Der Platzmeister der Campinganlage bei Moers in Westfalen hatte gerade keinen Poller zur Hand und sprang sozusagen selbst ein. Photo: Peter Grosse.
Die TV-Archäologen André Meier und Jürgen Kuttner tingeln nun auch schon wieder seit Jahrzehnten durch die Veranstaltungssäle Großdeutschlands – mit ihren sogenannten Videoschnipseln. Das sind aus den Fernseharchiven der BRD und vor allem der DDR kopierte Zitate aus vergessenen doch einstmals anscheinend für wichtig genommenen Sendungen: Lea Rosh moderiert 1972 für den SFB eine Kudamm-Modenschau – damals schon mit einer Wichtigtuerei, als ginge es dabei um nicht weniger als den Holocaust. „Hyporeal“ nennen Meier/Kuttner so was.
Hier imitiert der Hausmeister einer New Yorker Plattenfirma auf Wunsch des Photographen, Peter Grosse, einen Hafenpoller.
Dazu gehört u.a. auch eine Sendung des Kinderfernsehens der DDR, in der ein Pädagoge eine Gruppe von Eltern darüber aufklärt, wie sie das mit dem Taschengeld für ihre Kinder regeln soll – mit anschließender Diskussion, die jedoch nicht in Gang kommen will. Oder der ZDF-Moderator Hänschen Rosenthal: Er war als Jude zur Friedhofspflege in Fürstenwalde zwangsverpflichtet worden. Bevor man die Insassen seines Arbeitslagers nach Auschwitz deportierte, gelang ihm die Flucht. Er versteckte sich in einer Kleingartenanlage bei Berlin – bis zur Befreiung. In Auschwitz waren die Häftlinge mit dem Ruf „Dalli, Dalli“ von der Rampe in die Gaskammer getrieben worden, es gab dort sogar eine „Dalli-Dalli-Straße“. Als ZDF-Moderator nun nannte Hans Rosenthal seine Sendung in den Siebzigerjahren „Dalli, Dalli“. „Mag sein, dass er das mit Auschwitz gar nicht gewusst hat, aber man kann eben auch unwissend das Richtige tun,“ schreiben Meier/Kuttner dazu – in ihrem Videoschnipsel-Sampler „Die Geburt des radikalen Islam aus dem Hüftspeck des deutschen Schlagers“.
Es handelt sich um lebende Poller, vor denen die toten roten Poller da an einer Umgehungsstraße von Chicago mit ihrem Hinweischild warnen. Photo: Peter Grosse.
Es enthält noch viel mehr gesunkenes Diskursgut – und seine Interpretation nebst einer meist überraschenden Kultur-Hypothese. Inzwischen ist sogar schon der Begriff des Diskurses selbst gesunken. Ursprünglich waren damit mal – popularisiert über den Wissensarchäologen Michel Foucault – Formationen des Wissens bezeichnet, die zu einem unaufhörlichen Gemurmel anschwellen, das sich für kürzere oder längere Zeit sogar zu einem herrschenden Diskurs (Pleonasmus und Oxymoron zugleich) aufschwingen kann.
Bald war das Wort Diskurs jedoch, ausgehend von den Universitäten, ein schlichtes Synonym dafür, dass man gerade Michel Foucault las oder jedenfalls so tat als ob. Und irgendwann benutzte es der noch schlichtere Helmut Kohl in einem Zusammenhang, der irgendwie mit linken Demonstranten zu tun hatte. „Das sind die, die alles bestreiten – außer ihren Lebensunterhalt.“ Schon bald gab es keine ZDF-Diskussion mehr, in der es nicht um den einen oder anderen Diskurs ging. Damit war das Wort durch – und fertig. Übrigens zeitgleich mit der „DDR“. Sollte uns das nicht zu denken geben? Ich denke, nein! Es ist inzwischen ein Wikipedia-Eintrag geworden (1) und es kommt ja sowieso, nicht zuletzt dank der TV-Archäologie, die nebenbeibemerkt von der Volksbühne finanziert wird, alles irgendwann wieder hoch.
Hier werden umgekehrt die Radfahrer vor einem toten Poller gewarnt. Photo: Peter Grosse (Radfahrer gehören zu den häufigsten Opfern von Pollern – Anm.d.Red.)
