vonHelmut Höge 28.01.2013

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Trauerweiden mit Schwäne am Urbanhafen, letztere werden regelmäßig von Petra Stühr und Rosi Gotthold, die beide in der Admiralstraße 9 wohnen, gefüttert.

 

Der Schwan (links) am Segelboot-Liegeplatz Pichelswerder der Polizistengattin Gisela Eichwedel, die dort in der Nähe auch mit ihrem Mann ein Haus hat.

 

 

Die Riesenseerose Victoria im Botanischen Garten in Steglitz

 

 

Die zwei Löwen des Zirkus Sarrasani, die Chantal Behrens, Kottbusser Damm 62, anscheinend faszinieren.

 

Die Baumblüte in Britz, für die sich Emma Groenewold aus Wilmersdorf jedes Jahr aufs Neue begeistern kann. 

 

Der Gemüsegarten am Haus, Waltersdorfer Chaussee 12, in dem Elfie und Jürgen Wieland wohnen, der Garten wird auch von ihnen bestellt.

 

Der Öko-Dachgarten, in dem sich die Bewohner des ehemals besetzten Hauses Oranienstraße 45 am Wohlsten fühlen.

 

Die Blumen auf dem verandaähnlichen Balkon von Heidi Meierbuer und Heike Witthusen in der  Kleiststraße 60b

 

Die Frühlingsblumen in dem Vorgartenbeet von Rita Köhler, Lankwitzer Straße 11.

 

 

Das große Blumenbeet neben dem Haupteingang der Weddinger Mövensee-Grundschule, in der Beate Vögelein einst ihren Verlobten Peter Steinweg kennenlernte.

 

Die kleine verschwiegene Strandecke hinter der Straße am Großen Wannsee, wo sich Heide Schweizer und ihr Sohn Jan im Sommer so oft es geht aufhalten.

 

 

Die Frühlingsblumen im Tiergarten,  die Annelotte Döberitz aus Reinickendorf liebt.

 

Der Rhododendron im Vorgarten von Dr. med Hansen, der hier mit seiner Tochter vor seinem Haus  in der Waldsiedlung Krumme Lanke posiert, 

 

Das Begleitgrün der Garagenauffahrt des Hauses  Taunusstraße 46, in dessen Erdgeschoßwohnung Dirk Wohlfarth bei seinen Eltern lebt.

 

Die Bepflanzung für das Grab ihres Mannes auf dem Südstern-Friedhof nimmt für Friedel Klammroth aus der Urbanstraße 62 immer viel Zeit in Anspruch. 

 

Problemschwäne

Nach deutschem Jagdbrauch darf der Schwan  bis heute nur mit der „Hohen Kugel“ erlegt werden, nicht mit Schrot. Auf diese Weise werden etwa 1000 Schwäne jährlich in Deutschland abgeschossen.
Hinzu kommt für die Schwäne in unseren Städten, dass sie immer mal wieder Opfer aggressiver junger Männer oder Betrunkener werden. Zuletzt begann  Ende 2012 in Berlin eine regelrechte Schwanmord-Serie, die Presse sprach von „grausamen“ und „sadistisch veranlagten Tierquälern“, die Täter hatten es besonders auf die Schwäne im Kreuzberger Urbanhafen abgesehen.

Der Schwanenhaß scheint in Berlin eine gewisse Tradition zu haben. 1875 schrieb der tschechische Schriftsteller Ja Neruda in seinem Reisebericht aus dem Berlin der Gründerzeit: Ebenso wie das „Lausitzer Volkslied“ habe sich auch der „Berliner Witz verflüchtig“. Er sei „kalt und langweilig geworden. Man denkt dabei an die den Wasserspiegel der Spree zierenden traurigen Schwäne, die allesamt gebrochene Flügel haben.“ Mutmaßlich waren die vielen „rauflustigen“ und „betrunkenen“ Hooligans der Stadt, die Neruda ebenfalls erwähnt, daran schuld. In Hamburg sah er dagegen auf der Binnenalster nur gesunde „Rudel weißer Schwäne“. Möglicherweise handelt es sich bei den „gebrochenen Flügeln“ um eine Verschiebung des „Berliner Unwillen“ vom Haßobjekt Hohenzollernherrschaft auf das Wappentier Schwan? Vielleicht haben die Berliner im Gegensatz zu den Hamburgern ihren Schwänen aber auch bloß allzu stümpenhaft die Flügel gestutzt, damit sie nicht wegfliegen.

