vonHelmut Höge 23.09.2009

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Wer vor einiger Zeit durch Berlin-Mitte schlurfte, sah etwas Seltsames: Bälle, überall Bälle. Immer am Boden an Straßenpollern befestigt, so dass alles insgesamt eine leicht zu erkennende Form annahm: Werbung für den neuen Männerwäscheladen “balls” direkt neben dem Frauen-Dessous-Laden „blush“. Photo: Claudia Kleinert.

Nun zu „Terroristinnen – Bagdad77“: ein seltsamer Titel für ein Buch. Die Regisseurin Katrin Hentschel inszenierte 2007 am Theater Freiburg ein gleichnamiges Stück, aus dem nun in Zusammenarbeit mit der Freiburger Verlegerin Traute Hensch ein Buch wurde. Es handelt von den Frauen der RAF. Am Anfang des „Projekts“ standen „Fragen, nichts als Fragen“ – u.a.: „War der Terror der Versuch, nicht spießig zu werden?“, „Wer hat die illegalen Wohnungen geputzt?“ „Hatten die Mädels im Knast mehr Post als die Männer?“, „War die RAF ein Vergnügen?“ „Warum interessieren uns die Antworten?“

In ihrer „Doku-Fiktion“ führen zunächst drei berühmte Terroristinnen, teilweise mit Zitaten aus RAF-Büchern, -Filmen und -Selbstdarstellungen, einige „Theorie-“ sowie „Vaginal“-Dialoge, sie erzählen sich – in Bagdad auf einem Dach sitzend – ihre „Viten“, „Träume“ und „Terrormärchen“ und halten Ansprache an einige ebenfalls prominente Frauen, darunter die im Irak 2005 von einer islamischen Terrorgruppe in Geiselhaft genommene bayrische Arabistin Susanne Osthoff. Sie wurde für einige Millionen Euro von der Bundesregierung freigekauft. Weil sie selbst Islamistin und in einem Video, das die Entführer dem ARD-Studio in Bagdad schickten, verschleiert aufgetreten war, während einer ihrer Kidnapper eine Panzerfaust auf sie gerichtet hatte, meinte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Jürgen Chrobog, sie habe eine „Vollkaskomentalität“. Kurz darauf wurde er selbst mit seiner Familie im Jemen entführt. Der Lüneburger Terrorexperte Udo Ulfkotte ließ derweil verlauten, dass mit der Panzerfaust sei „untypisch für Terroristen“. Der mit dem Terrorismus einst sympathisierende Außenminister Joschka Fischer hatte Chrobog 2001 als Leiter seines Krisenstabs im Falle der Entführung deutscher Staatsbürger ins Auswärtige Amt geholt. Traute Hensch war lange Zeit Lektorin im Frankfurter Verlag „Roter Stern“ von K.D.Wolff gewesen. Diese ganze aus dem SDS hervorgegangene Sponti-Szene, aus der sich dann die Grüne Regierungspartei herausmendelte, war auch das Soziotop für den Terrorismus. Einige rechte Publizisten verleitete das dazu, eine gerade Linie zwischen Adorno-Seminaren und RAF-Attentaten zu ziehen. Später tat es ihnen eine wachsende Zahl linker Renegaten nach – u.a. der DDR-Sänger Wolf Biermann, der 1972 in einem ARD-Interview noch gemeint hatte: „Sie erwarten doch sicherlich nicht von mir, daß ich mich von der Roten Armee Fraktion distanziere? Lenin hat gesagt, daß der erste Schuß erst abgefeuert werden darf, wenn die Revolution beginnt. Die Kommunisten der Bader-Meinhof-Gruppe werfen ihr Leben in die Waagschale für die Antithese. Sie wollen nämlich beweisen, daß, wenn nicht endlich der erste Schuß fällt, die Revolution verschlafen und verfressen wird.“

Während die einen damals den „Umsturz“ von unten durch „Mobilisierung der Basis“, u.a. indem sie in die Betriebe gingen, erreichen wollten, versuchten die „Illegalen“ ihn intellektuell-terroristisch quasi von oben zu initiieren, weil sie meinten, auf die Aktion der Massen verzichten bzw. diese damit initiieren zu können.

Die 1968 geborene Schriftstellerin Tanja Dückers schreibt in „Terroristinnen – Bagdad’77“ : „Der Grund für die scheinbar unerschöpfliche Aktualität der RAF ist in der merkwürdigen Vertrautheit zu finden, die wir mit diesem Phänomen verbinden.“ Weil in dem RAF-Film nach dem Buch von Stefan Aust die Rollen „alle mit sehr bekannten und attraktiven Schauspielerinnen besetzt“ waren, erschienen Tanja Dückers nun die „RAF-Frontfrauen“ als „ausgeflippte Popstars oder Models auf Abwegen“. Sie waren merkwürdig „aktuell“ und schienen ihr zum heutigen „Lifestyle-Feminismus“ zu passen.

