vonHelmut Höge 28.10.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Marx bezeichnete die Ausgaben für Werbung „achtlos“, wie Ludwig Pfeiffer meint, als „faux frais“: Nebenkosten. Da die kapitalistische Produktion von Anfang an eine Überproduktion war und ist, stiegen diese Nebenkosten aber kontinuierlich – und wurden immer raffinierter „investiert“. Bis dahin, dass der BRD-„Werbepapst“  Michael Schirner die Reklame und das Produkt-Design dann als die eigentliche Kunst unserer Tage bezeichnete. Das war den vielen „Art Directors“ in den Werbeagenturen aus der Seele gesprochen, denn dabei handelte es sich meist um verhinderte (allzu sicherheitsbedürftige bzw. konsumgeile) Künstler. Schirner war selbst ein solcher – in der Düsseldorfer Werbeagentur GGK, wo auch der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen eine Zeitlang kreativ wirkte. Vor ihm arbeitete der Marxist-Leninist Indulis Bilzens dort, d.h. er wurde dafür bezahlt, und zwar saugut, dass er die Werbefuzzis mit seinem „faux frais-Gerede verunsicherte“. Die GGK war sehr avantgardistisch!  Gegründet hatten sie drei seriöse Unternehmer, z.T. aus der Schweiz, die auf  ihre alten Tage noch einmal was ganz anderes – Lustiges – machen wollten. Der Schirnersche Werbe-Kunstbegriff wird inzwischen von den Zeitgeistapologeten, u.a. von Horx und Bolz, theoretisch fundiert. So lautet das „Zwischenfazit“ des letzteren z.B.: „Konsum tritt heute als Kultur, Shopping als Lebensform und Business als Kunst auf.“ Dem Warholschen Begriff der „Business Art“ attestiert Bolz deswegen „eine große Zukunft: ‚Good Business is the Finest Art'“. Dazu müssten die Unternehmen sich jedoch endgültig vom „Organisationsmodell der Armee“ verabschieden. Dann ginge es dabei, mit dem Philosophen Gernot Böhme gesprochen, „um die Inszenierung der Waren und um die Selbstinszenierung der Menschen – auch der  Politik, der Firmen und ganzer Städte“. Das „Projekt der Postmoderne“ bestünde demnach laut Bolz aus einer fast flächendeckenden aber folgenlosen „Verfestlichung des Alltags“.

Ähnlich beurteilt auch der Marxist Robert Kurz die „Postmoderne“: „Ob der Konsum real ist oder bloß in der Phantasie stattfindet – die Objekte des Begehrens verwandeln sich in Gegenstände des Kults.“ Weil die „Gleichgültigkeit der kapitalistischen Form gegen jeden substantiellen Inhalt unerträglich wird, muß der verlorene Bezug zur sinnlichen Qualität der Gegenstände halluzinatorisch wiederhergestellt werden.“ Dies geschieht in einer Art „Spiel, aber keines intelligenten, sondern eines infantilen,“ wobei die verlorene sinnliche Qualität „auf der Ebene der ästhetischen Form simuliert“ wird. So weit würde ihm Norbert Bolz noch folgen, aber für Robert Kurz gilt: „Die Ware kann niemals inhaltlich Kunst sein. Deshalb ist das Design keine Frage der Kunst  – es gehört in den Bereich des Marketing. Es will die völlige Nichtigkeit des Inhalts mit einer Aura sekundärer Bedeutung aufladen.“

