vonHelmut Höge 26.11.2009

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Die Eintragungen zuvor bezogen sich auf die Feeling-Forschung, vornehmlich der FU, was ist aber mit der Gefühls-Lehre?

Hier drei „Impressionen“ („Impries“ im Unijargon) von der studentischen Kampffront sowie einige Pressemeldungen dazu:

1.

Umsetzung oder die Kunst der Überzeugungs-Strategie

FU-Studenten gehen in die Umsetzungsphase. Wie vermitteln sie ihrem Präsidium, daß ihre Forderungen diesmal nicht in den Papiermüll passen werden?

Diesiges Wetter, Mittwochnachmittag, den besetzten Plenarsaal an der FU füllt das leise Klicken von Tastaturen. Auf den Monitoren erscheinen die Adminseiten universitärer Protestlisten, der Administrationszugang zu bildungsstreik-berlin.de, ab und an klicken Studenten auch auf die „letzten Anderungen“ des angeschlossenen und bundesweit vernetzten Wikis. Was tut sich hier, zwischen Klickgeräuschen und leisen Direktgesprächen zwischen AG-Vertretern, Veranstaltungsorganisatoren, Voküköchen und diversen hilfsbereiten und regelmäßig vorbeischauenden weiteren Studenten?

Bei der letzten Vollversammlung in diesem Hörsaal, der zweiten seit Beginn der Besetzung, haben die Studenten ihren schon-Bachelor-Leidenskollegen und noch-immer-Magisteranwärtern ein Konzept vorgestellt, mit dem sie die studentischen, FU-internen und doch die gesellschaftlichen Verhältnisse direkt widerspiegelnden Hauptforderungen zur Umsetzung bringen wollen. Für die morgige 3. Vollversammlung ist die Vorstellung erster Ergebnisse der am Dienstag offiziell eingeläuteten stille Umsetzungs-Kampfphase eingeplant. Den Studenten ist es sehr wichtig, ihre Besetzung allwöchentlich von ihrer Basis abstimmen und sich damit das klare grüne Licht für die Fortsetzung ihrer Arbeit allwöchentlich bestätigen zu lassen.

Zu den stärksten Forderungen gehört an der FU der Kampf gegen Anwesenheitskontrollen, die arbeitenden („jobbenden“) Studierenden sowie Studierenden mit Kindern die Teilnahme am universitären Arbeitsalltag und schlicht den Abschluß ihres Studiums erschwert, in besonders betroffenen Fällen sogar unmöglich macht. Gleichzeitig schwelt in dieser Forderung der Kampf um eine stärkere Selbstbestimmung des Studiums mit – Studenten, die in Bibliotheken lieber gründlich an Hausarbeiten arbeiten als sich in schnell gebastelten Referaten zu verlieren oder in Seminardiskussionen zu zerfasern, die als Wissensanwerbungsmittel spätestens in der letzten Studienphase durchaus ermüden können, unterstützen diese Forderung daher mit Nachdruck.

Die Studenten teilen die Kampfpunkte in „Schwerpunkte der Woche“ ein. Die zweite schwere Forderung des Katalogs, der Druckaufbau gegen die fortschreitende Verschulung des Studiums nach seiner Einführung in den einzelnen Instituten, wendet sich gegen „Leisstungskontrollen“, unter welchem Begriff sich Klausuren und Zwischentests in Studienjahre eingeschlichen haben.

Forderungen dieses Stils sind, so die Studenten, von der Institution Universität in kürzester Zeit einlösbar – es handelt sich hier um „reine Formalien“, wie bei ihren Abendplena immer wieder zu hören ist, die bis zum Beginn der offiziellen Bildungsgipfel-Woche an der FU täglich um 18 Uhr stattfinden, sich danach an 18h-Veranstaltungen im besetzten Hörsaal anschließen. Sie beziehen sich bei dieser Bezeichnung auf mehrere Argumente: einerseits sei die Einführung von Anwesenheitspflicht und -kontrollen ebenfalls eine solch rasch durchgedrückte Formalie, andererseits zeigen die Erfahrungen in verschiedenen Instituten, wie stark sich auch Professoren und Dozenten vereinzelt gegen die Idee eines reinen Seminarsitzstudiums wehren – auf Unterschriftenlisten wird in einigen Seminaren stellenweise ganz verzichtet, stellenweise werden sie so geführt, daß ein Student leicht Veranstaltungen nachtragen kann. Andere Dozenten wiederum atmen auf, wenn auch ihre Liste „endlich geklaut wurde“, eine seit Jahren von findigen Studenten fortlaufend gepflegte Durchsetzungsstrategie. Den Studenten geht es nun darum, den Dozenten auf ihrer Seite den gewünschten Verzicht auf Anwesenheitslisten zu erleichtern, indem er endlich legitimiert wird, den hörigen Dozenten wiederum durch die Abschaffung der Anwessenheitspflicht ein weiteres Erschweren ihres Studiums zu unterbinden.

