Noch ein interessanter arabischer Newsblog: “angryarab.blogspot.com”. Und ein Veranstaltungshinweis – der Berliner “Literaturwerkstatt”:
Eine Welt im Aufbruch: Arabische Poesie beim poesiefestival berlin
Am 18.6.2011 kommen im Rahmen des poesiefestival berlin Dichter aus arabischen Ländern zu Wort.
Die Arabische Welt ist im Aufbruch, wohin ist ungewiss. Auch Dichter haben bei diesen gesellschaftlichen Veränderungen eine wichtige Funktion. Sie sind Sprachrohr, Gallionsfiguren, Vermittler, Beobachter oder Agitatoren – bisweilen auch wider Willen.
Mit ihren Werken reagieren sie dabei auch auf die aktuellen Geschehnisse, ihre Position ist dabei nicht immer ungefährlich. Am 18.6.2011 sprechen in einem Colloquium im Rahmen des poesiefestival berlin Dichter aus Ägypten, Bahrain, Libanon, Libyen und Tunesien über ihre Sicht der Ereignisse, ihre Visionen und die Rolle von Kunst beim Umsturz der Gesellschaften.
Im Anschluss präsentieren sie ihre Werke in Lesung, Performance und Rap. Mit dabei sind Ali Al-Jallawi (Bahrain), Deeb (Ägypten), El Général (Tunesien), Hend Hammam (Ägypten), Hind Shoufani (Libanon) und Abdouldaim Ukwas (Libyen).
Sein Song «Rais Lebled» (Chef meines Landes) wurde die Hymne des Umsturzes in Nordafrika. Er wurde inhaftiert, doch seine Texte waren bereits zu populär, um noch unterdrückt zu werden. Der tunesische Rapper El Général ist die Stimme des Protestes und verlieh der revoltierenden Jugend Wort, Klang und Rhythmus.
Schon mit siebzehn Jahren wurde Ali Al-Jallawi aufgrund eines Gedichtes verhaftet, mit dem er die politische Situation in Bahrain kritisierte. Mittlerweile fokussiert er in seinen Werken weniger auf politische Missstände, als auf allgemeine philosophische Aspekte des Daseins.
Die Rap- und Hip-Hop-Szene im Nahen Osten spielt nicht erst aktuell eine große Rolle im Leben der Jugendlichen. Auf Spoken-Word-Bühnen finden sie ein Ventil, um ihrer Wut Luft zu machen, in der Form von narrativen mündlichen Performances eine Möglichkeit, die Zensur zu umgehen und gesellschaftspolitische Kritik zu üben. Nicht im Hocharabisch traditioneller Dichtkunst, sondern in der Umgangssprache weisen sie auf die Probleme des Alltags hin. Mit der Performerin Hend Hammam und dem Rapper Deep sind zwei Vertreter der jungen Kairoer Szene zu Gast.
Die stete Verbindung mit seinem Heimatland Libyen ist in den Werken Abduldaim Ukwas zu finden, der vor wenigen Jahren nach England emigrierte. Für ihn ist seine Poesie ein Instrument, um indirekt Widerstand zu leisten.
Hind Shoufani aus dem Libanon studierte in New York. Sie schreibt auf Englisch – eine der Möglichkeiten, die immer mehr arabische Autoren ergreifen, um ein größeres Publikum anzusprechen und um der Zensur zu entgehen. Als palästinensische Libanesin findet sich in ihrer politischen Lyrik die Auseinandersetzung mit dem jahrzehntelang andauernden Konflikt im Nahen Osten wieder.
Das poesiefestival berlin findet statt vom 17. – 24. Juni 2011. Das vollständige Programm erfahren Sie unter http://www.literaturwerkstatt.org
Das poesiefestival berlin wird gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds und findet statt in Kooperation mit der Akademie der Künste.
Sa 18.6.2011, 18.00 Uhr
Colloquium: Neue Arabische Welt
Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin
Mit: Ali Al-Jallawi (Bahrain), Deeb (Ägypten), El Général (Tunesien), Hend Hammam (Ägypten), Hind Shoufani (Libanon), Abdouldaim Ukwas (Libyen)
Moderation: Arian Fariborz Politologe, Islamwissenschaftler und Journalist, Köln
So 18.6.2011, 20:00
Neue Arabische Welt
Mit Ali Al-Jallawi (Bahrain), Deeb (Ägypten), El Général (Tunesien), Hend Hammam (Ägypten) Hind Shoufani (Libanon), Abdouldaim Ukwas (Libyen)
Moderation: Pyranja (Rapperin, Journalistin, Berlin)
In der nächsten Zeit finden darüberhinaus drei große antikapitalistische Kongresse statt:
1. An der Humboldt-Universität ein philosophisch-akademischer mit dem Titel „Re:Thinking Marx“ (vom 20.- 22. Mai)
2. An der TU ein ökologischer – der Attac-Kongreß „Jenseits des Wachstums“ (vom 20.-22.Mai)
3. In der Alten Feuerwache Kreuzberg der politische Kongreß „Marx is muss“, organisiert von der Gruppe „Marx 21“ und der Rosa-Luxemburg-Stiftung (vom 2.-5.Juni)
Hier gibt es zwei Veranstaltungen über die Arabischen Aufstände:
a) „Die Arbeiterklasse und ihr Potential in der Ägyptischen Revolution“ (ohne namentlich genannte Referenten)
b) „Die Revolte im Arabischen Raum“ (mit Werner Ruf, Politologe aus Kassel, Gigi Ibrahim, Bloggerin aus Ägypten, und Mona Dohle, Journalistin in Kairo). Von ihr findet sich bereits folgender Text auf der Kongreß-Webseite:
Ägypten: vom „weltbesten Reformer“ zum Revolutionär?
