Da wo der Hammer hängt. Photo: Peter Grosse
„Erst seit der Wiedervereinigung ist wieder Klassenkampf möglich,“ behauptete Heiner Müller. Man kann es drehen und wenden wie man will, Klassenkampf ist nur ein anderes Wort für Bürgerkrieg, meinte Rosa Luxemburg – zur SPD hin, die auf das erste nicht ganz verzichten wollte, das letzte jedoch aufs Schärfste ablehnte.
Derzeit findet „es“ auf unterstem Niveau statt – seitdem die neoliberale Reaktion mit der sogenannten Dritten Industriellen Revolution und vollends nach dem Zusammenbruch des Sozialismus an den Drücker kam.
Die SZ läßt einen Juristen zu Wort kommen, der über die jüngsten Entlassungen von Arbeiterinnen, weil sie angeblich zwei Pfandbons für sich behalten bzw. sechs Maultaschen eingesteckt hatten, urteilt: „Wer in der Firma klaut, soll es wenigstens zugeben – oder der Vertrauensbruch muß unweigerlich zur Kündigung führen“. Ähnlich urteilte zuvor der FAZ-Rezensent der neuen „Undercover“-Reportage von Günter Wallraff „Aus der schönen neuen Welt“, das seiner Meinung nach „passend zum Maultaschen-Urteil“ erscheint. Wallraff läßt darin einen Juristen zu Wort kommen, der die letzten „Unkündbaren“ rauskippt – „Schwangere, Kranke, Betriebsräte“. Dahinter steht laut FAZ Wallraffs „dramaturgischer Kunstgriff“: Er nimmt „Recht für Gerechtigkeit“ und stößt dann in „diese moralische Flanke“ – wie nichts Gutes! Umgekehrt verfährt Thilo Sarrazin. Er kann sich dabei auf eine lange Tradition zur Bekämpfung von Aufmüpfigen berufen. Mit der Aufforderung „Schaut euch diese Typen an!“ mobilisierte bereits der Westberliner SPD-Bürgermeister Schütz seine „schweigende Mehrheit“ in der Stadt gegen die Studentenbewegung. Noch demagogischer argumentierten dann CDUler wie Lummer und Landowsky. Letzterer meinte z.B., als die Kunstscene sich in Mitte breit machte, in Kreuzberg würden nur „Junkies, Gewalt und Ausländer zurückbleiben“. Etwas nobler drückte sich dann der elitäre Wilmersdorfer Wolf Jobst Siedler aus. Sogar Oskar Lafontaine betrachtete es einmal quasi als Staatspflicht, deutsche „Familienväter und Frauen“ davor zu schützen, dass „Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen“. „Die Zeit“ schrieb: „Hinter der Aufregung über den Nazi-Begriff ‚Fremdarbeiter‘, den Lafontaine in Chemnitz benutzte, steckt die Frage nach der Zukunft des Populismus in Deutschland.“
Dabei hat der sozialdemokratische Bundesbanker Thilo Sarrazin jetzt den Vogel abgeschossen – mit seinem „Klasse statt Masse“-Interview. In der Jungen Welt hat Hartmut Rübner herausgearbeitet, dass „die Verachtung der Unterschichten eine alte SDP-Tradition ist“. Erinnert sei an Wolfgang Clements Lob der „Anständigen“, die „Vorrang“ haben müßten vor den „Parasiten,“ die den Sozialstaat „abzocken“. Da kommt das alte spießige Handwerker- und Facharbeiter-Vorurteil gegenüber dem „Lumpenproletariat“ wieder hoch. Wegen Sarrazins Äußerungen fand bereits eine erste Protestdemonstration vor dem SPD-Hauptquartier in Berlin statt. Er ist der Meinung, siebzig Prozent der Türken und neunzig Prozent der Araber in Berlin seien „weder integrationswillig noch -fähig“, und führte dies unter anderem auf eine „Mentalität“ zurück, die er „aggressiv und atavistisch“ nannte. Außerdem sei menschliche Intelligenz zum Teil wohl erblich, weshalb es von Nachteil sei, dass in Berlin gerade die Unterschicht – und da vor allem die türkische! – so viele Kinder „produziere – ständig neue kleine Kopftuchmädchen“. Diese neodarwinistische Weltsicht, die soziale Benachteiligungen „naturalisiert und biologisiert“ findet sich laut Rübner auch schon in der Sozialdemokratie vor 1933 – und gipfelte damals z.B. in der Forderung von Zwangssterilisationen „Schwachsinniger, Alkoholiker und Gewohnheitsverbrecher“. „Im Grunde stieß man in das gleiche Horn wie die Nazipropagandisten“, so Rübner. Rasse statt Klasse! darauf läuft auch Sarrazins nun scheinbar genetisch fundiertes „Eliten“-Konzept hinaus. Roland Barthes hat dieses Bemühen in seinen „Mythen des Alltags“ thematisiert: Die Bourgeoisie verewigt sich und ihre Produktionsverhältnisse, indem sie permanent Geschichte in Mythos verwandelt. „Der Mythos leugnet nicht die Dinge, seine Funktion besteht im Gegenteil darin, von ihnen zu sprechen. Er reinigt sie nur einfach, er macht sie unschuldig, er gründet sie als Natur und Ewigkeit, er gibt ihnen eine Klarheit, die nicht die der Erklärung ist, sondern die der Feststellung“.
