vonHelmut Höge 15.08.2011

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Manchmal passiert es, dass ein Virus von einem anderen Virus vorübergehend quasi überlagert wird. Zwar breiten sich derzeit die Zeltlager-Proteste – „Tentifada“ in Israel genannt – aus, gleichzeitig gibt es jedoch auch ein sozusagen weltumspannendes „Drei Schwestern“-Coming-Out:

Hier inszenieren drei saudische Schwestern in einer Einkaufszone von Riad Tschechows Stück als Street-Performance. Im Buch der Regeln von Ibn Kaldaun heißt es: „Wenn Du drei Schwestern hast, mußt du höllisch aufpassen.“ Photo: koptisch.wordpress.com

Hier haben drei Schwestern aus Baden-Baden nach der Lektüre des gleichnamigen Tschechows-Stückes spontan die Schlüsselszene am Birkenwald nachgestellt – obwohl es in und um Baden-Baden gar keinen Birkenwald gibt, wie man sieht. Photo: Archiv Hoege


Gleichzeitig wird derzeit bzw. demnächst an 24 Gymnasien, vom „Theaterprojekt Berlin-Istanbul“  sowie am Basler Theater, am Wiener Theater in der Josefstadt, am Thalia-Theater Hamburg, am Schauspiel Frankfurt, am Theater Konstanz, am Schauspielhaus Bochum, an den Münchner Kammerspielen, auf der Neuen Bühne Senftenberg, im Puppentheater Erfurt und auf einer Berliner Kudamm-Bühne das Stück „Die drei Schwestern“ gezeigt: Einmal keck-doof, ein andern Mal eher schwer nachdenklich oder auch resignativ-feministisch bzw. facebooker-optimistisch. In Bremen brachte die Spirituosenfirma Quasselmotor einen neuen Drink namens „Drei Schwestern“ auf den Markt. Und im Knaur Verlag erschien der australische Roman „Drei Schwestern zum Verlieben“ von Monica McInerney.

Aus Oslo kam die Meldung: Der Pakistanier Shazad Khan wurde zu 21 Jahre Haft verurteilt. Er hatte im Oktober 2006 seine drei Schwestern ermordet. Das Gericht bezeichnete die Morde als „grotesk“. Er behauptete, seine tote Mutter habe ihm die Morde befohlen. Gleichzeitig munkelten Bekannte der Familie jedoch auch von einem „Ehrenmord“. Während des Prozesses konnte ein Motiv trotzdem nicht ermittelt werden.Das Gericht war desungeachtet der Meinung, dass es ein Mord unter Einfluss von Stimulantia war. Eine Wiederholungsgefahr bestünde aber nicht. Der stern berichtete: „Eine Familientragödie im Elsass erschüttert ganz Frankreich: In einem teilweise abgebrannten Wohnhaus in Haguenau entdeckte die Feuerwehr die Leichen von drei Schwestern zwischen fünf und 13 Jahren. Die Mädchen waren jedoch nicht Opfer des Feuers geworden. Sie wurden ermordet. Den Mädchen waren von ihrem Vater die Kehlen durchgeschnitten worden, teilte die Staatsanwaltanschaft mit.“

„Drei Schwestern sind’s, von sanftem Reiz umstrahlt,/Ihr eigner Vater hat sie uns gemalt,/Sich ähnlich an Gestalt und an Gesicht,/Sogar an Augen, nur an Mienen nicht,/Und lieblicher hab’ ich den Horentanz/Noch nie erblickt in seinem Zauberglanz“ (Friedrich Hebbel).Porträt der Drei Schwestern. Photo: andrea-imhaeuser.de


Die Drei Schwestern in einer Volksbühnen-Inszenierung auf dem Parkplatz  des Pankower Supermarkts „Norma“. Photo: Archiv Hoege

Die Drei Schwestern in einer raffinierten Montage. Photo: photofrieze.de

In Kreuzberg eröffnete kürzlich im Künstlerhaus Bethanien das Restaurant „Drei Schwestern“.In der Prenzlauer Berg Kneipe Baiz wurde der DDR-Fernsehfilm „Drei Schwestern“ aus dem Jahr 1984 gezeigt. Im selben Jahr – berichtete der Spiegel: „Mit großem Publicity-Aufwand wurden die drei Tiffany-Schwestern vermarktet, sie sind am Millionenumsatz ihrer Stücke beteiligt – und die Firma fährt offenbar gut dabei. Tiffany-Umsatz 1983: 125 Millionen Dollar.“ In der Charlottenburger Kneipe „Zwiebelfisch“trafen sich die drei zerstrittenen Schriftstellerinnen-Schwestern Hanni, Christiane und Ulrike zu einem ersten Wiedervereinigungs-Treffen (3 plus 2 genannt, weil  H. und U. ihre Männer dabei hatten.)

