„Poller schaffen Distanz,“ merkte der Überbringer Peter Grosse zu diesem Photo an.
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Ausgehend von der Lektüre der Texte zur „Akteur-Netzwerk-Theorie“ (ANT) von Bruno Latour u.a. ist mein Interesse an Bürgerinitiativen neu entfacht. Es geht bei der ANT um eine „Politische Ökologie“, die auf der Höhe der Praxis ist. Bei den BIs geht es mir um die Herstellung und Ausweitung des Sozialen in einer bestimmten Auseinandersetzung, in einem Konflikt (z.B. zwischen Natur(schutz) und Kultur(erhalt). Peter Berz und ich planen eine Veranstaltung dazu in der Galerie „Morgenvogel Real Estate“, am 7.7. findet bereits eine mit Martin Reuter in Kassel statt.
1. Bei der BI-Triade in Groß Göris „opalsonicht“ – gegen die Trassenplanung der Ostsee-Pipeline „Opal“ mitten durch die Vorgärten des Dorfes bei Berlin ging und geht es im Zusammenhang der ANT z.B. darum, immer mehr Akteure/Aktanten in das Kollektiv bzw. die Betroffenen-Assoziation mit einzubeziehen – auch nicht-menschliche Wesen und Dinge, die eventuell vom geplanten Trassenverlauf betroffen sind.
– Zunächst geschah dies in Form von „Einwänden“ adressiert an die genehmigungsverantwortlichen Behörden (Landesbergamt z.B.) im Rahmen des „Planfeststellungsverfahrens“. Hierbei waren die Autoren in gewisser Weise schon Repräsentanten nicht nur der Vorgartenbesitzer bzw. Dorfbewohner, sondern auch (der Habitate) von Fledermäusen, Kröten, Zauneidechsen, Kranichen, Wiedehopfe, Wendehälsen, Rohrweihen, Kiebitze und der seltenen Wiesenweihen sowie (der Rastplätze) einer Anzahl von Zugvögeln. Außerdem von Niedermoorböden – und ihrer Wasserspeicherkapazität, sowie der darin lebenden „seltenen Pflanzen“, ferner Röhrichte, Feuchtwiesen, Ufergehölze und weitere Biotope. Sowie natürlich der Wälder und Seen in der Umgebung von Groß Köritz. Einleitend heißt es in dem „Einwände“-Text:
„A. Grundsätzlich, wenn auch mit entsprechemden Ermessensspielraum, fordert der Landesentwicklungsplan LEP GR (2004), keine Freiräume durch Trassen, Gas oder Straße oder Strom zu zerschneiden.
B. Dagegen ist definitiv ausgeschlossen, neue Gebiete, die in einem „ökologisch wirksamen Freiraumverbundsystem“ liegen, durch Trassen zu zerschneiden.
C. Ebenso sind Veränderungen der sogenannten „Gebietskulisse“ in der Regel nicht zulässig.“
usw.
Je mehr „nicht-menschliche Wesen“ auf diese Weise am BI-Tisch Sitz und Stimme erhalten, zumal wenn es sich dabei auch noch um geschützte Tiere, Pflanzen, Biotope bzw. um das „Schutzgut Boden“ handelt, desto sprachmächtiger wird die BI, auch wenn dadurch erst einmal die Sprachverwirrung gesteigert wird.
So wurde einer aus der BI z.B. bereits zu einem regelrechten Fortwissenschaftler und ein anderer zu einem Kranichspezialisten, er baute sich sogar eine Beobachtungshütte auf einer Lichtung, um die herum die Kraniche in den Bäumen brüten. Ein dritter arbeitete sich in die Geschichte des Tourismus in dieser Region – bis zur Wende – ein.
Das obige „Gutachten“ mit den Bürger-Einwänden gegen das „Planfeststellungsverfahren“ ist noch nicht veröffentlicht. Auf der BI-Webpage „opalsonicht“ findet sich als letzter Eintrag ein Schreiben an
„den Minister für
Infrastruktur und Raumordnung
des Landes Brandenburg
Reinhold Dellmann
und
An die Staatssekretärin des
Ministeriums für Infrastruktur und Raumordnung
des Landes Brandenburg
Dorette König
Betreff: Das schwebende Raumordnungsverfahren zu der von der Wingas Gmbh
beantragten Erdgastransportleitung OPAL, Abschnitt Brandenburg Süd, und
einer Gasdruckerhöhungsanlage („Erdgasverdichterstation“) bei Groß-
Köris/Naturpark Dahme-Heideseen.
Sehr geehrte Frau König, sehr geehrter Herr Dellmann!
In großer Sorge wenden wir uns an Sie mit der Bitte um Prüfung einer
Angelegenheit, die das Wohl einer ganzen Region des Landes Brandenburg angeht.
Vier Gründe haben uns bewogen, den ungewöhnlichen Weg zu gehen und uns nach
Ausschöpfung aller im Raumordnungsverfahren vorgesehenen Möglichkeiten mit
diesem offenen Brief direkt an Sie zu wenden:
• die dramatische Dimension der in diesen Wochen anstehenden Entscheidungen;
• Ihre Rahmenkompetenz als Ministerium für Infrastruktur und Raumplanung in dem
noch schwebenden Raumordnungsverfahren;
• die große öffentliche Aufmerksamkeit, die die Angelegenheit in den letzten Wochen
gefunden hat und
• das unübersehbare Votum einer zunehmenden Anzahl betroffener Menschen.
