Auf der taz-weihnachtsfeier erfuhr ich von Imma Harms, dass sie Ende Januar ein Seminar in Reichenow über den Gabentausch anbietet, im Zusammenhang einer Marcel-Mauss-Lektüre.
Zufällig kam kurz danach der in Italien lebende Anselm Jappe nach Berlin, der in seinem Buch „Die Agenteuer der Ware“ bereits eine derartige Marcel-Mauss-Lektüre angeregt hatte.
Wir kamen überein, uns zukünftig als „Freunde eines neuen Agrarkommunismus“ enger zu vernetzen, wie man heute so sagt.
Ausgehend von Jappes Buch hatte ich mich bereits im Zusammenhang der Verkaufsausstellung von Produkten aus europäischen Produktivgenossenschaften „Le Grand Magasin“ einige Male mit dem Gabentausch befaßt (siehe unten), sowie auch einmal, 1974, neben einer Kant-Kritik von Alfred Sohn-Rethel einen Text von Georges Bataille über „Die Verausgabung“ veröffentlicht, in dem es ebenfalls um den Gabentausch und den Potlatsch ging.
1. …unter und auf dem Gabentisch
Die geschichtliche Vorform des Warentauschs ist der Geschenk- oder Gabentausch. Er ist gekennzeichnet durch die Verpflichtung der Reziprokation der empfangenen Gabe, der Warentausch dagegen durch das Postulat der Äquivalenz der getauschten Objekte. Hier herrscht „Gegenseitigkeit“ – dort „Gleichwertigkeit“, könnte man vielleicht sagen. Ersteres bezieht sich auf Personen, letzteres auf Dinge. Im Gabentausch, wird Gesellschaft direkt hergestellt, im Warentausch abstrakt – über den Wert (der Dinge). Ersteres eignet den sogenannten primitiven Gesellschaften letzteres unserer – kapitalistischen. Aber auch hier herrscht (noch?) ein ununterdrückbarer Hang und Drang zum Gabentausch.
Dazu zählen nicht nur die vielen ausdrücklichen Projekte der „sozialen und solidarischen Ökonomie“, von denen es allein in Ostberlin 988 gibt – mit bis zu 500 Mitarbeitern. Auch nicht die etwa 300 „Tauschringe“ deutschlandweit. Oder die millionenfache unbezahlte Hausarbeit und das Großziehen von Kindern bzw. Enkeln, sowie die Nachbarschaftshilfe. Fast alle unsere Lebensäußerungen heben auf Gaben- statt Warentausch ab. Und zwar auf eine ebenso subtile wie nachhaltige Weise. Beispiel: Ich frage einen im Ausland lebenden Freund am Telefon „Soll ich dir das neue Buch schicken?“. Dabei erwarte ich nicht die Antwort „Nein, bloß nicht!“, sondern ein „Ja, wenn es dir nicht zu viele Umstände macht,“ was ich dann verneine, wobei ich ab da hoffe, dass er mir ggf. auch mal einen interessanten Text zukommen läßt. Damit wäre schon der Reziprozität Genüge getan, d.h. der Erweiterung und Festigung eines sozialen Netzes – durch die Erwiderung einer Gabe. Auch im Büro: Wenn ich drei Mal runtergehe, um mir einen Kaffee zu holen und dabei dem Kollegen einen mitbringe, dann hoffe/erwarte ich, dass er mir umgekehrt auch mal einen mitbringt. Ständig versuchen wir dergestalt andere in unsere Schuld zu bringen und umgekehrt passiert mit uns das selbe. Wir fühlen uns den alt und klapprig werdenden Eltern, die uns großzogen, verpflichtet. Wir haben ein schlechtes Gewissen, weil wir einen alten Freund nicht oft genug im Krankenhaus besuchen. Oder weil wir uns kein angemessenes Geschenk zur „Feier“ einer guten Freundin überlegt haben usw. . Das selbe unberechenbare Reziprozitäts-Gesetz ist beim Wohnungsumzug und Wohnungsrenovieren am Werk – in bezug auf die Hilfe von Freunden dabei. Ja sogar schon bei der Freundlichkeit und Höflichkeit gegenüber Kellnern: Nach