Die Läufe der einzelnen Länder
Ägypten: Vorgestern wurde die deutsche Öffentlichkeit mit dem ungeheuren Verdacht konfrontiert, dass die tödliche E.Coli-Mutation „EHEC“ aus Ägypten komme. Quasi zur Beruhigung wurde jedoch die Empfehlung, keine „Sprossen“ mehr zu essen, beibehalten.
Reuters berichtete: „EHEC soll auf Bockshornkleesamen aus Ägypten zurückgehen. Sowohl Fälle in Deutschland als auch Frankreich seien auf importierte Ware aus Ägypten zurückgeführt worden, teilte die europäische Gesundheitsbehörde ECDC am Mittwochabend mit.“
Zum Glück gehört Bockhornklee nicht zu den Hauptexportartikeln des Nil-Landes.
AFP meldet aus Ägypten: „Ungeachtet des gewaltsamen Vorgehens der ägyptischen Sicherheitskräfte gegen Proteste auf dem Kairoer Tahrir-Platz haben hunderte Demonstranten am Donnerstag erneut den Platz besetzt. Viereinhalb Monate nach dem Sturz von Präsident Husni Mubarak errichteten sie wieder Zelte auf dem Platz, der Anfang des Jahres Hauptschauplatz der Proteste gewesen war. Zu der Aktion hatten Demokratie-Aktivisten aufgerufen, nachdem es am Dienstag und Mittwoch bei Protesten auf dem Platz zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen war.
Die Protestaktion soll der Forderung der Opposition nach einem energischeren Vorgehen der Justiz gegen Vertraute von Mubarak Nachdruck verleihen. Insbesondere die Tatsache, dass der Prozess gegen den früheren Innenminister Habib el Adli wegen der Tötung von mehr als 800 Menschen während des Volksaufstands noch immer auf sich warten lässt, sorgt für Unmut.
Zudem vertagte am Donnerstag ein Gericht in Alexandria einen Prozess auf Ende September, in dem sich zwei Polizisten wegen des Tods des Bloggers Chaled Said verantworten müssen. Ihnen wird vorgeworfen, den jungen Mann im Juni 2010 totgeprügelt zu haben. Dieser Vorfall hatte eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung gegen die Regierung gespielt.“
Der italienische „Il Messagero“ kommt zu dem Ergebnis: „die ägyptische Revolution ist noch unvollendet. Und die jüngsten Ereignisse, die gewalttätigsten seit April, bestätigen, dass der Übergang in dem Land noch einen Weg bergauf vor sich hat.“
Übergang worüber? Über den Nil, den Jordan, hin zu einer Demokratie nach westlichem Vorbild, mit jede Menge individualistischen Freiheitsrechten – im Vergleich zu Oberägypten etwa? Wenn man das 1992 erschienene Buch des in Harvard lehrenden syrischen Politikwissenschaftlers Bassam Tibi „Islamischer Fundamentalismus, moderne Wissenschaft und Technologie“ liest, dann will das wissenschaftliche Establishment in Kairo genau das nicht – nur die Waffen lassen sich nach Meinung der „Fundis“ problemlos, d.h.ohne den Glauben zu verletzen, in das islamische Denken integrieren. Und darum geht es laut Tibi auch beim Aufstand der Araber gegen „die Moderne“, da „bei der Globalisierung dieses Projekts nur die Überlegenheit europäischer Waffen als technisch-wissenschaftliche Modernität, d.h. als Instrument der Herrschaft übrig blieb.“ (Für Bassam Tibi bildet der religiöse Fundamentalismus die ideologische Hauptströmung in der arabischen Welt, und natürlich im Iran.
Von dort meldet die FAZ heute: „Iran strebt nach Atombombe“ – das haben „Sicherheitskreise“, die darüber sehr „beunruhigt“ sind, herausgefunden. Demnächst zetteln diese „Kreise“ noch eine regelrechte „Demo“ mit „Flugis“ an – gegen die „islamische Atombewaffnung“, die es in Pakistan ja bereits gibt.
In der selben FAZ-Ausgabe findet sich allerdings auch Beruhigendes – in einem Artikel über Athen, der beunruhigenderweise aus Istanbul kommt: „Straßenschlachten gab es in Athen auch schon vor der Krise.“ Es herrscht also quasi business as usual – in Griechenland.
Dpa veröffentlicht dazu heute einige Kommentare von Griechenland-Touris auf Rhodos: „Geredet wird viel über das Thema. Die deutschen Urlauber schwanken dabei zwischen Mitleid und Häme. In den Hotelanlagen, wo die Touristen unter sich sind, äußern sich einige wenig schmeichelhaft über ihre Gastgeber. Über deren „Schlamperei“ ärgert sich Dieter Fuchs und meint: „Es müsste was passieren in Griechenland.“ Und Adrian Vissers aus Worms findet: „Man muss schon selber gucken, dass man sein Land am Laufen hält.“
Wird da der Individualismus und seine Fähigkeiten – sein „Könnens-Bewußtsein“, wie Bassam Tibi das kreative westliche Pendant zur dumpfen islamischen Buchgläubikeit nennt – nicht grob überschätzt?
Im Jemen versucht „man“ dagegen eher den Aufstand am Laufen zu halten – als „das Land“. Die FAZ meldet: „Sanaa hat [bereits] die Kontrolle über fünf Provinzen verloren.“
Die Zeit interviewte den Neffen des geflohenen jemenitischen Präsidenten – General Yahya Salih und fragte ihn u.a., ob Al Quaida von der „Krise“ profitieren kann:
„Al-Qaida nutzt die Krise. Sie hat bereits die Städte Zinjibar und Lahj im Süden eingenommen. Ihr Ziel ist nun Aden. Die Staatengemeinschaft sollte verstehen, dass wir nicht gegen das jemenitische Volk kämpfen, sondern gegen den Terror.“
Und in der Tat haben insbesondere die USA und Saudi-Arabien ein starkes Interesse daran, dass wieder Ruhe im jemenitischen Karton ist, wie mehrere Nachrichtenagenturen melden.
Dpa meldet aus Libyen: „Die libyschen Rebellen haben Deutschland um Hilfe für Kriegsversehrte, die Freigabe von libyschem Vermögen auf Konten in Deutschland und die Lieferung von Minenräumgeräten gebeten.“ Da ist nun Adrian Vissers aus Worms wieder gefragt.