Das hat man noch 2009 bei zwei Trauerschwan-Pärchen gemacht, die ihr Brutrevier vom Thunersee in den Wohlensee verlegt hatten. Die Berner Zeitung schrieb: „Anfang Februar liessen sich vier der zehn vom Kanton auf dem Thunersee bewilligten Schwarzschwäne am Wohlensee nieder.“ Diese vier ließ der dortige Jagdaufseher nachts einfangen. Ihnen wurden die Flügel gestutzt, dann brachte man sie zum Tuhnersee zurück. Der Jagdaufseher wollte nicht, dass sich diese  im Wohlensee nicht heimische Art verbreitet, seine Wildhüter müßten sonst immer wieder deren Gelege zerstören. Ein Sprecher der Schweizerischen Vogelwarte Sempach erklärte, das Stutzen sei unproblematisch: „Dabei werden einige der Schwungfedern am Kiel abgeschnitten. Das ist vergleichbar mit dem Schneiden der Fingernägel beim Menschen.“ Ob sich gestutzte Flügel negativ auf die Schwanenpsyche auswirken, wußte er allerdings nicht.

In den städtischen Parkanlagen werden die Schwäne auch gerne von  Kindern geärgert oder gescheucht – sogar andere Tiere lassen sich dazu gelegentlich hinreißen. Der Pschoanalytiker Jeffrey M. Masson und die Journalistin Susan McCarthy schreiben in ihrer Sammlung von Tierverhaltensgeschichten „Wie Tiere fühlen“:

„Schwäne sind in ihrer ausgeprägt würdevollen Haltung häufig das Ziel von Neckereien. Man kann kleine Seetaucher dabei beobachten, wie sie im Wasser die Schwäne am Schwanz rupfen und dann schnell untertauchen. An Land ziehen Rabenkrähen Schwäne gerne am Schwanz, wenn diese auf sie zukommen, hüpfen die Krähen schnell weg.“

Die Flamingos im Zoologischen Garten

 

Der Wellensittich bei Else Kück in der Badstraße 80.

 

Die Dogge und zwei Plastikrehe im Schatten einer Fichte bei Familie Watzlawick in der Gutschmidtstraße 142.

 

Die Konifere hinterm Haus, Lichterfelder Ring 26, des Ehepaars Rolf und Sabine Lürssen

 

Die beiden Edeltannen vor dem Haus von Johanna Tiefensee, Rudower Chaussee 212

 

 

Die Büsche vor dem Fenster von Erwin Gerber, Arnulfstraße 6

 

Die Straßenbegrenzungshecke und vor allem der Rasen vor dem Haus, Boelckestraße 17, auf dem die zwei Kinder von Luise und Siegfried Schmidt gerne spielen.

 

Als besonders aggressiv erweisen sich gelegentlich die Schwäne selbst, besonders die männlichen Höcker- und Trauerschwäne: Ein solcher siedelte sich 2010 in der Schwanenkolonie des Sees am Pembroke Castle in England an. Man  nannte ihn Hannibal. Bereits kurz nach seiner Ankunft begann er, „die dort schon lange ansässigen Schwäne auf verschiedene brutale Arten umzubringen. Dazu gehörte das Ertränken, das Brechen von Gliedmaßen und das Herumstampfen auf den Artgenossen. 15 Schwäne tötete er auf diese Weise.“ Die ortsansässigen Tierschützer quartierten Hannibal schließlich aus. Die Ursachen für sein Verhalten vermuteten sie seltsamerweise „im Wasser“.