Das war vielleicht schon immer so, aber etwas hat sich doch geändert: „Die Werbung verweist nicht mehr auf das Produkt, sondern das Produkt verkündet den Ruhm der Werbung“. Das geht bis hin zu den Konsumenten: „Waren auf zwei Beinen“ und „lebendes Design“: jeder wird dabei zum „Schauspieler seiner selbst“ und sogar reale Ereignisse werden ihnen zu einem „Film“. Kurz erwähnt in diesem Zusammenhang ebenfalls die Spektakel, Festivals und Events, in Sonderheit die „Loveparade“ – als „massenhafte Präsentation von erotischem Design“. Die daran Teilnehmenden seien jedoch „nicht sexueller als Schaufensterpuppen, je mehr sich das Design sexualisiert, desto prüder wird das Verhalten.“ Und desto unfreier die Selbste. Zwar gibt es eine „Schmerzgrenze“ (nach soundsoviel Schönheitsoperationen und Fitnessprogrammen z.B.), „aber wie werden sich dann die zum Design ihrer eigenen Warenförmigkeit degradierten Menschen verhalten?“ Auch die Gewalt läßt sich ja ästhetisieren: „Der Faschismus hat damit vielleicht schon das schreckliche Ende der Postmoderne vorweggenommen…“ Und sogar das Elend und die Armut kann man ästhetisieren: „Noch der mieseste ‚McJob‘ wird zum bedeutungsvollen ästhetischen Sujet, weil kein geringerer als der Selbstdarsteller einer inszenierten Biographie ihn ausübt.“ Der Marxist sieht darin „den gesellschaftlichen Grund“ für alles postmoderne Philosophieren à la Horx und Bolz. „Ihre Verwandlung von Erkenntnistheorie in Ästhetik ist immer schon Warenästhetik“.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/10/28/warenaesthetik_33/

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kommentare

  • Die Kritik an der Weiterentwicklung der linken Konsumkritik zum kritischen Konsum (wie sie von Unfried und anderen propagiert wird) hat jetzt

    Kathrin Hartmann

    mit ihrem Buch „Ende der Märchenstunden. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“ weiterentwickelt. (Karl Blessing Verlag 2009)

    Sie geht darin, ebenso wie Unfried und Kuzmany, konkret auf bestimmte Produkte und ihre Herstellungsbedingungen ein.

  • Zusammengefaßt:

    Mit der Ökologiebewegung hat sich die Politik von der Produktions- auf die Konsumptionsspähre verlagert. Die „Kritik der Warenästhetik“ des Marxisten Wolfgang Fritz Haug aus dem Jahr 1971 scheint obsolet geworden zu sein (sie wird desungeachtet 2009 vom Suhrkampverlag wiederveröffentlicht).

    Es geht darin um die „Verführung“ und „Verblendung“ durch die Ware. Da Gesellschaft sich einzig über den Tausch herstellt, ist der Konsum die ultima ratio – auch und erst recht in Krisenzeiten: Jetzt! Es kommt einzig noch darauf an, gerechter, besser und klüger zu „shoppen“ – aufgeklärter!

    Der Kulturwissenschaftler Nico Stehr spricht in diesem Zusammenhang von einer „Moralisierung der Märkte“. Die beiden taz-Redakteure Stefan Kuzmany und Peter Unfried schrieben 2007/08 zwei Bücher über ihre Probleme beim ökologisch-bewußten Konsum, wobei sie die Waren (Eier und Computer z.B.) bis zu ihrer Herstellung (rück)verfolgten. Sie folgten damit einem „Öko-Trend“, den sie gleichzeitig verstärken wollten. Die beiden „Trendforscher“ Holm Friebe und Thomas Ramge setzten dagegen am anderen Ende an. In ihrem Buch „Marke Eigenbau“ behaupten sie 1. was auch schon Karl Marx konstatierte: dass die Warenzirkulation in Amerika entwickelter ist als hierzulande; 2. dass individuell hergestellte Produkte über „E-Commerce“-Plattformen einen „globalen Marktplatz“ haben, und 3. dass „Private Label“ schon bald der fordistischen Massenware ein Ende bereiten könnten: Sie erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, d.h. steigender Umsätze, nicht zuletzt, weil die Hersteller mit ihren Waren zusammen im Internet auftreten, d.h. sich „authentisch“ vermarkten.

    Die israelische Soziologin Eva Illouz sieht dabei eine Dialektik obwalten: Kunst und Waren haben sich gegenseitig beeinflußt. Die Dinge sind nun ebenfalls mit einer „romantischen Aura“ ausgestattet, was zugleich mit einer Verdinglichung der „romantischen Liebe“ einherging. Unterm Strich habe die Warenwelt (Kino, Restaurant) unsere Liebesbeziehungen jedoch bereichert, meint die Autorin.