Wegen Waffen haben sich die syrischen Rebellen an Österreich gewendet – meldet dpa: „Die libyschen Rebellen haben um Waffen für den Sturz des Regimes von Muammar el-Gaddafi gebeten. „Wir brauchen Waffen, um möglichst schnell diesen Kampf zu gewinnen“, sagte der Vorsitzende der Übergangsregierung der Aufständischen, Mahmud Dschibril bei einem Besuch in Österreich. England schickt Polizeiausrüstung.“ Da kann eigentlich nichts mehr schief gehen – mit dem Übergang Libyens in die westliche Moderne.
Die taz meldet aus Libyen:
Der Trainer, der Torwart und 16 weitere Spieler der libyschen Fußballnationalmannschaft haben sich den Rebellen in Bengasi angeschlossen. Das erklärte Abdel Hafidh Ghoga, ein Sprecher der Rebellen. Die Spieler hätten sich auf dem Weg zu einem Spiel in Mali abgesetzt und seien nach Tunesien gereist.
In einer Videobotschaft, die auf der Facebook-Seite der Opposition veröffentlicht wurde, erklären mehrere der nicht namentlich genannten Spieler, dass sie die Rebellen in den westlichen Nafusa-Bergen besucht hätten, um ihnen ihre Unterstützung zu zeigen. Einer von ihnen sagte, dass sie schon von Beginn an mit der Rebellion solidarisch waren. „Wenn Gott will, wird Tripolis von diesen Bergen aus befreit“, sagte ein anderer.
Aus Beirut meldete AP heute kurz nach dem Freitagsgebet: „Im Osten Syriens haben am Freitag wieder zehntausende Menschen gegen die Herrschaft von Präsident Baschar Assad protestiert. Die Demonstranten hätten in mehreren Städten und Ortschaften den Rücktritt Assads gefordert, berichtete der Menschenrechtler Mustafa Osso.
Im Nordwesten des Landes gingen die Streitkräfte weiter gegen Ortschaften an der Grenze zur Türkei vor, wie ein anderer Menschenrechtsaktivist mitteilte, der in London ansässige Rami Abdul-Rahman. Dabei seien in der Region Dschabal al Sawija drei Menschen getötet worden.“
Auch hier versucht man weiterhin erfolgreich, den Lauf des Landes empfindlich zu stören – AFP meldet: „In der syrischen Großstadt Aleppo haben hunderte Menschen gegen die Regierung von Präsident Baschar el Assad demonstriert. Die Sicherheitskräfte seien mit Gewalt gegen die Proteste vorgegangen und mehrere Menschen seien verletzt worden, sagte der Präsident der syrischen Menschenrechtsliga, Karim Abdel Rihaui. Ein anderer Aktivist sagte, Kämpfer des Regimes hätten sich unter die Demonstranten gemischt. Zu den Protesten hatte eine Oppositionsgruppe auf Facebook aufgerufen. Das im Nordwesten Syriens gelegene Aleppo ist die zweitgrößte Stadt und das wirtschaftliche Herz des Landes.“
Aus dem Libanon meldet dpa:
Das UN-Tribunal für die Aufklärung des Attentates auf den libanesischen Politiker Rafik Hariri 2005 hat nach jahrelangen Ermittlungen am Donnerstag in Beirut die Anklageschrift übergeben. Nach Angaben aus libanesischen Justizkreisen enthält sie Haftbefehle für vier Mitglieder der militanten Schiiten-Bewegung Hisbollah. Unter den Verdächtigen soll auch Mustafa Badreddin sein, ein Schwager des früheren Hisbollah-Kommandeurs Emad Mughnija, der in Damaskus 2008 durch einen Bombenanschlag ums Leben gekommen war.
Aus Jordanien meldet AP:
Wütende Demonstranten haben am Donnerstag das Parlament in Jordanien mit Eiern beworfen und die Entlassung des Ministerpräsidenten sowie aller Abgeordneter gefordert. Dutzende Teilnehmer des Protests lieferten sich Schlägereien mit Polizisten, die Kundgebung ging aber friedlich zu Ende.
Grund für den Ärger der Demonstranten war eine Entscheidung des Parlaments, Ministerpräsident Maruf al Bachit sei entgegen anderslautender Vorwürfe während seiner früheren Amtszeit von 2005 bis 2007 nicht an einem Casino-Skandal beteiligt gewesen. Damals hatte das Kabinett die erste Spielhalle des Landes genehmigt – im Widerspruch zu den islamischen Gesetzen.
Aus Marokko meldet dpa:
Die Marokkaner entscheiden heute (Freitag!) über eine neue Verfassung. König Mohammed VI. wird mit der Reform einen Teil seiner Machtbefugnisse abgeben. Viele Marokkaner sehen darin einen historischen Wandel. Anderen geht die Reform nicht weit genug, denn der 47-jährige Monarch bleibt der wichtigste Machtfaktor in der marokkanischen Politik. Alle im Parlament vertretenen Parteien von den Sozialisten, über die Nationalisten bis hin zu gemäßigten Islamisten rufen die Bevölkerung auf, mit „Ja“ zu stimmen. Man geht daher davon aus, dass die Reform mit großer Mehrheit gebilligt wird. Mit der Reform will Marokko vermeiden, in den Sog der Umstürze in Tunesien und Ägypten zu geraten.
Aus Algerien kam zuletzt folgende Nachricht – von dpa:
Knapp ein Jahr nach Frankreichs Vorrunden-Aus bei der Fuball-WM kann Nationaltrainer Raymond Domenech auf einen neuen Trainerjob hoffen. Der frühere Coach der „Équipe tricolore“ habe ein Angebot erhalten, die Auswahl Algeriens zu trainieren, teilte die Beratungsagentur von Domenech am Montag in einem Schreiben an die Nachrichtenagentur AFP in Paris mit und bestätigte damit algerische Medienberichte. Domenech habe Sympathie für Algerien, hieß es. Der französische Trainer würde die Nachfolge von Abdelhak Benchikha antreten, der nach der 0:4-Schlappe Algeriens in der Qualifikation für den Afrika-Cup 2012 gegen Marokko zurückgetreten war.
Aus Gaza berichtet AP:
1. Ein israelisches Regierungsmitglied hat die Organisatoren der geplanten Gaza-Hilfsflotte zum Verzicht auf ihr Projekt aufgerufen. Israel sei auf das Schlimmste vorbereitet, wenn es um den Versuch gehe, die Flotte am Erreichen des Gazastreifens zu hindern, sagte Informationsminister Juli Edelstein am Mittwoch. Die Aktivisten sollten ihre Fracht – Medikamente und Baumaterial – stattdessen über einen israelischen Hafen in das Autonomiegebiet bringen.
