vonHelmut Höge 12.02.2009

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Das neue Buch von Philipp Sarasin ist eines der wenigen anspruchsvollen Darwinensia, die in diesem jetzt schon nervenden „Darwinjahr“ zuhauf über uns kommen – neben all den Sonderseiten und -sendungen, Konferenzen (im Hamburger Bahnhof), Ausstellungen (in Frankfurt/Main) und multimedialen Spektakeln (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften). Und dann wartet Sarasin auch noch mit einer steilen These auf, wie man so sagt: „Foucault stammt von Darwin ab“, heißt es schon auf dem Klappentext. Damit das auch klappt, hat der Autor erst einmal Darwin von allem „Darwinismus“ quasi gereinigt. Überraschend kommt dabei am Ende eine stimmige Darwin-Nietzsche-Foucault -„Chain of Being“, nein: Argumentationskette heraus.

Darwin hat Gott aus der Schöpfung vertrieben – 1. Voraussetzung. Die 2.: Er hat mit dem Begriff der „natürlichen Auslese“ aus dem Sein (der Arten) ein permanentes Werden gemacht. „Der Ausdruck Art wird dadurch zu einer nutzlosen Abstraktion.“ (Sarazin). Die dritte Voraussetzung ist, dass Darwin dieser Evolution per Zufall jedwegliche Höherentwicklung abgesprochen hat (lange Zeit übrigens zum Nachteil seiner eigenen). Darwin, Nietzsche und Foucault eint ferner, dass sie dabei stets von Kräfteverhältnissen (Macht und Kampf) ausgehen – und diese in ihren Wirkungen auf das Individuum fokussieren.

Marx hat dies seinerzeit dazu bewogen, Darwins konkurrenzbasierte Naturgeschichte, die er zunächst als bloße Projektion der üblen bürgerlichen Gesellschaft Englands auf die ganze Natur ironisiert hatte, schließlich gänzlich abzutun, zugunsten seines Begriffs von solidaritätsverpflichtendem „Klassenkampf“ – als Motor der Geschichte. Engels sagte es bei seiner Beerdigung so: „Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte.“

Nun haben wir Foucault jedoch immer auch als „Klassenkämpfer“ gesehen, an der Seite von Gefängnisinsassen, Psychiatrisierten, osteuropäischen Dissidenten und persischen Monarchiegegnern z.B.. Zudem war er ein ebenso heftiger wie lustvoller Streiter an allen möglichen Pulten. Während Nietzsche eine Art Eremit im Engadin war, nur selten zu Scherzen aufgelegt, und Darwin auf den Abbildungen stets etwas mürrisch und ängstlich wirkte. Nachdem der Dichter Ossip Mandelstam sein „Schach“ von der Literatur auf die Biologie gesetzt hatte, damit „das Spiel“ ehrlicher werde, meinte er: „Es ist unmöglich, der Darwinschen Gutmütigkeit zu widerstehen…Doch ist denn die Gutmütigkeit eine Methode schöpferischer Erkenntnis und ein würdiges Verfahren der Wahrnehmung des Lebens?“ Die heutigen Darwinisten, wie z.B. der Genetiker Francois Jacob, würden dem entgegenhalten: Es geht nicht mehr um das Leben. „Heute interessiert die Biologie sich für die Algorithmen der lebenden Welt.“

