vonHelmut Höge 19.07.2015

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Die Botanikerin Ilse Tummler-Karoleit vor einem Versuchsfeld im Württembergischen, auf dem man erstmalig wieder Färberwaid anbaut, der deutschen Alternative zur tropischen Indigopflanze.   

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Indigo ist ein Farbton, blau-violett, und wird im Colour Index als C.I. Pigment Blue 66 und C.I. 73000 geführt:

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„C.I.Pigment Blue 66,C.I.73000,CAS 482-89-3,262.26,C16H10N2,Microsol Navy Blue BRN/ Molecular Formula:C16H10N2O2/ Molecular Weight: 262.26/ CAS Registry Number:482-89-3.“

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Die Farbe gewinnt man auf „natürliche Weise“ aus der indischen Indigopflanze – Indigofera tinctoria. Sie gehört zur Familie der Hülsenfrüchtler (Fabaceae). Hierzulande gab es als Ersatz den „Färberwaid“. „Der Färberwaid (Isatis tinctoria), Pastel oder Deutsche Indigo ist eine zweijährige Pflanze aus der Familie der Kreuzblütengewächse (Brassicaceae). Er stammt aus Westasien, wurde aber bereits vor vielen Jahrhunderten in Europa als Färberpflanze kultiviert. Aus dem Färberwaid wurde in Deutschland Indigo (Indigoblau) gewonnen. Erst an der Luft oxidiert der Farbstoff und wird langsam blau,“ heißt es auf Wikipedia.

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Der aus dem Waid gewonnene Brei wurde – in Thüringen z.B. – zu Waidkugeln getrocknet und nach Bedarf, vorwiegend in den Wintermonaten, mit Urin angefeuchtet und nach Zugabe von Pottasche vergoren. Wahrscheinlich forcierte das Urin die Vermehrung der zur Vergärung notwendigen Bakterien.

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„300 kg Pflanzenmaterial lieferten etwa 1 bis 1,5 kg Indigo. Die Indigofera-Pflanze in Indien lieferte die dreißigfache Farbstoffmenge im Vergleich zu Färberwaid, so dass der Anbau in Europa im 17. Jahrhundert unrentabel wurde.“ Aber noch im 18.Jahrhundert agitierte dieser oder jener deutsche Agrarwissenschaftler für den Färberwaid.

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So versuchte z.B. ein gewisser Herr „Schreber mit seinem Buch ‚Historische, physische und öconomische Beschreibung des Waidtes, dessen Baues, Bereitung und Gebrauchs zum Färben, auch Handels mit selbigen überhaupt, besonders aber in Thüringen‘ aus dem Jahre 1752, den Trend nochmals umzukehren. In der Vorrede nennt er ganz im Sinne der merkantilistischen Wirtschaftstheorie das Ziel, ‚daß künftig viel Geld in Teutschland bliebe, und zum allgemeinen Besten darinnen circulirete, welches itzo für den Indigo an auswärtige Orte geschicket wird‘.“ Das „Deutsche Museum“ München schreibt: „Dem Einsatz Schrebers für den vermehrten Waidanbau in Thüringen war kein Erfolg beschieden. Die Konkurrenz aus Übersee war zu mächtig, konnte mit schwarzen Sklaven auch viel billiger produzieren. Schrebers Waidbuch ist ein sehr gründliches, weit ausholendes, gelehrtes Werk. In einem Anhang von 120 Seiten werden zahlreiche Rechtsverordnungen aufgeführt, darunter auch das kaiserliche Verbot der Corrosivfarbe (Indigo) von 1577; außerdem werden frühe Waidschriften in voller Länge abgedruckt (Heinrich Crolachs Isatis herba von 1555 sowie zwei Schriften von Laurentius Niska von 1631 bzw. 1633).“

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Nach der Eroberung und Kolonialisierung Indiens durch die Engländer, kauften diese erst die Indigopflanzen von den indischen Bauern auf, dann veranlaßten sie immer mehr Bauern, mehr Indigo anzupflanzen und schließlich zwangen sie die Bauern des Indigos wegen in ein halbes Zwangsarbeitssystem, wie es überall in den Kolonien üblich war, wo nicht gleich die Sklavenwirtschaft überwog, aus der mit dem Sklavenverbot – nach Aufhebung des „Code Noir“ 1848 – das nicht minder schändliche „Kontraktarbeiter-System“ wurde.