Umgekehrt ging es einem schon lange im Westberliner Lietzensee ansässigen Schwanenpaar, das von den Anwohnern liebevoll „betreut“ wurde. Als eines ihrer fünf Jungen einen Angelhaken im Bein stecken hatte, brachten sie das Tier in die  schon fast auf Schwäne spezialisierte Tierklinik der Freien Universität in Düppel. Währenddessen landete ein junges Schwanenpärchen in ihrem Lietzensee-Revier. In dem darauffolgenden Kampf tötete „der Neue“ einen der Jungschwäne. Diese Aggressivität ging den Anwohnern zu weit: In einer groß angelegten Aktion wurde die ganze alteingesessene Schwanenfamilie  inklusive ihres aus der Klinik als gesund entlassenen Jungen von der ortsansässigen Initiative „Aktion Tier“ in den Wannsee „umgesetzt“, wo der „Revierdruck“ angeblich geringer ist. Die Lietzensee-Anwohner sollen „noch ein wenig böse auf das neue Schwanenpaar“ sein, meinte die Sprecherin der „Aktion“, aber sie hoffe, „dass sie die beiden Höckerschwäne auch bald in ihr Herz schließen werden. Schließlich folgen diese Vögel auch nur ihren natürlichen Instinkten,“ fügte die Ornithologin beschwichtigend hinzu. Den Biologen fällt die Kulturkritik immer noch bedeutend leichter als eine Naturkritik.

 

Die 12 Lieblingsbäume von Johanna Bärkel im Grunewald.

Das Lieblingseichhörnchen von Roswitha Abich im Tegeler Forst.

 

Die Lieblings-Baumallee von Familie Berthold an der Uferpromenade der Spree in Charlottenburg

 

Die Lieblingsblumen, Tulpen, die man Oma, Hildegard Clues-Ottensen (zweite von links), zu ihrem 35jährigen Firmenjubiläum schenkte – ihr gehören zwei Drogerien in Tempelhof.

 

 

Der leicht verwilderte Park auf dem Telegrafenberg des Geodätisches Instituts Potsdam, wo der Romanist und die Kunsthistorikerin kurz nach der Wende glückliche Stunden verlebten.

 

 

Die Geranien und Rosen auf dem Balkon von Dagmar Schröder in der Britzer Hufeisensiedlung.

 

 

Ökonomie und -logie

„Es gibt keine ökonomische Utopie mehr, nur noch eine ökologische,“ behauptet der Wissenssoziologe Bruno Latour. Der Begriff Ökologie wurde 1866 von Ernst Haeckel Haeckel definiert. Der Jenaer Biologe, Darwins Vorkämpfer in Deutschland, den die Freidenker 1904 in Rom zum „Gegenpapst“ ausriefen, verstand unter Ökologie laut Wikipedia „die Lehre von den Bedingungen der Lebewesen im Kampf ums Dasein und vom Haushalt der Natur.“ Dem gegenüber befaßt sich die Ökonomie mit dem Haushalt der Menschen. Sie betrifft laut Wikipedia „die Gesamtheit aller Einrichtungen und Handlungen, die der planvollen Deckung des menschlichen Bedarfs dienen.“

In ihrer „Dialektik der Aufklärung“ schrieben Horkheimer und Adorno: „Die Idee des Menschen in der europäischen Geschichte drückt sich in der Unterscheidung vom Tier aus. Mit seiner Unvernunft beweisen sie die Menschenwürde. Mit solcher Beharrlichkeit und Einstimmigkeit ist der Gegensatz von allen Vorvorderen des bürgerlichen Denkens, den alten Juden, Stoikern und Kirchenvätern, dann durchs Mittelalter und die Neuzeit hergebetet worden, dass er wie wenige Ideen zum Grundbestand der westlichen Anthropologie gehört.“

Von Ökologie und Ökonomie zu sprechen, setzt die Unterscheidung von Natur und Gesellschaft (Kultur) voraus. Statt von Ökologie spricht man aber auch von „Umwelt“, ein Begriff den der Biologe Jakob von Uexküll prägte – und womit er „die Umgebung eines Lebewesens“ meinte, „die auf dieses einwirkt und seine Lebensumstände beeinflusst.“ Nun gehören wir zwar auch zu den „Lebewesen“, und werden dementsprechend von der „Umwelt“ beeinflußt. Aber wenn man nicht den idiotischen US-Genetiktheorien anhängt, dann ist dies primär eine ökonomische und kulturell-soziale. Das gilt auch für die Prägung der ganzen „Umweltschützer“. 25.000 von ihnen demonstrierten am 19. Januar in Berlin gegen die fortschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft, u.a. gegen den Bau riesiger Schweinemastanlagen in Ostdeutschland, die jedesmal ein ganzes Dorf und seine „Umgebung“ verschandeln. Überhaupt hat sich das Dorf inzwischen gewandelt:

Aus der „Eingebundenheit in das Umland wurde eine zunehmend stärkere Trennung; eine Isolation, die durch scharfe Trennung zu den monotonen Maisfeldern oder anderen großflächigen Monokulturen so verstärkt wurde, dass den Dörfern oft ihr Wesenszug abhanden kam,“ schreibt der Ökologe Josef Reichholf. Während umgekehrt „bei den Städtern und der Stadtentwicklung, ganz besonders bei den Berlinern, ein Öffnungsprozeß zur Landschaft hin“ stattfand.