2. Der Gouverneur von Texas, Rick Perry, hat rechtliche Schritte gegen amerikanische Gaza-Aktivisten gefordert. Perry schrieb am Mittwoch an US-Justizminister Eric Holder, amerikanische Staatsbürger sollten daran gehindert werden, sich an dem Versuch, die israelische Seeblockade des Palästinensergebiets zu durchbrechen, zu beteiligen. Wenn sie an der Aktion teilnähmen, sollten sie strafrechtlich verfolgt werden. Das Bundesrecht verbiete es amerikanischen Staatsbürgern, Seeaktionen gegen ein befreundetes Land durchzuführen. Zwei Schiffe unter US-Flagge wollen an der Gaza-Hilfsflotte teilnehmen.
Die Junge Welt berichtet über die Gaza-Flotte aus Korfu:
Korfu. In der Nacht zum heutigen Freitag hat es offenbar auch einen Sabotageversuch an dem Schiff »Stefano Chiarini« gegeben, nachdem zwei andere Schiffe der internationalen Solidaritätsflottille für den Gazastreifen im Lauf der Woche bereits beschädigt worden waren. Diesmal sei rechtzeitig Alarm geschlagen worden und kein Schaden entdeckt worden, als ein Taucher die Unterseite des Schiffes inspizierte, sagte eine deutsche Passagierin am frühen Nachmittag gegenüber jW. Das multinational besetzte Teilnehmerschiff der »Free Gaza«-Flottille liegt zur Zeit in einem Hafen der griechischen Insel Korfu.
Gegen 4:20 Uhr kam laut Elfi Padovan ein kleines Boot in die Nähe der »Stefano Chiarini«, und Luftblasen stiegen aus dem Wasser auf. »Als das Boot von unserer Nachtwache entdeckt wurde, fuhr es mit großer Geschwindigkeit davon. Wir haben sofort die Küstenwache alarmiert und ein Taucher hat nachgesehen, konnte aber keine Schäden an dem Schiff entdecken. Wahrscheinlich haben wir einfach Glück gehabt, daß so schnell Alarm geschlagen wurde.« Zwei Schiffe sind durch Sabotage bereits ausgefallen. Wann die sieben bis acht verbliebenen Schiffe nach Gaza auslaufen, blieb wegen behördlicher Verzögerungen weiterhin unklar.
Aus Tunesien berichtet dpa:
Der zweite Prozess gegen den gestürzten tunesischen Diktator Zine el Abidine Ben Ali ist wegen eines Richterstreiks verschoben worden. Die Verhandlung in Abwesenheit werde erst am kommenden Montag beginnen, teilte die tunesische Justiz am Donnerstag in Tunis mit. Hintergrund seien seit Dienstag andauernde Richterproteste. Mit ihnen sollen Veränderungen im Justizministerium erzwungen werden.
Tunesien rechnet seit diesem Monat juristisch mit seinem nach Saudi-Arabien geflüchteten Langzeitherrscher Ben Ali ab. In einem ersten Prozess war der 74-Jährige am 20. Juni wegen Veruntreuung von Staatsvermögen zu 35 Jahren Haft und einer Geldstrafe in zweistelliger Millionenhöhe verurteilt worden. In dem nun für Montag angesetzten Verfahren soll es um illegalen Waffen- und Drogenbesitz gehen. Zudem wird Ben Ali vorgeworfen, unregistrierte archäologische Schätze gehortet zu haben.
Weitere Prozesse sollen in den kommenden Monaten folgen. Insgesamt geht es um mehr als 90 Strafsachen. Wegen Tötungs- und Folterdelikten könnte Ben Ali vor einem Militärtribunal sogar die Todesstrafe drohen. Dass er jemals zur Rechenschaft gezogen werden kann, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Saudi-Arabien reagierte bislang nicht auf Auslieferungsgesuche.
Aus Bagdad meldet AFP:
„Der Juni war der bislang tödlichste Monat in diesem Jahr im Irak. Bei Gewalttaten wurden 271 Menschen getötet, wie am Freitag aus einer gemeinsamen Auflistung der irakischen Ministerien für Gesundheit, Verteidigung und Inneres hervorging. Bei Angriffen wurden demnach 155 Zivilisten, 77 Polizisten und 39 Soldaten getötet. Nicht eingerechnet in die Opferzahl sind die 25 Aufständischen, die den Angaben zufolge im Juni getötet wurden. 454 Menschen wurden bei Angriffen verletzt.“
Reuters meldet unter dem Doppelstichwort „Iran/Saudi-Arabien“ Neues über den Kampf zwischen Sunniten und Schiiten:
„Saudi-Arabien hat gegenüber der Nato einem Zeitungsbericht zufolge die Entwicklung eigener Nuklearwaffen für den Fall angekündigt, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangt. Der in London erscheinende „Guardian“ berichtete am Donnerstag, das Mitglied der Herrscherfamilie Prinz Turki al-Feisal habe bei einem Treffen mit Nato-Vertretern erklärt, sein Land werde in diesem Fall eine Politik verfolgen, die dramatische Konsequenzen haben könne. Der frühere Geheimdienstchef und Botschafter seines Landes in Washington und London nannte dem Bericht zufolge keine weiteren Details. Das Blatt zitiert aber einen ungenannten Vertrauten des Prinzen mit der Aussage, Saudi-Arabien könne nicht mit einem Iran leben, der atomar bewaffnet sei. „Wenn Iran Atomwaffen entwickelt, müssen wir dem folgen“, zitierte der „Guardian“ den ungenannten Regierungsvertreter.“
In der taz berichtete vorgestern Peter Böhm über die „Schwarzfahrerinnen“ in Saudi-Arabien:
In den vergangenen zehn Tagen ist Sara al-Chalidi mit ihrer Mutter jeden Tag mit dem Auto gefahren. „Na gut, stimmt nicht ganz. Einen Tag hatten wir keine Zeit“, präzisiert die 30-Jährige, aber die Genugtuung in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Die beiden Frauen haben jeweils Bücher, eine Zahnbürste und frische Unterwäsche mitgenommen. Falls sie doch festgenommen werden sollten. Aber bisher ist nichts Aufregendes passiert. „Die Saudische Regierung sagt immer, unsere Gesellschaft ist sehr konservativ und das Fahrverbot ist mehr eine soziale Restriktion als eine gesetzliche, aber das ist Unsinn“, sagt die Studentin, die ihren Master macht. „Die Reaktion der Männer war fast ausschließlich positiv. Die meisten zeigen uns den nach oben gerichteten Daumen oder das V für Sieg.“ Nur einmal habe die beiden die Polizei gestoppt, nachdem ihnen ein Auto gefolgt sei, dessen Fahrer sie denunziert hat. „Der Polizist riet uns, besser am Abend zu fahren. Er war eindeutig auf unserer Seite!“
Sara al-Chalidi ist eine von rund 60 Frauen, die seit dem Beginn der Kampagne „Saudi Women for Driving“ am 17. Juni in Saudi-Arabien das Fahrverbot für Frauen gebrochen haben. Das ist eine erstaunliche Wendung, denn dieses Thema ist für die Religiös-Konservativen, das am besten organisierte und mächtigste politische Lager in Saudi-Arabien, von großer Bedeutung. Im Königreich ist die Bewegungsfreiheit von Frauen enorm eingeschränkt. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel, und Frauen sind auf Fahrer angewiesen, die sie oft innerhalb der Familie teilen müssen. Ohnehin brauchen Frauen die Erlaubnis ihres Vormunds für die vielen alltäglichen Erledigungen.