So auch gerade der o.e. „Foucault-Leser“, der sich inzwischen – wenn man dem Philosophen Axel Honneth folgt – selbstbewusst zur „neuen Elite“ zählt, die es jetzt mit Guido Westerwelle über die 10 Prozenthürde geschafft hat . Und das mitten in der „Krise“ des Neoliberalismus mit reinem Neoliberalismus („Mehr Markt! Weniger Steuern!“) Diese Wählerschaft nennt man in den USA auch die neue „Kreative Klasse“. Als Index für ihren Aufstieg gilt dem US-Soziologen Florida zufolge der Anteil von Schwulen in leitenden Funktionen bestimmter Branchen, die primär mit Symbolproduktion befasst sind. Ihr Loha-Ideologe im „Kampf um Anerkennung“ ist hierzulande jedoch nicht Westerwelle, sondern der „Freidenker“ Sloterdijk, der die „Triple-down-Theorie“ auch noch vom letzten sozialstaatlichen Eingriff befreien möchte, um „die elende Lage der herrschenden Klassen“ zu bessern. Für Honneth kommt das einem „Umsturz“ gleich (2). Sloterdijk antwortete dem „glücklosen Philosophieprofessor“ in der FAZ kurz vor der Wahl – mit aller gebotenen Schärfe, d.h. er behauptete, Honneths Kritik sei substanzlos – und deswegen nicht der Rede wert. Die CDU warnte dennoch anschließend die FDP vor allzu großem „Übermut“. Was für ein Diskurs-Revival.
Und hier wird dem Radfahrer gezeigt, wie sein Fahrrad aussieht, wenn er gegen die rotweiße Abpollerung fährt. Photo: Peter Grosse.
(1) Dort heißt es u.a.: Seit den 1960er Jahren wird der Diskurs-Begriff zunehmend von so genannten Diskurstheorien verwendet und erhält je nach Theorie eine völlig neue spezifische Bedeutung. Der aktuell populäre Begriff „Diskurs“ wird heute meist in Anlehnung an das Konzept der Diskursanalyse (1.1) von Michel Foucault verwendet.
Häufig wird der Begriff irreführend im Hinblick auf Foucault gebraucht, jedoch in seiner alten Bedeutung gemeint, nämlich im Sinne von Unterhaltung oder öffentlicher Diskussion (dieses Gequatsche wird dann mit dem Modewort Diskurs aufgewertet).
Während dieser Poller ein ebenso bösartiges wie rätselhaftes Zeichen abgibt – jedenfalls für Radfahrer. Fußgänger machen sich darüber, wie man sieht, keine Gedanken. Photo: Peter Grosse.
(1.1) Die Diskursanalyse geht im Wesentlichen auf ihn zurück, der damit die traditionelle „Geistesgeschichte“ in Frage stellte. Foucault schuf aber keine Methode, sondern legte mit seinen theoretischen Überlegungen Grundsteine für eine neue Art des Denkens, ein erkenntnistheoretisches Modell, das erst in den letzten Jahrzehnten methodisch in der „Literaturwissenschaft“, der „Soziologie“ und zunehmend auch in der „Geschichtswissenschaft“ angewendet und reflektiert wird. Als wissenschaftliche Methode spielt die Diskursanalyse auch im Bereich „Politikwissenschaft“, v. a. im Teilgebiet „Internationale Beziehungen“, eine zunehmend wichtige Rolle. In Frankreich trug insbesondere der Diskursforscher „Michel Pêcheux dazu bei, die methodologische Umsetzung einer empirisch orientierten Diskursanalyse voranzutreiben. Nach wie vor ist die Diskursanalyse jedoch kein einheitliches Verfahren, sondern unterscheidet sich je nach Ideenschule.
Die in Deutschland von „Karl-Otto Apel“ und „Jürgen Habermas“ geprägte „Diskurstheorie“ ist nicht mit der an Foucault angelehnten und vom postmodernen Denken beeinflussten Diskurstheorie zu verwechseln. Ihre unter den Begriffen „Diskursethik“, „Diskurstheorie des Rechts“ und „Konsenstheorie der Wahrheit“ bekannte Denkschule ist dem Denken der „Moderne“ verbunden und versucht deren Errungenschaften, gegen die Foucaults Analyse ausgesprochen kritisch ist, zu bewahren. Aus dieser Strömung stammt auch einige Kritik an Foucaults Diskursanalyse.
Ausgesprochen böse sind auch diese zwei Poller im Vordergrund, erst recht in Verbindung mit der Pollerreihe im Hintergrund. Photo: Peter Grosse.