    Holm Friebe hatte in seinem ersten Buch „Wir nennen es Arbeit“ – über postmoderne Projektemacher – bereits den kreativen „Privatarbeiter“ als harten Kern einer „Digitalen Bohème“ ausgemacht. Diese brachte er dann gegen die dahinschmelzenden Heerscharen der Festangestellten in Anschlag. Mit der Durchsetzung des kapitalistischen Wertgesetzes wird aber jede produktive Tätigkeit zu „abstrakter Arbeit“ und alle zu „Privatarbeitern“, weil der Wert ihrer Dinge erst auf dem Markt realisiert wird – gleichgültig gegenüber Form, Menge und Inhalt. Das ist auch der Grund für das Elend jeder „Öko-Strategie“, die auf die Verbesserung der Qualität von Waren drängt – z.B. den Bau von „Dreiliter-Autos“.

    Bei Unfried begann mit dem Kauf eines solchen PKWs das, was er mit dem Hamburger Trendforscher Mathias Horx „Loha-Leben“ nennt: ein „Lifestyle of Health and Sustainability“, den eine US-Futurologin bereits 2006 ganz klar als „Megatrend“ erkannte. Woraufhin der Suhrkamp-Lektor Heinrich Geiselberger sogleich mit dem Reader „Und jetzt?“ ins Detail ging. Der Soziologe Ulrich Beck sprach darin von einer „Politik im Supermarkt“ und gab der „neuen medial sich inszenierenden Konsumentenmacht“ – sein optimistisches Soziologenwort.

    Etwas kritischer argumentierten dann 22 Wissenschaftler in dem Reader „Konsum-Guerilla“. Auch sie reden dabei von einem „Widerstand gegen die Massenkultur“ – jedoch mit einem Fragezeichen, wie es sich gehört. „Der Band befaßt sich mit unterschiedlichen Ebenen des Konsums sowie damit verbundenen, (sub-)kulturell überformten Konsumpraktiken und -stilen,“ schreiben die Herausgeber. Sie konstatieren, dass „Schnäppchenjäger“ sich zu „Smart Shoppern“ wandeln, während der „souveräne Konsum zur elementaren Bürgerpflicht“ avanviert. Quer zu dem verhält sich die „Konsum-Guerilla“.

    Dazu interviewten die Herausgeber u.a. den Poptheoretiker Diedrich Diederichsen. Er versteht unter „Konsumguerilla“ 1. dass die Bedeutung von Produkten subversiv angegangen wird (das Hijacken von Logos und Zeichen), eine Idee, „an die aber heute keiner mehr recht glaubt“, weil „die Stabilität der Verhältnisse nicht so direkt von bestimmten Bedeutungskulturen abhängig ist. Mit solchen Praktiken ist man mittlerweile auf der Marktseite gelandet.“ 2. dass Waren „etwas versprechen, was sie selbstverständlich nicht halten. Ich denke, das ist der Ansatzpunkt: Das Versprechen der Waren mobilisieren. Jedoch nicht auf deren Feld: Ich denke eigentlich, dass man dem Prinzip der Ware nicht mit alternativen Waren entgegentreten kann. Man muß auf der Ebene des Prinzips oder eben gegen es agieren.“ Die „human hergestellte oder die besser oder fairer hergestellte bzw. fairer gehandelte Ware ist nicht die Lösung des Problems.“ 3. Die Lösung oder vielmehr „das eigentliche Thema“ sieht Diederichsen in der „Künstlerposition“, also dass man sich in der Kunst die Frage stellt: „Was wäre ein Objekt, ein Fetisch, eine Haltung, ein Prozeß, ein Versprechen, das anders funktioniert als Ware?“

    Stefan Kuzmany: „Gute Marken – Böse Marken“, Frankfurt/Main 2007, 8 Euro
    Peter Unfried: „Öko: Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“, Köln 2008, 14 Euro 90
    Nico Stehr: „Die Moralisierung der Märkte – Eine Gesellschaftstheorie“, Frankfurt/Main 2007, 14 Euro
    Heinrich Geiselberger (Hg.): „Und jetzt? Politik, Protest und Propaganda“, Frankfurt/Main 2007, 12 Euro
    Holm Friebe/Thomas Ramge: „Marke Eigenbau: Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“, Frankfurt/Main 2008, 19 Euro
    90 Eva Illouz: „Der Konsum der Romantik“, Frankfurt/Main 2007, 12 Euro
    Birgit Richard/Alexander Ruhl (Hg.): „Konsumguerilla – Widerstand gegen Massenkultur?“, Frankfurt/Main 2008, 24 Euro 90