Außerdem ist das Fahrverbot von hoher symbolischer Bedeutung, weil es zeigt, welche Ausnahme Saudi-Arabien weltweit darstellt. Fällt es, fürchten die Konservativen, kann auch der Rest des „perfekten islamischen Systems“, wie sie es gerne nennen, schnell fallen, und einer Verwestlichung Saudi-Arabiens steht nichts mehr im Wege.
Wie antiquiert und exotisch das Fahrverbot schon vor zwei Jahrzehnten war, und wie es die Konservativen für ihre Zwecke benutzt haben, zeigt der Fall der 47 Frauen, die im Jahr 1990 aus Protest gegen das Fahrverbot mit dem Auto ein paar Runden in der Riader Innenstadt gedreht haben.
Aischa al-Ghamdi (Name geändert) war eine von ihnen. Sie ist in den fünfzigern. Ihren Namen will sie nicht in einer Zeitung veröffentlicht sehen, denn sie ist ein gebranntes Kind. „Ein Artikel ist es nicht wert, seinen Lebensunterhalt aufs Spiel zu setzen“, sagt sie.
Die Frauen, die damals fuhren, wurden verhaftet, aus ihren Jobs entlassen und erst zweieinhalb Jahre später wieder eingestellt. So lange durften sie auch das Land nicht verlassen. „Im Prinzip leiden wir heute noch darunter. Alle Frauen wurden nicht befördert. Das hat unser Leben geprägt“, sagt sie. Dennoch will sie die Erfahrung nicht missen. „Das war das Beste, das ich je in meinem Leben gemacht habe“, sagt sie trotzig. Und: „Ja, ich würde es wieder tun.“
Inspiriert war der Protest damals von den amerikanischen GIs, die nach dem ersten Golfkrieg in Saudi-Arabien stationiert waren. Darunter waren auch Soldatinnen, die wie selbstverständlich Militärfahrzeuge fuhren. Außerdem waren nach dem Einmarsch von Saddam Husseins Truppen in ihr Land einige tausend Kuwaitis nach Saudi-Arabien geflohen. Auch die kuwaitischen Frauen durften fahren. Nur die saudischen durften das nicht.
Um das zu ändern, setzten sich 47 Frauen in vierzehn Autos und fuhren ein paar Runden durch das Riader Geschäftsviertel. „Das war nicht als Spaß gemeint“, sagt al-Ghamdi. „Wir waren uns völlig bewusst, dass wir festgenommen werden können.“
Und so kam es. Die Frauen wurden gestoppt und auf ein Polizeirevier gebracht, wo sie von ihren Männern und Vätern abgeholt werden mussten. Ihre Protestaktion war ein Skandal. Von den Religiös-Konservativen wurden sie in den Zeitungen als „Huren“ beschimpft. Flugblätter mit ihren Namen und den Namen ihrer Ehemänner wurden verteilt.
„Vor dem Protest dachten wir, das Fahrverbot wird in zwei, drei Jahren fallen“, sagt al-Ghamdi nachdenklich. „Aber das ist jetzt 21 Jahre her und es ist immer noch gültig.“
Damals erließ der Großmufti, der oberste religiöse Geistliche des Landes, eine Fatwa, die Frauen das Fahren verbot. In den Jahren danach gab es immer wieder offene Briefe an den König, das Verbot fallen zu lassen. Einzelne Frauen brachen das Tabu, aber es hielt stand.
Im Mai kündigten einige Frauen eine Facebook-Kampagne an, mit der das Verbot infrage gestellt wurde. Die Kampagne gewann schnell über 20.000 UnterstützerInnen, und Manal al-Scharif, eine der Organisatorinnen, stellte ein Video von sich am Steuer eines Autos ins Internet. Sie wurde verhaftet und erst zehn Tage später freigelassen, nachdem sie eine Erklärung unterschrieb, in der sie sich von der Kampagne distanzierte.
Nach al-Scharifs Verhaftung stellte der stellvertretende Innenminister Prinz Ahmed sofort klar, dass seine Beamten das Fahrverbot durchsetzen würden, obwohl es nur auf einer Fatwa fußte und nicht gesetzlich festgeschrieben war. Das Innenministerium gilt als Bastion der Religiösen. Und die schienen wieder einmal gewonnen zu haben.
Doch bald zeigte sich, dass der Fall von Manal al-Scharif einen Wendepunkt darstellte. Den Ausschlag gegeben hat wohl die Flut von negativer Berichterstattung, den ihre Verhaftung in der westlichen Presse ausgelöst hat. Die Kampagne brachte Hillary Clinton dazu, die saudischen Behörden zu verurteilen. Eine Initiative, den Autohersteller Subaru aufzufordern, keine Fahrzeuge in Saudi-Arabien zu verkaufen, bis Frauen dort fahren dürfen, hat innerhalb von ein paar Tagen 47.000 Unterschriften in 148 Ländern gefunden.
