Gesetz werden, unter dessen Dach alle Formen der Genossenschaften ihren Platz finden sollten.
Die Entwicklung nach 1989 zeigte und bestätigte, daß die Genossenschaften in der Tschechischen Republik eine große Bedeutung haben und sich gegenwärtig um ihren weiteren Aufschwung bemühen. Der neue Gesetzentwurf sollte die EU-Vorschriften und die Grundsätze der europäischen Legislative beinhalten und die tschechische Rechtsauslegung standardisieren. Deswegen wurden juristische Experten aller Mitglieder der genossenschaftlichen Assoziation, zur Mitwirkung bei der Entstehung des Entwurfs herangezogen, um ihn bis Ende September 1998 dem Ministerium für ländliche Entwicklung vorlegen zu können. Nach einem optimalen Verlauf des legislativen Verfahrens sollte der Gesetzentwurf im Frühjahr 1999 der Regierung zur Verabschiedung vorgelegt werden. Da der genossenschaftlichen Assoziation der Tschechischen Republik kein offizielles Vorschlagsrecht für ein Gesetz zusteht, ist diese der Regierung für den eingeschlagenen Weg dankbar, der einfacher ist, als der Weg der legislativen Initiative.
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Der Autor Josef Janouch erwähnte eben Tschajanow. Dieser russische Agrarwissenschaftler, der Ende der Dreißigerjahre in einem Arbeitslager starb, nachdem er sich ähnlich wie Andrej Platonow gegen die von oben durchgesetzte Kollektivierung der Landwirtschaft ausgesprochen hatte, verdient es, noch einmal ausführlicher diskutiert zu werden. Auf Deutsch wurde 1981 sein Roman „Reise meines Bruders Alexej ins Land der bäuerlichen Utopie“ mit einem ausführlichen Nachwort wiederveröffentlicht und 1989 sein Hauptwerk „Die Lehre von der bäuerlichen Wirtschaft“. Hier mag erst einmal nur ein Hinweis auf Alexander Wassiljewitsch Tschajanow genügen, denn es geht uns um Produktivgenossenschaften, die Non-Food produzieren, während Josef Janouch vor allem auf die tschechischen Food-Coops abhebt sowie auf all die Genossenschaften, die damit in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. In diese Diskussion gehören auch die Werke von Tschajanow, der die bäuerliche Landwirtschaft erhalten wollte – mittels Genossenschaften. Heute hat sich die Situation geändert: Wir haben es – wie von Marx vorausgesehen – weltweit mit Agrarunternehmen zu tun und diese beschäftigen immer mehr Lohnarbeiter/Landarbeiter/Wanderarbeiter/Erntehelfer. Letzterer wohnen inzwischen in ihrer Mehrheit sogar in der Stadt. „Proletarisierte Bauern“, nennt das „Wildcat“-Kollektiv sie in ihrer soeben erschienenen neuen Wildcat-Sommerausgabe 82, das zur Hälfte ihnen gewidmet ist. Diese entstanden im Sozialismus auch schon mit den Kolchosen/Agrargenossenschaften – und sie blieben es auch, sofern sie nicht entlassen wurden, in den nach 1989 umgewandelten Agrargenossenschaften.
Ein Geschäftsführer der tschechischen Produktivgenossenschaften beklagte den Zusammenbruch der betrieblichen Berufsschulen und Lehrbetriebe. Die baskische Genossenschaft Mondragon hat bereits eine eigene Universität ins Leben gerufen, und die taz will es mit ihrer Panter-Stiftung zu einer eigenen „Journalistenakademie“ bringen. Überall sprießen seit der „Verschlankung“ des Staates und der Privatisierung von Volksvermögen genossenschaftliche Bildungseinrichtungen aus dem Boden.