Der „Eco-Citizen“ holt sich in die Städte also immer mehr Ökologisches (einschließlich Umweltschutz) rein und in die Dörfer Ökonomisches: die Industrialisierung der Viehwirtschaft, die in riesige Zweckbauten stattfindet sowie drumherum die immer gewaltigeren Anlagen zur Energiegewinnung – in Form von Windkraftanlagen oder Biodiesel-Tanks z.B., dazu Schlachthöfe, Autobahnanschlüsse usw.. Es findet geradezu ein Austauschprozeß statt: Dreck, Krach, Gestank, Gift und alles ethisch Fragwürdige wird aus der Stadt raus verlagert, während die letzten Wildtier- und Pflanzen-Populationen reingeholt werden – um ein mehr oder weniger friedliches Zusammenleben mit ihnen zu proben. Auch im privaten Bereich gibt es immer mehr Ökologie: Balkonpflanzen, Baumscheiben- und Terrassenbegrünungen, Aquarien und Terrarien etc.. Daneben werden Tiere zunehmend in Pflege- und Seniorenheimen, psychiatrischen Kliniken, Sterbehospizen und bei der Betreuung von Demenzpatienten eingesetzt – u.a. sogenannte „Therapiehunde“. Was hier ökonomisch bleibt ist die Software-Produktion, die eine immer größere Wertschöpfungstiefe erreicht, eine ausufernde Unterhaltungs- und Kulturindustrie sowie touristische Dienstleistungen.

2012 besuchten rund 10 Millionen Touristen Berlin, die hier sanitär, kulturell und gastronomisch versorgt werden wollten. Auch für ihre Wünsche und Bedürfnisse gibt es eine „Umweltforschung“. Da kommt dann z.B. ein Mauermuseum, ein Erotikmuseum, ein Riesenrad und ein Barbiehaus am Zoo bei raus.

Kurzum: Es sind die ökonomischen und ökologischen Umkehrungs und Durchmischungsverhältnisse selbst, die die feministische US-Biologin Donna Haraway auf die Idee brachten: „Es gibt keine Natur und keine Kultur, aber viel Verkehr zwischen den beiden.“

 

Die Verandapflanzen, die Bruno Hellwegs Frau Hedwig (links), Grunewaldstraße 77, aufopferungsvoll hegt und pflegt. 

 

 

Die Balkongeranien von Frau Schmidtbauer (Mitte) in der Westfälischen Straße 42

 

 

Die Obstbäume von Ewald Blumenthal in der Gartensiedlung „Frohe Stunden“.

 

Das Pferdekarussel auf dem einstigen Rummel am Lützowplatz.

 

Die ganzen Schnittblumen, die  Elfriede und Hermann Janitschek, Weserstraße 32, zur Silbernen Hochzeit bekamen.

 

Finsterste Provinz

Als solche galt z.B. immer „Kyritz an der Knatter“. Heute klagen selbst Kölner Kulturschaffende: „Hier können die tollsten Sachen passieren, seit der Wende berichtet nur noch die Lokalpresse darüber, während man über jeden Berliner Furz lang und breit informiert wird.“ In der BRD war die Hauptstadt – Bonn – Provinz, seit der „Berliner Republik“ ist das nun ganz Westdeutschland und große Teile Ostdeutschlands. Witzigerweise veröffentlichte der Neuberliner Popliterat Florian Illies mitten in diesem blöden neodemokratischen Zentralismus einen gediegenen Provinzroman: „Ortsgespräch“.