Die in diesem Verfahren auf dem Spiel stehenden Dimensionen können nicht
allein Sache der Verwaltungsbehörden sein. Wir glauben, daß hier das
Eingreifen der Politik nötig und auch möglich ist.
Das schwebende Raumordnungsverfahren betrifft die Pläne des Unternehmens
Wingas GmbH, durch das Land Brandenburg von Norden bis Süden über eine
Strecke von 270 Kilometern eine Erdgas-Fernleitung zu legen. Sie soll die für 2010
geplante Ostseepipeline Nord Stream ab Greifswald/Lubmin an das westdeutsche
und europäische Gasleitungsnetz anbinden und bis zur tschechischen Grenze
führen. Die Trassenführung und die Planung damit zusammenhängender
technischer Anlagen wird nach dem derzeitigen Stand in besonderem Maße einen
Raum im Süden Berlins berühren: den Naturpark Dahme-Heideseen, vor allem die
Gegend um die Gemeinden Groß Köris, Bestensee, Schwerin, Motzen, Teupitz.
Eben dort würden sich bei Realisierung der Pläne der Wingas Trassen und
technische Anlagen in einem Ausmaß verdichten, das auf der ganzen Strecke von
Greifswald bis zur tschechischen Grenze nicht seinesgleichen hat. Denn an diesem
Ort in Brandenburg befinde sich, nach Argumentation der Betreiberin, eine jener
Stellen, an denen sich kleinere, bereits bestehende Gasleitungen kreuzen.“
usw.
Sie wollen also auch noch die Sprache der Politiker, die nicht mit der politischen Sprache zu verwechseln ist, in ihre „Assoziation“ aufnehmen…Über die bisherigen unterschiedlichen Sprachen in den drei zusammenarbeitenden BIs in Groß Köris berichtete ich am 13.5.2009 unter der blog-überschrift „Der gestalterischen Strenge kontern (2)“.
Auf der anderen Seite der Anti-Gazprom-BI-Triade steht u.a. ein gaskundiger Duisburger Schalke-Fan, der meinte, als ich ihm davon erzählte „Steh auf, wenn du Gazpromski bist!“
Das sei der Schlachtruf der Schalke-Fans – seitdem der russische Gazprom-Konzern ihren Fußballclub kaufte. Und dann riet er: Gazpromski solle nicht kämpfen und schon gar nicht zahlen – für die Verlegung der Ostsee-Pipeline durch die Vorgärten der Bewohner von Groß Köris und anderswo, sondern Gazpromski sollte umgekehrt denen eine Entschädigung oder Ähnliches abverlangen, da sie vom Trassenverlauf nur profitieren können: Aufgrund des durchströmenden Gas‘ erhitzen sich die in der Erde versenkten Rohre derart, dass darüber sogar in Sibirien der Schnee schmelze. Wenn man nun über die Röhren Gewächshäuser errichte, ließen sich ohne Gasverbrauch und damit Energiekosten massenweise Gemüse und Blumen züchten.
2. Die Schöneberger BI „Gasometer“, die versucht , auf dem dortigen Gasometergelände, das inmitten eines Wohngebiets liegt, das Großprojekt des Investors Reinhard Müller – ein „Euref Institut“ mit allein 2000 Parkplätzen, zu verhindern, organisierte ein Straßenfest zur Information der Betroffenen, die rings um den denkmalgeschützten Gasometer wohnen, und nahm an einer Veranstaltung teil, auf der fünf SPD-Bezirkspolitiker Stellung nahmen zu dem von ihnen favorisierten und schon halb durchgesetzten Müller-Großprojekt. Es erwies sich dort, dass a) die Bürger großenteils bereits genau informiert sind, und b) dass die SPD-Politiker seit ihrer schnellen Zustimmung zu dem Bauvorhaben nichts mehr hinzugelernt hatten, so dass sie gezwungen waren, ihre immer fadenscheiniger werdenden Argumente zu wiederholen und zu wiederholen. Dazu mußte der SPD-Diskussionsleiter auch noch den Pressesprecher des Investors Müller zurückpfeifen, der das Publikum allzu sehr beschimpft, sich also vergessen hatte. Für den Diskussionsleiter eine prima Gelegenheit, sich populistisch und zum Schein auf die Seite der betroffenen Bürger zu stellen. Das Diskursmanöver dieser beiden Pfeifenköppe war jedoch allzu durchsichtig. In den Tagen danach bildeten sich einige weitere BIs im Umkreis des Gasometers, wie man Flugblättern an den Haustüren in der Gegend entnehmen konnte. Einige BIler meinten scherzhaft, eigentlich könne man bereits die Sektkorken knallen lassen.
Am letzten Sonntag veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine (FAS) einen Artikel über das von Müller geplante „Euref-Institut“. Die Autorin Anna Loll sprach dabei von einer „Guten Idee“, die aber auf „schlechte Art“ realisiert werde. Zunächst faßte sie dazu einen Morgenpost-Artikel zusammen, in dem es um den Investor Klaus Groth ging, der sich von Müller im Zorn getrennt hatte und ihn sogar verklagen wollte, doch Helmut Schmidt riet ihm angeblich davon ab. Dessen „Zeit-Stiftung“ war für das „Design“ der Lehre und Forschung in dieser privaten Müller-Universität, auch „Energie-Forum“ genannt, angeheuert worden, die Stiftung zog sich nach Klaus Groths Ausscheiden aus dem Großprojekt jedoch ebenfalls zurück.