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Im selben Jahr, 1848, durchstreifte der für Europa exotische Tiere und Pflanzen sammelnde Alfred Russel Wallace Amazonien, wo er zumeist auf den Plantagen von portugiesischen Sklavenbesitzern Quartier bezog. „Portugal war die weltweit führende Sklaven handelnde Nation bis ins 19. Jahrhundert. Allein nach Brasilien wurden von portugiesischen Kaufleuten in der Neuzeit mehr als 3 Millionen afrikanischer Sklaven verkauft. Es gab freilich kaum eine europäische Seehandelsmacht, die am internationalen Sklavenhandel nicht beteiligt war; dies schließt nicht nur spanische, britische, französische und holländische, sondern auch schwedische, dänische und brandenburgische Kaufleute ein.“ (Wikipedia)

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Der Naturaliensammler Wallace schrieb in seinem Expeditionsbericht „Abenteuer am Amazonas und am Rio Negro“, der 2014 auf Deutsch erschien:“Ich schoss mehrere schöne Vögel und sah zum ersten Male den schönen blauen Macao (Hyazinth-Ara), von dem man uns gesagt hatte, dass wir ihn am Rio Tocantins antreffen würden. Sie sind von einem schönen Indigoblau…“

 

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Das Kontraktarbeiter-System war auf den kolonialisierten Südsee-Inseln gang und gäbe, wo die u.a. aus Südostasien herangeschifften Kontraktarbeiter 5 Jahre lang für einen Hungerlohn u.a. auf den Indigo-Plantagen der Europäer arbeiten mußten. Die „Neue Zeitungen von gelehrten Sachen“ (hrsg. von Johann Gottlieb Krause.) rezensierte eine 1768 in Marseille erschienene Revue von Jean Moffy und darin den Artikel: „Le parfait indigotier, ou description de L’Indigo – par Elie Monnereau, habitant de Limonade, départment du Cap, aux Isles Francoises de l’Amerique“ (eine der franz. Kolonien in der Karibik): „Man findet darinn unter andern eine ausführliche Vorschrift, wie ein jeder, der Indigo Plantagen anlegen will, oder bereits besitzet, am nützlichsten dabey verfahren, und sich besonders gegen die Sklaven, denen die Arbeit anvertrauet ist, betragen müße. Es wird bey dieser Gelegenheit auch der abscheuliche Charakter dieser Sklaven, und ihre feindlichen Gesinnungen gegen die Europäischen Besitzer solcher Plantagen, umständlich beschrieben, und daraus das harte Verfahren dieser letzteren, als ein nothwendiges Überl entschuldigt.“

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1787 ergab eine Zählung auf der ergiebigsten französischen Kolonie „Haiti“ (Damals St.Domingo genannt): 2884 Indigo-Plantagen. Jede Plantage wurde mit einem Wert von 30.000 Pfund eingeschätzt. Die Arbeit auf den Plantagen der Insel verrichteten 26.200 Feld-Neger. Allein in Ost-Indien kam eine Schätzung der von den dortigen Indio-Plantagen angebauten Flächen auf 165.000 Acres – laut „Allgemeine Oesterreichische Zeitschrift für den Landwirth, Forstmann und Gärtner“ 1842.

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Bis zum Verlust ihrer Südsee-Kolonien nach dem verlorenen 1. Weltkrieg bauten auch die Deutschen auf ihren Plantagen dort u.a. Indigo an – und erzielten damit „lohnende Ernten“. Vor allem die Hamburger Firma J. C. Godeffroy und Sohn, die später „Deutsche Handels- und Plantagen-Gesellschaft der Südsee-Inseln“ hieß. Sie beherrschte den Südsee-Handel – namentlich auf den deutschen Samoa-Inseln: „Von den Eingeborenen haben sie bereits 100- bis 120,000 Acres Land gekauft (indem sie deren Häuptling schmierten). Von diesem Land haben sie gegenwärtig etwa 4000 Acres in Cultur. Der größere Theil dieses Eigenthums liegt auf Upolu und bildet ein dreieckiges Terrain, welches sich ungefähr fünf Meilen an der Seeküste und landeinwärts bis zur Wasserscheide erstreckt. Es ist durch Saumpfade von der Küste aus leicht zugänglich. Die deutsche Gesellschaft beschäftigt bereits 1200 eingeführte Arbeiter, hauptsächlich von den Kingsmill-Inseln, außer einer Anzahl von Samoanern, Rarotonganern und Niues.“

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Anfang des 19.Jahrhunderts träumten viele Abenteurer, Kriminelle, Geschäftsleute, Deserteure, Seeleute und Soldaten davon, auf einer der „glücklichen“ Südsee-Inseln als Plantagenbesitzer selbständig zu werden und frei zu sein. In Stuttgart war das 1806 z.B. Karl Reichenbach, 18 Jahre alt und angehender Student der Kameral- und Rechtswissenschaften, der zwei Gleichgesinnte in den Stuttgarter Gasthof „Zum Roten Haus“ geladen hatte.