Anna Panek

2.

Entwerbungsaktion.

Work in progress gegen Werbemüll an der Freien Universität Berlin

Ein energiegeladener Morgen am Tag nach dem Beginn der Besetzung des Hörsaals 1A an der (Werbe)Freien Universität Berlin. Tags zuvor haben Studenten mit mehr als eindeutiger Mehrheit die Besetzung per Wahl beschlossen, nun machen sich die ersten Übernachter zusammen mit frühen Gästen nach dem Morgenkaffee und einem schnellen Frühstück an die konkrete Arbeit. Da es schwer fällt, in einer von Werbeplakaten zugemüllten Universität inhaltlich an Forderungen und ihrer Umsetzung zu arbeiten, beginnen sie mit einer diesmal personell stark angewachsenen Entwerbungsaktion – traditionell ein aktivistischer Semesterbeginn – bei der die Gänge des Hauptgebäudes um A0-Werbeplakate erleichtert werden. Die Plakate werden im Anschluß zu einem Stapel verwertbaren Materials gesammelt – O2 hatte die Rückseite der Werbeplakate unvorsichtigerweise weiß, somit beschreibbar und bemalbar belassen.

Mitten in das Geschehen platzt noch am selben Morgen eine Firma, die just an diesem Tag „Promotion-Tütchen“ an die Studenten verteilen will – auch dies ein die Studenten durchaus störende, regelmäßig in den ersten Semesterwochen wiederholte Werbeaktion. Die Tütchen sind mit Werbegeschenken angefüllt: Lauch-Tütensuppen, für die man laut Rezept Lauch hinzukaufen muß, um die „Lauch-Tütensuppen“ zubereiten zu können (Inhalt: Mehl mit Geschmacksverstärkern und Gewürzersatzmitteln), Werbeausgaben von Männer- und Frauenmagazinen (die Tüten sind nach Geschlechtern sortiert, es gibt Männertütenpakete und Frauentütenpakete), Stifte, Seife und natürlich Bräunungsmittel.

Die Studenten stürzen sich auf die noch unverteilten, gestapelten, frisch antransportierten Pakete und retten sie vor dem achtlosen Zerstreuen an Studenten, die Besseres zu tun haben, als nach Lauch für „Lauch-Tütensuppen“ zu suchen oder sich Bräunungscreme ins Gesicht zu schmieren, damit man die Bibliotheksblässe nicht so stark sieht. Sie trennen den Inhalt nach „Schrott plus Müll“ und Verwertbares, vorläufig wird auch das „Mehl mit Geschmacksverstärkern“ in die Kisten mit verwertbarem Material sortiert. Sie entledigen sich der Mode- und Kosmetikwerbungmagazine ebenso wie diverser Werbeflyer, packen die Seifen zum Stapel „praktisch für Besetzungen“ und sortieren die Kugelschreiber aufmerksam in die Ecke „äußerst wertvoll, werden noch benötigt“. Eine Tüte mit Gewürzmittelmehl und Seifen landet noch am selben Abend im besetzten Audimax der FU, als ‚Carepaket‘ voller Raubgut. Es ist zu spüren, daß die Energie der Studierenden trotz neuer Studentengenerationen seit dem „NoLogo-Aktionstag“ 2005 nicht ernsthaft abgenommen hat, ganz im Gegenteil. Am Ende ist noch genug Spaß und Laune da, um als Gruppe performancekunst-begabter Studis einen schwarzen Müllcontainer voller Aktionsrestmüll (leere Papptüten und Hochglanzwerbemagazine) durch Mensa und Unigänge zu fahren. Innendrin ein mit Papiermüll beklebter laut sein Leid ausrufender Student, auf dessen Brust das Wort „Konsumopfer“ prangt.

Die Studierenden begründen ihre Ablehnung der Werbung auf Hochschulgelände mit der Forderung nach einer Korrektur des Bildungsetats: „den Bildungseinrichtungen werden zuerst die Mittel gekürzt, dann klebt man Studenten und Schülern die Gänge ihrer Unis und Schulen mit Werbung voll und behauptet noch, das sei zu ihrem Gunsten – unmöglich“, beschwert sich eine teilnehmende Studentin. „Wir fordern eine radikale Kürzung des Rüstungsetats und eine Umlenkung der Gelder in die Töpfe, die das Geld wirklich brauchen, benötigen und die v.a. auch in der Lage sind, daraus Konstruktives herzustellen“.