Bereits 1975 erschien ein Kursbuch zum Thema „Provinz“. Damals wurde diese gerade wieder „zu einem praktischen Problem der Linken“, wie es einer der Beiträge geradezu enthusiatisch analysierte: Die meisten jungen Akademiker, die wenige Jahre zuvor noch in Berlin oder Frankfurt für eine neue Gesellschaft gekämpft hatten, waren mittlerweile durch die Seminarausbildung oder das Refrendariat aufs Land verschlagen worden. Die Autoren des Kursbuch warnten davor, diese Zeit nicht „als unabwendbares Durchgangsstadium“ anzusehen. Es gelte vielmehr das „typische Zentrale-Provinz-Verhalten innerhalb der Linken zu erkennen und zu beseitigen“ und sich dann dem „praktischen Alltagskampf zu widmen“. Viele teilten diese Überzeugung, und so entstanden auf den Dörfern und in den Kleinstädten in den kommenden Jahren Landkommunen und selbstverwaltete Jugendzentren, Biobauernhöfe und Ökoläden. ,Provinz ist ein gutes Wort‘, erklärte Ernst Bloch 1975 auf den ersten Seiten des Kursbuchs. Ursprünglich bedeutete das lateinische Wort „provincia“ bloß „Aufgabe“, „Verpflichtung“ – ohne eine geographische Zuordnung. Später wurde daraus die Provinz als Gegenentwurf zur Hauptstadt. Aber schon im „Wörterbuch des Teufels“ von Ambrose Bierce (1912) hieß es – zum Stichwort „Weltstadt“: Sie seien „Hochburgen des Provinzialismus“.

In seinem 2002 veröffentlichten Buch „Wie komme ich hier raus? Aufwachen in der Provinz“ schreibt der aus Westerstede bei Oldenburg stammende Kolja Mensing: Auch Helga, die heute in der 6000-Seelengemeinde Stolzenau am Gymnasium Französisch und Deutsch unterrichtet, ist damals von der Stadt aufs Land gezogen. „Ganz bewusst“, sagt sie, während wir uns in der großzügig mit hellem Holz eingerichteten Cafeteria ihrer Schule unterhalten.“ Helga gehört zu denjenigen, die vor zwanzig oder dreißig Jahren aus der Not eine Tugend machten und auf dem Land nach „alternativen Lebensentwürfen“ suchten und – gleichzeitig – eine gewisse Missionarstätigkeit aufnahmen: Während sie für eine aufgeklärtere und weltoffenere Provinz kämpfte, versuchte sie ihren Schülern ein Bewusstsein für das andere Leben jenseits der kleinen Verhältnisse zu vermitteln. Heute hat sich der Elan etwas gelegt, und Helga stellt fest, dass die meisten ihrer Schüler für dieses andere Leben gar nicht zu begeistern sind: „Als ich eine Klassenfahrt nach Paris organisiert hatte, wollte niemand mit. Warum soll ich mir Paris ansehen, fragten die Schüler – hier ist es doch auch schön…“

Die „Errungenschaften“ der Stadt sind längst bis zum letzten Dorf durchgedrungen, wie Kolja Mensing in seinem Dorf bitter bemerkte. Der Biologe Josef Reichholf beobachtete, wie die beiden Lebensformen sich nun auf andere Weise wieder voneinander entfernen: Bei den Städtern und der Stadtentwicklung hat in ökologischer Hinsicht ein „Öffnungsprozeß zur Landschaft hin“ stattgefunden, während „bei den Dörfern ist die historische Entwicklung bis in die allerjüngste Zeit fast genau umgekehrt verlaufen“: Aus der „Eingebundenheit in das Umland wurde eine zunehmend stärkere Trennung; eine Isolation, die durch scharfe Trennung zu den monotonen Maisfeldern oder anderen großflächigen Monokulturen so verstärkt wurde, dass den Dörfern oft ihr Wesenszug abhanden kam“ – vor allem wenn in ihnen auch noch die Tierzucht industrialisiert und in Zweckbauten separiert wurde sowie drumherum riesige Anlagen zur Energiegewinnung errichtet wurden und werden.


 

Die roten Nelken und gelben Löwenmäulchen, die man Hennie Leuwelk, Mommenstraße 60, zum 65. Geburtstag schenkte.

 


Die weißen Nelken, die Herbert Ahlring, Rothenburgstraße 72, zu seinem 60 Geburtstag bekam.

 

 

Die Lilien, mit der Dr. Engelbrecht seine Frau an ihrem 55. Geburtstag überraschte.

 

Die Teerosen, die Anneliese Konczak (links), Brandenburgische Straße 19, ihrer Freundin Eva Hillmeier (rechts), Konstanzer Straße 82, mitbrachte, als diese sie zu einer gemütlichen Weinverkostung auf ihrem Balkon einlud.

