vonHelmut Höge 21.11.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Unter dieser Frage berichtete ich über einige öffentliche „Krisen“-Debatten im Kreuzberger Hochzeitssaal. Die sich ausdehnende Finanz- und Immobilienkrise hat inzwischen in der Politik zu einem „neoliberalen Keynsianismus“ geführt: immer mehr Branchen verlangen nach Staatsknete, wie man das früher nannte. Etwas verzagtere Politiker fragen unterdes: Was ist, wenn sie das Geld in einem Jahr verpulvert haben? Kriegen sie dann Neues?

In der Zwischenzeit fand in den Milchschaumbezirken eine neue Diskussionsrunde statt: im Raucherbuchladen „b-books“ und im noch amerikanisierteren Nichtraucherbuchladen „pro qm “ stellten Stephan und Ralph Heidenreich ihr neues (goldenes) Merve-Buch „Geld“ vor, das die Krise direkt angeht, d.h. Ralph , Vermessungsamt Biberach, erzählte seinem Bruder seine Gedanken über den derzeitigen Stand der Geld-Ökonomie. Und der HUB-Doktorant Stephan hat das Ganze dann durch seinen kulturwissenschaftlichen Stil- und Begriffs-Apparat gefiltert. Manchmal ist dabei dennoch irritierenderweise von „Ich“ die Rede. Macht aber nichts.

Man muß eigentlich die schönsten Stellen daraus hier vorstellen, ich habe aber das Buch grad nicht auf meinem aushilfshausmeister-blog-schreibtisch liegen, sondern zu Hause. Ich wünschte, Robert Kurz würde es rezensieren, und u.a. etwas Klarheit in den Wertbegriff bringen, so wie es u.a. Anselm Jappe in „Die Abenteuer einer Ware – Für eine neue Wertkritik“ unternommen hat (unrast-verlag 2005). Die taz möchte aber weder den einen noch den anderen bitten, das Geld-Buch zu rezensieren, weil dabei zu viel Polemik rauskommt, befürchten sie, vielleicht zu Recht. Andererseits ist mir Robert Misik als Marxist wieder nicht „hart“ genug“. Sei es drum. Ich kann ja hier meine eigene Rezension des Buches ablegen irgendwann.

Inzwischen vergeht kein Tag, an dem nicht eine neue Branche oder mindestens ein Konzerngeflecht staatliche Förderung verlangt, um das sich ausweitende Konjunkturtief zu „überbrücken“, wie die „Topmanager“ sich ausdrücken. Auch manche sich für das Grundeinkommen stark machende Initiative redet bisweilen von „Überbrückungsgeld“.

Nun erreichte mich auf elektronischem Wege eine neue diesbezügliche Hiobsbotschaft:
>Krise in der Pornoindustrie

Nach der Zugänglichkeit von Pornografie im Internet, Schwarzkopien von Pornofilmen und der aktuellen Finanzkrise, steht die Pornoindustrie vor einer nie dagewesenen Krise. Diese gefährdet nach Schätzungen von Experten Tausende von Arbeitsplätzen in Deutschland. Nach anfänglicher Skepzis haben sich nun die Schlüsselfiguren der Branche an die Bundesregierung gewendet. Klar ist, dass die Pornoindustrie die Realwirtschaft der IT-Branche darstellt und schon aus diesem Grund eine wichtige Funktion für die telematische Gesellschaft hat. Als mögliche Alternative zum 500 Mio schweren Konjunturprogramm für die Pornoindustrie hat nun das Formatlabor Berlin der Bundesregierung einen Vorschlag unterbreitet.
>Lesen Sie mehr: http://www.formatlabor.net/blog/

Dort fand ich dann folgenden Satz: „>Die Permanenz der Krise im Verhältnis zum Ganzen in seiner Erstarrung<

Und folgende Frage aufgeworfen:

Worum geht es?

Es geht um unsere Zukunft, um die Entwicklung unserer Gesellschaft. Es geht um die soziale Evolution und ihre kulturtechnischen, epistemologischen, konventionellen und medialen Rahmen. Werden wir in einer Gesellschaft leben, in der die soziale Evolution einer Eigendynamik unterworfen ist, die blind ist für menschliche Bedürfnisse, oder wird es den Teilnehmern an sozialen und medialen Formaten möglich sein, diese zu reflektieren und aktiv mitzugestalten?

Unser Vorschlag besteht darin, Gesellschaft als Prozess zu begreifen, als ein soziales System, das sich mit Hilfe unmittelbar-sozialer und medialer Formate reproduziert. Folgt man dieser Betrachtungsweise, bestünde die soziale Evolution im Auftauchen und dem Sich-Durchsetzen neuer Formate, gefolgt von einem Prozess der Umstrukurieung (Restabilisierung), der einsetzt, wenn eine neue Formatvariation sich durchsetzt und etabliert.

Damit verschieben sich dann auch die Variationsmöglichkeiten (die Produktionsmöglichkeiten der Variationen) sowie die soziale Selektion der Formate, die Logiken der Anschlusses.

Kann man experimentell für bestimmte Zwecke und Bedürfnisse Formate entwickeln? Wäre es möglich, die Entwicklung von experimentellen Formaten auszurichten an der Antizipation der >RestabilisierungLogiken der Bedürfnisse abgelöst werden.

Unter einer Liste aller bisherigen Aktivitäten von „Formatlabor“ findet sich u.a. auch folgender Eintrag:

Der Höhepunkt des Jahres bestand in der Ausstellung „Lara X. SchifferI’ll be Your Model“, ( http://www.laraxschiffer.com/ ) einer ersten Gestaltwerdung des Projektes „Reich durch Kunst“.

Hier geht es also nicht nur um Überbrückungsgelder, sondern auch darum, andere „Finanzierungshebel“, wie man das bei Gazprom nennt, zu finden. Dahinter steht in diesem Fall aber kein Staatskonzern, sondern das Kollektiv der NEUEN METHODIKER (als eingetragener Verein).

Erwähnt sei abschließend noch, dass eine andere Gruppe von HUB-Kulturwissenschaftlern am kommenden Dienstag ab 18 Uhr 30 im Beisein eines Vertreters der Schwedischen Botschaft den Prostituierten-Film „Lilja-4-ever“ zeigt. Anschließend findet eine Diskussion über Semidokumentarismus statt. Die Zeit, immer vorneweg, wenn es gilt gegen die Zwangsprostitution und gegen Schlepperbanden überhaupt eindeutig kritisch Stellung zu beziehen, schreibt über den Film, den sie als eine „Passionsgeschichte vom russischen Babystrich zur modernen Leibeigenschaft im schwedischen Sozialstaat“ bezeichnet:

„Die junge Russin Lilja springt. Ihr Gesicht ist zertrümmert, der Traum von einem einfacheren Leben sowieso. Ihrem Folterer ist sie wenigstens dieses eine Mal entwischt. Ihrer Zukunft, die ihrer Vergangenheit schrecklich ähneln wird, kann sie nicht entkommen. So springt sie von der Autobahnbrücke, und Rammstein singen mit donnernder Garstigkeit >Mein Herz brennt< dazu.“

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/11/21/wie_weiter_ueberbrueckungsgeld/

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