Im newsletter jungenossenschaften.de führte dazu die Genossenschaftsforscherin Nicole von Göler aus Ravensburg in einem Beitrag über „Bildung für Genossenschaften“ aus:
Über 66 Prozent aller privaten Tagesstätten werden in Schweden genossenschaftlich geführt, insbesondere Kindertagesstätten. Dort haben Eltern ein Recht auf eine subventionierte, ganztägige Kinderbetreuung. Diese wurde historisch weitgehend von den kommunalen Behörden organisiert. Zunehmend werden jedoch Gutscheine für entsprechende Dienste ausgegeben, und oft werden jetzt genossenschaftliche Dienste von den Nutzern vorgezogen. Zwischen 1988 und 1992 hat sich sowohl die Anzahl der betreuten Kinder wie die Anzahl der privaten Kindertagesstätten verdreifacht (Die Zahl der Kindertagesstätten wuchs von 8.500 auf 30.000, davon sind mittlerweile 1.500 privat). Fast zwei Drittel der privaten Tagesstätten sind Eltern- oder Arbeitnehmergenossenschaften; somit ist ein wesentlicher Teil der Privatisierung in Wirklichkeit eine „Vergenossenschaftlichung“.
In Finnland ist das Wachstum bei genossenschaftlichen Kindertagesstätten, der Gesundheitsversorgung und den sozialen Diensten für ältere Menschen ähnlich beeindruckend. Kanada ist ein weiteres Land, in dem die genossenschaftliche Sozialpflege ein starkes Wachstum verzeichnet. Dort gibt es mittlerweile über 800 genossenschaftliche Kindertagesstätten, die Kleinkinder versorgen und eine Vorschulerziehung anbieten. In den Vereinigten Staaten wird geschätzt, dass über 50.000 Familien ihre Kinder in genossenschaftlichen Kindertagesstätten betreuen lassen. In Malaysia werden Kindertagesstätten von Lehrern und anderen Beschäftigten gefördert. Selbst in Myanmar werden genossenschaftliche Betreuungsstätten für Kinder und ältere Menschen eingerichtet. (S. 88/89)
In vielen Ländern werden heute von Spar- und Kreditgenossenschaften besondere Programme angeboten, um Eltern zu helfen, den Schulbesuch zu finanzieren und/oder um Schulkinder als Mitglieder zu gewinnen, die so rechtzeitig Ersparnisse für eine etwaige Weiterbildung anlegen können (z. B. Südafrika). Es ist möglich, dass neue Modelle von Schul- und Universitätsgenossenschaften entstehen, wenn ein Staat nicht mehr in der Lage ist, Schulen personell und materiell angemessen auszustatten, oder er es sich nicht leisten kann, wenigstens die Grundausbildung kostenlos anzubieten. Derzeit werden erneut Bemühungen unternommen, um die Zusammenarbeit und genossenschaftliche Ausbildung in europäischen Schulen zu fördern. Im Rahmen eines vom IGB unterstützten transnationalen Projekts zur Förderung der Verbreitung genossenschaftlicher Werte und Grundsätze in Schulen wurde festgestellt, dass genossenschaftliche Projekte, Methoden und Fragen in einigen Schulen bereits Teil des ordentlichen Lehrplans sind, zumindest in Belgien, Frankreich, Italien, Portugal, Rumänien, Schweden, der Slowakei, Spanien, der Türkei, Ungarn und dem Vereinigten Königreich. Genossenschaftliche Verbände wie Verbraucher- (Eltern-), Arbeitnehmer- (Lehrer-) und so genannte Multi-Stakeholder-Genossenschaften (Eltern und Lehrer) sowie Kooperativen, die als praktische Übung und/oder für einen bestimmten Zweck (z. B. menschliche Solidarität) gegründet werden, findet man in Italien, Schweden, Spanien und der Türkei. In Italien entfallen 60 Prozent der verschiedenen Multi-Stakeholder-Genossenschaften und der Kooperativen der Schulbenutzer auf die städtischen Gebiete des Nordens, wobei die Region Trient an erster Stelle steht. 216 Schulgenossenschaften mit über 400 Schulen und 45.000 Mitgliedern haben sich dem nationalen Genossenschaftsbund Confcooperative angeschlossen, der auch über einen eigenen Schulsektor verfügt, den er gemeinsam mit dem Kultur-, Fremdenverkehrs- und Sportbund organisiert. Außerdem gibt es weitere Genossenschaften, die sich dem Bund noch nicht angeschlossen haben.