einer gewissen Zeit darf man erwarten, dass sie diese erwidern – und einen „persönlich“ behandeln. Aber wie leicht droht ein Gaben- in Warentausch umzukippen?! Wenn z.B. ein Mann eine Frau zum Essen einlädt – und sie damit „rumkriegen“ will. Dann ist das keine Gabe mehr, eher ein Danaergeschenk. So wie ein Umsiedler das von der DDR-Regierung enteignete und ihm zur Verfügung gestellte „Reformland“ als „Dardanellengeschenk“ bezeichnete. Der Gabentausch webt am Sozialen und umgekehrt. Wenn man diese „Verbindungen“ verkauft, reißen sie ab. Deswegen kann der Philosoph des Judentums Emmanuel Lévinas sagen, vom „Anderen“ geradezu „besessen“ zu sein. Der andere Philosoph Jacques Derrida hat daraus eine ganze „Politik der Freundschaft“ dekonstruiert. Wohingegen der Marxist André Gorz sich auf all jene „Initiativen und Projekte“ konzentrierte, bei denen der Gabentausch als bewußte „ökonomische Praktik“ im Zentrum stand. Gorz begriff diese Selbstorganisationen, im Maße sie sich verbinden, als Alternative zur kapitalistischen Wirtschaftsweise. Man könnte sie aber auch als ihre bloß abstrakte Negation abtun, denn die primär Gaben tauschenden Gesellschaften werden im strengen Sinne von gar keiner „Ökonomie“ beherrscht. Eine empirische Studie kam zu dem Ergebnis, dass auch in Frankreich „die Sphäre der Gabe“ bereits Dreiviertel des Bruttosozialprodukts ausmache. Dazu zählten die Forscher u.a. die vielen „Schnapsrunden“ in den Kneipen. Viele Marxisten lächelten darüber, einige grinsten aber auch nur.
Ich war dagegen umgekehrt erstaunt, als eine amerikanische Freundin meinte: Wenn du mir jetzt nicht hilfst, dann unterstütze ich dich auch nicht, wenn du mal alt bist. Das war mir eine zu sehr vom Wertgesetz zersetzte Reziprozität. Wie ebenso ihre stete Sorge, der sie – nachdem sie mit mir eine Idee für einen Text, den zu schreiben sie beabsichtigte, diskutiert hatte – jedesmal sagen ließ: „Aber erzähl niemandem davon!“ Sie hatte – völlig unbegründet – Angst, jemand könnte sie einer Idee berauben – bevor sie diese noch selbst ausgearbeitet und veröffentlicht hatte. Während ich darin einen Freundschaftsbeweis sehe, wenn jemand einen ausgedruckten Gedanken von mir übernimmt. Fortan steht derjenige wenn auch unbekannterweise ein bißchen in meiner Schuld. Aber ich wunderte mich nicht über meine amerikanische Freundin, denn ein solches Verhalten „ist am entwickelsten in der modernen Daseinsform der bürgerlichen Gesellschaft – den Vereinigten Staaten. Hier also wird die Abstraktion der Kategorie ‚Arbeit‘, ‚Arbeit überhaupt‘, Arbeit sans phrase, der Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, erst praktisch wahr,“ schrieb Karl Marx ( MEW 42/39). Vielleicht stammt dieses Verhalten aber auch, noch ganz vormodern, aus den alten Pionierzeiten, als man dort im Westen sein Eigentum noch ängstlich und vor allem ganz buchstäblich „hüten“ mußte. Meine Freundin ist auch für den Waffenbesitz. Wir haben jetzt wieder eine Diskussion über die „Allmende“, das Gemeineigentum, in den USA – dort „Open Source“- Bewegung genannt. Meine amerikanische Freundin organisierte dazu hier eine öffentliche Veranstaltung – pro und contra. Was „Gemeineigentum“ ist kann man eigentlich nicht klauen, sondern nur persönlich nutzen, das soll man ja auch – aber dann es unerwidert lassen. Dadurch wird zwar das Reziprozitätsgesetz verletzt – aber kein bürgerliches Recht.