Hier posieren Drei Schwestern am Drei-Schwestern-Steig: dem Wanderweg zum Drei-Schwestern-Massiv, das die Grenze zwischen West- und Ostalpen bildet. Photo: Archiv Hoege

Hier lesen drei usbekische Schwestern während einer Literaturveranstaltung im Stadtpark von  Taschkent Teile aus dem Tschechowschen Stück „Die Drei Schwestern“ vor.

Hiermit gedenkt die Dominikanische Republik der Drei Schwestern. Photo: briefmarken-forum.com. Am 25. November 1960 wurden die drei Schwestern Patria, Minerva und Maria Teresa Mirabal vom dominikanischen Geheimdienst im Auftrag des Diktators Rafael Leonidas Trujillo in einem Hinterhalt brutal ermordet. Der Roman „Die Zeit der Schmetterlinge“ von Julia Alvarez thematisiert dieses Verbrechen. Der Tag, an dem es geschah, ist seit 1981 der internationale Gedenktag „Nein zu Gewalt an Frauen“, der 1999 von den vereinten Nationen als offizieller internationaler Gedenktag anerkannt wurde.


Die WAZ meldet heute: Drei Schwestern wurden bei einem Verkehrsunfall in Huckarde schwer verletzt. Eine 21-jährige Dortmunderin war mit dem VW unterwegs. Aus bisher nicht bekannten Gründen prallte sie mit ihrem Fahrzeug vor einen Baum. Sie sowie ihre beiden Schwestern, 16 und 19 Jahre alt, wurden schwer verletzt. Alle drei wurden in verschiedene Krankenhäuser eingeliefert.

Die Drei Schwestern unterwegs wartend – in Bayern. Photo: Archiv Hoege

Die drei schwulen Schwestern – abwartend daheim. Photo: besonderefilme.blogage.de

Drei Schwestern (aus Montana) – Hetero-Schlampen spielend. Photo: cinema.de

In der Nordeifel las Angelika Harten anläßlich einer Geburtstagsfeier ihr Märchen „Die drei Schwestern“ vor. In Liechtenstein veröffentlichte der pensionierte Lehrer Alf Schumpel im Rahmen seiner „Historischen Reihe“ das Liechtensteiner Märchen „Die Drei Schwestern:

In Vorpommern, auf dem Sommerfest der dort domizilierten Kulturschaffenden Meier/Baum las die Geo-Abenteuerreisende Gabriele Riedle am Lagerfeuer der Mütter aus ihrem demnächst in der „Anderen Bibliothek“ erscheinenden Roman über eine Freiburger Übersetzerin vor, die sich daran macht, für das Stadttheater Ulm Anton Tschechows „Drei Schwestern“ neu zu übersetzen. Dazu kommt es jedoch nicht. In dem Kapitel, das Gabriele Riedle  ihrem Roman entnahm, ging es konkret um die sozialdemokratische Bildungsreform in den Siebzigerjahren – und was daraus geworden ist.

In Basel hatte das Stück „Die drei Schwestern aus Isfahan“ des iranischen Schriftstellers Mostaffa Darabi Premiere. Es geht darin um den Beweis, dass es in den islamischen Ländern psychoanalytisch gesprochen weniger um Vatermord, sondern um Sohnmord geht, wobei diese sich ihrerseits vorher noch um Schwesternmord bemühen. Photo: 20min.ch

In Hamburg baten „Die Drei OP-Schwestern“ zu einer „SM-Nacht voller Peitschen und Peinlichkeiten“, u.a. wurden aus englischen Teenie-Zeitschriften die beliebten Rubriken „My most embarrassing moments“ vorgetragen. Die FAZ kündigte heute an: „Frank Castorf will im Moskauer Mossowjettheater die „amerikanische“ Härte aus Tschechows „Drei Schwestern“ hervorholen.“

Über eine Inszenierung von Tschechows „Drei Schwestern“ der Folkwang-Hochschule Essen schrieb die Kritik:

„Die minimalistische  und stark gekürzte Inszenierung von Ruth Schultz untersucht, wie sich Menschen in starre, selbstgebaute Systeme fügen, um ihre Idealvorstellung vom sinnvollen, selbstbestimmten und also glücklichen Leben unangetastet und unausprobiert aufrecht erhalten zu können. Die drei Schwestern und ihr Bruder erscheinen als anstvoll- und genervt-passive Figuren, die einen ewigen Kompromiss leben, der sich auf ihr emotionales, soziales und politisches Handeln (bzw. Nicht-Handeln) auswirkt: So verlassen im Laufe des auf sieben Figuren reduzierten Stückes die Schwestern niemals ihre Welt, die Hollywoodschaukel. Einzig in den sehnsuchtsvollen Gesangsmomenten lösen sich die Figuren der drei Schwestern aus ihrem inneren Käfig und treten auf den Zuschauer zu. So konzentriert sich diese Inszenierung auf die Enge des familiären Systems und nur als von Außen auftretende Figuren (Tuzenbach, Versinin und Anfissa) nutzen die Darteller den Freiraum der Bühne – und führen auf dieser Ebene die Konflikte der Geschwister fort, ohne sie jemals zu lösen. Die von Tschechow beschriebene Langeweile wird so zum Symptom der ängstlich aufgeschobenen Sinnsuche unserer Zeit. Gerahmt wird diese Zustandsbeschreibung vom Flimmern und Rauschen der Medien, das Fabian Kollakowski für diese Inszenierung gestaltet hat. Eingeladen zur Young Actors Week (Salzburg) und zum outnow!-Festival (Bremen).“

Die drei berühmten Birger-Schwestern hier auf dem Kreuzfahrtschiff „Marco Polo“ in einer Regen-Parodie auf Tschechows „Drei Schwestern“. Sie wurde vom Publikum als zu wenig anzüglich empfunden. Photo: Archiv Hoege

„Die Zeit urteilte ähnlich – über eine Berlin-Mitte-Tschechow-Inszenierung:

„Michael Thalheimer missversteht Tschechows „Drei Schwestern“ am Deutschen Theater in Berlin Alles „Klebrige“ ist ihm verhasst. Klebrig sind ihm Stimmungen, in denen das Theater dekorativ badet. Klebrig sind ihm auch nostalgische Milieus, in denen es, etwa bei Tschechow, Sofas, wehende Gardinen, Teegeschirr und Samoware gibt. Michael Thalheimer hat eine ausgeprägte Phobie vor Requisiten. Also stellt er seine Inszenierungen stets in kalte, leere Räume, in denen die Menschen vor hohen Holz- oder Steinwänden nomadisieren – Räume, die ihm sein Bühnenbildner Olaf Altmann baut. Nichts in ihnen, was historische oder soziale Kontexte aufriefe. Einzig das Zeit- und Ortlose interessiert diesen Regisseur an den alten Stücken, er will ihnen die Tiefenstruktur, den „Kern“ entlocken – alles Beiwerk störte nur. Und wenn er, wie jetzt in den seinem ersten Tschechow, nun doch einen Samowar ins Spiel bringt, dann nur, um ihn vom Darsteller Bernd Stempel wie eine Monstranz hereintragen und sogleich auf dem Boden zerschlagen zu lassen. SamowarZertrümmerung: Diese Szene ist Programm.“

Völlig verrissen wurde diese Open-Air-Inszenierung von Tschechow bei Udenheim, wo die Regisseurin mit dem Stück auf eine lokale Sage anspielte:

„Es lebten einst drei Schwestern, die durch Erbschaft in den Besitz eines so großen Vermögens gekommen waren, daß sie den gemeinsamen Schatz an barem Gelde nicht zählen, sondern nur mit Hilfe eines Scheffelmaßes teilen konnten. Eine der Schwestern war blind, und dies Gebrechen benutzten die anderen, um Sie zu übervorteilen. Für sich selbst füllten sie das Hohlmaß jedesmal bis zum Rande, während sie, wenn die Reihe an die Blinde kam, dasselbe umdrehten und nur den flachen Boden mit Geldstücken belegten. Vor der Teilung waren sie übereingekommen, daß jede von ihnen eine Kirche bauen sollte, und die Bauplätze waren auf Anhöhen, von deren jeder man auch die beiden anderen sehen konnte, bereits ausgewählt. Als nun die Blinde merkte, daß sie von ihren Schwestern betrogen wurde, verwünschte sie dieselben und sprach die Prophezeiung aus, daß die von dem unrecht erworbenen Gute erbauten Gotteshäuser keine Dauer haben, sondern bald wieder  zerfallen würden. Und so ist es gekommen. Die beiden Kirchen auf dem Nazarienberg und auf dem Petersberg bei Gau-Odernheim liegen längst in Trümmern, während die von dem schmalen Erbteil der Blinden erbaute auf der Anhöhe bei Udenheim noch heutigen Tages steht.“ Photo: Archiv Hoege