Neben der „natürlichen Selektion“ sah Darwin bei der Wahrnehmung des Lebens in seiner Entwicklung auch noch eine „sexuelle Selektion“ am Werk. Und diese hat wesentlich ästhetische Auswirkungen: Erwähnt sei das ebenso unbequeme wie schädliche Pfauenrad, das aber den Pfauenweibchen so gefällt. Auf diese Weise gelangt vielleicht ebenso viel „Kultur“ in die Natur – wie umgekehrt. Mit einer solchen Annahme von symbolischer Produktion erweist Darwin sich – im Gegensatz zu Foucault – als „Strukturalist“. Sarasin diskutiert dies am Beispiel von Claude Lévy-Strauss und seinen Begriff vom „Inzesttabu“, das als reine Kulturleistung den Menschen vom Tier unterscheidet. Für Judith Butler war es dann sogar unmöglich, noch „von sex als dem ’natürlichen‘, physischen, anatomischen Geschlecht zu sprechen, da dieses immer schon und vollständig von Diskursen und performativen Praktiken als gender geformt werde.“ Sarasin kritisiert daran, dass sie es versäumt habe, „die Konstruiertheit der Körper auch von Darwin her zu denken.“ Er hätte aber Lévy-Strauss auch entgegenhalten können, dass das Inzesttabu mitnichten Mensch (Kultur) und Tier (Natur) trennt, denn auch die Nackt- und Graumulle z.B. kennen ein rigides Inzesttabu.

Da Darwin jedoch den Erfolg dieser ästhetischen Selektion an der Vermehrungsrate und letztlich der Population mißt, verbindet auch sie sich ihm mit seinem umfassenden Nützlichkeitsdenken (Utilitarismus). Dies unterscheidet ihn u.a. von dem (lamarckistischen) Soziologen Roger Caillois, der eine zeitlang mit den Surrealisten sympathisierte und in seinen Naturforschungen über die Mimikry und Mimesis die „ästhetischen Hervorbringungen“ (von Insekten z.B.) radikal von ihrem Nutzen getrennt hat. Ähnlich der Schriftsteller und Schmetterlingsforscher Wladimir Nabokov:

„‚Natürliche Selektion‘ im darwinistischen Sinn ist keine Erklärung für das wundersame Zusammentreffen von nachahmendem Aussehen und nachahmendem Verhalten, und man kann sich auch nicht auf die Theorie des ‚Kampfes ums Dasein‘ berufen, wenn eine Schutzvorrichtung bis zu einer Raffiniertheit, Verfeinerung und Üppigkeit getrieben wurde, die weit über die Erkenntnisfähigkeit eines natürlichen Feindes hinausgehen. Ich habe in der Natur die nützlichkeitsfreien Genüsse entdeckt, die ich in der Kunst gesucht habe. Beide waren eine Form der Magie, beide waren ein Spiel der verwickelten Verzauberung und Täuschung.“

Roger Caillois versteht z.B. die falschen Augen auf den Flügeln von Schmetterlingen und Käfern ebenfalls als „magische Praktiken“, ähnlich dem Maskenspiel der sogenannten Primitiven, und die Mimesis überhaupt als tierisches Pendant zur menschlichen Mode. Für Caillois „gibt es nur eine Natur“ – soll heißen: „dass die Formen und Verhaltensweisen der Insekten genauso wie bestimmte ästhetische Vorlieben und Faszinierbarkeiten der Menschen sich auf eine gemeinsame Basis zurückführen lassen: auf den Formenvorrat einer bildnerischen Natur, deren spielerisch zweckfreies Wirken sich im Naturreich ebenso niederschlägt wie in der vom Naturzwang freigesetzten Sphäre menschlicher Imagination“, So schreibt es die FAZ in einer Rezension seines Buches „Méduse & Cie“.