Der Einfluss der IMF Politik auf die Radikalisierung der ägyptischen Arbeiter
Ein Gespenst geht um in der arabischen Welt. Das Gespenst der Revolution. Zusammen mit den korrupten arabischen Diktatoren fällt das Bild, das der Westen bis jetzt von der arabischen Welt hatte. „Demokratie ist ein westliches Konzept, im Nahen Osten sind die Leute noch nicht so weit“ hörte man oft im Zusammenhang mit der Befreiung Iraks. Die arabische Welt wurde als ein konstantes Phänomen behandelt. Dominiert von patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen schien sie auf ewig zur autoritären Herrschaft verdammt. Gleichzeitig waren es gerade diese undemokratischen Strukturen die Länder wie Ägypten zu willkommenen Partnern im Prozess der wirtschaftlichen Liberalisierung machten. Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) oder die Weltbank profitieren von der Zusammenarbeit mit dem korrupten Mubarak Regime. Im Jahr 2007 bezeichnete die Weltbank Ägypten als den „weltbesten Reformer“. Wer heute hunderttausende mutige Bürger auf dem Tahrir Platz im Zentrum Kairos sieht kann sich der Ironie dieser Aussprache nicht entziehen. Ägypten scheint sich vom weltbesten Reformer zu einer revolutionären Nation gewandelt zu haben. Wie konnte es so weit kommen? Rosa Luxemburg beschrieb in ihrem Buch „Sozialreform oder Revolution“ die Bedeutung der Anpassungsmittel des Kapitalismus. Kreditvollstreckung, Kartellbildung und die Ausbreitung der Absatzmärkte werden von Unterstützern des Kapitalismus als Methoden gesehen um den Kapitalismus krisensicher zu machen. Rosa Luxemburg bewies das Gegenteil: Sie bezeichnet gerade diese „Anpassungsmethoden“ als „Vernichtungsmittel“ des Kapitalismus mit „revolutionärer Wirkung“. So ähnlich lässt sich auch die IMF Politik in Ägypten analysieren.
Ägypten ist das Geburtsland des Arabischen Sozialismus, einer staatskapitalistischen Ideologie. In den letzten Jahrzehnten wurde es allerdings unter Druck des IMF und der USA in ein Labor für neoliberale Experimente in der arabischen Welt verwandelt. Die staatskapitalistische Wirtschaft sollte dem Dogma des Neoliberalismus angepasst werden. Stattdessen scheint allerdings gerade dieses Dogma sein eigenes Grab zu graben. Ein Blick auf die ägyptische Geschichte illustriert diesen Prozess.
Der Klassenkampf in Ägypten hat eine lange Tradition. Eine Arbeitsniederlegung von Pyramidenbauern um 1200 vor Christus ist der erste historisch dokumentierte Streik….http://marxismuss2011.files.wordpress.com/2011/05/mim-reader_revolution.pdf
Auf dem „Marx is muss“-Kongreß wird außerdem der Film „Marx reloaded“ gezeigt, der auch schon nach dem Hegel-Vortrag von Slavoj Zizek in der Volksbühne gezeigt wurde. Der „altmodische Marxist“ befindet sich seit einiger Zeit auf einer Art „Weltournee mit Hegel“:
Auf „YouTube“ finden sich bereits Dutzende Videos mit Hegel-Vorträgen von Slavoj Zizek, dem slowenischen Philosophen, der heuer die Steglitzer Jeunesse d’argent ganz besonders begeistert. Wenn er über Hegel doziert, dann trägt er stets ein braunes T-Shirt und faßt sich alle paar Minuten an die eigene Nase. Slavoj Zizek ist in Sachen Hegel quasi ständig unterwegs, in diesem Jahr tritt er damit sechs Mal allein in Berlin auf. Am letzten Donnerstag trug er in der überfüllten Volksbühne vor. Draußen verteilten einige Anti-Antisemiten Flugblätter, in dem sie Zizek des Antisemitismus bezichtigten, an einem Fanstand konnte man kleine Fläschchen mit Zizeks Schweiß erwerben – aufgefangen im „Humanities Center der Freien Universität“ während seines letzten Vortrags „Kann man heute noch Hegelianer sein?“ Der in der Volksbühne hieß: „Hegels Grenzen“.