Der Spiegel schreibt über diese Westberliner Tschechow-Inszenierung: „Die drei Mädels sind sich treu geblieben. Denn unter Mithilfe der Regisseurin Amina Gusner schaffen sie das rare Kunststück, selbst Tschechow wie ein verspätetes Neunziger-Jahre-Yuppie-Filmchen aussehen zu lassen. Schon die Bühne von Uta Kala und José Eduardo Luna Zankoff hilft derartigen Assoziationen auf die Sprünge: Im Zentrum thront eine Art gläserner Wintergartenverschnitt, der zwar an der Geschmackssicherheit, nicht aber an der Finanzkraft der Bewohner zweifeln lässt und ein großes Bett beinhaltet, auf dem die Schwestern barfüßig lümmeln und gelegentlich ein paar Takte auf der Gitarre klampfen – schließlich verdienen alle drei ja auch als Sängerinnen und Musikerinnen ihr Geld.“ Photo: komoedie-berlin.de.

Drei Schwestern vom Heiligen Orden der drei guten Schwestern von den Feldern, gegründet 1026 nach einer Vision von Throndwig von Bregelsaum. Photo: kath.net. Einige „Comboni-Schwestern“ arbeiten quasi heimlich in Saudi-Arabien – unter den dortigen Gastarbeitern. Das Forum „moschee-schluechtern.de“ meldete, im Jemen wurden drei Missionsschwestern ermordet.

Drei Schwestern aus dem Orden der Kleinen Schwestern des Heiligen Franz. Photo: st-maria-voerde.de


Drei Schwestern aus Detmitten besuchten im Frühjahr 2011 den Originalschauplatz in der russischen Provinz, wo Tschechow einst seine „Drei Schwestern“ ansiedelte. Viel hat sich seitdem nicht verändert. Photo: kreisgemeinschaft-wehlau.de

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kommentare

  • Die BZ meldet heute:

    Drei Schwestern, vereint in einer Gegenwart, in die das unerträgliche Leid der Kindheit immer wieder hereinbricht. Julia (30), Jana (23) und Janine (22) M.* wurden jahrelang vom Stiefvater sexuell missbraucht.Vor sieben Jahren fanden sie die Kraft, die Straftaten zur Anzeige zu bringen. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte Heinz M.* (62) im Mai 2010 zu drei Jahren und neun Monaten Haft. Acht von vielen Dutzend Fällen, geschehen im Alter zwischen 9 und 14 Jahren der Mädchen, konnten rekonstruiert werden.

    Doch, noch immer ist Heinz M. auf freiem Fuß. Denn er legte Berufung ein, das Urteil ist deshalb nicht rechtskräftig. Seit einem Jahr dauert das neue Verfahren vor dem Landgericht. „Ursache für die Verzögerung ist unter anderem die hohe Arbeitsbelastung des Gerichts“, sagt Gerichtssprecher Dr. Tobias Kaehne

  • Während nun langsam immer mehr Linke hierzulande aufhorchen – nach „London“ und den ganzen Protestzeltern – in „Kairo“, „Saana“, „Madrid“, „Paris“ und in Israel, wo man von einer „Tentifada“ spricht, wehren sich die Schweineregime in Libyen und Syrien immer heftiger, manche sagen: verzweifelter:

    Aus Syrien meldet dpa heute:

    Mit Massenfestnahmen und Angriffen auf mehrere Ortschaften haben die syrischen Regierungstruppen am Dienstag weiter versucht, die Protest gegen das Regime zu unterdrücken. Das Militär hielt die Küstenstadt Latakia umzingelt.