Indem der Theologe Darwin jedoch Erziehung, Moral und Religion einen bedeutenden Beitrag, mindestens in der Weiterentwicklung des Menschen, zubilligt, integriert auch er einige Lamarcksche Evolutionsmomente. Für Foucault hat ein anderer französischer Naturforscher, Cuvier, „allein Darwin möglich gemacht“, aber erst seit Darwin „ist die Umwelt die Summe der Existenzbedingungen, die über Leben und Tod entscheidet“. Und da laut Sarasin der „Überlebenskampf“ der Individuen von Darwin nicht „moralisch beurteilt“ wird, gerät er auch nicht – wie dann etwa Kropotkin und Jakob von Uexküll – „in Versuchung, die symbiotischen Verhältnisse konzeptionell gegen den Kampf ums Dasein zu stellen.“ Nun ist das jedoch keine moralische Frage, sondern eine der (wissenschaftlich-ideologischen) Sicht auf die Dinge (das Leben). Inzwischen vergeht keine Woche, da nicht irgendwelche Biologen eine neue Symbiose entdecken, also ein Zusammenwirken von verschiedenen Individuen, um sich das Überleben zu erleichtern. Während die Darwinisten sich andererseits zu „egoistischen Genen“ (Dawkins) versteigen oder wie die Genetikerin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein Volhard meinen, ganz klar erkannt zu haben, dass „die Natur in gewisser Weise kapitalistisch funktioniert“. Sarasin wird nicht müde, solche „Sichtweisen“ streng abzutun. Hatte nicht schon der Semiotiker Roland Barthes 1957 herausgestellt, dass der Bourgeoisie immer und überall daran gelegen ist, ihre historische Klassenkultur in universelle Natur zu verwandeln, indem sie Geschichte in Mythos einmünden läßt? „Der Mythos leugnet nicht die Dinge, seine Funktion besteht im Gegenteil darin, von ihnen zu sprechen. Er reinigt sie nur einfach, er macht sie unschuldig, er gründet sie als Natur und Ewigkeit“. So berichtete z.B. der Westberliner Tagesspiegel, eine Gruppe von „US-Wissenschaftlern“ habe in einem Großversuch an einigen tausend eineiigen Zwillingen festgestellt, das sogar politische Einstellungen und überhaupt alle Meinungen genetisch bedingt seien. Da die meisten Genetiker inzwischen sowieso eher Geschäftsleute als Biologen sind, kümmert Sarasin sich ebensowenig um solche Forschungs-Auswüchse wie um die Kreationisten bzw. Intelligent Designer, deren Meinungen von den (angloamerikanischen) Darwinisten bevorzugt bekämpft werden, die dadurch jedoch auf dem Niveau ihrer Gegner argumentieren.

Fassen wir zusammen: Es gibt nach Darwin und Nietzsche kein Wesen(tliches) eines Lebewesens mehr, bei der Amöbe ebensowenig wie beim Menschen, sondern nur noch eine „problématique de l’évolution“ (Foucault). Aber während dieser als „Genealoge des Wissens“ dafür gerne den Begriff des „Würfelwurfs“ verwendete, meinen die dedicated followers of Darwin, „Evolution ist wie Lottospielen“ (so Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) – und die Lamarckisten: „Die Körper werden ausgeteilt wie Spielkarten, aber der Charakter fängt damit an, wie man sein Blatt spielt!“
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Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeforscht

„Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, bei seinem Erforscher ist es andersrum.“

Bei den Urhorden, deren Männchen sich teilweise bekämpften und die gegen große Raubtiere in der Savanne bestehen mußten, während die Weibchen sich um den Nachwuchs sorgten, entwickelte sich eine „Dominanzhierarchie“, die in einem männlichen Anführer gipfelte. Er entschied, wohin die Gruppe zog und was sie unternahm. Zum vergleichenden Studium dieser ersten menschlichen Soziotope boten sich die afrikanischen Savannenpaviane an, deren Horden dann auch von Anthropologen und Primatenforschern geradezu umlagert wurden. Zumeist konzentrierten sie sich auf die Rangordnungskämpfe unter den Männchen. So teilte der Soziobiologe Robert Ardrey seinen Lesern z.B. mit, dass sie es nicht weit gebracht hätten: Auch in uns heutigen Menschen stecke noch immer ein „Killer-Affe“.