 

Die Geranien im Schrebergarten von Herr und Frau Dannecker in der Steglitzer Laubenkolonie „Abendruh“.

 

Acker- und Ökobürger

Auf dem Weg von Swinemüde u.a. über den kleinen Oderhafen Gartz nach Berlin kamen wir an den riesigen Anlagen eines Biogas -und Spritkonzerns vorbei. Gartz, etwas unterhalb von Stettin gelegen, scheint heute nur noch von den Wanderern auf dem Oder-Neiße-Radweg zu leben. Der 1249 gegründete Ort – nun inmitten des Nationalparks Unteres Odertal gelegen – hat eine noch z.T. erhaltene Stadtmauer, im Torwärterhaus wurde 1990 ein Ackerbürger-Museum eingerichtet.

Das interessierte uns, denn diese Form mittelalterlicher Semi-Urbanität könnte unsere postmoderne Zukunft sein: Ackerbürger, heute würde man sagen: Ökobürger, das waren damals die Gartzer, die nicht vom Handel oder Handwerk leben konnten, denen daneben aber auch der Garten hinterm Haus nicht genug zum Leben abwarf, weswegen sie noch einige Äcker und Weiden samt Scheunen und Ställe außerhalb der Stadtmauern unterhielten.

Ähnlich war es bei den Ostfriesen: um z.B. Bürger von Emden zu werden, mußte man mindestens ein paar Ziegen besitzen, notfalls auf Kredit angeschafft, die dann auf dem eingedeichten Land vor der Stadt gehütet wurden. Dazu mußte man sich an Deichwartungsarbeiten beteiligen.

Heute, so hat der Münchner Biologe Josef Reichholf festgestellt, findet bei den Städtern und der Stadtentwicklung, ganz besonders bei den Berlinern, in ökologischer Hinsicht ein „Öffnungsprozeß zur Landschaft hin“ statt. Während „bei den Dörfern die historische Entwicklung bis in die allerjüngste Zeit fast genau umgekehrt“ verlief: Aus der „Eingebundenheit in das Umland wurde eine zunehmend stärkere Trennung; eine Isolation, die durch scharfe Trennung zu den monotonen Maisfeldern oder anderen großflächigen Monokulturen so verstärkt wurde, dass den Dörfern oft ihr Wesenszug abhanden kam“ – vor allem wenn in ihnen auch noch die Viehwirtschaft industrialisiert und in Zweckbauten separiert wurde sowie drumherum riesige Anlagen zur Energiegewinnung errichtet wurden – und werden.

Das Gartzer Ackerbürger-Museum entpuppte sich als eine liebevolle Zusammenstellung von Wohnungseinrichtungsgegenständen aus dem 18. und 19.Jhd., wie sie heute jeder Ökobürger gerne für seine Datsche oder ausgebaute Remise sammelt. An der Kasse kauften wir zur Vertiefung des Ackerbürgergedankens einige Broschüren über die Geschichte der Stadt sowie ein Glas Holunderblütengelee: selbst hergestellt von den Museumsfrauen. Auch diese Nebeneinnahme, der wunderbar frisch schmeckende Brotaufstrich, war in gewisser Weise noch dem Ackerbürger-Gedanken geschuldet.

Wieder zurück in Berlin entdeckte ich im Buchladen ein soeben erschienenes Pamphlet: „Kartoffeln und Computer“ des Schweizer Anarchokommunisten „P.M.“ Und darin findet sich bereits ein ganzes Konzept, ein Plan, für ein Leben als Ökobürger – im Kollektiv: „Gemeinsamer Wohlstand wird in Zukunft zweierlei bedeuten: Zugang zu Land und Zugang zu Wissen,“ so der Nautilus-Verlag im Klappentext. Dieser „Zugang“ zu Land besteht bei vielen Ökobürgern aus Aneignung: Das begann – in Berlin ebenso wie in Detroit, Havanna oder Peking – mit der „Begrünung“ von Balkonen und Dachgärten bzw. Hinterhöfen, griff auf den öffentlichen Raum über: auf Baumscheiben und ungenutzte Flächen wie Industriebrachen, und dehnte sich schließlich ackerbürgermäßig auf Pachtgrundstücke vor der Stadt aus. P.M. schreibt: „In den Regionen muss die Verknüpfung von Bauernbetrieben mit städtischen Nachbarschaften organisiert werden.“ Dies geschieht besonders häufig in Berlin, wo die Entvölkerung des Umlands es vielen jungen Leuten ermöglichte, sich dort billig anzusiedeln.