    Der Nachrichtensender Al-Dschasira meldete, am Vortag seien in Latakia 15 Menschen getötet worden. In Homs hätten die Sicherheitskräfte bei einer abendlichen Solidaritätskundgebung für das seit dem Wochenende belagerte Latakia zwölf mutmaßliche Gegner des Regimes des Präsidenten Baschar al-Assad erschossen worden. Auch am Dienstag sollen Scharfschützen in Latakia von den Dächern geschossen haben.

    Amer al-Sadek, ein Sprecher der Protestbewegung in Syrien, sagte auf Anfrage: „Wir brauchen intelligente Sanktionen, um das Regime zu Fall zu bringen, zum Beispiel einen Stopp der syrischen Öllieferungen nach Europa. Denn mit diesem Geld finanzieren sie die Milizen.“ Das Regime könne langfristig mit Wirtschaftssanktionen zu Fall gebracht werden.

    Auf die Armee könne die Protestbewegung nicht zählen, sagte al-Sadek. „Denn 70 bis 80 Prozent der Offiziere sind Alawiten, denen man weisgemacht hat, dies sei ein Konflikt zwischen Sunniten und Alawiten. Deshalb kämpfen sie aus Überzeugung.“ Die Familie Assad und etliche Spitzenfunktionäre des Regimes gehören der religiösen Minderheit der Alawiten an.

    Ein anderer syrischer Aktivist sagte der Nachrichtenagentur dpa in einem Telefoninterview aus einem Flüchtlingslager in der türkischen Provinz Hatay, am Dienstag habe die Armee drei Ortschaften in der Provinz Idlib angegriffen. Bewohner von Latakia, die in die Türkei geflohen seien, hätten nach ihrer Ankunft in dem Flüchtlingslager von Gräueltaten berichtet. Sie hätten gesagt, die regierungstreuen Kräfte seien gezielt in mehrere Häuser eingedrungen und hätten dort ganze Familien auf brutalste Weise ermordet.

    Eine schwangere Frau und ihr Fahrer seien am Sonntag bei dem Versuch erschossen worden, mit dem Auto von Latakia zur türkischen Grenze zu gelangen. Der Ehemann der getöteten Frau und ihr gemeinsamer Sohn seien verletzt in ein Krankenhaus gebracht worden. Laut Al-Dschasira wurden in Latakia seit Samstag Hunderte mutmaßlicher Regimegegner festgenommen.

    Die Gewalt in Syrien konzentriert sich seit Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan Anfang August vor allem auf die Abendstunden. Denn die meisten Protestaktionen der Regimegegner finden nach den Abendgebeten in der Moschee statt. Tagsüber sollen fromme Muslime im Ramadan nicht essen oder trinken.

    Reuters meldet aus Libyen:

    Das libysche Militär hat zum ersten Mal eine Scud-Langstreckenrakete gegen die Rebellen eingesetzt. Das Geschoss sei am Sonntagmorgen im Kampf um die strategisch wichtige Küstenstadt Brega abgefeuert worden, sagte ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums am Montag. Im Folgenden einige Fakten zu den Scud-Raketen der libyschen Streitkräfte:

    Libyen verfügt nach Erkenntnissen des britischen International Institute for Strategic Studies (IISS) noch über eine unbekannte Zahl an Langstreckenraketen vom Typ Scud-B. Sie sind Teil einer Serie sowjetischer Raketen, die unter dem Namen Scud bekannt sind. Vom Typ Scud-B wurden mehr als 7000 Stück hergestellt.

    Scud-B-Raketen können mit gewöhnlichen, nuklearen und chemischen Sprengköpfen bestückt werden und haben eine Reichweite von etwa 300 Kilometern. Mit einem geschätzten Einschlagradius von 450 Metern sind sie nicht sehr zielgenau.

    Die sowjetischen Raketen sind noch aus früheren Kriegen bekannt. Während des Iranisch-Irakischen Krieges zwischen 1980 und 1988 feuerten beide Seiten nach Erkenntnissen von Experten 632 Scud-Raketen ab. Die von den Sowjets unterstützten afghanischen Streitkräfte feuerten Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre zwischen 1700 und 2000 Scud-Raketen gegen Rebellen ab. Während des ersten Golfkrieges schoss das irakische Militär mit solchen Raketen auf Ziele in Israel. Gaddafis Truppen könnten mit den Raketen auch Europa erreichen: 1986 flogen libysche Scud-B in Richtung des US-Luftwaffenstützpunkts auf der italienischen Insel Lampedusa, versanken aber im Mittelmeer.