Berühmt wegen ihrer Beobachtungsausdauer und ihrer weitaus differenzierteren Betrachtung von Affenverhalten wurden die Gorillaforscherin Dian Fossey (geb. 1932, sie wurde 1985 von einem ihrer US-Forscherkollegen ermordet), ferner die Schimpansenforscherin Jane Goodall (geb. 1934) und die Orang-Utan-Forscherin Biruté Galdikas (geb. 1946). Die drei eint, dass sie zum einen zunächst Forschungsaussenseiter waren und zum anderen vom Paläoanthropologen Louis Leakey gefördert wurden: Sie sollten in Freiheit lebende Menschenaffen studieren, um daraus Erkenntnisse über das Verhalten der „Vormenschen“ zu gewinnen. Erwähnt seien in diesem Zusammenhang noch die von der russischen Revolution inspirierte Primatenforscherin Esperantia Ladygina-Kohts, die, während sie mit ihrem Mann das „Darwin-Museum“ in Moskau aufbaute, einen Schimpansen und ihren Sohn großzog, um Erkenntnisse aus dem Studium ihrer parallelen Entwicklung zu ziehen. Ferner wegen ihrer Ausdauer die vom Umweltschutz beseelte Tochter eines US-Wanderpredigers – Julia „Butterfly“ Hill, die sich zwei Jahre lang in 60 Meter Höhe auf einen kalifornischen Redwood-Tree hockte, um diesen vor dem Gefälltwerden durch eine „Nutzholz-Mafia“ zu schützen. Dabei gewann sie ein großes Wissen über den Mammutbaum und gelangte schließlich zu einem „höheren Selbst“, wie sie 2000 in ihrem Buch „Die Botschaft der Baumfrau“ schrieb.

Im Zuge der Studentenbewegung machten sich in den Siebzigerjahren die ersten feministisch motivierten Ethologinnen – auf den Weg, um Affen zu studieren. Die kalifornische Anthropologin Shirley Strum lebte 15 Jahre unter Savannenpavianen in Kenia. Dabei konzentrierte sie sich lange Zeit auf die Weibchen, die für das Leben und den Zusammenhalt der Horde viel wichtiger als die Männchen waren, wie sie fand. Ebenfalls in Kenia erforschte dann der eher anarchistisch inspirierte US-Anthropologe Robert Sapolsky Paviane. Als der vermeintliche „Pascha“ seiner Horde starb, lebte diese fortan einfach führerlos weiter. Sein Bericht „Mein Leben als Pavian“ erschien auf Deutsch gerade als Hörbuch.

Mit einer ähnlich antiautoritären Pavianhorde, allerdings in Äthiopien, befasste sich jahrelang auch der Schweizer Primatologe Hans Kummer, der dabei gelegentlich mit dem anarchistischen Ethnopyschoanalytiker Paul Parin zusammenarbeitete. Kummer entdeckte bei seinen Pavianen eine „matrilineare Verwandtschaftsordnung“ und dass die „Rangordnung eines Tieres dem Rang der Mutter folgt“.