„Heute wollen die Akteure über diese Episode nicht mehr reden,“ schreibt Anna Loll. Sie meint damit Reinhard Müller und die Geschäftsführer seiner „Euref gGmbH“ Gerhard Hofmann und Lothar de Maizière. Letzterer beantwortete der FAS-Autorin zwar zunächst schriftlich einige Fragen. „Doch als später die Sprache auf die Vergangenheit kam, rief Hofmann die zuvor noch von ihm selbst übermittelten Antworten de Maizières zurück. Nun wollen sich weder Hofmann noch de Maizière in diesem Artikel zitieren lassen. Hofmann drohte für den Fall der Zuwiderhandlung eine Unterlassungsklage an.“
So viel ich weiß drohten Müller und seine Mannen auch schon einer gegen das Großprojekt aktiv gewordenen Grünen so etwas an. Und bei mir beließ er es vor 15 Jahren nicht bei einer Drohung: die taz verlor daraufhin seine Unterlassungsklage. Es war dabei um den Verkauf der Narva-Immobilie an das Entwicklunger-Trio Müller, Klingbeil, Pietzsch gegangen, den die Treuhand nach öffentlichen Protesten und Aktionen der ostdeutschen Betriebsräteinitiative wieder rückgängig machen mußte. Müllers Anwalt Peter Raue, bis 2008 Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie, hatte in seinem Schreiben an das Gericht gemeint: Zwar mag der Autor Höge seine Meinung über den Kauf des Objekts öffentlich äußern, aber zu einem „Progrom“ (mit zwei „f) gegenüber meinem Mandanten, einem ehrenwerten und verdienstvollen Unternehmer dieser Stadt, aufzurufen – das ginge zu weit. Die Richter folgten dann RA Raue in seiner Argumentation. Dabei wollte ich mit meiner „Narva-Berichterstattung“ eher das Gegenteil – zu einem „Contragrom“ beitragen.
Ebenso wenig später mit einer Parole auf einem Transparent der ostdeutschen Betriebsräteinitiative für eine Protestdemonstration vor der Treuhandanstalt in der Leipzigerstraße. Die Parole lautete – in Anspielung auf ein berühmtes Adorno-Zitat: „Wer von der Treuhand nicht reden will, der soll von Rostock schweigen!“ Der FU-Soziologe Martin Jander schimpfte mich deswegen einen „Antisemiten“. Das aber nur nebenbei.
Die FAS-Autorin fragt sich am Ende ihres Artikels „Wo liegen die Gründe“ für Müllers „restriktive Öffentlichkeitspolitik? Gibt es etwas zu verbergen?“ Dass weder Hofmann noch de Maizière zu einer Stellungnahme bereit sind, „macht stutzig. Dass auch Klaus Groth sich nicht zu seinem ehemaligen Projekt äußert, verstärkt den merkwürdigen Eindruck.“ Die Autorin möchte, bevor man die Projektrealisierung weiter betreibt, dass „zunächst Licht in die Querelen der Vergangenheit gebracht“ wird. Dazu hätte sie auch bereits etliche Aktivisten bei den Grünen, die gegen Müllers Großprojekt sind, sowie die Aktivisten der „BI Gasometer“ (siehe dazu: www.weltuntergangs.info.de) befragen können. Ersteren gegenüber hat sich im übrigen Klaus Groth bereits ausführlich über „sein ehemaliges Projekt“ und sein Zerwürfnis mit Müller „geäußert“.
Die zwei Investoren gehören natürlich ebenso wie die Schöneberger Bezirkspolitiker auch zu den Akteuren/Aktanten des Runden Tisches der BI „Gasometer“, aber da sie an und in ganz anderen Netzwerken arbeiten, zählen sie zu den „Gegnern“ bzw. „Feinden“ der BI – mit deren Sprachen diese sich gleichwohl auseinandersetzen muß. Über die ansonsten in ihr gesprochenen Sprachen haben Cornelia Köster von der BI und ich uns in einem blog-eintrag am 30.3. 2009 ausgelassen – er heißt „Der Schöneberger Gasometer – sein Developer & seine BI (1)“. Vergessen haben wir darin, die Sprache eines Schönebergers, der neulich auf einem BI-Treffen meinte: „Ich komme vor allem, um mal meine ganzen Nachbarn näher kennen zu lernen.“
Bruno Latour schreibt in seinem Aufsatz „Technik ist stabilisierte Gesellschaft“:
„Da die Erklärung des Innovationspfades nicht aus der Retrospektive erfolgen kann, muss sie aus der Sozio-Logik der Programme und Anti-Programme hervorgehen.“ Das sollte sich die retrospektiv ausgerichtete FAS-Autorin merken!
Mit den „Innovationspfaden“ sind hier auf der einen Seite die Projektideen von Archi Müller – den Gasometer und das Gelände drumherum betreffend – gemeint, und auf der anderen Seite die Überlegungen und Aktivitäten der BI und den übrigen Bürgern im Umfeld des Gasometers. Die ersteren werden in diesem Zitat „Programme“ genannt und die letzteren „Anti-Programme“.