Die Richtung der Kritik, die Formulierungen ihrer Begründung, Stil und Form der Aktivitäten sind vielfältig. Im Kern aber überschneiden sich die Stimmen – sei es, daß die Universität als ein dem Geist frei zu bleibender Raum eingefordert wird, der vor dem alltagsbeherrschenden Kosten-Nutzen-Kauf-und-Verkauf-Denken geschützt werden kann, sei es, daß auf die Werbung auf Universitätsgelände als Begleiterscheinung politischer Etatverteilungs-Fehlentscheidungen aufmerksam gemacht wird.

Beobachtet man den studentischen Einsatz gegen Werbung an der Uni, so stellen sich von Semester zu Semester variierende stilistische Mittel ein – war es 2005 die NoLogo-Aktion mit sichtbarer und Spuren hinterlassender Zerstörung der Werbeplakate, so folgten ihr im Folgesemester Aktionen, bei denen Studenten mit einem die Werbung überklebenden, kurz mit kritischen Sätzen informierenden A4-Blatt gegen Werbemüll zu Felde zogen. Es folgten Semester, in denen Studenten versuchten, nach Entfernung von Werbung aus den für sie vorgesehenen Aluminiumrahmen Alternativinhalte zu bieten: sie setzten informative studentische Plakate ein, betätigten sich künstlerisch oder hinterließen Statements mit dicken schwarzen Eddings.

Die während der Besetzung fortlaufend weitergeführte Entwerbungsaktion ist natürlich mit diesen Ansätzen nicht zu vergleichen – sie baut zwar inhaltlich auf den langen Vorbereitungen der letzten Jahre ein, sie kann jedoch, in ihrer personellen Stärke, nur während einer solchen Besetzung so bleibend und gründlich durchgeführt werden wie diesmal. Die Studenten erreichten eine „Entwerbung“ aller Flure im Hauptgebäude – ein Kraftakt, der von locker vernetzten Studierenden sonst in kleineren Aktionen immer nur stückweise vollbracht werden konnte, der Kampf um jeden einzelnen Alurahmen gefährlich war (die Security in der Universität stand in vorangegangenen Semestern durchaus nicht ungespalten hinter der studentischen Kritik, was zuweilen selbst bis zur Zuführung an die Polizei und Erkennungsdienstlichen Maßnahmen führte) und täglich von Neuem in Angriff genommen werden mußte.

Knapp eine Woche nach Beginn gibt sich den Studenten die Gelegenheit zu einem starken zweiten Teil ihrer Entwerbungs-Aktionskette. Eine Pizzakette, die keine Pizzas, dafür aber Adventskalender für ein perfektes Geschenk an Volljährige auf dem Weg zur Bibliothek hält, wird wird um ganze Stapeltürme an Paketen erleichtert. Diese Pakete werden zum Teil ebenfalls getrennt – durchsichtige Plastiktüten, in die die Kalender einzeln gepackt sind (um ja kein Verpackungsmaterial bei der Promotion zu vergeuden), erweisen sich als perfekte studentische „Briefkästen“ für die Verteilung von Flugblättern an einzelne Institute – Briefkästen, die reziprok sind, nebenbei bemerkt, sie sollen studentische Stimmen einsammeln, neu hineinzunehmende, bisher vergessene Forderungen, dringende Kritikpunkte am Studienplan, studentisch Relevantes. Der Inhalt der Plastiktüten, die Adventskalender selbst, sind von den Studierenden für das Kinderhilfswerk bestimmt worden.

Die betroffene Pizzakette schickte übrigens noch am selben Tag eine mit einem Smiley geschmückte Solidarisierungs-Email – vermutlich als Entschuldigung für das allzu rasche Heranrufen der Polizei durch einen Pizzaketten-Mitarbeiter, bis sich der Verzicht auf eine Anzeige im vor mehreren herumstehenden Zeugen geführten Handygespräch mit seinem Arbeitgeber als vernünftigere Reaktion auf die studentische Spontanaktion herauskristallisiert hatte.

Anna Panek

3.

Plenarsaal FU

nach dem FAZ-Artikel sind die besetzenden Studis sicher am Ende ihrer mit Löffeln geschlürften Voküweisheit

[wn030, life aus dem besetzten Plenarraum der FU, 22.11.09 spätabends]

Plenum im besetzten Plenarraum der FU. Das dritte Drittel des Plenums eröffnet die Lesung eines kürzlich erschienenen FAZ-Artikels aus der Hand von Tobias Haberkorn, stimmlich geübt vorgelesen von Michael Feindler. Es gibt was zu lachen. Die studentischen Besetzer erfahren aus professioneller publizistischer Feder, daß ihr Kontinentalvernetzer zu einem “großen Blonden” herangewachsen ist, keine geringe Überraschung für die paar knappen 1,65m und ein paar Zerquetschte. Und das blond müßte man auch erstmal blond färben, damit es der Beschreibung näher käme. Offensichtlich ist Tobias in der letzten Woche um 30cm geschrumpft und beginnt an früher Farbblindheit zu leiden (läßt sich übrigens mit einer gehörigen Portion Möhrensaft teilweise auskurieren, wenn man schnell handelt).