Es kommt anscheinend auf die jeweilige Diskurskonjunktur an, d.h. der Blick der Affenforscher wird durch die in ihrer Zeit jeweils herrschende bzw. sich durchsetzende und damit vielversprechende Ideologie quasi präfokussiert. Das ist aber wohl nur die halbe (Binsen-) Wahrheit. Eine weitere Pavianforschung muß hier erwähnt werden: der Film „Hamadryas – die Paviane von Saudi-Arabien“ – von Jean-Yves Collet und Antoine de Maximy. Ihre „Mantelpaviane“ sind die kleinsten unter den Pavianen und die einzigen, die in Arabien leben, wo sie sich von den Müllhalden am Rande der Städte ernähren. Ihre soziale Organisation bezeichnen die beiden Tierfilmer als „Harem“, das Schweizer Fernsehen, das den Film „Wo Männer noch die Zähne zeigen“ ausstrahlte, schrieb: „Der kleine Mantelpavian ist der grösste Macho unter den Affen.“ Dazu sei eine Bemerkung der Wissenschaftshistorikerin Julia Voss angefügt, in die ihre Kritik in der FAZ an der „scheußlichen“ Affen-Gehirnforschung der Universität Bremen gipfelte: „Das ist der Unterschied zu früher: Der Konflikt ist nicht mehr der zwischen Herz und Verstand – es steht heute Forschung gegen Forschung.“ Das spektakulärste Beispiel lieferte ihr zuletzt der Oktopus: „Wegen seiner dicken Nervenfasern ist er ein klassischer Modellorganismus der Neurobiologen; doch was man sich als vermeintlich einfachen Organismus ins Labor holte, entpuppte sich als intelligentes Lebewesen. Der Oktopus verblüffte die Wissenschaft mit der Fähigkeit, zu beobachten, wie Futter in Marmeladengläsern deponiert wurde. Er sah zu, griff das Glas, schraubte es auf und aß die Garnele.“ Da stand also laut Julia Voss „Forschung gegen Forschung.“ Genug! Man muß die These wagen: Die Pavianforscher studieren zwar äffisches Verhalten – gemäß ihrer präfokussierenden Diskurskonjunkturen, gleichzeitig werden diese aber auch von den Pavianen erforscht, d.h. als eigene Verhaltensmöglichkeiten in Erwägung gezogen. Vielleicht dienen ihnen die Forscher bzw. die an den Stdträndern lebenden Araber dabei als Transmissionsriemen. Dass, was die Paviane sonst vielleicht nur vom Hörensagen aus Europa und Amerika kennen: 50er-Jahre-Beziehungsmuff, Feminismus, Antiautoritarismus etc., und aus Saudi-Arabien das Gegenteil: schärfste Frauenunterdrückung, das wird ihnen noch einmal von den Affenforschern bzw. den Arabern persönlich nahe gebracht, verifiziert, und das proben sie dann – wie der Rest der Welt auch – einfach durch. „Die Welt kann vielleicht ohne Öl überleben, aber nicht ohne Empathie,“ so sagt es der Primatenforscher Frans de Waal, der, der neuesten Diskurskonjunktur Genetik folgend, seine Affenstudien nun laufend damit in Verbindung bringt, indem er versucht, „Gene“ (Natur) und „Gewissen“ (Kultur) zu einem großen „Ganzen“ zu vereinen. Auch dem Neoliberalismus trägt er dabei Rechnung, wenn er zu dem Schluß kommt: „Alphamännchen geben nur selten kampflos auf!“ Dem Affenforscher Frans de Waal ist eben „nichts Menschliches fremd,“ schreibt „Die Zeit“ über sein Buch: „Der Affe in uns“. Ähnliches gilt aber umgekehrt auch für die Affen: Als der Neurobiologe Marc Hauser das Geld für seine Primatenforschung noch als Zoowärter verdiente, fiel ihm eines Tages auf, dass ein Klammeraffenweibchen ihn intensiv betrachtete. Er ging zu ihrem Käfig, die Affendame kam herbei, schlang die Arme um seinen Hals und gurrte. Als ein Affenmännchen herbeikam, ließ die Dame den verdutzten Forscher kurz los, schlug dem Männchen auf den Kopf und legte die Arme wieder um Hausers Hals. „Allem Anschein nach hatte es sich in den menschlichen Pfleger verliebt,“ wunderte sich „Die Zeit“. Mich wunderte es dagegen überhaupt nicht, dass Hauser, der inzwischen das „Primate Cognitive Neuroscience Lab an der Harvard University“ leitet, heute davon nichts mehr wissen will. Obwohl es uns doch die Toyota-Äffchen jahrelang vorgezwitschert haben: „Nichts ist un-mööglich!“