Der nächste Schritt war die Iniitiierung halbprivater „Food-Coops“ in der Stadt, in denen nun ihre Agrarprodukte an die Nachbarschaften drumherum verkauft werden. Die Idee ist uralt und hängt mit wirtschaftlicher Verelendung zusammen: So baute Siemens in den Zwanzigerjahren bereits in Staaken an der Heerstraße Häuser mit Gemüsegarten und Ziegenställe, damit die darin lebenden Siemensarbeiter bei vorübergehender Auftrags- und damit Arbeitslosigkeit nicht verhungerten. Bei Danzig machte man nach 1990 den Versuch, arbeitslosen LPG-Arbeitern statt Sozialhilfe Ziegen zu übereignen. Im Endeffekt wird sich die hochtechnisierte Arbeitsteilung mit 40-Stundenwoche, Auto, Komfort-Urlaub und Kranken- sowie Rentenversicherung als eine vorübergegangene Entwicklung in den einst industrialisierten Ländern darstellen. Eine Art Goldenes Zeitalter des Proletariats.

 

Die Orchideen von Wilma Seybold in der Wilmersdorfer Straße 12.

 

 

Der Pudel und der bewußt unsgepflegte Rasen auf dem Wochenend-Grundstück in Frohnau des Ehepaars Grobschmidt aus der Müllerstraße 226.

 

 

Die Hecke vor dem Haus von Adolf Niedecken (links) in der Lipschitzallee 16a. Neben ihm seine drei in Westdeutschland lebenden Söhne Rolf, Jens und Detlef.

 

Der Tannenbaum vor dem Haus, Storkwinkel 8, in dem Klaus Beiderbecken wohnt.

 

Schweinerippchen auf dem Grill hinterm Haus von Sophie Clausen und ihrem Mann Hans-Joachim im Dahlemer Weißdornweg 12

 

Der Lindenbaum an der Einfahrt zum Seitenflügel des Britzer Wegs 14, wo die beiden VW-Besitzer Ines und Wolfgang Brüggemeier wohnen.

 

Ansteckende Gärten

„Immer mehr Studien von Medizinern zeigen: Aufenthalt und Arbeit im Garten wirken vorbeugend und heilend bei vielen Krankheiten“. (Ihre Gesundheitskasse AOK)

Bis vor kurzem veranstaltete die Bundeskulturstiftung und das Haus der Kulturen der Welt einen Wettbewerb „Über Lebenskunst“. Zu den 14 von über 100 eingereichten Projekten, die gefördert wuerden, gehört die „Initiative Social Seeds“. Sie besteht aus einer Gartenbauingenieurin (als Moderatorin), einer Kleingärtnerin (als Dokumentaristin) und einer Agrarwissenschaftlerin (mit dem Schwerpunkt Saatgutvermehrung). Es geht den drei Frauen – Alexandra Becker, Britta Pichler und Gunilla Lissek-Wolf – um „Lebensvielfalt“ und dabei arbeiten sie mit den in den letzten Jahren entstandenen Gemeinschafts- bzw. Nachbarschaftsgärten zusammen – um  „durch den Anbau alter, seltener und regionaler Kulturpflanzensorten neue Agro-Sozio-Biotope zu schaffen“. Erst einmal wollen sie die etwa ein Dutzend Gemeinschaftsgärten „vernetzen“ und „über deren Gartenzäune hinweg“ z.B. „Samen-Tauschringe“ einrichten. Zum Jahresende stellten sie ihre Pläne inmitten der Pflanzen des „Prinzessinengartens“ vor. Diese befanden sich jedoch nicht mehr an ihrem angestammten Ort – am Moritzplatz im Freien, sondern unterm  Kunstlicht des   Hebbeltheaters (Hau 1) in der Stresemannstraße, wo sie im Rahmen der multimedialen „Hau“-Schau  „Zellen“ als lebende Pflanzenzellen auf der Bühne agieren, die man dort auch begärtnern darf. Der sich nomadisch nennende  Prinzessinnengarten gehört ebenfalls zu den Gewinnern des Wettbewerbs „Über Lebenskunst“ (daneben bewarben sich noch drei Imker-Projekte). Die  Gemüsepflanzen und Blumen des Gartens blieben nur einige Wochen im Theater, dann wanderten sie weiter in die fast leer stehende und zum Verkauf ausgeschriebene Markthalle an der Eisenbahnstraße – zum Überwintern. Das „Social Seeds“-Projekt könnte man gleichfalls als nomadisch bezeichnen, denn es  findet in sechs  „Workshops“ – in jedesmal einem anderen Gemeinschaftsgarten – statt. Zuletzt tagte es wieder inmitten der Nutz- und Zierpflanzen des Prinzessinnengartens am Moritzplatz ist. Dort fand dann ein „Pflanz- und Saatgut-Tausch-Markt“ statt.