(2) Was Honneth damit meint, hat der Westberliner SPD-Finanzsenator und nunmehrige Bundesbank-Vorständler Thilo Sarrazin gerade in aller Offenheit – und anscheinend beflügelt von Sloterdijks mutigem, wenn auch philosophisch verquastem Diskurs-Vorstoß – von sich gegeben. Wobei er alle Bande frommer Scheu fallen ließ. Für diese sich als „Elite“ begreifenden Mischpoke geht es dabei um das vollständige Abstreifen sozialstaatlicher Errungenschaften und Gleichheitsversprechen. Hier noch mal ein Ausschnitt aus ihrem „Kontext“:
Nachdem die dynamischen Treuhand- und McKinsey-Manager alle DDR-Betriebe abgewickelt und ihre hochbezahlte Tätigkeit auf Grundstückgeschäfte reduziert hatten, wurden sie geradezu massenhaft in die Leitungsebenen von BVG, S-Bahn und DB AG gelobt – wo sie ihr Spiel fortsetzten : Massenentlassungen, Schließungen von Reparaturwerken und Grundstücksgeschäfte (die DB ist nach dem Senat Berlins größter Immobilienbesitzer). Treuhandchefin Birgit Breuel hatte beizeiten Flankenschutz gegeben: „Die Betriebe waren doch ‚übervölkert'“; sie bezichtigte die DDR, eine Politik der „versteckten Arbeitslosigkeit“ betrieben zu haben. Ein CDUler sprach sogar von „Arbeitszwang“ – deswegen hätte es in der DDR keine Arbeitslosigkeit gegeben. Das wurde dann auf jeden Fall schnell anders. 2004 waren selbst die übrig gebliebenen S-Bahn-Reparaturwerke nicht mehr voll funktionstüchtig, von den Bahnen selbst bald ganz zu schweigen. Das Servicepersonal (von röm. Servus – Sklave) mußte eine Höflichkeitsschulung nach der anderen über sich ergehen lassen. Von den U-Bahnabfertigern entließ man einen fristlos, weil er sich weigerte, „Zurückbleiben – bitte!“ zu sagen. „Wir mußten ein Exempel statuieren,“ so der BVG-Sprecher. Die S-Bahnfahrer fanden bei Schichtbeginn immer öfter Zettel ihres Vorgängers auf der Konsole: „Bremsleitung links klemmt, nicht schneller als 60 fahren“ oder „In Linkskurven vorsichtig abbremsen!“ Es war wie in den guten alten Zeiten – des ewigen Materialmangels und der Engpässe. Ein Müllmann von der BSR, wo man ebenfalls Ost und West zusammengeknallt hatte, meinte einmal auf die Frage eines SPD-Politikers, ob seine Arbeit nun anders geworden sei: „Eijentlich hat sich nischt jeändert, ausser det Jesellschaftssystem.“
So geht es doch auch! Photo: Peter Grosse
Bei der S-Bahn waren jedoch große Veränderungen geplant. Ihrem ersten Westchef, Axel Nawrocki, den man von der Treuhand nach getaner Abwicklungsarbeit auf die nun ebenfalls zu privatisierenden öffentlichen Einrichtungen losließ, fielen laufend neue Ideen ein, um aus der „maroden Anlage“ einen schicken Suburb-Shuttle zu zaubern: Cabrio-Waggons, die Wiedereinführung der 1. Klasse, mobile Cappucchino- und Bagle-Teams in gewagten Phantasieuniformen, grünleuchtende Infopoints usw..Der BVG-Chef Graf von Arnim versuchte es ihm an Kreativität nachzutun. Er hatte zuvor im Auftrag von McKinsey alles kurz und klein privatisiert. 2002 hievte ihn sein einstiger Treuhand-Kollege Thilo Sarrazin in den BVG-Chefsessel, nachdem dieser Finanzsenator geworden war. Um den Thesen seines Förderers recht zu geben, die Sarrazin 2003 mit seinem Anleitung „Öffentlicher Dienst und Staatsbankrott“ vorgelegt hatte, verdoppelte von Arnim als erstes die Vorstandsposten, die er dann mit weiteren Privatisierungskumpeln besetzte, an andere verteilte er großzügig Beraterverträge (83 insgesamt). Selbst seine Freundin, eine Musicaldarstellerin, mußte ran: Sie bekam ein 50.000 Euro Jahresgehalt von „seiner“ BVG. 80 Führungskräfte beglückte er mit Dienstwagen aus der 5er-BMW-Klasse. Gleichzeitig verschlankte er die Belegschaft der mit einer Milliarde Euro verschuldeten BVG von 26.000 auf 13.000. Sein Jahresgehalt belief sich auf 300.000 Euro.