Zwar gab es dort auch Einwegfeuerzeuge zu kaufen, auf denen der „nichtpraktizierende lacanianische Psychoanalytiker“ (Wikipedia) sein T-Shirt abstreift, wenn man sie kippt, aber natürlich schwenken seine Steglitzer Facebook-Freunde in der Dunkelheit der Vortragssäle niemals Feuerzeuge – brennend, sondern halten bloß ihre erleuchteten Smartphones hoch, die sie sanft hin und her bewegen. Das Volksbühnen-Stammpublikum besteht schon seit langem aus Steglitzern (und z.T. Wilmersdorfern). Direkt an ihre Adresse gerichtet meinte Zizek, der in seinen „Hegel-Lectures“ stets auf alles zu sprechen kommt: „Lifestyle-Ökologie ist Ok, hilft aber kein bißchen.“ Und selbstverständlich ließ er auch am Neoliberalismus kein gutes Haar, wobei er sich das Deleuzesche Bonmot „From Plato to Nato“ nicht verkniff. Die „Dialektik“ arbeitete er diesmal, wenn ich das richtig verstanden habe, am Beispiel des „Kaffees mit Sahne bzw. Milch“ heraus, und unter der „List der Vernunft“ verstand er eigensinnigerweise: „Irgendetwas geht immer schief“.
Natürlich bekamen auch Trotzki, Chavez und Chomsky ihr Fett weg. Aber als er begann, sich ausführlich über den „18.Brumaire“-Text von Marx auszulassen, stupste mich eine Neuköllner Facebook-Freundin an und flüsterte: „Den kennt doch kein Schwein mehr in Steglitz.“ Und in der Tat fing das Handy- und Iphonehochhalten erst wieder an, als Zizek auf die „Exzesse der Negativität“ und des „Rebellen“ zu sprechen kam. Den größten Zwischenapplaus erhielt er jedoch für seinen Exkurs über die Liebe, weil der einen ebenso zündenden wie bündigen Witz über den „Ehe-Vertrag“ enthielt. Zuletzt ging er auch noch ausführlich auf den Antisemitismusvorwurf ein, indem er Hegel auf Israel und Palästina anwandte, wie man so sagt. Die Araber sind für die Israelis das, was die Indianer für die weißen Amerikaner waren – oder so.
Kurzum, es war mal wieder ein ebenso gelungener wie kostenloser Abend, zumal Zizek, belagert geradezu vom Steglitzer Amüsierpöbel, ständig auf dem Hegelschen Begriff des „Pöbel“ herumritt: „Wie nun auf der einen Seite die Armut zum Grunde liegt zur Pöbelhaftigkeit, der Nichtanerkennung des Rechts, so tritt auf der anderen Seite in dem Reichtum ebenso die Gewinnung der Pöbelhaftigkeit auf.“ In anderen Worten – und mit Nietzsche gesagt: „Pöbel oben – Pöbel unten!“ Hegel geht aber noch weiter: „Die Armut an sich macht keinen zum Pöbel, dieser wird erst bestimmt durch die mit der Armut sich verknüpfende Gesinnung“ – welche den Pöbel dazu verführt, sich „gegen die Reichen, die Gesellschaft, die Regierung usw. zu empören“.
Der wahre Pöbel ist also der Rebell, der aufständische Araber, um im Aktuellen zu bleiben, denn hierzulande gibt es diesen Hegelschen Staatsfeind ja kaum noch, wir müssen ihn also schon im Globalen suchen: „Das Ganze ist das Wahre!“ Und deswegen muß man laut Zizek, wenn man über „Singapur“ redet, auch zugleich den kaputten „Kongo“ thematisieren. Und wenn man über die die Töchter eines Formel-1-Impresarios spricht, die 130 Millionen Euro in einem halben Jahr verballern und an acht Orten gleichzeitig leben, oder darüber, dass man mit Gentechnik sein Erbgut verbessert und seine Kinder von einer Leihmutter austragen lässt, dann darf man nicht vergessen, das gleichzeitig an der Krankenversorgung der Armen gespart wird… Zizek ist natürlich auf Seiten der Rebellen, das machte er bereits im März auf „Al Dschasira“ in einem wunderbaren TV-Streitgespräch mit Tariq Ramadan klar, aber auch die „Steglitzer“ sind eigentlich voll Ok – wenn man mal über Hegels Grenzen hinausgeht.