Alfred Sohn-Rethel begreift den Unterschied zwischen dem einen und dem anderen historisch als Übergang vom „klassischen Gemeinwesen“ zur „Einzelwirtschaft“: „Vor diesem Hintergrund ist auf die Bereitschaft zur Erwiderung beim Gabentausch kein Verlaß mehr, und der Austausch muß eine tiefgreifende Umformung erfahren, eben die Umformung zum Warentausch, d.h. die zuvor im zeitlichen Abstand zur Gabe lose erfolgende Erwiderung verkoppelt sich jetzt strikt mit ihr zur prompten Bezahlung der Gabe an Ort und Stelle, so daß die beiden Akte des Austauschs wechselseitige Bedingung füreinander werden und zur Einheit und Gleichzeitigkeit eines Tauschgeschäfts zusammengekettet sind. Die Partner dieses Verhältnisses stehen nun als Käufer und Verkäufer erst eigentlich in vollem Sinne der Tauschhandlung und Tauschverhandlung sich gegenüber. Keiner der beiderseitigen Akte des Gebens und Nehmens ist für sich der Tauschakt. Der Tauschakt ist das komplexe Verhältnis, in dem die beiderseitigen Handlungen sich zur Einheit des Austausches aufwiegen. Das ist keine physische Einheit, sondern ein Rechtsverhältnis. Das Mengenverhältnis ihrer Warenposten, auf das die Tauschpartner sich einigen, hat Vertragscharakter, schriftlichen oder mündlichen. Im Warentausch ist der Akt gesellschaftlich, aber die beiden Mentalitäten sind privat; das sagt sich bündiger und klarer auf englisch: In commodity exchange the act is social, the minds are private.“
Weil dieser Warentausch, indem er sich durchsetzt, die Gemeinschaften zersetzt, zu atomisieren droht, wird der Gabentausch als Gegengewicht institutionalisiert, indem man ihn sakralisiert. D.h. er dient fortan der Pflege der Götterkulte und der sakralen Opferdienste durch eine Priesterschaft – bis dahin, dass er zum „Ablaßhandel“ herunterkam, gegen den zu Beginn der Moderne dann Martin Luther die abstrakte Schuld eines jeden setzte. So konnten die protestantischen Gemeinden, besonders in den USA, zu Enklaven des Gabentauschs werden. Meine amerikanische Freundin hegt eine besondere Vorliebe für die „Brüdergemeinen“, die dieses Prinzip hierzulande noch am ausgeprägtesten „vorleben“ – dank ihrer glorreichen hussitischen Vergangenheit.
2. In der Zwischenwelt von Gabe und Ware
„Um ihre Produkte auf einander als Waren zu beziehen, sind die Menschen gezwungen, ihre verschiedenen Arbeiten abstrakt-menschlicher Arbeit gleichzusetzen. Sie wissen das nicht, aber sie tun es.“ (Karl Marx)
Zwischen Gaben- und Warentausch liegen Welten, konkret: der Wert, den Georg Simmel in seiner „Philosophie des Geldes“ in einer real existierenden „Zwischenwelt“ ansiedelt. Im Zusammenhang der „Krise des fiktiven Kapitals“ brachte der Politologe Elmar Altvater in der Studentenzeitung „Critica“ gerade das Marxsche „Wertgesetz“ erneut ins Spiel. Es ging ihm dabei jedoch um eine neue „solidarische Ökonomie“, die er der staatlichen Planung entgegensetzte, wobei er zugleich hervorhob, dass man eine „antikapitalistische Ökonomie nicht erfindet, sie entsteht in sozialen Kämpfen“. Es gibt eine anhaltenden Streit darüber, wo der Wert einer Ware gebildet wird und was für eine „Realität“ er hat – wenn überhaupt. Diese Diskussion hat bereits Marx mit sich selbst geführt. Grob gesagt bildet der Wert sich für die „Erlanger Marxisten“ in der „abstrakten Arbeit“, während er für die „Bremer Marxisten“ in der Nachfolge der „Frankfurter Schule“ eher in der Tauschhandlung Geltung hat. So scheint es mir wenigstens, wie ebenso, dass ich einmal genau zwischen diesen Wert-Situierungen scheiterte, sozusagen aufgerieben wurde – und das kam so: Immer wieder hatte ich Freunden bei der Renovierung ihrer Wohnung geholfen, d.h. meistens Wände und Türen gestrichen. Einmal heuerten mich deswegen vier Kunststudenten an, die in Dahlem zwei Wohnungen renovieren wollten. Ich sollte dabei einige Zimmer übernehmen, d.h. neu streichen. Sie hatten mit dem Wohnungsbesitzer einen Festpreis ausgehandelt, wobei sie den