Tobias, der es von seinem Schreibtisch her gewohnt sein muß, Essenfassen von geistiger Arbeit (Lösungen ergrübeln) und praktischer Umsetzung (Lösungen formulieren, zur Abstimmung bringen, am Laptop, an der Tafel, in den Bastelecken zur klaren Form zu gießen) zu trennen, gibt übersetzt zu verstehen, daß das Futtern beim Labern im besetzten Plenarsaal ihm ein  nur mit Mühe und viel Geduld gerade noch erträgliches Greuel ist, zumindest jedoch ein zutiefst suspekter Akt, der an hemmungsloses Gammlertum und kraftlose Vokükombattantelei grenzt.

Etwas anderes als die hastige Huschelei bei der Beschreibung von Personen oder Atmosphären verwundert an diesem Beitrrag von Tobias jedoch weit mehr – obwohl die Forderungen der Studenten, in ihrer derzeitigen Form als Zwischenstand schon mal als A4-Ausdrucke vorliegend, immer wieder alle sind (verteilt, von Stapeln aufgegriffen, Foyerbesuchern in die Hände gedrückt), bemühen sich die jungen Streikenden trotzdem nach Kräften, stets für genügend Vorrat und frische Ausdrucke zu sorgen. Und was also interessiert den neugierigen FAZ-Schreiber am Plenum, an dem besetzten Raum? Die Voküschüsseln in den Händen der Leute, die an der Sammlung studentischer Forderungen, ihrem Transport von Druckern und zu diversen Infotischen den lieben Tag lang beschäftigt waren – und es, im übrigen, auch weiterhin sind. Phase zwei – der Weg zur konkreten Umsetzung – ist eingeläutet, die Studenten brennen darauf, sich in Findungsreichtum des für jede einzelne Forderung jeweils besten Weges auszuprobieren. Das dreistufige Verfahren dazu wurde bei der letzten Vollversammlung per Präsentation klar und deutlich vorgestellt, bisher befinden sich die Studenten noch locker im gesetzten Zeitrahmen für die zweite Phase.

Und im FAZ-Artikel? Im FAZ-Artikel ist zwischen den Zeilen zu erlesen, daß Tobias sich mit verbundenen Augen durch das Foyer bis in den Plenarsaal getastet haben muß, eine beachtliche Leistung für den laufenden Meter vielversprechender Journaille. Kein einziges Flugblatt, kein zielgerichtetes Plakat erreichte das  wahrscheinlich schlicht ziemlich hungrige Auge des Blattvertreters, dem im übrigen niemand verboten hat, sich am Topf gegen eine kleine Spende zu bedienen. Laut FAZ fläzen und mampfen ein paar Gammler und Döser müde im Plenarsaal, dabei ihrem Kontinentalvernetzer hörig wie ein Knäuel junger Katzen, hierarchisch im ahierarchischen Diskurs, im Grunde ahnungslos und wie immer in löchrigen Hosen.

Auch die in Tobias` Beitrag kurz erwähnte Pizzakette, deren Weihnachtsgeschenke durch eine weitere Entwerbungsaktion (zur ersten, fortlaufenden Entwerbungsaktion dieses Semesters vgl. Beitrag zur FU-Besetzung vom 11.11. in diesem Blatt) zu Weihnachtsgeschenken für das Kinderhilfswerk (Inhalt) sowie zu studentischen Tütenbriefkästen (Tüten der Adventskalender) umfunktioniert wurden – wozu sie im Nachhinein eine unterstützende Solidaritätserklärung der Pizzafirma erhalten hatten, hätte Tobias leicht in Erfahrung bringen können, wenn er sich für einen Teller sattmachendes Voküfutter Zeit bei seiner im Ergebnis leicht gehetzt wirkenden Recherche genommen hätte.

Respekt für die gründliche, zielgerichtete und  auf das Wesentliche  konzentrierte Arbeit, liebe FAZ. Und lieber Tobias –  Dir für den weiteren beruflichen Erfolg alles Beste

wünscht das

wn030-Redaktionsteam.

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Die online-redaktion des hamburger montagsmagazins „Der spiegel“ meldete unterdes:

Mehrere tausend Studenten demonstrierten am Dienstag in der Leipziger Innenstadt lautstark für mehr Mitspracherecht in ihren Hochschulen, Reformen der Bachelor-Studiengänge und gegen Studiengebühren. Unter dem Motto „Keine Stimme ohne uns! Für eine demokratische Bildungspolitik“ warfen sie der in Leipzig tagenden Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vor, weder mit den Studenten noch für die Studenten an den Universitäten und Fachhochschulen zu sprechen.

