Dieses Schild „Speed-Breaker Ahead!“ photographierte der Hausmeister der Allee-Arcaden im Prenzlauer Berg, Bernd H. (44) – in Bombay. Es dient hier zur Illustrierung des folgenden Artikels über Speed-Breaker:
Die Entdeckung der Langsamkeit – hat vor allem der Speed-Breaker-Industrie zu Traumprofiten verholfen. Sie stellt diese verkehrs-entschleunigenden Maßnahmen aus Beton, Metall, Gummi und Mischbitumen her und verkauft sie an die Tiefbauämter, die sie in verkehrsberuhigten Zonen einbauen, d.h. dort auf das Straßenpflaster dübeln. Mitunter begnügen sie sich auch mit einer aufgewölbten Pflasterung alle hundert Meter. Unsichere Stadtverwaltungen können sich beim ADAC Speed-Breaker aus Recyclingsmaterial zum Testen ausleihen. Erst reichten Tempo-30-Warnschilder, dann kamen beispielsweise – für 149 Euro das Stück – noch „Berliner Kissen“ dazu: So heißen die Mischbitumen-Schwellen der „Moravia Gesellschaft für Verkehrszeichen“. Die Firma betreibt in Wiesbaden eine eigene „Verkehrsakademie“, wo man u.a. Probleme mit diesen Speed-Breakern, die mit 2-Komponentenkleber fixiert werden, diskutiert – „anwendungsorientiert“ also. Die „schlafenden Gendarmen“, wie sie in Frankreich heißen (in Deutschland spricht man, in Analogie zu den Senkrecht-Pollern, die „stumme Polizisten“ genannt werden, von „Horizontal-Pollern“) sind Teil der allgemeinen „Straßenmöblierung“. Und das ist ein Riesengeschäft – mit eigenen (Verkehrs-) Messen, feindlichen Übernahmen und Bestechungsskandalen (bei Tiefbauämtern z.B.). Was man davon allein der Stadtverwaltung von Budapest mit Hilfe von Krediten übergeholfen hat – das geht auf keine Kuhhaut.
Dem französischen Wissenssoziologen Bruno Latour sind die Speed-Breaker“ deswegen gelungene Beispiele zur Illustrierung seiner „Akteur-Netzwerk-Theorie“, mit der er die alte Wissens-Dichotomie von Subjekt und Objekt überwinden will, wobei er sich konkret auf die Bodenschwellen aus Beton („Sleeping Cops“) auf den Campusstraßen von US-Unis bezieht: „Durch diese Schwellen wird das Ziel des Fahrers einer Übersetzung unterzogen. Sein ursprüngliches lautete: ‚Fahre langsam, damit du keine Studenten gefährdest,“ die Übersetzung dagegen: ‚Fahre langsam, damit deine Stoßdämpfer geschont werden‘.“ In einem Land mit „egoistischen Genen“ wirkt der Apell an Eigennutz natürlich optimaler als der an Uneigennützigkeit. Das gilt auch für Deutschland. Bereits in den Sechzigerjahren schrieb Theodor W. Adorno in einem Leserbrief an die FAZ: „In unwürdiger Weise muß man über die Straße rennen, um nicht im buchstäblichen Sinn unter die Räder zu kommen; auf der Seite der Mertonstraße ist die Situation besonders gefährlich, weil die Senckenberganlage einen scharfen Knick macht, der die Wirkung hat, die Autos weit nach links zu treiben; es ist für den Überschreitenden fast unmöglich, die Distanzen richtig abzuschätzen. Sollte ein Student oder ein Professor in jenem Zustand sich befinden, der ihm eigentlich angemessen ist, nämlich in Gedanken sein, so steht darauf unmittelbar die Drohung des Todes. Es wäre deswegen dringend notwendig, daß zunächst durch Verkehrsampeln in dem ganzen Universitätsgebiet, dann aber durch viel radikalere Maßnahmen Abhilfe geschaffen wird. Die Haltung der Automobilisten selbst, bei denen man den Eindruck hat, daß sie, sofern sie nur das grüne Licht und damit nach ihrer Meinung das Recht auf ihrer Seite haben, die Fußgänger als störende Objekte betrachten, trägt zu deren Gefährdung das Ihre bei; da aber nicht darauf zu hoffen ist, daß sie anderen Sinnes werden, so sind verkehrstechnische und polizeiliche Maßnahmen dringend notwendig. Eine Verzögerung wäre nicht zu verantworten.“
Und so geschah es dann ja auch, was für Latour heute heißt: „Durch die Vermittlung der Bodenschwelle verändert der Fahrer sein Verhalten: Aus der Moral fällt er ins Reich des Zwangs zurück.“ Ähnlich, wenn auch in bezug auf die Senkrecht-Poller (gegen Falschparker) sehen das auch die Verkehrsplaner: „Die Polizei hat es abgelehnt, da regulierend einzugreifen. Sie hat damit das Problem der Verkehrsmoral an technische Dinge abgegeben.“ Den Uni-Rektoren, die am Fenster stehen, ist das aber egal, es reicht ihnen, dass die Speed-Breaker die in sie gesetzten Erwartungen, die sich auf Erfahrungen mit ähnlichen Speed-Breakern in anderen verkehrsberuhigten Straßen stützen kann, erfüllen.