„Aus der Sozio-Logik hervorgehen“ bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als das beide Seiten jeweils die „Netzwerke“ ihrer Gegner/Feinde recherchieren und analysieren müssen. Die Akteur-Netzwerk-Theorie rät dazu: „Follow the Actors!“
Über den in der ANT enthaltenen Begriff „Netzwerk“ hat unlängst der Siegener Medienprofessor Erhard Schüttpelz Erhellendes beigesteuert:
Ursprünglich waren mit dem „Netzwerk“ Infrastrukturen wie die Strom- und Wasserversorgung gemeint – und es ging mit dem Begriff darum, die diesbezügliche Technik zu standardisieren: Von 1900 bis etwa 1930 „ist das makrotechnologische ‚Netzwerk‘ nichts als ein materielles ‚Objekt‘ der Organisation, das entsprechende ‚Subjekt‘ sind große Firmen, Institutionen und vor allem der Betrieb durch ‚Systeme‘. Das Eisenbahnnetzwerk etwa, das waren die Schienen, Weichen, Gleise, Bahnhöfe und Signalapparate, aber nicht die Eisenbahngesellschaft.“
Etwa seit dem Zweiten Weltkrieg wird mit dem Begriff „Netzwerk“ aber auch noch versucht, „die Subjektivität der informellen Sozialbeziehungen zu erfassen. Eigentlich handelt es sich im mikrosoziologischen ‚Netzwerk‘ bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts um einen schwachen Terminus.“ Man spricht dabei heute auch von „Networking“.
Mein Sachbearbeiter beim Arbeitsamt nannte das in den Achtzigerjahren noch „Vitamin B“ („B“ wie Beziehungen). Aber schon in den frühen Neunzigerjahren begriffen z.B. amerikanische Studenten ihr Studium eher als Chance zum „Networking“ denn zur Wissensübermittlung, wie die Künstlerin Maria Eichhorn klagte, die damals als Dozentin in den USA arbeitete: Ihre Studenten waren weniger an ihrer Kunst als an ihren Verbindungen und Adressen – von Galerien, Kuratoren, Kunstzeitschriften, Stiftungen etc. – interessiert. Die Berliner Hochschulen haben dazu neuerdings sogar ein ganzes – feministisches – Programm aufgelegt. Es nennt sich „ProFil – Professionalisierung für Frauen in Forschung und Lehre“ und bietet „Mentoring – Training – Networking“ an – zur „Entwicklung der strategischen Kompetenzen und besseres ‚Self-Marketing'“. Daneben gibt es in Berlin auch noch den politischen Förderfonds „Netzwerk“, der gerade eine Broschüre mit Adressen von 230 Stiftungen und Förderquellen für Projekte und Initiativen veröffentlichte.
In der Soziologie und Kriminalistik bezeichnete man anfänglich mit dem Begriff „Netzwerk“ vor allem mafiaähnliche Strukturen bzw. Verschwörungen. Schüttpelz schreibt: „Wenn die Sozialform der ‚Netzwerke‘ früher einmal ‚Korruption‘ und ‚Klientelismus‘ genannt wurde, und wenn man in den legalisierten ‚Netzwerken‘ der Gegenwart durchaus alle Züge eines klassischen ‚Klientelismus‘ ausmachen kann, dann muss man davon ausgehen, dass diese Sozialformen heute sehr viel stärker legalisiert worden sind als vor dreißig Jahren.“ Das ist freundlich ausgedrückt, man könnte auch sagen: „Jedes Networking ist Kriminell!“
Bereits der Begründer der Nationalökonomie Adam Smith war sich sicher: „Geschäftsleute des gleichen Gewerbes kommen selten zusammen, ohne dass das Gespräch in einer Verschwörung gegen die Öffentlichkeit endet oder irgendein Plan ausgeheckt wird, wie man die Preise erhöhen kann.“ Sicher nicht zufällig gründeten die ersten „System Builder“ Edison und Rathenau bereits kurz nach Installierung der ersten Stromnetze auch noch eine hochkriminelle Verschwörung, das die Preise bestimmte und u.a. die Brenndauer aller Glühbirnen weltweit kontrollierte, um sie zu reduzieren: Ihr Kartell hieß zunächst „Phoebus S.A.“ (Thomas Pynchon hat es in seinem Roman „Die Enden der Parabel“ beschrieben) und zuletzt, d.h. bis 1989: „International Electrical Association“ (IEA).
Danach wurden die korrupten Praktiken den einzelnen Kartellmitgliedern anheimgestellt – was in Deutschland zu dem „System Siemens“ führte: mit „schwarzen Kassen, Konten und riesigen Bestechungssummen. In „The Final Problem“ ließ Arthur Conan Doyle seinen Detektiv Sherlock Holmes über den Verbrecherkönig Moriarty urteilen: „Er sitzt bewegungslos, wie eine Spinne im Zentrum des Netzes, doch dieses Netz hat tausend Ausläufer, und er kennt das Zittern eines jeden.“ Der moderne Großverbrecher kontrolliert sein soziales Netz mit Hilfe von technischen Netzen: Sehr schön zeigt das der US-Thriller von Martin Scorsese „Unter Feinden“, in dem ein irischer Mafiaboß veranlaßt, den Polizeiapparat zu unterwandern. Im Wesentlichen und ununterbrochen wird dabei mit Handys telefoniert. Das kriminelle und das technische Netzwerk wirken dabei zusammen bzw. mit Latour gesprochen: „Die Technik“ stabilisiert hier die Gesellschaft.