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Blinde Gärtner

Die Schweizer Biologin Florianne Koechlin hat erneut einige neuere Pflanzenforschungsergebnisse in einem Buch zusammengetragen. Dazu interviewte sie in mehreren Ländern Botaniker, Mikrobiologen, Bauern, Gärtner, Neurobiologen und Künstler. „Pflanzenpalaver“ heißt dieser Reader, den sie kürzlich in den Berliner Räumen der anthroposophischen GLS-Bank vorstellte, zusammen mit dem Genmais-Bekämpfer Benny Härlin von der anthroposophischen „Zukunftsstiftung Landwirtschaft“. Er hatte kürzlich u.a. mit ihr die „Rheinauer Thesen zu Rechten von Pflanzen“ zusammengestellt. Sie sind nun Grundlage dafür, dass der Schweizer Ethikrat beschließen möge, Pflanzen sind nicht länger eine „Sache“ – ein seelenloser Gegenstand. Für Florianne Koechlin selbst, die sich als „Forschungsfreak“ bezeichnet, ist seltsamerweise bzw. ausgerechnet die Malerei der „Zugang zu den Pflanzen“. Man kann diese nahen Verwandten der Tiere und Menschen (erst vor etwa 500 Millionen Jahren trennte sich unsere Entwicklung, d.h. 3 Milliarden Jahre davor verlief sie ungetrennt) alles zutrauen bzw. attestieren: Pflanzen können riechen, schmecken, fühlen, hören (also Schallwellen wahrnehmen), ja, sie können diese sogar gedanklich auswerten (denn an der Spitze jeder Wurzelfaser befinden sich Zellen, die „gehirnähnliche Funktionen“ wahrnehmen, wie der Bonner Biologe Frantisek Baluska meint herausgefunden zu haben) und darüberhinaus können sie noch vieles mehr, was wir nicht können, aber eines nicht – nämlich sehen. Während die Menschen andererseits absolute Sehtiere sind: Unsere ganze Gesellschaft ist auf das Sehen hin orientiert – und dies zunehmend. Der Sozialphilosoph Ulrich Sonnemann sprach beizeiten bereits von einer „Okkulartyrannis“, die es zu bekämpfen gelte, weil sie alle anderen Sinne und Sinneswahrnehmungen unterdrücke bzw. herabwürdige. Ähnlich bezeichnet der Filmemacher Harun Farocki unsere Gesellschaft als eine, „die vollständig auf ihr Abbild hin organisiert ist“.

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hat die neueste (20.) Ausgabe ihrer Zeitschrift „Gegenworte“ komplett diesem Thema gewidmet. Es heißt „Visualisierung oder Vision?“ Den Anfang macht darin die Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick: Sie fragt, ausgehend von den „Urhebern“ der mit den elektronischen Medien aufgekommenen „ikonischen Wende“, ob der „Iconic/Visual Turn“ sich sogar gegen die Worte richtet. Und spricht in diesem Zusammenhang von Bildforschung, Bildanthropologie, Bild-Akte, Welt-Bilder und Bilderfragen. Der Molekularbiologe Frank Rösl macht sich Gedanken zur visuellen Evidenz in der Biomedizin. Klaus Töpfer äußert sich zur Macht des Bildes in der Politik. Der Kunsthistoriker Pablo Schneider berichtet über einen wissenschaftlichen Bilderkrieg. Der Medienwissenschaftler Thomas Hensel nennt seinen Text über den Maler und Erfinder Samuel Morse „Das Bild im Spannrahmen“. Und der berühmte Berliner Bilderklärer Horst Bredekamp geht der amerikanischen „Picture“-Manie in der noch berühmteren Zeitschrift „Nature“ nach: In den naturwissenschaftlichen US-Journalen stieg zwischen 1989 und 2001 der Prozentsatz manipulierter Bilder von 2,5% auf über 25%; das „Journal for Cell Biology“ beschäftigt seitdem sogar einen „Bild-Detektiv“. Der Emeritus und Mitbegründer der Akademie Conrad Wiedemann lästert über diese ganzen „Imagologen“ – ob ihrer Bemühungen um saubere Bilder und der Etablierung einer eigenen „Bildwissenschaft“. Ihm ist der „Turn-Begriff zutiefst verdächtig“: Als man noch von „Protest“ sprach und damit „starke Bewegungen“ lostrat, war ihm wohler. Damals wie heute ging es um die „Deutungshoheit“, aber 68 gab man das wenigstens noch zu. „Ich habe das Gefühl, dass eine Emanzipation in diesem Fall gar nicht gelingen kann“, auch und erst recht nicht, wenn „Bachmann-Medick mehr als 30“ mal von einem (Iconic) „Turn“ spricht.