ortsüblichen Stundenlohn zugrunde gelegt und den auf die voraussichtliche Gesamtstundenzahl hochgerechnet hatten. Den Stundenlohn hatten sie vorher bei einigen Kommilitonen, die Schwarzarbeitserfahrung besaßen, ermittelt. Die Endsumme, das war dann ihr Kostenvoranschlag gewesen. Der Wohnungsbesitzer hatte sich Ähnliches ausgerechnet, wobei er sich bei einigen Schwarzarbeiterkolonnen und Hausbesitzern in seiner Nachbarschaft kundig gemacht hatte. Er war dabei auf eine niedrigere Summe gekommen. Die Auftragnehmer hatten sich dann mit ihm, dem Auftraggeber, etwa in der Mitte der Preis-Differenz geeinigt. Auch ich hatte mich diesbezüglich informiert – bei einem Bildhauer, der ein Haus in Lüchow-Dannenberg besaß. Er meinte, dort würden sie alle den polnischen Arbeitern bzw. Handwerkern 20 DM die Stunde zahlen, die dort lebenden Spiegelredakteure allerdings bloß 15 DM. Unser Stundenlohn in Dahlem lag dazwischen – wenn wir den Auftrag zügig abwickelten. An einem Samstag fingen wir an. Für das Schlafzimmer, das ich mir als erstes vornehmen sollte, mischte ich ein Blaßblau an – und begann. Leider reichte die Farbe nicht für alle Wände. Ich mischte neue an. Dabei traf ich jedoch nicht ganz den Ton. Bevor ich noch einmal eine Mischung ansetzte, mußte ich erst einmal warten, bis die verstrichene trocken war. Meine Kollegen, die ab und zu vorbeikamen, wurden immer nervöser. Schließlich hielten sie es nicht mehr aus. Einer gab sich einen Ruck und sagte, das ginge so nicht, sie würden das ganze Schlafzimmer noch einmal streichen – ohne mich. Ich war quasi entlassen. Bedrückt schlich ich nach Hause. Unterwegs, in einem Café, machte ich mir Gedanken über den Unterschied zwischen einer wertlosen Gabe als Freundschaftsdienst und einer preislich fixierten Ware in Form einer Arbeit – als Leistung. Später erklärte mir einer der Kunststudenten, der mich angeheuert hatte, ich sei für den Job „nicht professionell genug“ gewesen. Viel später entdeckte ich den Unterschied zwischen Gaben- und Warentausch auch noch bei anderen, wie ich zunächst dachte: Wenn z.B. ein ABM-Team neben einer Handwerkergruppe eingesetzt wurde. Diese arbeiteten quasi im Akkord und jene, die zwar überqualifiziert aber untermotiviert waren, bekamen ca. 900 DM netto im Monat. Ein ABMler aus dem Osten klärte mich auf: Das sei jetzt wieder wie früher im Sozialismus: „Die da oben tun so, als ob sie uns bezahlen würden und wir tun so, als ob wir arbeiten würden.“ Das kannte ich noch von meiner bescheidenen LPG-Erfahrung in der Wende: Da drohte meine eigene Rinderpfleger-Brigade mir mit der „roten Karte“ – wenn ich zu eifrig war: „Das stecken sich nur wieder die da oben an den Hut“. Von Erich Honecker stammt der Satz „Preise sind gefährlicher als Ideen“ und der Heidelberger Politologe Manfred G.Schmidt konstatierte ein „maßloses Auseinanderklaffen von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Sozialausgaben“ – in der DDR. Dabei galt auch dort, in der Planwirtschaft, das Wertgesetz, was der sowjetische Ökonom I.I.Rubin allerdings bestritten hat. In der ostdeutschen Betriebsräteinitiative gingen wir ungeachtet dessen immer davon aus: Die DDR ist nicht an zu viel Unfreiheit, sondern im Gegenteil an zu viel Freiheit – im Produktionsbereich nämlich – zugrunde gegangen. Nun leben wir aber alle im (enfesselten) Kapitalismus – und da läßt sich Gaben- und Warentausch klarer unterscheiden. Im linken Journalismus besteht er z.B. darin, dass man mit seiner Arbeit entweder die „Kacke des Seins“ umgraben oder aber möglichst elegant die „Formate“ füllen will. Man muß dabei vielleicht „Kompromisse“ eingehen, aber eins weiß ich inzwischen: die „Professionalität“ ist von Arsch!
3. Konsum-Stories
1. „Sorry, die US-Konsum-Story ist zu Ende. Die Einbrüche bei den Absatzzahlen sind dramatisch und nicht nur durch das Wetter allein bedingt…Der Geist der fast-Wertlosigkeit ist aus der Flasche,“ unkte Hartgeld.com fast rechtzeitig.