Das Land (Sarrazin) versprach ihm obendrauf eine Prämie von 30 Prozent, wenn „seine“ BVG das vereinbarte Sparziel erreiche. Zum Glück starb der Graf 2005 plötzlich. S-Bahn-Nawrocki, der laut taz „einfach zu viel wußte“, als dass Diepgen ihn unversorgt lassen konnte, bekam als S-Bahnchef eine halbe Million im Jahr – und rückte außerdem in den Vorstand der Bahn AG vor. Dort kippte ihn jedoch 1999 Mehdorn raus – mit der Begründung: „Sein unternehmerisches Konzept hat nicht überzeugt.“ Jetzt – nach dem „S-Bahn-Chaos“ – wurde gleich der gesamte Vorstand gefeuert. Berlin wird langsam wieder Treuhandmanagerfrei. Aber das ist keinem Druck von unten oder gewerkschaftlichem Sonstwieeinfluß zu verdanken. Auch hat kein S-Bahnarbeiter oder -Betriebsrat Alarm geschlagen. Alle (proletarischen) Subjektäußerungen sind hier und heute erst einmal an ein Ende gekommen, stattdessen haben wir es mit Objektstrategien zu tun: Es sind nun die S-Bahnzüge selbst, die sich wehren. Den Anfang dazu machte allerdings nicht die Infrastruktur- sondern die Baustellentechnik. Als der Bauboom in Berlin losging, stiegen nicht etwa die Bauarbeiterlöhne, sondern sie sanken. Aber es gab keinen Widerstand dagegen – bis auf eine einzige Gewerkschaftsdemonstration, deren Wut sich gegen die Container der ausländischen Bauarbeiter richtete.
Die Künstler, Speerspitze der neuen kreativen Klasse, die sich im Dutzend an die Bauherren ranschmissen, malten ihre Baustellenbilder gleich ohne Arbeiter. Ihre Schinken hießen z.B. „Kräne am Abend II“ oder „Kran am Morgen“. Zwei arbeitslose Kuratorinnen organisierten sogar ein „Kranballett“. Und ein Berlinfilm hieß: „Das Leben ist eine Baustelle“. Aber in menschlicher Hinsicht rührte sich da nichts mehr, deswegen schritten die Kräne selbst zur Tat: An der Baustelle „Kontorhaus Mitte“ erschlug ein Drehkran die Baustellenmalerin Käthe Ebner mit einer tonnenschweren „Kranmatraze“. „Alptraum Baustelle“ titelte die Bildzeitung und „Die Zeit“ schrieb – in alter Klassenkampfmanier: „Möge ihr Tod nicht umsonst gewesen sein!“
Die Industriearbeiter und ihre Organisationen führen nur noch Abwehrkämpfe auf unterstem Niveau und die neue (kreative) Klasse muß sich noch sammeln – ebenfalls auf unterstem Niveau erst einmal. Heute beginnen z.B. die „Praktikanten“ in den neuen Medien (u.a. einige aus der taz) einen Streik. Die Gewerkschafts-Zeitungsredaktion ließ anfragen: „Sollen wir unseren Praktikanten auch hinschicken?“ In etlichen Medien anderwärts solidarisierte man sich per Mail, SMS und Fax. Das nützte aber nur wenig. Und war auch schon mit ein Grund für das nahezu klaglose Verschwinden der Industriebelegschaften gewesen.
Oder so…! Photo: Peter Grosse
Die Tageszeitung Neues Deutschland, die sich im „Kampf“ gegen die Bundesbahn wieder in ihr altes Bürogebäude am Franz-Mehringplatz reingeklagt hat, schrieb über Sarrazins Ausfälligkeiten:
In der Bundeshauptstadt ist man vom ehemaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin einiges an Ausfällen gewohnt. Ob gegen ALG II-Empfänger, Lehrer oder Schüler – viele bekamen in den vergangenen Jahren die Arroganz des SPD-Politikers zu spüren. Einmal empfahl er das Tragen »dicker Pullover«, um Energiekosten zu sparen, beim nächsten Mal versuchte er mit einem »Speiseplan« nachzuweisen, dass man von ALG II prima am Tag essen könne. Seit fünf Monaten war allerdings Ruhe. Endlich, so atmeten viele in Berlin auf, denn der umstrittene Finanzsenator wechselte im Mai in den Vorstand der Bundesbank. Trotz seiner Verdienste für die Haushaltskonsolidierung der klammen Hauptstadt weinte ihm kaum jemand eine Träne nach.