  • Noch eine Begriffsklärung – von Jacques Rancière:

    „Ästhetik ist für mich keine Wissenschaft oder Disziplin, die sich mit der Kunst beschäftigt. Ästhetik bezeichnet einen Modus des Denkens, der sich anhand von Gegenständen der Kunst entfaltet und sich bemüht zu sagen, inwiefern sie Gegenstände des Denkens sind.“

    In diesem Zusammenhang bezeichnete Daniel Cohn-Bendit während der Diskussionen in den besetzten Bockenheimer Häusern 1975 gerne Heiner Boehncke als „Scheißästhet“.

  • Von der HfbK Hamburg kommt eine Begriffsklärung:

    Kritik der Warenästhetik…

    bezeichnet primaer das Aesthetische von Waren, insofern dieses von der Funktion, den Wert der Waren zu realisieren, bestimmt ist. Darunter ist also nicht einfach die sinnliche Gestaltung eines Produktes zu verstehen, sondern die zusaetzlich, zur Erhoehung der Verkaeuflichkeit produzierte Erscheinung derselben. – An diese Kernbedeutung schliessen schliessen sich weitere Fragen an: die nach der >KommodifizierungKulturindustrie), der Auswirkung auf individuelle Selbst- und Fremdverhaeltnisse sowie auf das Aesthetische der Kunst.
    //1. Die analytische (nicht empirisch-sinnliche) Unterscheidung von Warenästhetik und Produktästhetik basiert auf der von Adam Smith klassisch geprägten und von Karl Marx kritisch weitergeführten Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert als den beiden Bestimmungen der Ware. Ökonomisch dominiert dabei die Tauschwert- oder Wertseite. Der in den Warenkörper gebannte Wert muss „erlöst“ (realisiert) werden. Anders wird die Ware zum „Ladenhüter“. Aus diesem für die Warenproduzenten existenzwichtigen Realisationsproblem entspringt die Warenästhetik.

    Der Verkäufer bemüht sich, wie Goethe sagt, >seine Waren […] in dem besten Lichte vorzuzeigen […,] dahingegen der Käufer immer mit einer Art Unschuld hereintritt […]. Jener weiß recht gut, was er gibt, dieser nicht immer, was er empfängt. […] alles Kaufen und Tauschen beruht darauf. (Wilhelm Meisters Wanderjahre, 2.4) Gerade weil die Warenästhetik eine Funktion der Tauschwertseite ist, dominiert in ihr die Erscheinung des Gebrauchswerts. Sie tut dies vor allem Verkaufsgespräch und aller Werbung im Modus eines Erscheinungsüberschusses am Warenkörper. Die Gebrauchsgestalt wird zur Trägerin eines zusätzlichen Versprechens mit ästhetischen Mitteln. Die Seinsweise des ästhetischen Gebrauchswertversprechens lässt sich mit dem Oxymoron (Widerspruchsbegriff) einer ästhetischen Abstraktion beschreiben.

    Was den Käufer bewegt, Geld für die Ware auszutauschen, ist deren Gebrauchswert. Doch dieser hat es nötig, realisiert zu werden, er >verwirklicht sich nur im GebrauchDie Waren müssen sich […] als Werte realisieren, bevor sie sich als Gebrauchswerte realisieren können. Andrerseits müssen sie sich als Gebrauchswerte bewähren, bevor sie sich als Werte realisieren können.vergessenAber derselbe Prozess kann nicht gleichzeitig für alle Warenbesitzer nur individuell und zugleich nur allgemein gesellschaftlich sein.q8/101 Diese zweite Aporie löst Marx auf, indem er den Begriff der >allgemeinen Äquivalentware als genetische Vorstufe des Geldes einführt. Die Äquivalentwareq8/109) – etwa Gold – ist einerseits besonderer Gebrauchswert andererseits immer in Form unmittelbarer Austauschbarkeit und steht so für die Gesellschaftlichkeit der Privatprodukte. Später übernimmt unter bestimmten Rahmenbedingungen Papiergeld diese Funktion.