    Bereits zu Beginn des Libyen-Krieges bombardierte die Nato Gaddafis Raketenarsenale. Deswegen gilt als unwahrscheinlich, dass das libysche Militär noch viele Scud-Flugkörper auf Lager hat.

    (So weit Reuters: Als Scud hat die NATO diese sowjetischen Raketen bezeichnet, die eigentlich die Bezeichnung „R 11“ haben: Während Wikipedia meint, das sowjetische Entwicklungsbüro Makejew OKB entwickelte sie in den 1950er Jahren aus der deutschen A4-Rakete, meint die „Encyclopedia Astronautica“, der wichtigste sowjetische Raketeningenieur Koroljow hätte sie aus der deutschen Rakete „Wasserfall“ entwickelt. „R2R heißt einfach „Raketa“.
    Im Irak wurden aus der Scud drei weitere Versionen entwickelt: Eine reichweitengesteigerte Scud, die Al Hussein und die Al Abbas. Zielsetzung war dabei vor allem die Steigerung der Reichweite, was allerdings zu Lasten der ohnehin schon schlechten Genauigkeit ging. Im Zweiten Golfkrieg wurden irakische Scuds auf Israel (40 Starts) und Saudi-Arabien (46 Starts) abgefeuert.)

    Eine weitere Meldung aus Libyen – von dpa – besagt:

    Ein Nato-Militärsprecher habe bekannt gegeben: Die Rebellen hätten in den vergangenen Tagen „die wichtigsten Geländegewinne seit Monaten“ gemacht. Die Hauptstadt Tripolis sei de facto eingeschlossen: „Die Gaddafi-Truppen werden große Probleme haben, sich zu versorgen und weiterhin zu agieren.“

    Zu diesem Volkskrieg in Syrien und Libyen schreibt die links-liberale ungarische Tageszeitung „Nepszabadsag“ am Dienstag:

    „Dass Libyens Bürgerkrieg sich in die Länge zieht und Lösungen nur schwer zu finden sind, signalisiert der Welt: Geht nicht genauso in Syrien vor. Kann man aber tatenlos bleiben, während die Machthaber in Syrien ihre eigenen Bürger umbringen? Das Dilemma ist erschreckend und die internationale Gemeinschaft hat dafür sichtlich keine gute Lösung. Wir nähern uns dem Herbst und die Situation ist anscheinend aussichtslos.“

    In Ägypten ließen die Militärmachthaber wieder einmal den Tahrirplatz von gegen sie demonstrierenden räumen und verhafteten eine „prominente Internetaktivistin“, die dann jedoch gegen eine Rekordkaution wieder freigelassen wurde:

    „Ein anyonymer Geschäftsmann habe die Summe von 20 000 Pfund (2360 Euro) hinterlegt, berichteten Kairoer Zeitungen am Montag. Die 26-jährige Asmaa Mahfus wird von der Militärgerichtsbarkeit beschuldigt, zu Mordanschlägen gegen Armee-Angehörige aufgerufen zu haben. Sie bestreitet die Vorwürfe und beanstandet außerdem, dass sie als Zivilistin von der Militärjustiz verfolgt wird.

    Die junge Frau ist Mitbegründerin der Jugendbewegung 6. April und hatte zu jenen Aktivisten gehört, die im Januar die Massenproteste gegen den damaligen Präsidenten Husni Mubarak organisiert hatten. Diese hatten am 11. Februar zum Sturz des autoritären Präsidenten geführt. Nach der Wende trat Mahfus mit scharfer Kritik an dem seither regierenden Militärrat hervor. Die von den Militärstaatsanwälten festgesetzte Kautionssumme ist für Fälle dieser Art unüblich hoch.“ (dpa)

    Aus dem Jemen berichtete heute AFP:

    Bei heftigen Kämpfen mit Eliteeinheiten der Armee im Jemen in der Region Arhab nordöstlich der Hauptstadt Sanaa sind 23 Stammeskrieger getötet worden. Die Männer seien in der Nacht zum Dienstag bei Gefechten mit der republikanischen Garde ums Leben gekommen, sagten Stammesvertreter der Nachrichtenagentur AFP. Die heftigsten Kämpfe gab es demnach in Scheheb Arhab an der Fernstraße, welche die Region mit Sanaa verbindet.

