Marx bezeichnete die Ausgaben für Werbung „achtlos“, wie Ludwig Pfeiffer meint, als „faux frais“: Nebenkosten. Da die kapitalistische Produktion von Anfang an eine Überproduktion war und ist, stiegen diese Nebenkosten aber kontinuierlich – und wurden immer raffinierter „investiert“. Bis dahin, dass der BRD-„Werbepapst“ Michael Schirner die Reklame und das Produkt-Design dann als die eigentliche Kunst unserer Tage bezeichnete. Das war den vielen „Art Directors“ in den Werbeagenturen aus der Seele gesprochen, denn dabei handelte es sich meist um verhinderte (allzu sicherheitsbedürftige bzw. konsumgeile) Künstler. Schirner war selbst ein solcher – in der Düsseldorfer Werbeagentur GGK, wo auch der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen eine Zeitlang kreativ wirkte. Vor ihm arbeitete der Marxist-Leninist Indulis Bilzens dort, d.h. er wurde dafür bezahlt, und zwar saugut, dass er die Werbefuzzis mit seinem „faux frais-Gerede verunsicherte“. Die GGK war sehr avantgardistisch! Gegründet hatten sie drei seriöse Unternehmer, z.T. aus der Schweiz, die auf ihre alten Tage noch einmal was ganz anderes – Lustiges – machen wollten. Der Schirnersche Werbe-Kunstbegriff wird inzwischen von den Zeitgeistapologeten, u.a. von Horx und Bolz, theoretisch fundiert. So lautet das „Zwischenfazit“ des letzteren z.B.: „Konsum tritt heute als Kultur, Shopping als Lebensform und Business als Kunst auf.“ Dem Warholschen Begriff der „Business Art“ attestiert Bolz deswegen „eine große Zukunft: ‚Good Business is the Finest Art'“. Dazu müssten die Unternehmen sich jedoch endgültig vom „Organisationsmodell der Armee“ verabschieden. Dann ginge es dabei, mit dem Philosophen Gernot Böhme gesprochen, „um die Inszenierung der Waren und um die Selbstinszenierung der Menschen – auch der Politik, der Firmen und ganzer Städte“. Das „Projekt der Postmoderne“ bestünde demnach laut Bolz aus einer fast flächendeckenden aber folgenlosen „Verfestlichung des Alltags“.
Ähnlich beurteilt auch der Marxist Robert Kurz die „Postmoderne“: „Ob der Konsum real ist oder bloß in der Phantasie stattfindet – die Objekte des Begehrens verwandeln sich in Gegenstände des Kults.“ Weil die „Gleichgültigkeit der kapitalistischen Form gegen jeden substantiellen Inhalt unerträglich wird, muß der verlorene Bezug zur sinnlichen Qualität der Gegenstände halluzinatorisch wiederhergestellt werden.“ Dies geschieht in einer Art „Spiel, aber keines intelligenten, sondern eines infantilen,“ wobei die verlorene sinnliche Qualität „auf der Ebene der ästhetischen Form simuliert“ wird. So weit würde ihm Norbert Bolz noch folgen, aber für Robert Kurz gilt: „Die Ware kann niemals inhaltlich Kunst sein. Deshalb ist das Design keine Frage der Kunst – es gehört in den Bereich des Marketing. Es will die völlige Nichtigkeit des Inhalts mit einer Aura sekundärer Bedeutung aufladen.“
Das war vielleicht schon immer so, aber etwas hat sich doch geändert: „Die Werbung verweist nicht mehr auf das Produkt, sondern das Produkt verkündet den Ruhm der Werbung“. Das geht bis hin zu den Konsumenten: „Waren auf zwei Beinen“ und „lebendes Design“: jeder wird dabei zum „Schauspieler seiner selbst“ und sogar reale Ereignisse werden ihnen zu einem „Film“. Kurz erwähnt in diesem Zusammenhang ebenfalls die Spektakel, Festivals und Events, in Sonderheit die „Loveparade“ – als „massenhafte Präsentation von erotischem Design“. Die daran Teilnehmenden seien jedoch „nicht sexueller als Schaufensterpuppen, je mehr sich das Design sexualisiert, desto prüder wird das Verhalten.“ Und desto unfreier die Selbste. Zwar gibt es eine „Schmerzgrenze“ (nach soundsoviel Schönheitsoperationen und Fitnessprogrammen z.B.), „aber wie werden sich dann die zum Design ihrer eigenen Warenförmigkeit degradierten Menschen verhalten?“ Auch die Gewalt läßt sich ja ästhetisieren: „Der Faschismus hat damit vielleicht schon das schreckliche Ende der Postmoderne vorweggenommen…“ Und sogar das Elend und die Armut kann man ästhetisieren: „Noch der mieseste ‚McJob‘ wird zum bedeutungsvollen ästhetischen Sujet, weil kein geringerer als der Selbstdarsteller einer inszenierten Biographie ihn ausübt.“ Der Marxist sieht darin „den gesellschaftlichen Grund“ für alles postmoderne Philosophieren à la Horx und Bolz. „Ihre Verwandlung von Erkenntnistheorie in Ästhetik ist immer schon Warenästhetik“.
Die Kritik an der Weiterentwicklung der linken Konsumkritik zum kritischen Konsum (wie sie von Unfried und anderen propagiert wird) hat jetzt
Kathrin Hartmann
mit ihrem Buch „Ende der Märchenstunden. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“ weiterentwickelt. (Karl Blessing Verlag 2009)
Sie geht darin, ebenso wie Unfried und Kuzmany, konkret auf bestimmte Produkte und ihre Herstellungsbedingungen ein.