Das Kürzel ,RAF‘ beinhaltet die Botschaft, ,Recht auf Frausein'“, meint Katrin Hentschel und zitiert die Terroristin Irmgard Möller: „RAF – das war für uns Befreiung.“ Über Brigitte Mohnhaupt schreibt Hentschel: Obwohl bereits 2007 vorzeitig entlassen, „schweigt auch Deutschlands schlimmste, brutalste und hübscheste Terroristin tief und fest. Man hört: Sie schiebt Kisten ineinander, im Laden ihrer Schwester. Aha. Man sollte die ,Big Raushole‘ einmal mit ihr selbst ausprobieren.“ Um endlich aus erster Hand zu erfahren, „warum die RAF-Frauen bereit waren, bis zum Äußersten zu gehen“. Grundsätzlich ist ihr aber bereits klar: „Die Frau war zu diesem Zeitpunkt das am höchsten entwickelte Lebewesen und zur Tat mehr als reif.“ Nun terrorisieren aber wieder nur die reaktionärsten Männer weltweit – und zwar die Frauen. Darüberhinaus werden täglich mehr als hundert mal so viele Frauen von Männern ermordet als Menschen durch Terrorattentate umkommen.

Katrin Hentschels Buchtext wird abgerundet von zwei akademischen Beiträgen: Einer, von Gisela Diewald-Kerkmann, die sich über „Frauen, Terrorismus und Justiz“ habilitierte, bringt die SDS-Frauenbewegung anhand einiger „Fallbeispiele“ in einen Zusammenhang mit der RAF – als einer „Amazonenarmee mit männlichem Begleitpersonal“, wie der Terrorist Peter Homann sie nannte. Der andere Beitrag von Vojin Sasa Vukadinovic, die über Antifeminismus in Linksterrorismus-Diskursen promovierte, thematisiert die „maskulinistischen Fiktionen“ von über die RAF schreibenden AutorInnen – vor allem nach der „Eskalation ’77“. Das letzte Kapitel „Sie haben ein Leben, das alle glauben beurteilen zu müssen“ beinhaltet Kurzbiographien aller RAF-Frauen.

Geschmälert wird das Lesevergnügen an diesem Buch nur dadurch, dass es dazu beiträgt, die RAF innerhalb der antiautoritären Bewegung überzubewerten, weil nur sie noch und Uschi Obermaier in den Medien rückblickend auf „68“ als „sexy“ erscheinen.

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kommentare

  • Ergänzung zum o.e. „Männerwäscheladen ‚balls'“ – von der ard-tagesschau:

    Die Bundeswehr ist für ihren Einsatz in Afghanistan mit jahrzehntealter Spezial-Unterwäsche aus Wirkplüsch ausgestattet. Dies bestätigte das Verteidigungsministerium. Das heiße jedoch nicht, dass die Unterwäsche schlecht oder defekt sei, „sondern sie ist bewährt“, wies ein Sprecher Kritik an der Ausrüstung zurück. Es handle sich um „älteres Material, das voll einsatzfähig ist“.

    Die „Bild“-Zeitung hatte berichtet, die Unterhosen aus Wirkplüsch seien Restbestände, die aufgetragen werden müssten. Solange die schon in den 70er und 80er Jahren bei Einsätzen in Norwegen bewährten Unterhosen aus Wirkplüsch noch gut seien, bestehe kein Anlass umzusteigen, hieß es dazu vom Verteidigungsministerium. Das wäre Verschwendung von Steuergeldern, meinte der Sprecher.

    Es handele sich zudem nur um einen „sehr kleinen Bereich“. Es gehe um Unterhosen, die Soldaten vor extremer Kälte von mehr als minus 20 Grad schützen sollten. Die gesamte übrige Ausrüstung sei „auf dem neuesten Stand“.

    Auch Kritik an anderen Ausrüstungsgegenständen, von der die „Bild“-Zeitung berichtet hatte, wies das Ministerium zurück. In dem Bericht hatte es geheißen, die Socken „Tropen“ seien zu eng gefertigt und passten nach der zweiten Wäsche nicht mehr. Bei 200 Paar Kampfstiefeln Marke Haix seien die Sohlen durchgebrochen. Dabei habe es sich um Fertigungsfehler gehandelt, sagte der Ministeriumssprecher. Der Eindruck, dass die Soldaten mit „Schrott und Lumpen“ ausgestattet seien, sei falsch. „Die Soldaten sind sehr gut ausgerüstet“, versicherte er.

    FDP-Verteidigungspolitikerin Elke Hoff zeigte sich trotzdem empört über die Mängel. „Soldaten mit 40 Jahre alter Unterwäsche auszurüsten und damit in die extremen klimatischen Verhältnisse in Afghanistan zu schicken, ist abenteuerlich“, sagte sie „Bild“.

    An dieser Nachricht hat mich vor allem der Satz gewundert:

    „Solange die schon in den 70er und 80er Jahren bei Einsätzen in Norwegen bewährten Unterhosen aus Wirkplüsch noch gut seien, bestehe kein Anlass umzusteigen, hieß es dazu vom Verteidigungsministerium.“

    Meines Wissens hat das deutsche Militär seinen Einsatz in Norwegen bereits in den Vierzigerjahren beendet – und zwar ein für alle Mal, wie es damals, d.h. danach reumütig hieß.

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