In Spanien gibt es annähernd 800 Schulgenossenschaften, denen fast 25.000 Schüler und über 10.000 Lehrer angehören; dabei handelt es sich oft um Lehrerkooperativen oder Genossenschaften mit mehreren Teilhabern. Ausschlaggebend für ihre Gründung war der sich durch wirtschaftliche Zwänge verschlechternde Zustand der staatlichen Schulen; auf regionaler und nationaler Ebene haben sie sich in sektoralen Verbänden organisiert. Diese Genossenschaften sind vom Staat anerkannt. In Schweden werden jetzt von über 100 genossenschaftlichen Gruppen ehemalige Staatsschulen geleitet, die insbesondere in kleinen Städten von einer Schließung bedroht waren. Dabei handelt es sich vielfach um rechtlich anerkannte Eltem-Lehrer-Genossenschaften. Genossenschaften, die Schulabgänger auf das Erwerbsleben und auf eine genossenschaftliche Tätigkeit vorbereiten, gibt es in Frankreich, Italien, Portugal, Rumänien, Schweden, der Slowakei, Spanien, Ungarn und dem Vereinigten Königreich. In Ungarn sind beispielsweise 80 Fachhochschulen und Berufsbildungseinrichtungen mit insgesamt 15.000 Studenten und 900 Lehrern genossenschaftlich organisiert.
Zwar gibt es im Vereinigten Königreich offenbar noch keine Schul- oder Universitätskooperativen als Arbeitnehmer- oder Nutzergenossenschaften, „Genossenschaften für Jugendliche“ sind jedoch in der betrieblichen Bildung zu einer wichtigen außerlehrplanmäßigen Übungsform geworden. In Italien hat die Vereinigung CENSCOOP in Rom ein umfassendes Wettbewerbsprojekt für die unternehmerische Ausbildung in Schulen innerhalb und außerhalb der genossenschaftlichen Bewegung konzipiert. Die Teilnehmer müssen ein Projekt für ein neues genossenschaftliches Unternehmen im wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Bereich ausarbeiten, und sie können sich von der Stiftung Trient beraten lassen, die den beteiligten Lehrern auch Ausbildungsmöglichkeiten und Unterrichtshilfen anbietet. An dem 1995 zum fünften Mal durchgeführten Wettbewerb beteiligten sich 20 Klassen mit 400 Schülern. Außerdem werden Gymnasiasten im Sommer Arbeitsmöglichkeiten in genossenschaftlichen Einrichtungen angeboten, und in Venedig erstellt ein Berufsbildungsinstitut unternehmerische Ausbildungsprogramme und Machbarkeitsstudien für neue genossenschaftliche Unternehmungen.
In Rumänien vermitteln Handwerksgenossenschaften jungen Unternehmern eine Berufsausbildung; in zwölf Zentren werden 15.000 Studenten in 65 verschiedenen handwerklichen Berufen und Fachrichtungen ausgebildet. Schließlich hat die Slowakische Union der Produktivgenossenschaften verschiedene Berufsfachschulen und Zentren für die fachliche Ausbildung von Sekundarschülern eingerichtet.(S. 91/92)
Frage: Die Befürworter einer unternehmerischen Ausbildung an Schulen argumentieren: Das deutsche Genossenschaftswesen orientiere sich zu wenig an betriebswirtschaftlichen Erfordernissen. Die Fachleute in den Prüfungsverbänden seien hauptsächlich Juristen, die zu wenig von den Wechselwirkungen in der praktischen Ökonomie verstünden. Finden Sie für Ihr Projekt ausreichend Unterstützung im etablierten Genossenschaftswesen?
Eine Pilot-Schulgenossenschaft wird seit zwei Jahren ideell vom Zentralverband der Konsumgenossenschaften (http://www.zdk.coop) unterstützt. Das größere Projekt geno@school (siehe: http://www.genoatschool.de) wird seit Anfang des Jahres vom Genossenschaftsverband Norddeutschland e.V. (http://www.geno-verband.de) gefördert. Andere Verbände haben schon Interesse bekundet, es auch auf ihr Verbandsgebiet zu übertragen. Wir sind zuversichtlich, dass die Idee demnächst in den meisten Teilen der Bundesrepublik nutzbar gemacht werden kann.