Das tagesschau-redaktionsteam hatte zuvor gebloggt:

Hörsäle besetzt, innenstadt lahmgelegt

Die Studentenproteste an mehreren österreichischen Universitäten weiten sich aus. In Wien gingen am Abend Tausende Studierende auf die Straße, um gegen die Bildungspolitik der Regierung sowie insbesondere gegen Wissenschaftsminister Johannes Hahn von der konservativen ÖVP zu demonstrieren.

Die Polizei sprach von 10.000 Demonstranten, die Veranstalter von bis zu 50.000. Sie legten mit ihrem Protestzug unter dem Motto „Mehr Geld für Bildung statt für Banken und Konzerne“ den Verkehr in der Wiener Innenstadt lahm, berichtete der Österreichische Rundfunk. Skandiert wurden Parolen wie „Hahn heißt er, uns bescheißt er“ und „Schluss mit Unterfinanzierung, Wettbewerbslogik und Elitenbildung“.

Bereits seit knapp einer Woche halten hunderte Hochschüler den größten Hörsaal der Universität Wien besetzt. Ihrem Beispiel folgten inzwischen auch Studierende in anderen österreichischen Städten, etwa in Graz, Linz und Klagenfurt. Sie fordern unter anderem eine grundlegende Überarbeitung des neu eingeführten Bachelor-Master-Systems, das sich zu sehr auf eine Berufsausbildung und zu wenig auf die wissenschaftliche Lehre konzentriere.

Die Stuttgarter Zeitung berichtete:

Die Polizei setzte Pfefferspray ein

Tausende Studierende, Schüler, Auszubildende und Gewerkschafter haben sich in Stuttgart in der Lautenschlagerstraße um 14.30 Uhr versammelt. Sie sind aus Konstanz, Heidelberg, Freiburg, Tübingen und Ulm angereist. Die Veranstalter sprechen am Anfang von 5000, dann von 10.000, schließlich von insgesamt 6000 Teilnehmern.

Seit vergangenen Montag schon besetzen in Stuttgart Studierende den größten Hörsaal der Uni. Ihre Forderungen haben sie auch auf der Demonstration kundgetan: die Abschaffung der Studiengebühren, mehr Mitbestimmung an den Universitäten, eine Reform der Bachelor- und Masterstudiengänge sowie eine „moderne Volluniversität“ für die Landeshauptstadt. „Wir wollen ein anderes Bildungssystem, in dem der Geldbeutel der Eltern nicht mehr maßgeblich über die Zukunft der Kinder entscheidet“, rief Ruwen Stricker vom Arbeitskreis Bildung der Uni Stuttgart auf der Kundgebung am Rotebühlplatz. Die Bachelor-Studentin Lena Spohn kritisierte zudem den „starren Zeitrahmen in den Bachelor-Studiengängen“.

Das Schweizer Fernsehen (SF) vermeldete:

Die Besetzung der Aula der Universität Bern wurde am Mittwochabend nach einer Podiumsdiskussion abgebrochen. Bei dieser Abschlussveranstaltung stellten sich Regierungsrat Bernhard Pulver und Rektor Urs Würgler den Fragen und Forderungen der Studierenden.

Die Aktion habe die Öffentlichkeit auf die Anliegen vieler Studierender aufmerksam gemacht, teilten die Besetzer mit. An ihren Forderungen hält die Gruppe trotz Rückzug fest. Die Aula werde nun zwar geräumt, «das bedeutet aber nicht, dass wir nicht irgendwann zurückkommen», warnten die Besetzer. Sie verlangen weiterhin Teilzeitstudienpläne, die Abschaffung der Präsenzpflicht und höhere Stipendien, um arbeitende Studierende zu entlasten.

Die Gießener Zeitung schrieb gerade:

Der Frust ist groß und sie haben ihn wieder auf die Straße getragen, Schülerinnen und Schüler ebenso wie die Studierenden. Am Donnerstag sind sie wieder durch Gießen marschiert und haben erneut ihre Forderungen nach besseren und gerechteren Bildungschancen formuliert.

Am Tag zuvor hatten die Studierenden bei einer Vollversammlung die „Gießener Erklärung“ verabschiedet. In dieser Erklärung sind alle Kernforderungen zusammengefasst: Bildung soll solidarisch sein, soll heißen: gleiche Bildungschancen für alle. Allen Studierenden sollte nach dem Abschluss des Bachelor-Studiengangs der Weg zum Master frei stehen. Studienzugangssperren und Zwangsexmatrikulation sollen abgeschafft werden. Demokratische Teilhabe wird ebenso eingefordert wie elternunabhängiges BaföG für alle Studierenden.