Beim Ausheben des „System Siemens“ ließen die Staatsanwälte und Richter die wichtigsten Vorstandsvorsitzenden des Konzerns unangetastet, sie mußten bisher nicht einmal als Zeugen aussagen. Wahrscheinlich deswegen, weil es im Fall Siemens besonders große Überlappungen bei den wirtschaftlichen, politischen und juristischen „Netzwerken“ gibt. Dieser Konzern verkauft keine Konsumartikel, sondern Infrastruktur-Technologie – und zwar vorwiegend an Regierungen bzw. Verwaltungen. Die Süddeutsche Zeitung aus München, die es besser als alle anderen Zeitungen wissen muß sprach im Zusammenhang der korrupten „Siemens-Kultur“ einmal auch von „Mafia“ – sie mußte diesen Begriff jedoch wieder zurücknehmen.
„Ein Lieblingsbeispiel des sozialen ‚Netzwerks‘ ist und bleibt die freundschaftliche, klienteläre, korrupte oder kriminelle ‚Clique‘ von Außenseitern oder von Eliten,“ schreibt Erhard Schüttpelz. Er bezeichnet das eine Netzwerk als „makrotechnologisch“ und das andere als „mikrosoziologisch“. Darüberhinaus gibt es neuerdings eine „politische Ökologie“, die mit dem Begriff beide Bereiche zusammenführen will (an einem „Runden Tisch“ quasi): die aus den englischen Science Studies hervorgegangene französische „Akteur-Netzwerk-Theorie“ (ANT). Sie geht davon aus: „Wir müssen die Art und Weise ändern, wie wir die Welt verändern“. Und dazu hat sie schon mal, ausgehend u.a. von den Affenforschungen feminstischer US-Biologinnen, eine wunderbare neue Sprache vorgeschlagen – der gegenüber z.B. die „politische Ökologie“ von André Gorz nur noch anödet.
Die ANT kommt inzwischen auf weit über eine Million Eintragungen – im „Netz“. Wir leben ja bereits in einer „Netzwerkgesellschaft,“ behauptet Manuel Castells. Besteht vielleicht „das Soziale“ bald nur noch aus „Datenpflege“?
In den letzten 50 Jahren hat der Begriff des „Netzwerks“ laut Schüttpelz eine „Umwertung“ durchgemacht: „Die schwächere Seite ist zur stärkeren geworden“ – aus einem Objekt wurde ein Subjekt, „bis zum Subjekt einer infrastrukturell begründeten ‚Weltgesellschaft‘.“ Man könne aber jetzt schon erkennen, „dass die drei neuen dominanten Gebrauchsweisen des Wortes ‚Netzwerk‘ und vor allem ihre Kopplungen dazu neigen werden, dem öffentlichen Wort ‚Netzwerk‘ jede Brisanz und im Grunde auch jede Prägnanz zu rauben. Der Sieg des absoluten Begriffs ‚Netzwerk‘ fällt mit seiner zunehmenden Blindheit zusammen, er bedeutet eine empfindliche Niederlage aller theoretischen Anstrengungen, die zu diesem Sieg geführt haben. Die betreffende Blindheit lässt sich insbesondere in der Vorstellung vom All des Alles zusammenfassen: ‚alles ist mit allem vernetzt‘.“ Die Wahrheit über das Netzwerk bleibt für Schüttpelz das Artefakt „Netz“ und seine Geschichte. Zu dessen Definition führt er sieben Punkte an:
1. Netze sind keine menschliche Erfindung. (Menschliche Netze bleiben Artefakte, die vermutlich zuerst tierischen Netzen abgeschaut wurden.)
2. Ein Netz ist eine Form der Falle, genauer: eine Serie von Kulturtechniken, aus den Techniken des Fallenstellens.
3. Der Ausgang des Wortes, seiner Metapher und seines Begriffs bleibt „Beutemachen“ einerseits, und „Macht“ über das, was sich im Netz verfangen soll, andererseits.
4. Alle menschlichen und soziotechnischen Netze und ihre Praktiker bleiben auf Beutezug (auch und gerade „im Netz“).
5. Auch eine Netzwerktheorie oder Netzwerkmethode bleibt ein Netz, das seine Beute einfangen soll.
6. Eine Netzwerktheorie ist meist ein Netz, das andere Netze fangen soll – oder die Beute anderer Netze dazu. Netzwerktheoretiker sind Fallensteller von Fallenstellern.
7. Eine Form dieser theoretischen Netze ist das Diagramm – der Theoretiker oder Wissenschaftler will sein Netz vor sich sehen, und er will sehen, was er im Netz gefangen hat.“ Alles klar?
3. Die anarchistische Gewerkschafts-BI „FAU“ ist schon seit geraumer Zeit am Kino „Babylon“ in Mitte aktiv. In ihrer vorletzten Rundmail dazu hieß es:
Pressemitteilung
Berlin, 17.06.2009
Kino Babylon: Geschäftsleitung sperrt sich gegen Tarifverhandlungen
Die Neue Babylon Berlin GmbH lehnt Verhandlungen über einen vorgelegten
Haustarifvertrag ab und eskaliert so den Konflikt um bessere
Arbeitsbedingungen.
Bereits seit Monaten bemüht sich die Belegschaft des Traditionshauses am
Rosa-Luxemburg-Platz ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Berichte über
die prekären Verhältnisse gegen die sie sich wehren, gingen durch die
Berliner Presse und das internationale Fernsehen.
Obwohl das Filmtheater mit mehreren hundertausend Euro im Jahr vom
rot-roten Senat gefördert wird, blieben die Löhne auf einem Niveau, das es
den Beschäftigten kaum erlaubt, über den Hartz-IV Satz zu kommen, wie
Theaterleiter Jens Mikat auf einer Betriebsversammlung zugab.