Als die Kampagne dann am 17. Juni trotz al-Scharifs Verhaftung anlief, erntete sie, wie sich bald zeigte, eine erstaunliche Reaktion der Polizei. Bisher war sie nicht völlig schlüssig, sagt Eman al-Nafdschan, eine Sprecherin der Kampagne „Saudische Frauen ans Steuer“, aber keine Frau habe bisher ernsthafte Probleme mit den Sicherheitskräften bekommen. Eine Gruppe sei kurz auf einem Revier festgehalten worden, so al-Nafdschan, einige bekamen einen Strafzettel, viele jedoch kamen mit einer Warnung davon. „Als wir das letzte Mal gefahren sind, haben wir ein Polizeiauto gesehen und die Polizisten haben uns gesehen“, sagt die Sprecherin. „Die wollten uns aber nicht sehen. Wenn Sie mich fragen, hat die Regierung der Polizei gesagt, sie soll uns einfach ignorieren.“
Al-Nafdschan ist eine liberale Bloggerin (Saudi Women’s Weblog), die vor allem über die Rechte von Frauen schreibt, aber sie betont, dass die Kampagne nicht das Ziel habe, eine Revolution loszutreten. „Wir wollen eine praktische Lösung für ein Problem, unter dem saudische Frauen leiden. Das ist alles“, sagt sie. Alle teilnehmenden Frauen seien sehr verantwortungsbewusst. Die meisten seien über dreißig Jahre alt und hätten Kinder. „Alle haben einen internationalen Führerschein oder den eines anderen Landes“, sagt al-Nafdschan. Sie selbst konnte noch nicht fahren, weil sie keine Fahrerlaubnis hat. In den vergangenen Tagen gab es deshalb schon viele Fragen auf den Twitter-Seiten, über die die Kampagne hauptsächlich organisiert wird, wo und wie frau einen internationalen Führerschein bekommen kann.
Das saudische Regime hat öffentlich bisher noch keinerlei Reaktion auf die Kampagne gezeigt. Der Grund für die erstaunliche Stille in dieser in Saudi-Arabien hochpolitisierten Frage, ist wohl einfach zu verstehen. Das Königshaus ist sich nicht einig.
„In der Königsfamilie findet gerade ein heftiger Grabenkampf statt“, sagt der Menschenrechtler und Demokratieaktivist Mohammed al-Qahtani. „Seit dem Fall von Manal al-Scharif ist der internationale Druck unheimlich groß, das Fahrverbot aufzuheben, aber die Konservativen sperren sich.“
Der Königsfamilie gelingt es gewöhnlich sehr gut, die internen Spannungen nicht nach außen dringen zu lassen. Aber diesmal sind sie fast mit Händen zu greifen.
Den Anfang machte der reichste Mann Saudi-Arabiens, Prinz al-Walid bin Talal. Der New-York-Times-Kolumnistin Maureen Dowd sagte er, seine Frau fahre das gemeinsame Auto, sobald sie auf einem Flughafen in einem fremden Land gelandet seien. Dann kam seine Frau dran. In einem Interview mit dem amerikanischen Sender NBC sagte Prinzessin Amirah, es sei höchste Zeit, dass das Fahrverbot falle. Am Freitag schoss das andere Lager zurück. Eine Tochter des verblichenen Königs Saud sagte den Betreibern der Nachrichtenwebseite Svaq, die Frauen, die fahren wollten, ließen sich als Bauernopfer fremder Länder missbrauchen, die Saudi-Arabien schaden wollten.
Doch darauf, dass sich das saudische Königshaus zu einer konsistenten Entscheidung durchringt, will die Gruppe „Saudische Frauen ans Steuer“ nicht warten. Sie plant schon den nächsten Schritt. „Wir wollen das Bewusstsein für unsere Kampagne wecken, damit endlich das Fahrverbot fällt“, sagt Eman al-Nafdschef. Deshalb haben sie grüne Bänder mit der Aufschrift „Ja zu Frauen am Steuer!“ herstellen lassen. Diese wollen sie jetzt verteilen.
Gestern meldete die taz dann:
Erstmals seit dem Aktionstag am 17. Februar sind Dienstagnacht fünf Autofahrerinnen festgenommen worden, so saudische Medien. In einem Fall, über den zuerst der Journalist Jamal Banoon auf Facebook berichtet hatte, waren vier junge Frauen in der Stadt Dschidda unterwegs, als sie von Religionspolizisten festgenommen wurden. Möglicherweise haben diese dabei ihre Kompetenzen überschritten. Einem königlichen Dekret zufolge müssen die Religionspolizisten bei einer Festnahme die reguläre Polizei hinzuziehen. Letztere kassierte in Dschidda eine weitere Frau ein, deren Auto von vier Polizeiwagen umstellt und konfisziert wurde. Es war zunächst nicht klar, ob die Frauen sich noch in Haft befinden. Die Gruppe Saudi Women for Driving protestiert auf der Website Change.org in einer Petition gegen die Festnahmen.
Quasi aus der Berliner Botschaft Saudi-Arabiens berichtet die Junge Welt heute:
Als Dewi Ratnasari im Oktober 2010 eine Parfümflasche an den Kopf geworfen bekam, war für sie das Maß voll. Sie flieht mit Unterstützung zweier Helfer vor ihrem Arbeitgeber in Berlin, einem saudischen Botschaftsangehörigen und seiner Familie. Als Hausangestellte hatte sie zuvor nach eigenen Angaben 19 Monate lang von sechs Uhr morgens bis in die Nacht hinein für die siebenköpfige Familie geputzt, gekocht und gewaschen. Ohne einen freien Tag, ohne Lohn und ohne die Wohnung des Diplomaten unbegleitet verlassen zu dürfen.
Um den Fall der indonesischen Hausangestellten beim saudi-arabischen Attaché ging es am Montag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIM) und der Berliner Beratungsstelle gegen Menschenhandel »Ban Ying« unter dem Motto »Immunität für Diplomaten – gegen alles Recht?« in Berlin. Dewi Ratnasari (ihr aus Sicherheitsgründen selbstgewähltes Pseudonym) mußte im Kinderzimmer auf dem Boden schlafen und bekam nur das zu essen, was die Familie übrig ließ. Selbst von den Kindern des Diplomaten wurde die junge Frau geschlagen. Als ob das nicht gereicht hätte, nannten die Familienmitglieder sie »Scheiße«. Sie wurde überwacht und durfte keinen Kontakt zu ihren Angehörigen aufnehmen.
Anders verhält es sich mit der von Dominique Strauss-Kahn angeblich vergewaltigen Muslimin in New York – die taz spricht bereits von einer „Wende“ im Prozeß gegen den ehemaligen IWF-Chef:
Dem Zeitungsbericht zufolge hat die New Yorker Staatsanwaltschaft Zweifel an der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers. Die Ankläger glaubten nicht viel von der Aussage der Hotelangestellten, die Strauss-Kahn massive sexuelle Übergriffe während seines Aufenthalts in einem New Yorker Luxushotel vorwirft. Die aus Guinea stammende Frau habe seit dem angeblichen Vorfall am 14. Mai wiederholt gelogen. So soll sich die 32-Jährige wegen eines Asylantrags verdächtig gemacht haben und zudem in kriminelle Aktivitäten, wie Drogenhandel und Geldwäsche, verwickelt sein. Daneben soll sie in den vergangenen zwei Jahren etwa 100.000 Dollar (etwa 70.000 Euro) „von verschiedenen Einzelpersonen“ erhalten haben, berichtete die NYT. Der 62-Jährige weist die Vorwürfe, Mitte Mai die 32-Jährige Hotelangestellte in New York sexuell angegriffen zu haben, zurück.