Das Projekt „Social Seeds“ ist geeignet, die von unten entstandene „Laiengarten-Bewegung“, zu der auch noch das „Guerilla Gardening“ und das Kapern von Straßen-Baumscheiben gehören, zu professionalisieren, indem es sich vor allem um „Saatgutauswahl, Anbauplanung, Samenkunde, Beetanlage und Saatgutvermehrung“ besorgt. Und das zusammen mit dem „Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen in Brandenburg“ und der Fachhochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, die 2009 bereits eine Kooperation mit dem Prinzessinnengarten vereinbart hatte. Vielen Mitarbeitern in Gemeinschaftsgärten (allein im Prinzessinnengarten waren es 2011 über 500) ist jedoch das Soziale daran mindestens ebenso wichtig wie das Biologische. Dies kommt bereits in ihren Namen zum Ausdruck. Auf dem 1. „Social Seeds“-Workshop im Hebbeltheater waren u.a. anwesend: der „interkultureller Garten City“ in der Lützowstraße, der „Ton Steine Gärten“ am Georg-von-Rauch-Haus, „Bunte Beete“ in der Wrangelstraße (mit „30 aktiven Gärtnern aus zehn Ländern“) und der „Pyramidengarten des Vereins Multikultureller Nachbarschaftsgarten Neukölln“.

Für den Initiator des Prizessinnengartens Robert Shaw ist „jeder Garten auch ein Nachbarschaftsproblem bzw. -prozess.“ Für die Pflanzen heißt das: „Was wächst am Besten neben wem und auf welchem Boden?  Für die beteiligten Gärtner heißt das „Man muß so einen Ort mit den Nachbarn gestalten, ohne deren Interessen geht das nicht, und die bringen natürlich auch ihre Traditionen mit, die sie dann hier realisieren“. Mit dem Begriff „Agro-Sozio-Biotope“ haben die drei Frauen von „Social Seeds“ zwar beides in Auge gefaßt – das Ineinandergreifen von Natur und Kultur in den Gemeinschaftsgärten, dies schlägt sich bisher aber noch nicht in ihrem Workshop-Programm nieder, so dass man befürchten muß, dass damit der US-Biologisierung aller Lebensäußerungen Vorschub geleistet wird. Obwohl eigentlich genau das Gegenteil Not tut: die Auflösung aller Biologien in Soziologie. Der Kopfsalat als neue  Bezugsperson.

 

 Die Gartenlauben-Kolonie in der Schönholzer Heide, wo Hannah und Friedhelm aus Steglitz sich gerade eine leer gewordene Datsche angekuckt haben. 

 

Die einst verwilderten Ecke im Treptower Park, wo früher eine Würstchenbude stand, bei der sich der in der Allende-Siedlung wohnende Claus-Peter Dirksen und ein Teil seiner Brigade im Elektro-Apparatwerk EAW (heute Treptower) gerne trafen, wenn es draußen langsam wieder wärmer wurde.

 

Der Spielplatz nebst der Senioren-Oase (links) vor dem Haus von Brigitte Grothen (Mitte),  Atttilastraße 32.

 

Die Langgraswiese des Sportplatzes am Freiheitsweg 20,  wo Willi Seibold und Friedrich „Fritz“ Schorken regelmäßig Federball spielen.

 

Die Uferböschung am Tegeler See, wo die in der Seidelstraße 12 wohnende Dagmar Schmidtbauer und ihr Sohn Rafi sich im Sommer gerne aufhalten.

 

 

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