Und zuletzt:
Protestkundgebung vor dem Kino Babylon Mitte – Do. 25.6.18-20 Uhr
Obwohl das Filmtheater mit mehreren hundertausend Euro in jedem Jahr vom rot-roten Senat gefördert wird, gibt es im Haus keinen Tarifvertrag, sind die Löhne auf niedrigem Niveau, gibt es keine Feiertags- oder Nachtzuschläge.
Ein gemeinsam mit den Babylonmitarbeitern ausgearbeiteter Tarifvertragsentwurf will genau diese Dinge regeln, fordert Löhne auf einem würdigen Niveau, Nacht- und Feiertagszuschläge, die sofortige Umwandlung aller befristeten in unbefristete Verträge, ordentliche Entlohnung von PraktikantInnen. Kurzum: Das sofortige Ende prekärer Verhältnisse im Babylon Mitte.
Die Neue Babylon Berlin GmbH hat nun Verhandlungen über den vorgelegten Haustarifvertrag abgelehnt. Die FAU-Betriebsgruppe im Babylon und die FAU Berlin haben deshalb den Arbeitskampf erklärt. Zeigt euch solidarisch!
Es ist erstaunlich, wie lange eine so lange Belegschaft bei ihrem Kampf durchhält. Der FAU sei in diesem Fall auch noch zu einer Konsumentenpolitik geraten, d.h. zu einer Boykottdrohung durch Kinobesucher und auch Filmverleihfirmen sowie Veranstaltern, meint ein Babylon-Kino-Besucher, der mit den Forderungen der Belegschaft solidarisch ist. Bei den letzteren denkt er u.a. an den Veranstalter des zunehmend erfolgreicheren polnischen Filmfestivals – Kornel Miglus.
4. Die BI im Aufbau „Alfred-Döblin-Platz“: Sie formiert sich gerade, kann aber personell und gedanklich auf die Erfahrungen der Baumschützer in der Auseinandersetzung mit der Fake-BI „Luisenstadt“ zurückgreifen, deren klassizistische Umgestaltung des Engelbeckens und des Parkstreifens zwischen dem Becken und dem Urbankanal sie verhinderten. Nun geht es um den „Alfred-Döblin-Platz“ an der Dresdnerstraße in Kreuzberg, der ziemlich heruntergekommen ist und gerade neu umbaut wird – mit Lofts und ähnlichem Schnickschnack. Als unlängst der Sohn von Döblin diesen Platz besuchte, beschwerte er sich über den Zustand des Platzes beim Senat. Prompt wurde daraufhin eine 250.000 Euro-Ausschreibung zu seiner Neugestaltung durchgeführt. Bei dieser gewann ein Projekt, das an Scheußlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt: mehrere schwere Granitquader, auf die irgendwelche Döblinzitate gemeißelt werden. Die sich formierende BI „Alfred-Döblin-Platz“ vermutet, dass da erneut die Fake-BI von nebenan hintersteckt, die gerade daran beteiligt ist, das Bethaniengelände durchzuhübschen – mit Geldern von Beisheim.
Näheres und den neuesten Stand der Dinge erfährt man über „szuszies@hotmail.com“.
5. Die BI „Ponys für alle“: Über Nacht stand plötzlich auf vielen Bürgersteigen diese Forderung – schwarz auf weiß: „Ponys für Alle!“ Viele wollten sich dieser Forderung anschließen. Allein, es fehlte an Kontakt zu der Kunst-BI. Ich fand dann einen Eintrag im Internet – im „Feuilleton (under construction“, der nähere Hinweise enthielt. Um den Eintrag hier reinzukopieren bat ich die „Feuilletonisten“ um Erlaubnis – sie antworteten jedoch nie auf meine Anfrage. Hier deswegen der Text – erst mal ohne Erlaubnis:
Das Leben ist kein Ponyhof und wenn, dann Ponys für Alle!“
Prenzlauer Berger Lesarten einer Streetart-ähnlichen Sprühaktion.
Wer Anfang Mai mit Augen eines Großstädters – geöffnet, wachsam möglichen wartenden Fallen auf dem Bürgersteig ausweichend – die Schönhauser Allee entlangspazierte, dem dürften sie aufgefallen sein: weiß, klassisch-schlicht, drei Worte und ein Ausrufezeichen. Auch wer aus Wedding seine Schritte Richtung Mauerpark lenkte, womöglich um nebenbei den Reifegrad der noch grünen zukünftigen Mirabellenfrüchte am Mauerstreifen abzuschätzen, dem dürfte das Weiß des gesprühten Slogans in die Augen gesprungen sein.