    Aber wie steht es mit der ersten Aporie? >Die Umgangssprache gibt die Antwort […]: Der Käufer kauft eine bestimmte Ware, weil er sich von ihr den gewünschten Gebrauchswert verspricht.Verkaufsgespräch).
    Die Tauschbeziehung ist nun aber antagonistisch. Im Wortsinn des griechischen antagonízomai ist Tauschhandeln immer auch >GegenhandelnWechselbalg hält etwas vom stets lauernden Täuschungscharakter des Tauschens fest. Im Lateinischen drückt sich dies in der gespaltenen Semantik der alienatio (Wegtauschen und Entfremdung) aus; im Deutschen deutet die Wortgemeinschaft von Tauschen und Täuschen darauf hin. Die griechisch-römische Antike stellt den Zusammenhang von Tauschen und Täuschen in der Personalunion des personifizierten Tauschens und Täuschens in der Gestalt von Hermes bzw. Mercurius (von merx, Ware) her, der zugleich Gott der professionellen Tauschakteure, der Händler, und Gott der Diebe ist. Schein und Sein

    //2. Wirkungsweisen. – Täuschung ist Betrug, als solcher zwar weitverbreitet, aber doch immer nur >Auswuchskommen an. Statt von einem archimedischen Punkt kann man deshalb von einer archimedischen Ellipse der Warenästhetik sprechen: sie läuft um den Warenkörper herum. Ihre beiden Brennpunkte liegen außerhalb desselben: den formell organisierenden Brennpunkt bildet das Verwertungsinteresse, den materialen das Ensemble der Begierden, die im Menschenmaterial brennen. Alles dreht sich ums Subjekt. Aber das Subjekt ist nur Umwelt des Systems, das sich in sich selbst dreht. Darum ist die Zentralität des Subjekts imaginär oder das Imaginäre des Subjekts wird zentral.

    Wie jede Strategie kann aber auch das strategische Imaginäre der Warenästhetik sein Ziel verfehlen. Diese intentionale Beschränkung wird durch das vom Feed back des Erfolgs (des Ankommens) oder Misserfolgs gesteuerte periodische Recycling der warenästhetischen Gebilde überwunden. Brecht hat in diesem Sinn die Kinokasse mit dem Filmkritiker verglichen: >Als richtig gilt, was schon einmal fotografiert wurde und ‘durchging‘, als gut, was ein Honorar erhöhte. (AJ, 2.12.41)

    Es genügt, dass die Marktakteure an ihrem Gewinnmaximierungsprogramm festhalten, damit dieser permanente Selektionseffekt die Wucht eines subjektlosen Prozesses erhält.
    //3. Als Trägerin des Gebrauchswertversprechens liegt die ästhetische Abstraktion vielen verkaufsrelevanten Techniken zugrunde: der Oberflächengestaltung des Warenkörpers, der Repräsentation desselben auf der Verpackung und seiner Dekoration in der Auslage, seiner Situierung im Werbebild und Inszenierung im Werbespot oder in der Schleichwerbung usw. Die ästhetische Abstraktion der Ware wird damit zur Voraussetzung für die ästhetische Besonderung eines Gutes, auf die eine Firma Eigentumsrechte erheben kann. Eines der berühmten klassischen Beispiele ist der Einfall eines Mundwasserfabrikanten, Karl August Lingner, vor hundert Jahren, den Hals der Fläschchen, in denen sein Produkt verkauft wurde, auf eine eigentlich unsinnige Weise umbiegen zu lassen, also eine von der allgemeinen Flaschenform markant abweichende besondere Flasche zu schaffen. Die Serien- und später Massenware Automobil normalisierte sich sogleich als derartiger Markenartikel, dessen körperliche Erscheinung zugleich den Gebrauchswert und die Marke darstellt. Eine derart besonderte Gebrauchsgestalt im Besitz eines Unternehmens stellt ein ästhetisches Gebrauchswertmonopol darq6. Für die Verbindung von ästhetischer Besonderung und sprachlichen Zeichen mit Namenscharakter sind im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sukzessive Schutzgesetze geschaffen worden, die das Eigentumsrecht an Wörtern und Gestalten begründeten.