Indymedia informierte über die Studentenproteste in Frankreich:

Dass in Frankreich angeblich gern und häufig gestreikt wird, gehört schon fast zum Allgemeinwissen. Doch was treibt die französischen StudentenInnen so in Rage, dass nun seit über 7 Wochen der Lehrbetrieb an einigen französischen Universitäten nahezu stillgelegt ist? Und handelt es sich dabei wirklich nur um national beschränkte Probleme?

Keineswegs. Der Protest, der zurzeit in Frankreich stattfindet, wendet sich gegen die Reformen und Gesetze im Rahmen des Bolognaprozesses: Ein « Prozess » der sich in fast allen anderen europäischen Ländern vollzieht (und der – ohne dass er jemals zur Diskussion gestellt wurde – von den europäischen Regierungen staatlich ins Werk gesetzt wurde): Die nun offizielle Kommerzialisierung der Bildung. Während in Deutschland langsam immer mehr schockierte Stimmen zu vernehmen sind, die beklagen, dass das Schul- und Universitätssystem durch Privatisierung ökonomischen Interessen zuspielt, bleibt die Frage, wie es überhaupt soweit kommen konnte offen. Sich einer solchen Entwicklung wie z.B. in England und Deutschland bewusst – wo Studiengebühren von 600€ pro Semester keine Seltenheit sind, wo Kürzungen auf dem Lehrplan stehen und durch Privatisierung nicht « rentable » Studiengänge gestrichen und kommerziell ausschlachtbare gefördert werden, wo Studenten nach Abschluss ihres Studiums zunächst ihren « großzügigen » Studienkredit zurückzahlen müssen und die soziale Auslese immer mehr anwächst – mobilisieren die StudentInnen, SchülerInnen und Lehrbeauftragte, gegen die dieses Jahr anstehenden Reformen und Gesetze. Die Universitäten in Frankreich, genauergesagt das gesamte Bildungssystem: Schulen, Universitäten, Professoren, Lehrende, Angestellte und Studenten streiken gemeinsam. 41 Universitäten sind zeitweise mit Streikposten „piquets de greve“ blockiert, die Eingänge meterhoch mit Stühlen und Tischen verbarrikadiert. Anfangs hörte man noch Stimmen „ach, die spielen mal wieder ein wenig ´68 – das ist doch jedes Jahr dasselbe“. Doch anscheinend sind die Studenten entschlossener als die Jahre zuvor.

An der Uni Siegen wird anscheinend vor allem innerhalb der Gremien gegen „Bologna“ argumentiert und subversiert (kann so überhaupt sagen?).

Über die Auseinandersetzungen an der Uni Oldenburg berichtet „weser-ems.business-on.de“:

Als sich am vergangenen Donnerstagnachmittag vor dem Oldenburger Hauptbahnhof ein Demonstrationszug von Studenten in Bewegung setzte, war in „Deutschlands Stadt der Wissenschaft“ etwas anders als bei ähnlichen Demonstrationen: Studenten mit Fahrrädern statt schwarzer Block am Kopf des Zuges, freundlichere Musik, Teilnehmer mit bunten Luftballons und – ganz nach Carl von Ossietzky, dem Namenspaten der Universität – hatten viele eine Friedenstaube am Revers. Selbst die Milchbauern hatten eine kleine Delegation entsandt. Es waren eine Reihe von kleinen Details, die aber in der Summe davon zeugten, dass der Protest der Studenten längst nicht mehr alleine von einzelnen Gruppen getragen wird, sondern von einer breiten Studentenschaft. Ähnlich verhält es sich derzeit von Flensburg bis München und von Frankfurt/Oder bis Aachen an Schulen und Universitäten. Auch aus dem niederländischen Groningen wurde jetzt eine Besetzung der dortigen Universität gemeldet.

„Die Zeit“ interviewte einen „Protestforscher“:

Herr Rucht, in über 50 Städten wird gegen schlechte Studienbedingungen protestiert – nur wenige Monate nach den Demonstrationen im Frühsommer. Entsteht gerade eine neue Studentenbewegung?

Dieter Rucht: Nein, ich würde das eher als Protestkampagne bezeichnen.

Die Zeit: Was ist der Unterschied?

Dieter Rucht: Bewegungen kämpfen für einen grundlegenden sozialen Wandel in der Gesellschaft, etwa die Arbeiterbewegung oder die Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Die Studierenden heute aber fordern primär etwas für sich, sie haben kaum die Gesellschaft im Blick.