Mit den jüngsten Tiraden gegen Migranten und die »deutsche Unterschicht« hat Sarrazin allerdings die Grenze zur sozialen Diskriminierung einmal mehr überschritten. Denn in einem fünfseitigen Interview zu seiner persönlichen Sicht auf Berlin diktierte Sarrazin den Journalisten der Zeitschrift »Lettre International« unter anderem in die Blöcke: »Eine große Zahl an Arabern und Türken in dieser Stadt, deren Anzahl durch falsche Politik zugenommen hat, hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel.« Und: Da Berlin eher »plebejisch und kleinbürgerlich« sei, werde sich keine Perspektive entwickeln. An seiner eigenen Perspektive für die genannten Personengruppen ließ der wohlsituierte Bundesbankmanager indes keinen Zweifel: »Jeder, der bei uns etwas kann und anstrebt, ist willkommen; der Rest sollte woanders hingehen.«
Organisationen der türkischen Community in Berlin zeigten sich empört. »Das ist unerhört«, sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat. »Sarrazin schießt häufig über das Ziel hinaus und macht sich keine Gedanken über die Auswirkungen seiner Aussagen.« Kolat fordert eine Entschuldigung. Türkische Unternehmer verwiesen dagegen auf die Erfolgsstory vieler migrantischer Betriebe, weshalb die Aussagen »inhaltlich völliger Quatsch« seien.
Für die Abgeordnete der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus Evrim Baba sind die Ausfälle Sarrazins gegen Minderheiten und Benachteiligte jedoch nicht nur das Produkt einer gedankenlosen »Lästerei«, sondern die wiederholte Betätigung »als geistiger Brandstifter auf dem Gebiet der Sozialpolitik«. Auch die Grünen kritisierten den »rassistischen Angriff auf Migranten«.
Aufgeschreckt durch das mediale Interesse distanzierte sich die Bundesbank in ungewöhnlich scharfer Form: »Das Interview steht in keinerlei Zusammenhang mit den Aufgaben von Dr. Sarrazin bei der Bundesbank.« Dass Distanzierungen bei ihm keinen Lerneffekt zeigen, kennt man in Berlin indes zur Genüge. Auch das Muster, sich für die Provokationen zu entschuldigen. Genau wie es Sarrazin gestern am späten Nachmittag gegenüber den Türken via der »Süddeutschen Zeitung« machte. Dennoch wird er seine Mission, angeblich unbequeme Wahrheiten aussprechen zu müssen, fortsetzen – er wird weiter zündeln.
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Die taz lancierte jetzt, in Anspielung auf die kommende „Tigerenten“-Koalition und eine alte Attac-Formel, die Parole: „Eine andere Welle ist möglich!“
Der traurige Spiegelautor Reinhard Mohr schreibt über Sarrazins Ausfälle – anläßlich einer Talkshow, in der sich u.a. der Kreuzberger MdB der Grünen Christian Ströbele über Sarrazin äußerte:
Ströbele blieb dabei: Sarrazin befinde sich „am Rande braunen Gedankenguts“, „allerunterste“ Schublade. Hier war sie wieder, die bequeme Mischung aus Moralkeule und grotesker Verdrängung der Wirklichkeit.
Jemand wie Ströbele kommt offenbar gar nicht in den Sinn, dass Sarrazin Berlins Situation – jenseits seiner üblichen Polterei – bewusst pointiert und eiskalt ökonomisch analysiert hat, auch wenn ihn am Ende eine tatsächlich fragwürdige Vorstellung von „Elite“ (man denke bloß an unsere famosen Krisen-Banker) selbst zu einer ideologischen Vision verführt. „Sagen, was ist!“ Das war einmal eine linke, fortschrittliche Parole. Heute heißt es: Wahr ist, was ich sehen will.
So herrschte am Schluss, wie üblich, Friede, Freude, Eierkuchen, Pardon: Pflaumenkuchen! Den kann Hans-Christian Ströbele nämlich besonders gut backen.