“Ponys für Alle!” – Was will dieser Spruch? Bei dem Gespräch mit einem Anwohner der Kopenhagener Straße, die an beiden Enden auf einzelne dieser Sprühspuren stößt – einige davon sind selbst ende Mai noch gut zu erkennen – äußert der Anwohner die Vermutung, der gesprühte Slogan müsse etwas mit “Das Leben ist kein Ponyhof” zu tun haben. Dieser auf den Erfahrungsschatz westlichen Vorortnachwuchses anspielende Spruch zierte den Titel einer Demonstration im Jahr 2005. Die Demonstration wurde 2008 auf indymedia literarisch nachbearbeitet, als nach einer langen Vorlaufzeit schließlich der Freispruch eines Demonstrationsteilnehmers auf dem zum Theatersaal erklärten Gerichtssaalparkett – im III. Akt des über Vernetzungslisten angekündigten Stücks “Kamera-Arschloch” – erklärt wurde. Alle Teilabschnitte des Gerichtssals-Theaters bis zum Freispruch wurden von Rezensionen auf indymedia begleitet. Spruch und Demonstrationstitel gehen auf die Suche von Studiengebührengegnern nach einem geeigneten Ort für das “Summercamp of Resistance” 2005 zurück, denen nach dem Scheitern von Verhandlungen über den Kreuzberger Mariannenplatz von der damaligen Bezirksbürgermeisterin ein Ponyhof als Alternative angeraten wurde. Aufgegriffen wurde der Spruch anschließend von einer Hochschulgruppe, die sich im Folgejahr als linke Liste an der Freien Universität Berlin zur Wahl gestellt hatte. Über Aufkleber verbreitete sich der Spruch schließlich über studentische Räume wie die Offene Uni Berlins, in Toiletten linker Kneipen sowie generell im universitären Raum. Gut möglich, daß der Anwohner, der, obwohl selbst kein Student, regelmäßig studentische Räume nutzt, deshalb diese Vermutung äußert.
Bei genauerer Betrachtung des Streetart-Spruchs zwingen sich aber auch andere Parallelen auf. Die Wahl des “Bildgrunds” – der Bürgersteig -, das Weiß der gewählten Farbe, das Ponymotiv – wird hier dem Vorbild Rosinantes nachgeeifert? Oder hat sie hier vielleicht selber ihre Finger im Spiel? Rosinante ist Schöpferin der Pferdehufe-Abdrücke, die in den Sommern 2006 und 2007 Straßen, Bürgersteige und vereinzelt auch Hauswände in Berlin geziert hatten, darunter auch – schräg und eigenwillig, über Gitter gleichsam hinwegspringend, den Übergang über die Eberswalder Straße zum Mauerpark und dessen Begrenzung zur Gleimstraße hin. Die Hufe hatten einen Bericht auf Radio Eins und einen Beitrag in der Morgenpost (vom 17.6.2007) nach sich gezogen, in dem Wolfgang Krause, in den 90er Jahren Hauptakteur der Aktionsgalerie “O2″, Organisator der Knochengeld-Aktion von 1993 und früherer Gastdozent an der Kunsthochschule Weißensee, dem ihm unbekannten Schöpfer der Hufe 100 Euro für die benutzte Schablone geboten hatte.
Zwischen dem Hufabdruck als Zeichen und der Wahl der Buchstabencodierung von “Ponys für Alle!” steckt zwar ein zu großer medialer Bruch, um nicht über mögliche Beweggründe dieser drastischen Änderung zu sinnieren, doch wer wollte einem Künstler den Wechsel in Form, Stil und Medium absprechen? Höchstens der Künstler selbst. Bei einem Gespräch mit wn030 teilte “Rosinante”, die sich derzeit in Wien aufhält, wn030 gegenüber mit, daß ihr das Auftauchen von “Ponys für Alle!” bereits von mehreren Seiten zugetragen wurde. Der Hintergrund des Spruches sei ihr zwar unbekannt, doch die “Mischung aus Kleinmädchencharme und subkultur-typischer Forderung ‘Für Alle!’” empfindet sie als gelungen. Trotz der Parallelen hat sie jedoch nicht den Eindruck, daß der Sprühspruch ihre Hufe-Spuren rekurriert, die zwar bereits 2007 von vielen Berliner Mitaktivisten und mittlerweile auch von Künstlern in anderen Städten aufgegriffen wurden, doch unter Beibehaltung der Form und meist gut vernetzt, so daß von einer regelrechten Künstlergruppe der “Hufonauten” gesprochen werden kann, die “Horse Art” in den großstädtischen Raum, u.a. auch nach St. Petersburg und Miami trägt. Unmittelbar zu ihren Hufabdrücken angestoßen wurde sie nach eigener Aussage vor drei Jahren von den Vorbereitungen für die Fußball-WM 2006 in Deutschland, die verdeutlicht hätten, wie stark dieser Sport trotz allem immer noch als Männersport die Alltagserfahrung von Männern auch jenseits der Jugendjahre prägt. Sie sieht darin ein weiteres Zeichen für die Rückständigkeit der Gleichberechtigung in einer nur scheinbar emanzipierten Gesellschaft. Während Männer ihren Lieblingssport aktiv und passiv bis in das hohe Alter beibehalten können ohne ihre persönliche Integrität dabei zu gefährden, seien Mädchen gezwungen, spätestens bei Erreichen der Volljährigkeit ihrem Jugendsport zu entsagen: “spätestens mit 17, 18 muß das Mädchen das Reiten aufgeben, sonst macht es sich – in der Schulklasse, im Freundeskreis – lächerlich”, so Rosinante.