2. Während der Volkswirt bei der WestLB, Alexander Krüger, sich hierzulande durchaus noch eine „Konsumstory“ vorstellen konnte – aufgrund der im Jahr zuvor bei den Lohnverhandlungen erzielten Einkommenszuwächse.
3. „Ist das das Ende der Konsumstory für 2008? Nein. Wir müssen aber konstatieren, dass die Erholung sich wohl verschieben wird,“ meldet die Deka-Bank.
4. „In Russland werden wir vorsichtshalber unsere Positionierungen auf den Erdgas- und Ölsektor sowie die Konsum-Story konzentrieren,“ verspricht der Pioneer Investment Funds Austria.
5. „Anleger zieht es wieder nach Südostasien,“ titelt das Handelsblatt, zitiert dazu jedoch Pieter von Putten, den Asien-Chef des Fondshauses Morley, und der warnt: „Bis auf China und Thailand stimmt die lokale Konsumstory nicht richtig, zurzeit sind es die Exportaussichten, die die Märkte anfachen.“
6. „Ich hasse es hier der böse Macker zu sein, aber bitte beschränkt Euch auf Konsumstories und son Gelaber… sonst ist hier bald Schicht im Kifo-Schacht,“ schreibt der Contentmanager im „kifferforum.com“ – wahrscheinlich aus Furcht vor den Rauschgiftfahndern.
7. „Erlebniskonsum entführt den Konsumenten in eine eigene Konsumstory. Es handelt sich um den Versuch, Tagträume in einem kompletten Paket anzubieten,“ so steht es bereits im „Lehrbuch ‚Kulturökonomik'“. Und damit ist das Ekelwort „Konsumstory“ wohl durch, dabei dachte ich, dass ich es erfunden hätte – allerdings nicht, um den BWL-Jargon zu bereichern, sondern für Geschichten wie diese:
8. Groucho von den „Marx-Brothers“ gibt singend und tanzend in ihrem Film – „The Big Store“, der die Kaufhaus-Warenwelt verherrlicht – den Verkäufern von Wiener Würstchen gereimten Rat: „Sell this Wieni with Rossini“. Das Westberliner Luxuskaufhaus KaDeWe hat diesen Rat weitgehend beherzigt.
9. Im Osten wurde dagegen der Spruch „Mit jeder Wurst wirds leichter!“ berühmt. Sein Erfinder ist ein arbeitsloser Elektriker aus Leipzig und heißt Peer Wagner. Er machte sich zunächst mit einem fahrbaren Imbißkiosk vor einem Großbetrieb selbständig. Als dieser immer mehr Leute entließ, suchte Peer Wagner einen neuen Standort, bekam aber nirgendwo mehr eine Genehmigung. In dieser Not erfand er in seiner Garagenwerkstatt zu Hause einen „Bratwurstbauchladen“. Der besteht im wesentlichen aus vier Camping-Kühlakkumulatoren, einer Flüssiggasflasche, dem Grill, einem Sonnenschirm und Tragegurten. Einschließlich der Ware – 80 Würsten und ebenso viele Brötchen sowie Senf – wiegt alles zusammen 30 Kilo. Und nichts davon darf während des Verkaufsvorgangs den Boden berühren: „Das ist der Knackpunkt“, sagt Peer Wagner. Denn sonst bräuchte man eine Standgenehmigung. So braucht es nur einen kräftigen Verkäufer, der zudem noch von einer Hilfskraft mit neuer Ware bedient werden sollte. Arbeitslose, die sich damit selbständig machen wollen, bietet Peer Wagner einen günstigen Franchise-Vertrag mit Gebietsschutz an. Als Werbeslogan gibt er ihnen den Satz: „Mit jeder Wurst wirds leichter!“ mit auf den Weg. Inzwischen sieht man schon hunderte von seinen „Bratwurstbauchläden“ in den Konsumzonen der Städte.
10. Im Bremer Kongreß-Zentrum fand ein „Fahrrad-Fachkongress“ statt, auf dem der Fahrradhändler Thomas Peltzer einen Vortrag hielt – über „Zen und die Kunst ein Fahrrad zu verkaufen“. U.a. zitierte er darin aus einer chinesischen Anleitung zum Zusammenbauen eines Fahrrades: „Der Zusammenbau eines chinesischen Fahrrades erfordert großen Seelenfrieden,“ diesen – so meinte – brauche man auch beim Verkaufen eines Fahrrades. Denn ohne ihn könne man bei den immer schwieriger werdenden Kunden nicht mehr bestehen.