Der folgende Text sollte auf der taz-Wahrheitsseite veröffentlicht werden – aber daraus wurde nichts:
Der Vorgesetzte von Thilo Sarrazin, Bundesbankchef Axel Weber, erklärte gegenüber der Presse – wie das umstrittene „Klasse statt Masse“-Interview seines Vorstandskollegen in der Zeitschrift „Lettre“ in seinem Haus behandelt wurde: „Das Interview wurde von Herrn Dr. Sarrazin selbstverantwortlich geführt und von ihm selbst in der gedruckten Form freigegeben trotz früher Warnungen, dass einige Formulierungen als Provokation aufgefasst werden könnten.“
In der bürgerlichen Presse geht es jetzt bei dem umstrittenen Sarrazin-Interview vor allem darum, ob Bundesbankchef Axel Weber den Text vorab las – und ihm dann per Fax einige Korrekturen schickte, die Sarrazin dann jedoch angeblich zu spät bekam, so dass die Lettre-Ausgabe mit seinem Interview bereits im Druck war.
Was Weber daran kritisierte, interessiert die Kapitalmedien jedoch nicht, sondern nur, ob der behördliche Instanzenweg für solche Äußerungen eingehalten wurde. Was für ein staatsgläubiger Dumpf-Formalismus. Der taz liegt nun das Fax vor, das Weber an Sarrazin zwecks Korrektur seiner Äußerungen schickte. Es werden darin die Sätze zitiert, die Weber mißfielen – und daran anknüpfend Verbesserungsvorschläge gemacht:
„…barbusige Frauen im Tiergarten konnte man schon 1975 bestaunen.“ (Weglassen! Stimmt auch gar nicht! – A.W.)
„…Provinzialismus und Kleinlichkeit, also Steglitzer Kreisel, Architektin schläft mit Baustadtrat.“ (Weglassen! Sie war mit ihm, einem linken Sozialdemokraten, verheiratet. – A.W.)
„…jeder bessere Berliner Haushalt beschäftigte einen Polen.“ (Weglassen! Da wird ein Bumerang draus. – A.W.)
„Ständig werden Bräute nachgeliefert…Bei den Arabern ist es noch schlimmer.“ (Kann man das nicht etwas vornehmer ausdrücken. Ich bitte darum! Obwohl Ihnen anscheinend so viel daran gelegen ist, die „Mauern der politischen Korrektheit“ einzureißen. Warum eigentlich? – A.W.)
„Dieselbe Sippe ist nach 20 Jahren in Schweden immer noch frustriert und arbeitslos, in Chicago hingegen integriert.“ (Eine kühne Behauptung, gerade was Chicago angeht. – A.W.)
…wir haben noch nicht verstanden, dass wir ein kleines Volk sind. Wir verstehen und immer noch als ein großes Volk.“ (Vor allem verstehen wir uns immer noch als zwei Völker, wie gerade wieder aus Anlaß des Mauerfall-Jubiläums diverse Umfragen ergaben. Das macht natürlich auch kleiner, aber ich würde den Gedanken trotzdem weglassen. – A.W.)
„Für die nächsten 30 Jahre bin ich optimistisch“ – dass sich die Leistungsschwachen „auswachsen“, heißt es sinngemäß an einer Stelle des Interviews bei Ihnen, wenig später aber: „Doch das Unterschichtproblem reicht weit darüber hinaus. Darum bin ich pessimistisch.“ (Ist das nicht ein Widerspruch in Ihrer Argumentation, den man ausbügeln sollte? – A.W.)
„Das klingt sehr stammtischnah, aber man kann das empirisch sehr sorgfältig nachzeichnen.“ (Was heißt hier „man kann“? Man muß! lieber Kollege. – A.W.)
„An Washington D.C. kann man ablesen, was ein Regierungsstandort bewirken kann; es zieht viele Forschungszentren an, auch der CIA ist ein großer Arbeitgeber.“ (Schlechtes Beispiel! Außerdem sitzt die – statt der – CIA nicht in Washington. – A.W.)
„…und weil die Berliner Politik von der Grundstruktur her indolent ist…“ (Fremdworte vermeiden! Außerdem wollten Sie an dieser Stelle wahrscheinlich „inkontinent“ sagen. – A.W.)
„aber die Stadt in ihren politischen Strömungen ist nicht elitär aufgestellt.“ (Hier ein ähnlicher Lapsus: Sie meinten wahrscheinlich „eingestellt“. A.W.)
„Das öffentliche Nahverkehrssystem von Berlin ist im weltweiten Vergleich hervorragend.“ (Aus eigenem Interesse sollten Sie über das Berliner Nahverkehrssystem besser kein Wort mehr verlieren. Deswegen streichen! – A.W.)
„Die Berliner Verwaltung wurde kontinuierlich kleiner. Das war ein Beitrag zur Qualitätssteigerung.“ (Das war zwar Ihr „Beitrag“, aber ob er eine „Qualitätssteigerung“ bewirkt hat, kann man derzeit noch nicht sagen. Die öffentliche Meinung sieht das jedenfalls ganz anders. Ebenfalls weglassen! – A.W.)
„Ich bin ja nur Senator geworden, weil Mehdorn mich gerade an die Luft gesetzt hatte.“ (Eben, eben! – A.W.)
„Ich würde aus Berlin eine Stadt der Elite machen. Sie sollte für die Besten attraktiv sein.“ (Da sehe ich einen eklatanten Widerspruch zu Ihrem Eingeständnis davor. – A.W.)
„…der Rest sollte woanders hingehen.“ (Das ist zwar ehrlich gemeint, aber in unserer Demokratie noch nicht möglich! – A.W.)
„Die Medien lieben es, wenn Krach ist.“ (Haben Sie jetzt etwa vor, auch noch „Medienliebling“ zu werden?! – A.W.)