    Soldaten der republikanischen Garde hätten die Stammeskämpfer bis in ihre Dörfer verfolgt. In der Region war die Lage besonders angespannt, nachdem die Armee vergangene Woche eine Straßensperre errichtet hatte. Seitdem gab es immer wieder gewaltsame Auseinandersetzungen.

    Aus dem Irak werden mehrere Bombenattentate während de Ramadans gemeldet, die bisher 70 Menschen das Leben kosteten.

    Aus dem Iran kommt die Meldung – von dpa:

    Irans Kulturministerium will nach mehr als acht Jahrhunderten ein berühmtes Liebesepos der persischen Literatur zensieren. Teile des Buchs „Chosrou und Schirin“ sollen nach 831 Jahren verboten werden, berichtete die Nachrichtenagentur Mehr am Montag. Das Ministerium habe den zuständigen Verlag gebeten, Passagen zu streichen, sagte Fariba Nabati vom Verlag Peydayesh, der das Liebesepos seit Jahren herausbringt.

    Das Liebesdrama um Chosrou und Schirin wurde 1177 von Nesami Gandschawi geschrieben und 1180 veröffentlicht. Seitdem zählt es zu den berühmtesten Epen der persischen Literatur.

    Der Verlag wollte das Layout für die achte Auflage ändern und schickte es an das Ministerium, um die Genehmigung für die Publikation zu erhalten, berichtete Nabati. Sie sei schockiert gewesen, als das Ministerium ihr mitteilte, dass Passagen zensiert werden müssen. Darunter sollen auch Satzteile sein wie „irgendwo hingehen, wo wir alleine sein können“ oder „Hände halten“.

    Seit der Islamischen Revolution 1979 sind in der iranischen Literatur Schilderungen körperlicher Nähe von Mann und Frau verboten. Das Ministerium für Kultur und Islamische Führung in Iran ist verantwortlich für Genehmigungen von Büchern oder Filmen.

    Nesami Gandschawi (1141-1209) zählt zu den bedeutendsten Dichtern der persischen Literatur. Er schrieb auch die Liebesgeschichte „Leila und Madschnun“.

    (Das Liebesdrama um Chosrou und Schirin von Gandschawi war auf witzig sein wollende Art – „gewitzte“ schreibt die F.R. – auch schon das sozusagen zentrale Thema des kürzlich auf Deutsch veröffentlichten Romans von Shariar Mandalipur: „Eine iranische Liebesgeschichte zensieren“. Die FAZ schrieb in ihrer Rezension: „…Ausführlich beschreibt Mandanipur, mit welcher Lust an der raffinierten Metapher sein Kollege Nezami vor neunhundert Jahren in dem berühmen Liebesepos „Chosrou und Schirin“ weibliche Reize schilderte und auch vor Details des Liebesaktes selbst nicht kapitulierte: „Der Flug ward beiden oft zu solcher Lust, / dass Taube innig saß auf Habichts Brust“. So erinnert Mandanipur nicht nur daran, wie alt das Tabu der erotischen Darstellung ist und wie kunstreich seine Umgehung sein kann, sondern führt auch wieder zum Kern seines Themas – der Kunst zu sehen, der Kunst zu lesen im Wechselspiel von Enthüllen und Verbergen. Aber was für Nezami eine Lust war, wird seinem modernen Nachfolger – Shariar Mandalipur – zur Qual. Shariar Mandanipur, der 1957 in Schiras geboren wurde, zählt zu den bekanntesten Schriftstellern Irans. Er studierte Politikwissenschaften, nahm als Freiwilliger am iranisch-irakischen Krieg teil und leitete zehn Jahre lang die in Schiras erscheinende Literaturzeitschrift „Asr-e Panjshanbeh“, die im vorigen Jahr verboten wurde. Fünf Jahre lang, von 1992 und 1997, durfte er in seiner Heimat nicht publizieren. Seit 2006 lebt er in den Vereinigten Staaten, zur Zeit ist er Gastdozent in Harvard, sein leider nicht gerade elegant aus dem Englischen ins Deutsche übertragener Roman ist erkennbar für ein westliches Publikum geschrieben. „Eine iranische Liebesgeschichte zensieren“ ist der ins Postmoderne gewendete, ebenso verspielte wie bitterernste Versuch, der iranischen Tragödie eine moderne Liebesgeschichte abzuringen.“)

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