4. Der böse Blick
„Der malocchio (ital.) ist ein Begriff für den sogenannten Schadenszauber“ (Wikipedia)
Theodor W. Adorno riet seinen Frankfurter Studenten, den „bösen Blick“ zu entwickeln. Helmut Reichelt schreibt, sie sollten sich damit „für die Erfahrung von Gesellschaft sensibilisieren und dann das Erfahrene theoretisch verarbeiten, wie umgekehrt die Sensibilität für Erfahrung durch Aneignung kritischer Theorie schärfen. Nur so könne man dem Positivismus entkommen!
Der Schweizer Ethnologe David Signer hat diese und andere Zauber-Praktiken in Ostafrika studiert – sein Buch heißt „Die Ökonomie der Hexerei oder Warum es in Afrika keine Wolkenkratzer gibt“. Für Signer sind die magischen Praktiken kein psychologisches, sondern ein soziologisches Phänomen. Wenn Frantz Fanon von einem „magischen Überbau“ sprach, dann könnte man nun mit David Signer von einem „magischen Unterbau“ reden. Er lernte in Ostafrika Medizinmänner und -frauen kennen (eine heiratete er sogar), die Fetische herstellen, um Angreifer und Gewehrkugeln abzuwehren, die Mittel zur Verwandlung in Bäume und Antilopen kennen, die Menschen den Mund verschließen und sie sogar mit Blicken und Worten töten können. Der Traum jedes Adornoschülers? Der böse Blick ist der einzig produktive, deswegen schärfte Adorno seinen Studenten ein, ihn ja nicht zu vergessen. (*) Anders sei unsere warenproduzierende Gesellschaft nämlich nicht zu begreifen. Zwar schwor Marx sich, dass die Bourgeoisie ihm seine Furunkel am Arsch, die er sich während der Abfassung seiner „Kritik der politischen Ökonomie“ zugezogen hatte, noch einmal teuer bezahlen werde, aber eigentlich ist der böse Blick oder das tödliche Wort in einer Gesellschaft, die einzig durch das Wertgesetz zusammengehalten wird, wirkungslos geworden. In Gesellschaften, die dagegen noch auf den Gabentausch bestehen, hilft der böse Blick enorm. Der Gabentausch basiert auf Reziprozität, d.h. auf Gegenseitigkeit, die nicht unbedingt prompt erfüllt werden muß. So dürfen Kinder billigerweise erwarten, von ihren Eltern versorgt zu werden, und die umgekehrt das selbe dann im Alter von ihren Kindern. Im Geltungsbereich des Wertgesetzes hingegen wird jede „Versorgung“ käuflich. Und das muß sie auch, denn wir sind alles „Privatarbeiter“ geworden, egal ob bei Osram am Fließband, im Labor oder in der „Intelligenzagentur“ am Laptop. Und unsere Gesellschaft stellt sich erst über den Tauschzusammenhang her – über ihre Arbeitswerte, die quasi rückwirkend alle produktiven Tätigkeiten zu „abstrakter Arbeit“ herabwürdigen. Wohl sieht man – in der U-Bahn z.B. – noch jede Menge Leute (Baaliner), die den „bösen Blick“ praktizieren, und es dabei bis zu kleinen Mörderaugen gebracht haben, aber das ist sozusagen prä-adornitisch – und damit eher bedauernswert als zum Fürchten. Das heißt aber nicht, dass die Magie auf den afrikanischen Kontinent oder den Gabentausch reduziert ist, im Gegenteil, auch hier ist sie die Basis der Ökonomie. Die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft mißt der „Psychologie“, der „Stimmung“ (an der Börse z.B.), die allergrößte Bedeutung zu. Und das gilt auch für die Politik, die jetzt mit allen möglichen Steuererleichterungen und Geldgeschenken den bösen Blick der Leute auf die Verursacher der Krise abmildern will.
(*) Michel Foucault scheint demgegenüber eher den „fröhlichen Blick“ bzw. die „fröhliche Wissenschaft“ zu favorisieren. In seinen Thesen zur „Einführung in das nichtfaschistische Leben“ heißt es:
– „Befreie die politische Aktion von jeder vereinheitlichenden und totalisierenden Paranoia!
– Entfalte Aktion, Denken und Wünsche durch Proliferation, Juxtaposition und Disjunktion – und nicht durch Unterteilung und pyramidische Hierarchisierung!