Simone Schmollack berichtete gestern in der taz über ein Frauenhaus in Marrakesch:
…Für manche Frauen im Viertel ist Najat Oulami so etwas wie eine große Hoffnung. Die Frauen wollen ein anderes Leben, eines ohne Gewalt, Demütigung und Bedrohung. Najat Oulami will ihnen helfen, solch ein Leben zu bekommen, sie leitet die Anhörungsstelle für misshandelte Frauen im Al Amane. An manchen Tagen bitten bis zu sechs Frauen von Najat Oulami um Rat: Kann ich mich gegen meinen Mann wehren? Ich habe doch kein Geld, er hat doch alles. Kann ich ihn anzeigen? Was passiert dann mit meinen Kindern?
Das Statistische Bundesamt in Marokko schätzt, dass zwei von drei Frauen zwischen 18 und 64 Jahren von ihren Männern geschlagen, vergewaltigt und ökonomisch abhängig gehalten werden. 80 Prozent aller Gewalttaten in Marokko sollen sich im häuslichen Bereich abspielen. „Die Frauen wollen weg von ihren Ehemännern, aber sie wissen nicht, wie sie das machen sollen“, sagt Najat Oulami. „Viele glauben auch, dass es richtig ist, wenn ein Mann seine Frau schlägt. Weil das in der Tradition schon immer so war.“
Najat Oulami ist in Syba groß geworden, sie kennt die strengen Gesetze der Familie, sie spricht die Sprache der Straße. Aber sie hat gegenüber anderen einen gewaltigen Vorteil: Sie ist zur Schule gegangen und hat Jura studiert. 40 Prozent der Marokkanerinnen und Marokkaner sind Analphabeten, auf dem Land sind es sogar 70 Prozent. Woher sollen die Menschen wissen, was sich in ihrem Land verändert, welche Gesetze gelten und was inzwischen verboten ist? Und wie erfahren misshandelte Frau vom Al Amane?
Najat Oulami erzählt es ihnen. Gemeinsam mit ihrer Schwester Halima klopft sie in Syba an viele Haustüren. Halima Oulami, 34, ebenfalls Juristin, hat das Frauenzentrum vor acht Jahren gegründet. Die Oulami-Schwestern sagen den Frauen, dass ihre Männer kein Recht haben, sie zu verprügeln und zum Sex zu zwingen. Sie raten ihnen, lesen und schreiben zu lernen. Und sie erklären ihnen die Moudawana, das marokkanische Familienrecht.
Seit 2004, als das Gesetz in Kraft trat, sind beide Ehepartner gleichberechtigt für die Familie und den Haushalt zuständig, der Mann darf nicht mehr über die Frau verfügen. Männer können nicht einfach mehr die Scheidung einreichen und ihre Frauen aus dem Haus werfen. Umgekehrt dürfen Frauen sich nun auch scheiden lassen. Polygamie ist nur noch in Ausnahmefällen gestattet, das Heiratsalter wurde auf 18 Jahre heraufgesetzt.
Najat Oulami zeigt auf das Plakat mit dem friedlichen Paar. Sie sagt: „Wir machen Druck auf die Regierung, dass Männer auch tatsächlich für Gewalttaten bestraft werden.“ Halima Oulami war im Mai in der Hauptstadt Rabat. Dort hat sie beim Justiz- und Sozialministerium Vorschläge verschiedener Frauenorganisationen für die Verfassungsreform eingereicht, die der König heute am 1. Juli verkünden will: Vergewaltigung und Gewalt in der Ehe sollen künftig mit einem eigenen Gesetz bestraft werden können. Bislang werden die Delikte über das Zivil- und das Strafrecht abgehandelt. Außerdem sollen Frauen das gleiche Recht beim Erben bekommen wie Männer. Unverheiratete Mütter dürfen nicht mehr wie Aussätzige und Prostituierte behandelt werden. 11 Prozent aller Kinder werden in Marokko unehelich geboren.
Frauen wie Najat und Halima Oulami ist es zu verdanken, dass solche Themen „ganz oben“ verhandelt werden. Schon Anfang der neunziger Jahre gingen in Marokko vor allem Frauen auf die Straße, viel früher als in den anderen Ländern der „arabischen Revolution“. Der Druck von unten zwang König Mohammed VI. schon frühzeitig zu Veränderungen: mehr Demokratie, mehr Freiheit, mehr Grundrechte, vor allem für die Frauen.
So hatte Marokko im Gegensatz zu Ländern wie Tunesien, Ägypten, Syrien und Libyen während des „arabischen Frühlings“ seine „bleierne Zeit“ längst hinter sich. Mohammed VI. räumte ab 1999, als er nach dem Tod seines Vaters den Thron bestieg, mit manchen Verbrechen auf. Und er hörte sich an, was die Frauen zu sagen hatten. Das macht er seitdem regelmäßig. Er machte erstmals eine Frau zu einer Ministerin, eine weitere Frau zählt zu seinen engsten Vertrauten, und wie man hört, lässt er sich auch von seiner modernen, gleichstellungsorientierten Ehefrau beraten. Inzwischen gilt das marokkanische Familienrecht als das fortschrittlichste in der arabischen Welt.
Seit die Moudawana in Marokko gilt, tobt in dem muslimischen Land ein Kulturkampf zwischen Modernisierern und Fundamentalisten. Die einen, die Fortschrittlichen, sagen, es werde endlich Zeit für die völlige Gleichstellung der Frau, und es müsse Schluss sein mit der Gewalt in den Familien. Die anderen, die Orthodoxen, pochen auf den Koran und warnen vor einem „europäischen Lotterleben“. Selbst manche aufgeklärte Intellektuelle glauben, dass mit dem Scheidungsrecht der Familienfrieden massiv gefährdet ist. Nach Inkrafttreten der Moudawana stieg die Scheidungsrate sprunghaft an, damals ließen sich viele Frauen scheiden, die das bisher nicht konnten. Heute liegt die Scheidungsquote bei 10 Prozent.