    Das ästhetische Gebrauchswertmonopol gibt seinem Eigentümer zwei neuartige Möglichkeiten: 1. die der Monopolpreisbildung, 2. die der Regeneration der Nachfrage. Letztere, die als >geplante Obsoleszenz (Packard) beschrieben worden ist, lässt sich genauer als ästhetische Innovation einer Ware fassen, welche die ästhetische Veraltung (ästhetische Obsoleszenz) der noch fungierenden Produkte bisheriger Gestaltung bewirktq6/26ff; q7/114ff.

    //4. Was der ästhetischen Innovation-Veraltung entgegendrängt, ist die Lust am Neuen und das Verlangen nach Distinktion, gefolgt vom massenhaften Konformismus der Distinktion, dem die Lust an dieser wiederum zu entspringen sucht. Dieses Verlangen setzt folgenden Zyklus in gang und unterwirft sich ihm selbst: Jede attraktive besondere symbolisch-ästhetische Unterscheidung wird gefolgt – oder besser: verfolgt – von einem massenhaften Konformismus der Distinktion, genannt allgemeine Mode. Dem massenhaften Konformismus der Distinktion sucht die Lust an der ästhetischen Unterscheidung wiederum zu entspringen.

    Dieser Prozess modelliert nun ständig die warenästhetisch angesprochenen Bedürfnisse. Die Angebote sind nicht einfach Antworten auf die Bedürfnisse, sondern stellen gleichsam deren Fragen um. Jedes Verlangen wird als Nachfrage auf dem Markt ‚verstanden‘ und auf etwas Käufliches bezogen. Der Überschuss aber, der in den Einkaufsrechnungen nicht aufgeht, kommt zwar nicht zu seinem Recht, wohl aber zu seinem Ausdruck (um einen berühmten Satz von Walter Benjamin abzuwandeln). Indem das Wünschen auf Waren bezogen wird, wird der Ausdruck des Wünschens als imaginäre Wunscherfüllung in die Ästhetik dieser Waren gezogen. Dabei wird er von Spezialisten durch alle erdenklichen Filter und Verstärker gejagt und so ins Bedürfnis zurückgespeist.

    //5. Die Warenästhetik verhält sich parasitär zu aller Kunst wie überhaupt zu allen symbolischen Formen und ideologischen Mächten. Indem sie von ihnen zehrt, zehrt sie deren Möglichkeit auf. Sie wird zur ästhetischen Parodie im Sinne der >Verwendung von Formen im Zeitalter ihrer Unmöglichkeitin den Zufall … als desperate Antwort auf die Ubiquität des Scheinsdass er den ursprünglichen Gestus des Sprechens wiederhergestellt hatmit dem durch diese Mittel geprägten Menschen rechnet und nun gegen diese Mittel andichtet.

    //6. Die Digitalisierung des Scheins hat die Produktivkräfte der Warenästhetik qualitativ gesteigert. Zugleich hat eine Entgrenzung der Warenästhetik in die Welt des unterhaltenden Scheins stattgefunden. „Promotionale“ Züge haben sich tendenziell über alle gesellschaftlichen Lebensbereiche und Beziehungsweisen ausgedehntq9/301ff).

    Wolfgang Fritz Haug

    q1 Adorno, Th.W., 1961, Noten zur Literatur, Bd. II, Frankfurt/M
    q2 ders., 1973, Ästhetische Theorie, Frankfurt/M
    q3 Anders, Günther, Bert Brecht. Gespräche und Erinnerungen, Zürich 1962
    q4 Benjamin, Walter, >Das Kunstwerk im zeitalter seiner ästhetischen Reproduzierbarkeit, in: Illuminationen, Frankfurt/M 1961, 148-84
    q5 Brecht, Bertolt, Arbeits-Journal, Frankfurt/M 1974
    q6 Haug, Wolfgang Fritz, Kritik der Warenästhetik, Frankfurt/M 1971
    q7 ders., Warenästhetik und kapitalistische Massenkultur (I). „Werbung“ und „Konsum“. Eine systematische Einführung, Hamburg 1980
    q8 Marx, Karl: Das Kapital. Bd. 1
    q9 Wernick, Andrew, >The Promotional Condition of Contemporary Culture (Auszug aus: ders., Promotional Culture, London: Sage 1991, 181-98), in: Lee, Martyn J. (Hg.), The Consumer Society Reader, Oxford 2000, 300-18

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