– Verweigere den alten Kategorien des Negativen (Gesetz, Grenze, Kastration, Mangel, Lücke), die das westliche Denken so lange als eine Form der Macht und einen Zugang zur Realität geheiligt hat, jede Gefolgschaft! Gib dem den Vorzug, was positiv ist und multipel, der Differenz vor der Uniformität, den Strömen vor den Einheiten, den mobilen Anordnungen vor den Systemen! Glaube daran, daß das Produktive nicht seßhaft ist, sondern nomadisch!
– Denke nicht, daß man traurig sein muß, um militant sein zu können – auch dann nicht, wenn das, wogegen man kämpft, abscheulich ist! Es ist die Konnexion des Wunsches mit der Realität (und nicht sein Rückzug in Repräsentationsformen), die revolutionäre Kraft hat.
– Gebrauche das Denken nicht, um eine politische Praxis auf Wahrheit zu gründen – und ebensowenig die politische Aktion, um eine Denklinie als bloße Spekulation zu diskreditieren! Gebrauche die politische Praxis als Intensivikator des Denkens und die Analyse als Multiplikator der Formen und Bereiche der Intervention der politischen Aktion!
– Verlange von der Politik nicht die Wiederherstellung der ‚Rechte‘ des Individuums, so wie die Philosophie sie definiert hat! Das Individuum ist das Produkt der Macht. Viel nötiger ist es, zu ‚entindividualisieren‘ und zwar mittels Multiplikation und Verschiebung, mittels diverser Kombinationen. Die Gruppe darf kein organisches Band sein, das hierarchisierte Individuen vereinigt, sondern soll ein dauernder Generator der Entindividualisierung sein.
– Verliebe Dich nicht in die Macht!“
5. Schenken und (um)tauschen
„There is poison in every gift.“ (Gloria Goodwin Raheja)
„Die neue Moral wird eine glückliche Mischung aus Realität und Ideal sein.“ (Marcel Mauss)
Man spricht vom Geschenk- und Gabentausch auf der einen und vom Warentausch auf der anderen Seite. Ersteres geht historisch dem letzteren voraus. Für Jacques Derrida ist die Gabe jedoch „gerade das, was dem Tausch nicht mehr stattgibt, weil es den ökonomischen Kalkül suspendiert.“ Also „wenn es Gabe gibt, darf das Gegebene der Gabe nicht zu dem Gebenden zurückkehren. Die Gabe darf nicht zirkulieren, sie darf (gerade) nicht getauscht werden.“ Derrida hat sich immer wieder mit der „Gabe“ beschäftigt – ausgehend u.a. von Marcel Mauss ethnologischen Untersuchungen des „Gabentauschs“ bei den Südseevölkern. Manche von Derridas Überlegungen ähneln denen des marxistischen Erkenntnistheoretikers Alfred Sohn-Rethel, der sich im Vorwort zur französischen Ausgabe seines Buches „Geistige und körperliche Arbeit“ ebenfalls mit Marcell Mauss‘ Ökonomie des Gabentauschs auseinandergesetzt hat. Für Sohn-Rethel ist das wesentliche daran, dass „die Erwiderung der Gabe nicht am Ort des Austauschs haftet, auch nicht am Zeitpunkt oder an der Sache, die Erwiderung hängt vielmehr an der Person. Eine Person, die eine Gabe, die sie empfangen hat, ohne jedwede Erwiderung ließe, sie also als ihr persönliches und definitives Eigentum behandelte, würde sich in einen unerträglichen Gegensatz zu ihrem kollektiven Gemeinwesen setzen und ihre Ächtung provozieren.“ Hier stellt sich die Gesellschaft noch direkt dar – und her. Anders in einer warenproduzierenden, in der die Menschen als Privatpersonen agieren und auf dem Markt abstrakt über den Wert (der Waren) miteinander in Verkehr treten. So gesehen ist die Gabe (noch) „anökonomisch,“ wie Derrida sagt: Sie ist „das Unmögliche“ – erst recht heute. Denken wir nur an die vielen Reichen, die sich als „Mäzene“, „Sponsoren“ oder „Stifter“ gerieren: Erst haben sie sich erfolgreich an der laut Schumpeter „schöpferischen Zerstörung“ des Kapitalismus“ beteiligt, und nun wollen sie die Gesellschaft partout und wenigstens partiell wieder „heilen“ (mit ihrem steuerbefreiten Vermögen und exunternehmerischem Engagement). Nicht zuletzt auch um des eigenen Heils willen. Für Marcel Mauss gibt es jedoch ein Dazwischen: „zwischen der Ökonomie und der Nicht-Ökonomie“ so etwas wie „das rechte Maß“ – „das gute Leben,“ von dem Aristoteles sprach, der schon vor die Geldökonomie zurück wollte – zum Gabentausch.