Marokko ist ein islamisches Land. „Hier kann man nicht einfach Tabula rasa machen“, sagt Aicha el Hajjami. Sie ist Professorin für öffentliches Recht an den Universitäten Fes und Marrakesch. Sie sagt: „Wenn man behutsam mit dem Koran argumentiert, dann kann man etwas erreichen.“ Sie wendet einen „Trick“ an: Sie bezieht sich auf die Urschrift des Koran und auf überlieferte Aussprüche des Propheten. „Wenn man die genau liest“, sagt sie, „erkennt man, dass Frauen sich schon damals scheiden lassen konnten.“ Aicha el Hajjami, 59, ist die zweite Frau, die in Marokko vor internationalen Islamgelehrten reden durfte. Der König lädt während des Fastenmonats Ramadan traditionell Islamexperten zu sich ein, 2004 durfte die Familienrechtsexpertin sprechen. „Ich stand, und die Männer hockten zu meinen Füßen“, sagt Aicha el Hajjami, „was für eine Symbolik!“
Najat Oulami tritt vor die Tür des Frauenzentrums, sie atmet tief ein. Ein Moped knattert an einem voll beladenen Eselfuhrwerk vorbei. Zwei Mädchen von der anderen Straßenseite winken Najat Oulami zu. Manche Frauen, sagt Najat, können nicht mehr zu Hause bleiben, wenn sie ihren prügelnden Ehemann angezeigt haben, „der wird dann noch gewalttätiger.“ Bis die Staatsanwaltschaft tätig wird, kann es Monate dauern. Aber wohin sollen die Frauen in dieser Zeit? Im Al Amane können sie nicht schlafen, schon gar nicht mit ihren Kindern. Hotels können sie sich nicht leisten, bei Freunden ist es auch schwierig.
Najat und Halima Oulami haben vor einem halben Jahr Zufluchtzimmer angemietet, versteckt, niemand soll erfahren, wohin die Frauen flüchten. Die Zimmer werden durch Spenden bezahlt, so wie das Al Amane. Manchmal bitten Frauen hier auch nur um Unterschlupf für ein paar Tage. „Bis sie eine Arbeit gefunden haben, um unabhängiger zu sein“, sagt Najat Oulami.
Jetzt wollen die beiden Schwestern ein Frauenhaus gründen. Wie das bezahlt wird, ist völlig unklar, der Staat unterstützt das Projekt nicht. Es wird das erste Frauenhaus in Marokko sein.
Bei den arabischen Aufständen wurden bereits viele Denkmäler von Staatspräsidenten und anderen Herrschern gestürzt. Dabei kam es wiederholt zu schweren Fehlern unter den Denkmalstürzern. Aus diesem Grund veröffentlichen wir hier ein Interview mit einem iranischen Veteran des Denkmalsturzes:
Golam, Sie haben sich in Ihrem Wohnviertel einen Namen als Denkmalzerstörer gemacht, ja, man betrachtet Sie sogar beinahe als Veteran auf diesem Gebiet.
Das ist richtig. Meine ersten Denkmäler, die ich umstürzte, das waren noch jene vom alten Schah, das hießt vom Vater Mohammed Rezas, als dieser damals im Jahre 1941 zurücktrat. Ich erinnere mich, daß die ganze Stadt in einen Freundentaumel ausbrach, als bekannt wurde, daß der alte Schah zurücktreten muß. Sogleich stürmten alle los und begannen, seine Denkmäler zu demolieren. Ich war damals noch ein kleiner Junge und ging meinem Vater zur Hand, der gemeinsam mit einem Nachbarn das Denkmal umstürzte, das Reza Khan in unserem Viertel für sich hatte errichten lassen. Das war damals sozusagen meine Feuertaufe.
Hat man euch deshalb verfolgt?
Damals noch nicht. In den ersten Jahren nach dem Rücktritt des alten Kaisers gab es noch einige Freiheit. Der junge Schah war nicht stark genug, uns seine Macht aufzuzwingen. Wer hätte uns verfolgen sollen? Alle traten gegen die Monarchie auf. Der Schah konnte sich nur auf einen Teil der Offiziere und natürlich die Amerikaner stützen. Dann organisierten sie den Umsturz, warfen Mosadegh in den Kerker, schossen seine Leute und auch die Kommunisten zusammen. Der Schah kehrte zurück und führte die Diktatur ein. Das war im Jahre 1953.
Erinnern Sie sich an dieses Jahr?
Natürlich, es war doch von größter Bedeutung, weil damals die Demokratie endete und das Regime begann. Ich erinnere mich an eine Rundfunkmeldung, der Schah habe sich nach Europa abgesetzt. Als die Menschen das hörten, liefen sie auf die Straße und begannen, die Denkmäler zu zerstören. An dieser Stelle muß ich erwähnen, daß der junge Schah von Anfang an für sich und seinen Vater Denkmäler hatte errichten lassen, es hatte sich daher einiges zum Umstürzen angesammelt. Mein Vater lebte damals nicht mehr, aber ich war schon erwachsen und trat zum erstenmal als Denkmalzerstörer in Erscheinung.
Und habt ihr alle seine Denkmäler demoliert?
Ja. Die Arbeit ging uns glatt von der Hand. Als der Schah nach dem Staatsstreich zurückkehrte, stand kein einziges Monument für die Pahlavis mehr auf seinem Sockel. Aber er fing gleich wieder an, für sich und seinen Vater Denkmäler zu errichten.
Das heißt, was ihr zerstört habt, hat er von neuem aufgebaut, und was er aufgebaut hat, habt ihr sofort wieder zerstört? In der Tat, so war es. Wir konnten vor Erschöpfung kaum mehr die Hände bewegen. Kaum hatten wir eines umgestürzt, ließ er drei
neue aufstellen, stürzten wir drei um, ließ er zehn errichten. Es war kein Ende abzusehen.
Und später, nach 1953, wann habt ihr wieder mit dem Zerstören begonnen?
Eigentlich wollten wir uns ’schon 1963 an die Arbeit machen, damals, als es zum Aufstand kam, weil der Schah Chomeini hatte einsperren lassen. Aber der Herrscher veranstaltete gleich ein solches Massaker, daß wir gar keine Gelegenheit
fanden, auch nur ein einziges zu demontieren, sondern unverzüglich unsere Stricke in Sicherheit bringen mußten.
Soll das heißen, ihr hattet für diesen Zweck eigene Stricke vorbereitet?