Für Latour wird dabei nicht nur eine Bedeutung in eine andere übersetzt, sondern eine Handlung (die Durchsetzung der Geschwindigkeitsbegrenzung) in eine andere Ausdrucksform: „Die Ingenieure haben das Handlungsprogramm an Beton delegiert.“ Aber diese „Materie“ steckt nun nicht nur voller „theologischer Mucken“, wie Karl Marx im Hinblick auf ihre Warenform sagt, sondern auch, laut Latour, „voller Ingenieure, Uni-Rektoren, Gesetzgeber, deren Willen und Geschichten hier untrennbar verwoben sind mit denen von Kies, Zement, Farbe und statistischen Berechnungen. In diesem blinden Fleck, in dem Gesellschaft und Materie ihre Eigenschaften austauschen, findet die Vermittlung, die technische Übersetzung statt.“
Damit will Latour keine weitere „Homo-Faber-Geschichte“ erzählen, sondern jene „Zone“ erreichen, „wo einige (wenn auch nicht alle) der Eigenschaften von Beton zum Polizisten werden und einige (wenn auch nicht alle) der Eigenschaften von Polizisten zu Straßenschwellen.“ Dabei geht es ihm darum, „Lösungen auszuhecken“. In Kreuzberg hat man zumindest für die Senkrecht-Poller, die man dort im Bezirksamt „Kreuzberger Penisse“ nennt, eine Lösung gefunden: vornehmlich am 1.Mai. Da werden sie nämlich in den Straßenkampf miteinbezogen – indem man sie in Massen rausreißt und je nach Militanz weiterverwendet. Obwohl sie speziell für den „Problembezirk“ ankerverstärkt geliefert werden – von einem der größten Pollerhersteller Europas: der Frankfurter Firma Wellmann, die ihre „Kreuzberger Penisse“ jedoch in Ungarn fertigen läßt.
Diesen Speed-Breaker photographierte Antonia Herrscher am Lausitzerplatz in Kreuzberg. Das linke Planungsbüro, das dafür neben anderen Gestaltungsdingen zuständig war, hatte deswegen seinerzeit schwer gegen die dort ansässigen Gewerbetreibenden zu kämpfen, deren „Bürgerproteste“ ein CDU-Mann organisiert hatte – was von den Planern als „extrem kontraproduktiv“ empfunden wurde.
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Und diesen Speed-Breaker photographierte Antonia Herrscher ebenfalls – in der Kreuzberger Straße am Berlin Museum. Er besteht aus rund 20 Stahlkappen, die man in den Asphalt dübelte – und sieht natürlich viel schicker aus als der obige Speed-Breaker, der dafür billiger ist.
Wenn man genau hinkuckt, sieht man am Ende dieser IBA-Wohnstraße einen Schimmel auf der Weide stehen. Er gehört zusammen mit zwei weiteren Pferden (die im Bild nicht sichtbar sind) zu einem der drei Kreuzberger Kinderbauernhöfe.
Das Photo ist somit geeignet, einen Gedanken der US-Biologin Donna Haraway, die in einem „Bündnis“ mit dem „Akteur-Netzwerk-Theorie“-Konstrukteur Bruno Latour steht, aufs Schönste zu illustrieren: „Es gibt zwar keine Natur und keine Kultur, aber viel Verkehr zwischen diesen beiden Größen!“