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„Den Pfarrersohn und Apothekergehilfen Karl Christian Wagenmann sowie den Jurastudiosus Karl August Georgii, beide ähnlichen Alters und von ähnlichem Sturm und Drang beseelt, rebellisch gesinnt wie die Meuterer, aber nicht umstürzlerisch, eher von Eskapismus getrieben. Eine Vereinigung wollten sie gründen, 60 bis 100 junge Leute anwerben, um in Tahiti eine Kolonie gründen zu können. Das Ganze war streng geheim. Die Obrigkeit sollte keinen Wind davon bekommen und die Pläne womöglich durchkreuzen. Reichenbach hatte eine „Grundurkunde“ vorbereitet. die er seinen beiden Mitstreitern zur Unterschrift vorlegte: „Wie und wo leben wir Menschen gerne?“, hieß es da in einem längeren Statut, „Frey und unabhängig, los von den Fesseln fremden Zwanges; dort wo Natur und Kunst harmonisch erklingen“. Wegweisend für die weitere Vorbereitung: „Dort leben wir gerne, wo er gut wächst, und wo er uns gehört, der süße Wein, den wir mühsam pflanzten, wo nicht das Geklirre der Bajonette unseren Geist niederdrückt. Ist es so in Europa, in Deutschland, in Württemberg? Es ist nicht so. Schaudervolle Zukunft, die unseres jungen Lebens wartet“. “

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Die Württembergischen Vierteljahreshefte, Jahrgang 1886, haben uns das Treffen glücklicherweise ausführlich überliefert,“ schreibt Ulli Kulke in einem längeren „Welt“-Artikel über diese „Begebenheit“:

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„Was Reichenbach den anderen verschwieg, was erst später bei den Hausdurchsuchungen durch die Stuttgarter Polizeidirektion ans Licht kam: Er dachte keineswegs nur an das paradiesische Leben, sondern betrieb insgeheim Pläne, die Kolonie auf Tahiti in eine Indigo-Plantage zu überführen. Er wollte reich werden im Garten Eden. Im weiteren Vereinsleben spielte dieser Plan indes keine Rolle. Vielmehr ging es darum, auf Tahiti „ein idyllisches Leben, wie es die Dichter schildern, zu führen“. Jedoch: „Philipp-Christian von Normann-Ehrenfels, Württembergs Innenminister, bekam Wind von der Sache, offenbar aus dem Verein selbst heraus. Der Tatbestand der Geheimgesellschaft allein reichte für die Verhaftung der Mitglieder. Das umfangreiche Schrifttum in dem ja zumindest ungezogenen Tonfall gegenüber der Obrigkeit, das die Untersuchung nun zu Tage brachte, wurde ihnen zur Last gelegt. Auch dass Reichenbach über den Tyrannenmord nachgedacht hatte, obwohl er ihn ja gerade nicht empfahl, sondern „besser dem Verderben ausweichen“ wollte. Als strafbar im Besonderen sah die Anklage den Vereinszweck der Auswanderung, insbesondere, da es sich um „Seminaristen“ handele, die mit dem Beitritt zur Universität schließlich sich verpflichtet hätten, „dereinst ihre Dienste dem Vaterland widmen zu wollen“. Einzelhaft wurde angeordnet, weniger zur Strafe als zur Abwehr von Verabredungen. Der König schaltete sich ein – nicht ohne Respekt den Delinquenten gegenüber. Er verfügte, dass es für sie zum Frühstück Suppe gab, später ein „einfaches aber gutes Mittag- und Abendessen“. Und: „Jeden Tag einen Schoppen Wein.“ „Seine Majestät“ war es auch, die nach acht Wochen „aus Vorsorge für ihre Unterthanen“ den Prozess anmahnte, längere Untersuchungshaft sei den Beschuldigten nicht zuzumuten. Das Gericht verurteilte Reichenbach schließlich zu weiteren zwei Monaten Festungshaft auf Hohenasperg. Alle anderen wurden entlassen, gegen Begleichung der Kosten ihrer Haft.“