Ich interviewte den Ex-Gießener „Bewegungsforscher“ Dr. Salm-Schwader:

H.H.: Was nun?

Salm-Schwader: Wenn ich noch Student wäre, würde ich als erstes die Abschaffung dieser albernen Bommelhüte fordern, die man den frischgebackenen Bachelors aus Amerika aufzwingt. Das ist eine derartig demütigende Geste zum Abschluß dieser neoliberalen Reeducation-Maßnahme, dass die Verantwortlichen damit den Bogen überspannt haben. Und erst recht, wenn sie die damit zu Hanswursten gemachten Studenten auch noch zwingen, sich ganz zum Schluß zu einem Gruppenphoto zusammenzustellen, ihre Bommelhüte in die Luft zu werfen und gleichzeitig in die Kamera zu lachen und zu winken. Dafür gehören die Verantwortlichen eigentlich nach Sibirien geschickt oder ins All geschossen!

H.H.: Also weg mit den schwarzen Amihütchen? Das ist aber keine Forderung, die geeignet ist, außeruniversitäre Kreise oder soziale Gruppen zu erreichen – die nord, ost- und westfriesischen Bauern beispielsweise…

Salm-Schwader: Vorsicht. Die friesischen Bauern haben in ihrer Gesamtheit noch ganz andere schwarze Amihütchen mit Bommel auf – inzwischen. Und sie wissen das auch. Ich erinnere nur an den Spruch des Eider-Bauern, oder war es ein Dithmarscher?, im „Spiegel“: „Die Grünen sind schlimmer als die Gutsherren einst.“ Diese kamen dort immer von außen. So wie jetzt die Naturschützer und Biotop-Wächter im Wattenmeer, die ihr Kulturland in „Natur“ rückbauen und aus ihrer Lebensgrundlage (touristische) „Destinations“ machen. Und diese well-educated Kämpfer für ein neues Paradigma, die wurden alle in „Single-Point“ oder „-Issue“-Projekten bzw. -Organisationen geschult, kennen sich mit „Fund-Raising“ und „Sponsorensuche“ aus wie nichts und haben kompetente „Kommunikations-“ bzw. „Medienberater“ an ihrer Seite.  Es sind  Gutmenschen des Kapitals – mit finanziellem „Feed-Back“ des Kapitals. Aber auch die Bauern – in den ihnen noch gebliebenen Kuhställen und auf ihren Feldern und Weiden – sie ackern dort längst alle als Agrarmanager mit diesen schrecklichen schwarzen Bommelhütchen auf.

H.H.: Das ist mir zu undialektisch. Am 20.Januar 2010 haben wir z.B. im taz-Café eine Veranstaltung mit dem Bauernschriftsteller Matthias Stührwoldt und der Jungbauernband „Pop Metzger“, die ihnen ein anderes Bild vom agrarisch-seelischen Innenleben vermitteln könnten…

Salm-Schwader: Schlechte Beispiele: Stührwoldt kommt nicht aus Friesland, sondern von der anderen Ostsee-Seite Schleswig-Holsteins quasi, ein ganz anderer Schnack also, und die „Pop Metzger“ kommen aus Österreich…

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Unterm Strich kann man vielleicht schon so viel sagen:

Zwar geraten immer mehr bürgerliche Berufspolitiker durch die Unibesetzungen und Demonstrationen „unter Druck“ – was immer das auch heißen mag, die bürgerlichen Berufsjournalisten wiegeln dagegen eher ab: Die Studenten hinken den allgemeinen Protesten hinterher, ihre „Kampfformen“ sind wenig kreativ, ihre Forderungen ständisch-borniert usw.

Nur einige wenige antibürgerliche Berufsrevolutionäre halten dagegen: Die Bewegung befindet sich erst am Anfang, sie ist jedoch bereits dabei, sich national und transnational zu „vernetzen“. Das fällt ihr auch nicht schwer, da die Forderungen fast überall die selben sind – noch. Diesmal verläuft die Ausbreitung auch nicht wie weiland 67, sondern umgekehrt: von Mitteleuropa nach USA – in Berkeley haben die Studenten ebenfalls gerade ihren Campus besetzt, 41 wurden verhaftet.

Was aber fühlen diese aktiv gewordenen Studenten nun – um zu unserem Thema „Gefühle/Emotionen/Affekte“ zurückzukommen:

Sie fühlen sich Scheiße! Und sie haben auch allen Grund dazu – wenn man ihre jetzige Situation mit der in den Siebzigerjahren vergleicht: Keine Klausuren, keine Zensuren, kollektive Zusammenarbeit, man konnte studieren, so lange und was man wollte, man konnte sich auch einige Jahre in Afghanistan, Indien, Lateinamerika oder sonstwo rumtreiben – meditieren, kiffen und vögeln. Und es war eigentlich egal, ob man einen Abschluß machte oder nicht, denn es ging beim Studium damals primär darum, die Welt, das Leben besser zu verstehen.