Sicherlich eine Problematik, die einen begrenzten Anteil des weiblichen Nachwuches berühren dürfte, gilt doch das Ponyreiten bis heute eher als Hobby von Kindern aus besser situierten westdeutschen Reihenhaussiedlungen – als kleiner Gegenpol zur 2006 das gesamte Land überziehenden Fußballhysterie jedoch eine sympathische Geste. Mittelbaren Anstoß bot die Auseinandersetzung mit dem großstädtischen Raum als offenem Freiraum, der zur Brechung gewohnter Sichtweisen, aber auch zur ‘privat-autonomen’ künstlerischen Infragestellung stadt- und verkehrsplanerischer Unsitten einlade. “Am Ende der Oderberger Straße, hin zum Mauerpark hatte man plötzlich diese Absperrungen aufgebaut”, sagt sie wn030 gegenüber. “Niemand verstand, wozu diese Absperrungen gut ein sollten, früher kam man ohne Hindernisse über die Straße”. Folgerichtig führten auch ihre Hufspuren über das Absperrgitter hinweg, als stünde dort nichts – und sie überquerten die Straße in eigenwilliger Wiederaneignung des Straßenlands: schräg, zielsicher führten sie vom Absperrgitter direkt in das Grün des Parks, als stille Absage an Normierung und Straßenverkehrsordnung auf einem seit Jahren von Fußgängern dominierten Stück Straßenland. Mit den “Berliner Pferdesprungveranstaltungen” hatte Horse Art schließlich 2008 aktionistisch den Sprung über Straßenabsperrgitter geübt. Unweit der Galerie Engeler an der Kreuzung Schwedter Straße / Kastanienallee (Erste Pferdesprungveranstaltung) und an der Hufelandstraße (Zweite Pferdesprungveranstaltung) wurde vom Freundeskreis der “Hufonauten” das Absperrgitter zum Aktionsobjekt und herausfordernden, überwindbaren Hindernis umfunktioniert.
Und “Ponys für Alle!”? Auf der Bloqseite einer Musikband, die eine Platte mit gleichnamigem Titel veröffentlich hat, werden im Mai 2009 Äußerungen lesbar, die einem Bekenntnis zum gesprühten Spruch gleichen und eine Vereinnahmung der Sprühaktion für eigene Werbezwecke vermuten lassen. Der Anwohner der Kopenhagener Straße schüttelt dazu den Kopf: “Das wird nicht gelingen. Es wäre nicht das erste Mal, daß sich der Kommerz beliebte Streetartstile und Underground-Formen einverleiben will. Das kann es nicht sein. Leben ist kein Ponyhof und wenn, dann Ponys für Alle!” ergänzt er schmunzelnd. Vom Freispruch des Teilnehmers der „Das Leben ist kein Ponyhof“-Demonstration hatte er als grundsätzlich analoges Wesen zwar noch nichts gehört, doch mit seiner Vermutung könnte er recht haben – ist der Demonstrationsteilnehmer schließlich vom Verdacht freigesprochen worden, ein in der deutschsprachigen Literatur schon 225 Jahre zuvor geadeltes klassisches Wort (s. „Götz von Berlichingen“) beleidigend verwendet zu haben. Die klassische Schlichtheit des Formats, das klassische Weiß – versteckte Hinweise auf den politischen Subtext des Spruches? Der Anwohner zieht weiter: „Jetzt jedenfalls schon.“
Mag sein, daß die Band in in Charlottenburg oder Wilmersdorf mehr Erfolg damit gehabt hätte, die Sprühaktion für sich zu vereinnahmen. Im Prenzlauer Berg scheint jedoch die Aussagekraft anderer Lesarten klares Obergewicht zu behalten. Die Rezeptionsästhetik spricht dem Text – und sei er noch so kurz – eine „Intention“ entschieden ab. Der Leser und nur er erschafft den Text Kraft seiner Wahrnehmung. Ein Beispiel, wie Repolitisierung kommerzieller Aktionismen in widerständigen Kiezen funktionieren kann.
Über die BI „Opalsonicht“ in Groß Köris, die sich gegen den Trassenverlauf und eine Verdichterstation der Ostsee-Pipeline von Gasprom wehrt, berichtete heute die Berliner Zeitung:
Die Baugenehmigung für den 125 Kilometer langen südbrandenburgischen Abschnitt ist noch immer nicht erteilt. Denn dort ist eine große Verdichterstation geplant, die für den nötigen Gasdruck in den Leitungen sorgen soll.
Wegen des erwarteten Lärms und der Abgasbelästigung der Station wehrte sich eine Bürgerinitiative erfolgreich gegen den Bau in Groß Köris (Dahme-Spreewald). Damit der Bau der Trasse überhaupt erstmal beginnen konnte, wurde das Genehmigungsverfahren zweigeteilt. Doch auch am neuen Standort Radeland bei Baruth regt sich Protest.
Bei Baruth liegen bereits seit Monaten mehrere Kilometer Rohre bereit. Die Gegner werten dies als Provokation – Motto: Die fehlende Baugenehmigung stört uns nicht weiter, wir bereiten schon mal alles für den Bau vor. „Das Projekt ist zu prestigeträchtig, als dass wir es verhindern können“, sagte Peter Trinks von der Bürgerinitiative. „Aber wir überlegen, ob wir klagen. Das ist zwar teuer, wir haben aber gute Argumente.“
Die Verdichterstation sei eine „gewaltige Dreckschleuder“. Die mit Erdgas betriebenen vier Flugzeugturbinen zur Gasverdichtung seien nicht nur sehr laut. Sie bedeuteten auch eine Energieverschwendung. „Da werden 500 Grad heiße Abgase in die Luft geblasen“, behauptete Trinks. Zudem sei der Ausstoß von Kohlendioxid sehr hoch.
Die Gegner kooperieren mit Experten, die eine Alternative vorschlagen: statt eine große sollten zwei kleine Verdichterstationen gebaut werden. „Die kleineren Stationen könnten mit umweltfreundlicheren Elektromotoren betrieben werden“, sagt Trinks. „Die sind auch nicht so laut.“
Bei Wingas heißt es dazu nur: Für eine so große Leitung seien Elektromotoren unüblich.