Auf einem russischen Flughafen traf ich einmal eine Braunschweiger Schulklasse. Es war Ende Dezember und es schneite, so dass ihr Weiterflug ausgefallen war. Bereitwillig erzählten sie mir ihre Erlebnisse in der Braunschweiger Partnerstadt Kasan, von wo sie gerade herkamen und schon mehrmals gewesen waren. Es ging um Gastgeschenke.
„Einmal haben wir mit Orthodoxen auf dem Land ein Fest gefeiert: Alle Leute aus dem Dorf haben dazu was zusammengetragen und dann mit unserer Gruppe gefeiert. Eine Mutter hatte extra einen Tag frei genommen, um zu kochen, damit sie für die zwei Gäste ihrer Tochter richtig auftafeln konnte. Man darf nie sagen: Das ist aber eine tolle Schallplatte – dann kriegt man sie sofort geschenkt. Das ist mir passiert!“
„Die Geschenke von uns sind dagegen alle blöd, weil wir uns die Sachen sofort zu Hause wiederbesorgen können. Andererseits kann man mit Schokolade und Pralinen nie was ganz falsch machen, und wenn man schon mal da war, weiß man in etwa, was benötigt wird. Außerdem lassen wir auch Geld da in den Familien, für unseren Aufenthalt.“
Was war euer schönstes oder lustigstes Erlebnis in Kasan, fragte ich sie zuletzt noch. „Einmal waren wir in den Übungskeller einer Kasaner Band eingeladen. Als der eine Musiker seine E-Gitarre anschlug, gingen in der ganzen Straße die Lichter aus. Was für ein Anschlag.“
Wenn gesagt wurde, dass die auf Gabentausch basierenden Gesellschaften streng genommen noch gar keine „Ökonomie“ kennen, dann muß man sich fragen, wann, wie und wo diese in die Welt gekommen ist.
Jacques Derrida beginnt mit der Frage: „Was – ist die Ökonomie? Zu ihren Prädikaten gehört die Werte des Gesetzes und des Hauses (oikos). Wobei Nomos nicht bloß allgemein das Gesetz bedeutet, sondern auch das Gesetz der Verteilung, der Zuteilung.
„Sobald es Gesetz gibt, gibt es Zuteilung: sobald es Nomie gibt, gibt es Ökonomie“. Und dies impliziere „die Idee des Tausches, der Zirkulation, der Rückkehr“.
Im Zentrum jeder Problematik der oikonomia steht der „Kreis“:
„zirkulärer Austausch, Zirkulation der Güter, Produkte oder Waren, Geldumlauf, Schuldentilgung und Abschreibung (Amortisation), Ersetzbarkeit der Gebrauchs- und Tauschwerte. Dieses Motiv der Zirkulation legt den Gedanken nahe, daß das Gesetz der Ökonomie die – zirkuläre – Rückkehr zum Ausgangspunkt, zum Ursprung oder auch zum Haus ist. Man müßte also der odysseischen Struktur der ökonomischen Erzählung nachgehen. Die oikonomie scheint es, folgt immer dem Weg des Odysseus…Wenn die Figur des Kreises für die Ökonomie wesentlich ist, muß die Gabe anökonomisch bleiben.“
Kühn gedacht, wenn Derrida auch wie meist die Empirie allzu schnöde nur streift, und folglich auch das Wo und Wann der oikonomia vernachlässigt. Die Odyssee bzw. ihre schriftliche Fassung unter dem Titel „Homer“ spielte sich glaube ich vor der Einführung des Geldes ab, was etwa 500 vor Christi in Ionien geschah.
Erwähnen will ich noch den Kerngedanken der anthosposophischen Landwirtschaft, der aus einem Kreismodell besteht: Alles was an Produkten aus einem solchen Demeter-Oikos (Hof) rausgeht, muß auch wieder reinkommen – u.a. in Form von Dünger. In den diesbezüglichen Landwirtschafts-Lehrbüchern der Anthroposophen gibt es sehr detaillierte Anweisungen für diese Kreisläufe, die sehr überzeugend sind.