Die steigende „Bilderflut“ spornt aber nicht nur die Wissenschaft an, sondern überschwemmt auch zunehmend unseren Alltag; die Handy-Generation ist geradezu bildbesessen. Das geht bis zum einst unausgeleuchteten Geschlechtsakt, an dem früher noch alle Sinne beteiligt waren. So berichtete kürzlich z.B. das Sexmodel Jill Ann Spaulding in einem Interview, wie der Playboy-Herausgeber Hugh Hefner seine „Sex-Nächte“ zwei Mal wöchentlich aufs Sorgfältigste inszeniert – inszenieren muß, um überhaupt noch so etwas wie Befriedigung zu empfinden. Dieser völlig vom Bildlichen vereinnahmte Gefühlskrüppel braucht dazu erst einmal zwölf Mädchen, „Bunnys“, die zuvor aus hunderten von Bewerbungen nach optischen Gesichtspunkten ausgewählt wurden, u.a. von seiner Tochter. Die jungen Frauen müssen vorher baden und sich rosarote Pyjamas anziehen, die sie dann in seinem Schlafzimmer ausziehen, „während sie so tun, als hätten sie miteinander Lesbensex“. Paralell dazu laufen auf zwei Großleinwänden Schwulenpornos. Hefner liegt währenddessen mit einer „Viagra-Erektion“ auf seinem Bett. Seine „Hauptfreundin macht ihm dann Oralsex und besteigt ihn auch als erstes“. Danach ist ein Mädchen nach dem anderen für jeweils zwei Minuten dran, während die anderen elf Hefner „wie eine Gruppe Cheerleader“ anspornen – mit Rufen wie „Nimm sie, Papi, nimm sie!“ Abschließend hat er noch kurz „Analsex mit seiner Hauptfreundin“, die ihm dann auch, wenn er endlich einen Orgasmus bekommt, „den Schwanz abwischt“. Danach wird das Licht ausgemacht.

So sieht der momentane Gipfel an Okkulartyrannis aus. Aber auch von vielen bildenden Künstlern und Kunstkritikern, die besonders hoch über das Auge besetzt sind, weiß man, dass sie mit zunehmendem Alter (Hefner ist 79) Gefühlskrüppel werden. Und grundsätzlich gilt: Die Welt primär mit den Augen wahrzunehmen, ist eine schwere Behinderung. So wie eine allzu forcierte Intelligenzschulung jede soziale Empfindung erstickt. Bei der Entwicklung eines Einfühlungsvermögens, das sich auf (blinde) Pflanzen richtet, ist ein sorgfältig oder professionell kultivierter Augensinn geradezu ein Handicap. Umgekehrt sind Blinde für den Umgang mit Pflanzen bzw. für das Verstehen floralen Lebens besonders prädestiniert. Und so ist es eigentlich zu bedauern, dass die Pflanzenforscherin Florianne Koechlin sich zum Einen mit Malerei abgibt und zum Anderen keinen blinden Gärtner bisher interviewt hat.