Selbstverständlich! Wir hatten die dicken Sisaltaue einem Seilverkäufer im Basar zur Aufbewahrung anvertraut. Das war kein Spaß, wenn uns die Polizei auf die Spur gekommen wäre, hätte sie uns ohne viel Federlesens an die Wand gestellt. Wir hatten alles für den richtigen Augenblick vorbereitet, geplant und geübt. Während der letzten Revolution, daß heißt 1979, war es doch ein rechter Jammer, daß sich so viele Amateure ans Umstürzen machten. Deshalb kam es ja auch zu zahlreichen Unfällen, weil diese Ignoranten sich die Denkmäler selbst auf den Kopf kippten. Es nicht so einfach, ein Denkmal vom Sockel zu holen. Man braucht dafür Fachkenntnis und eine Menge Übung, Man muß wissen, aus welchem Material das Ding besteht, wie schwer es ist, wie hoch, ob es rundgeschweißt ist oder mit Zement verbunden, an welcher Stelle man die Stricke anbringen, in welche Richtung man ziehen muß, und wie man es dann am besten zerschlägt. Wir hatten das früher ausgearbeitet, damals, als die neuen Monumente für den Schah aufgestellt wurden. Das war die beste Möglichkeit, die Angelegenheit zu studieren und zu sehen, wie die Figuren gefertigt, ob sie hohl oder voll sind, und vor allem, wie das Denkmal auf dem Sockel sitzt, welche
Methode angewandt wird, es zu befestigen.
Das hat Sie wohl einige Zeit gekostet?
Sehr viel sogar! Sie wissen ja, in den letzten Jahren hat er immer mehr Denkmäler für sich errichten lassen. Wo man hinschaute, auf allen Straßen und Plätze, vor Bahnhöfen, neben Überlandstraßen, Wer einen guten Vertrag bekommen und die Konkurrenz aus dem Feld schlagen wollte, beeilte sich, ein Denkmal für ihn aufzustellen. Das ist der Grund, daß so viele billige
Denkmäler in die Gegend gestellt wurden, deren Zerstörung uns, als dann unsere Zeit kam, keine Schwierigkeiten machte. Aber ich muß gestehen, daß mir manchmal Zweifel kamen, ob wir es schaffen würden, diese Unzahl von Denkmälern zu demolieren. Es gab Hunderte. Wir sind tatsächlich ordentlich ins Schwitzen geraten, und meine Hände waren voll Blasen und Striemen von den Stricken.
Ihr habt also eine interessante Beschäftigung gehabt, Golam?
Da war keine Beschäftigung, es war eine Pflicht. Ich bin überaus stolz, daß ich die Schah-Denkmäler umstürzen durfte. Ich glaube, alle, die sich an der Demolierung beteiligten, sind stolz darauf. Jedermann kann unser Werk betrachten: Alle Sockel stehen leer, und die Figuren des Monarchen wurden entweder zerschlagen, oder sie liegen in irgendwelchen Hinterhöfen herum.
(Aus der Teheraner Zeitung Kayhan, 1979, kurz nachdem der Schah aus dem Land gejagt und Chomeini zurückgekehrt war.
Abgedruckt in dem Buch von Ryszard Kapusinski „Schah-in·schah“, Eichborn·Verlag Frankfurt/Main 1997.)
Assad-Denkmal in Hama, Syrien. Photo: harolam.de
Die Financial Times Deutschland berichtete zuletzt aus Spanien:
„Generación cero“ nennen sie sich, die „Generation null“: null Job, null Perspektiven. Ihr Pech ist, dass sie ihre Ausbildung mitten in der Krise beendet haben und auf dem Arbeitsmarkt überflüssig sind. „Dass es nicht schon eher einen Aufstand gab, liegt wohl mit daran, dass die Familien jahrelang als Auffangnetz dienten,“ vermutet Almudena Moreno, Soziologin und Buchautorin.
Doch jetzt ist die junge Generation nicht länger bereit, ihr Schicksal einfach hinzunehmen. Die Jugendlichen von der Bewegung 15. Mai wollen an den kommenden Juniwochenenden Protestaktionen in allen großen Städten durchführen. „Wir kämpfen, bis sich etwas ändert“, sagt der 26-jährige Fabio Gándara, ein arbeitsloser Anwalt und Sprecher der Bewegung. „Wir geben auf keinen Fall auf.“
Der „Kurier“ hat herausgefunden:
In Berlin gibt es immer mehr junge Spanier. Ein Drittel aller Clubs und Lounges müßten dicht machen, wenn sie wegblieben. Sie gelten deswegen in diesen Kreisen und darüberhinaus als eine echte Bereicherung der Stadt. Laut Statistik ist Berlin für die Spanier der beliebteste Jugendsitz und ihr beliebtestes Getränk Beck’s Bier.
Um demographischen Ausgleich bemüht und wohl auch, um den Gentrifizierungsgegnern in der Hauptstadt den Wind aus den Segeln zu nehmen, titelte „Focus“ kürzlich:
Spanien wird als Alterssitz immer beliebter.
Im Jahr 2010 waren rund 226 000 Auswanderer aus der Europäischen Union im Alter von über 65 in Spanien gemeldet, teilte das Statistische Bundesamt am Dienstag mit und berief sich dabei auf die europäische Statistikbehörde. Damit ist Spanien bei EU-Bürgern der beliebteste Alterssitz. Die Deutschen stellten demnach mit rund 53 000 Personen die zweitgrößte Ausländergruppe aus der EU – nach den Briten mit 94 000 Rentnern.
Der Generationenaustausch auf der iberischen Halbinsel scheint jedoch noch nicht beendet – noch immer gibt es zahlreiche Jugendliche in Spanien, die unentschieden sind – wie eine AFP-Meldung nahelegt:
In Barcelona hat die Polizei in der Nacht zum Donnerstag ein Protestcamp geräumt. Die Beamten kesselten in den frühen Morgenstunden die noch verbliebenen Demonstranten auf der Plaza de Catalunya ein, die ihre Zelte nicht wie vereinbart abgebaut hatten, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Die Aktivisten hatten am Mittwoch ursprünglich zugestimmt, das Camp zu räumen. Im Gegenzug wollte die Verwaltung ihnen die Einrichtung eines ständigen Informationsstands ermöglichen. Die Demonstranten kamen ihrer Zusage aber in letzter Minute doch nicht nach, weil ihnen der für den Stand zugewiesene Platz zu klein war. Die Räumung des Platzes durch die Polizei verlief friedlich.
In Barcelona war die kleine Zeltstadt bereits Ende Mai einmal von der Polizei geräumt worden. Damals setzten die Beamten Gummigeschosse und Schlagstöcke ein, etwa 90 Menschen wurden verletzt. Noch am selben Abend kehrten aber mindestens 5000 Demonstranten zurück, um erneut Zelte aufzubauen.