Noch in den Achtzigerjahren wurde der Lehr- und vor allem Forschungsbegriff z.B. an der Freien Universität Vincennes, Paris VIII (1), aber später auch in der ersten Berliner Streetuniversity „Fischbüro“, erst in Schöneberg und dann in Kreuzberg, derart gestretcht, dass z.B. ein typischer Dialog dort am Tresen so ging:

„Machen wir noch eine Bierforschung oder eine Nachhausegeh-Forschung?“ „Ich muß erst mal eine Dönerforschung machen.“

Wie man weiß wurde daraus erst eine von Antiislamisten und Springerstiefelpresse angeheizte „Gammelfleisch“-Forschung und daraus widerum eine ganze Veganer-Scene mit eigenen Sojamilch-Cafés, Lounches, Clubs und Pubs, woraus sich wiederum die Volxküchen-Bewegung wesentlich speiste, bis hin zum taz-café, von wo aus sie dann im Verein mit dem „Prenzlberg-Feeling“ (Botho Strauss) langsam aber sicher  in Loha-Seichtigkeit überging – und sich dann partymäßig völlig verpisste. Der Weg allen Gammelfleisches. Heiraten, Kinder kriegen und sich gesund ernähren.

So weit sind wir hier und heute aber noch nicht. Und ob es jemals wieder so weit kommt, ist unter gewöhnlich gutunterrichteten Unigreisen z.Zt. durchaus umstritten.

(1) In Vincennes boten die Philosophiedozenten Schérer und Hocquenghem z.B. ein „Seminaire sur les mots ‚too much‘ et ‚good vibrations'“ an – um den amerikanischen „Drop-Outs“ dort  entgegen zu kommen. In Vincennes konnte damals jeder studieren – auch ein Analphabet, und wenn er unbedingt wollte, auch ein „Diplome libre“ ausgestellt bekommen – um u.a. seine Eltern zu erfreuen. Die Amis denken/fühlen ja so verrückt!

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2009/11/26/gefuehleemotionenaffekte_2/

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kommentare

  • Aber nicht alle sind nach Hause gefahren. Weil ich am 24.12. als Aushilfshausmeister die Post in der taz verteilen mußte, wo ansonsten an dem Tag bis auf sechs Leute niemand arbeitete, fiel mir eine Weihnachtspostkarte aus Regensburg – adressiert an die redaktion – auf:

    Liebe taz,

    die Uni Regensburg ist seit über einen Monat besetzt und will über Weihnachten durchhalten, obwohl uns Strom und Heizung abgeschaltet werden. Wir waren immer friedlich und schufen eine Uni, wie sie sein sollte, eine große WG.

    Nun gibt es die Gefahr einer gewaltsamen Räumung kurz vor Weihnachten. Wir würden uns auf einen Besuch von Ihnen freuen. Vielleicht sind wir der erste Protest, der auch Weihnachten übersteht…Frohes Fest.

    Die Studierenden des besetzten H 2

  • Der erste taz-Trendscout Christian Specht, inzwischen abgelöst von einer ganzen neuen taz-Abteilung – „bewegung.de“ genannt, der Holzjournalist Specht also weigerte sich bis Weihnachten und wahrscheinlich darüber hinaus, zu den Studenten zu eilen. Er hält nichts von ihnen. Sie sind zu faul, sagt er, und ihr Streik war gar kein richtiger Streik. Es ist das erste Mal, dass ich ihm nicht glaube, aber ich glaube zu wissen, dass er ganz von der Parteipolitik vereinnahmt worden ist inzwischen, außerdem bereitet er sich jetzt schon auf die Bezirkswahl 2011 vor, bei der er als Parteiloser in Kreuzberg kandidieren will, d.h. er sammelt bereits Getreue um sich, die ihm spätestens ab Ende 2010 als schlagkräftige Wahlhelfertruppe dienen sollen. Anders als Obama will der als Rampensau und Anarch dem geschriebenen Wort skeptisch gegenüberstehende Analphabet Specht sich dabei weniger auf das Internet als auf Flüsterpropaganda verlassen. Das erklärt vielleicht auch wenigstens ein bißchen seine plötzliche Campus-Aversion: Dort hängt alles voller Texte! Der studentische „Kampf“ besteht vor allem aus einer Beschleunigung der Text-Produktion.

    Kein Wunder, dass die Aktivisten jetzt erst einmal – über Weihnachten, wie es heißt, erschöpft nach Hause gefahren sind, wo sie ein paar Tage in völliger rustikaler Reizüberflutung vor sich hindämmern können.

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