Dabei scheinen sich die Blinden schier zur Beschäftigung mit Pflanzen zu drängen. In England gibt es nicht nur viele lokale „Blind Gardener’s Clubs“, sondern inzwischen auch einen „Nationalen“, ferner Diskussionsgruppen von blinden Gärtnern, Gartenführer für Blinde und schon seit mehreren Jahren einen „Blind Gardener of the Year“-Wettbewerb, an dem sich jeder Pflanzenliebhaber mit eingeschränkter Sehfähigkeit beteiligen kann. 2008 gewann der 12jährige Elliot Rogers den Titel „Young Blind Gardener of the Year“. Ähnliche Aktivitäten kennt man auch in den USA. Und in Deutschland gibt es immerhin schon in vielen Botanischen Einrichtungen sogenannte „Duft und Tastgärten“ – auf Initiative des „Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins“ (ABSV). Spezielle „Blindengärten“ findet man u.a. in Bremen, Berlin, Weihenstephan, Heidelberg und Bad Wörishofen. In Radeberg bei Dresden hat die blinde Pastorin Ruth Zacharias ihren 14.000 Quadratmeter großen Privatgarten für andere Sehbehinderte zugänglich gemacht. „Es gibt ein Menschenrecht auf Duft,“ meint sie, „die menschliche Nase kann 10.000 Nuancen unterscheiden“. Das gilt jedoch nicht für Sehende, wohl aber für die meisten Pflanzen. Und erinnern wir uns, wie Blinde sich im Straßenverkehr verhalten: Indem sie mit ihrem Stock kreisende Bewegungen auf dem Boden vollführen, um etwaige Hindernisse aufzuspüren. Genau solche Kreisbewegungen unternehmen auch Kletterpflanzen mit ihrem obersten Sproß, um auf diese Weise an eine Mauer oder einen Baum zu stoßen, an dem sie sich dann hochranken. Und noch etwas haben Blinde (Menschen wie Tiere) und Pflanzen gemeinsam: Ihr mangelndes oder fehlendes Sehvermögen kompensieren sie dadurch, dass ihre anderen Sinne weitaus stärker entwickelt sind (als unsere). Derart kann man sie gut und gerne als Widerständler gegen die Okkulartyrannis unserer völlig vom Visuellen beherrschten Gesellschaft bezeichnen. Anders gesagt: Blinde sind die natürlichen Bündnispartner der Pflanzen. Wohingegen alle sehenden Pflanzenforscher bloß im Dunkeln tappen. Schlimmstenfalls machen sie dabei nur eine wissenschaftliche Karriere – auf dem Rücken von Pflanzen quasi, die sie dann auch noch als simple „Reiz-Reaktions-Maschine“ begreifen: So wie ein Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemische Ökologie in Jena, den Frau Koechlin interviewte, der aber dennoch Interessantes über die olfaktorische Kommunikation von Pflanzen herausfand. Und bestenfalls entwickeln sie dabei trotzdem eine gewisse florale Sensibilität – so wie etwa Doktor Zepernick vom Botanischen Garten Berlin, als ich ihm einmal während eines Interviews eine Zigarette anbot, die er jedoch ablehnte – mit der Bemerkung: „Nein, also Pflanzen verbrennen, das kann ich nicht, können wir alle nicht – bis auf eine Kollegin sind alle Wissenschaftler hier Nichtraucher, eigentlich merkwürdig.

Florianne Koechlin: „Zellgeflüster – Streifzüge durch wissenschaftliches Neuland“, Lenos Verlag Basel 2005, 256 Seiten, 20 Euro 50.

“ Pflanzenpalaver. Belauschte Geheimnisse der botanischen Welt“, Lenos Verlag Basel 2008, 237 Seiten, 19 Euro 90.

„Gegenworte“, Heft 20. „Visualisierung oder Vision?“ herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Redaktion: Wolfert von Rahden, 10117 Berlin, Jägerstraße 22/23, 9 Euro.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2009/02/12/ein_genealogischer_wuerfelwurf_-_darwin_foucault/

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kommentare

  • “Der Ausdruck Art wird dadurch zu einer nutzlosen Abstraktion.” (Sarazin); stimmt nicht, dieses Zitat kommt aus Origin of Species (vielle Stellen). Ich muss dazu sagen, dass Sarasin ein Paar ziemlich wichtige Philosophische Punkte macht und verfolgt eine Problematik, die in Philosophie noch nie so dargestellt geworden ist.

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