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Allein dadurch dass die französische Armee ihre Uniformen einst auf Blau umgestellt hatte, gab es eine gesteigerte Nachfrage nach Indigo, was die Preise dafür ansteigen ließ – und ihren Anbau noch attraktiver machte. Aber nach der Revolution – mit Napoleon änderte sich das: „Die Infanterie bildete die Hauptstreitmacht Napoleons. 1805, als Napoleon die Invasion Englands plante, betrug ihre Stärke ca. 200.000 Mann. Unter diesen waren fast 50% der Infanteristen Soldaten der Revolution oder des Konsulates. Ihre Uniform bestand aus dem Zweispitz und einem blauen Rock von 1799 mit langen Schößen und weißen Rabatten. Allmählich wurde der Zweispitz durch den Tschako ersetzt. Dieser bot besseren Schutz vor Säbelhieben, diente den Soldaten aber auch zur Aufbewahrung von allerlei Dingen wie bspw. Schuhputzzeug, Kamm oder einer kleinen Flasche mit Schnaps. 1806 wurde ein weißer Rock eingeführt, da es kein Indigo mehr gab, der die Uniform blau färbte. Mit dem weißen Rock wurde auch der Mantel eingeführt.“

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Bis ins 18. Jahrhundert war u.a. in Louisiana hauptsächlich Indigo und Tabak angebaut worden, nach Einführung des Zuckerrohrs durch die Franzosen, die die Pflanze zu Beginn des 18. Jahrhunderts in ihre amerikanische Kolonie Louisiana brachten, stellten viele Farmen und Plantagen auf Zuckerrohr um. 1830 stand in New Orleans die größte Zuckerrohrraffinerie der ganzen Welt.

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Auf „topagrar.com“ heißt es: „Wir besichtigen die größte Plantage Louisianas, die der Familie Randolph gehörte. Die Familie kaufte im Jahr 1842 1640 acres Land für 30 000$. Zu dieser Zeit bauten sie Baumwolle an und besaßen 20 Sklaven, die über Frau Randolph mit in die Ehe gebracht wurden. Ein paar Jahre später wurde die Farm wie viele andere zu dieser Zeit auf Zuckerrohranbau umgestellt, weil das mehr Geld einbrachte als Baumwolle. Im Jahr 1855 kaufte Sir Randolph 191 acres Land für die Nottoway Plantage und weitere 17 Sklaven. Zusätzlich besetzte er 4333 acres Sumpfland von der Regierung. 1857 besass er 71160 acres Land! Auf 400 acres wurde Zuckerrohr und auf weitern 400 acres Mais angebaut. Das alles war natürlich nur möglich, weil seine 88 männlichen und 88 weiblichen Sklaven täglich auf seinen Feldern schufteten. Im selben Jahr ließ Randolph das riesige Plantagenhaus für seine Familie bauen.“

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In Deutschland entdeckte man zwar immer mehr Färbepflanzen in der einheimischen Flora, in einer Übersicht heißt es Ende des 19.Jhds: „Es liegt auf der Hand, dass man mit diesen Farbematerialien die so außerordentlich vorzüglichen und ergiebigen ausländischen Farbstoffe nicht ersetzen konnte, und man blieb nach wie vor gänzlich auf das Ausland angewiesen. In immer größeren Quantitäten und stetig wachsender Mannigfaltigkeit fanden sie Aufnahme in der deutschen Färberei, so dass bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts folgende ausländische Farbstoffe zum Färben eingeführt wurden: Indigo, Blauholz, Brasilholz, Sandelholz, Cochenille, levantischer Kermes, Lacca, Gelbholz, Fisettholz, Quercitronenrinde, Curcuma, Orlean, Gelbbeeren, Catechou, Gallen, Knoppern, Orseille, Sumach, Lackmus, Persio, Chica, Carajuru, Aloe, Zuckersorgho, Harmalaraute, Munjeed, Soranjee, chinesisch Grün. Vor allem konnte der Indigo triumphieren. Nach jahrhundertelangem Ringen hatte er den (einheimischen) Waid gänzlich verdrängt und stand nun ohne Konkurrenz da. Wenn er auch durch das Aufkommen der Gallen-, Sumach- und Blauholzfärberei, sowie des Berliner Blaus nicht im entferntesten die Monopolstellung und wirtschaftliche Bedeutung hatte, die einst der Waid im Mittelalter besaß, so war er doch noch der König der Farbstoffe, und sein Anbau blieb von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit. So betrug allein die Einfuhr der sonstigen ausländischen Farbstoffe die Indigoproduktion von Bengalen 1841 162000 Factory maunds im Werte von über 90 Millionen Franken \ Ausgangs der 40er Jahre betrug die Ausfuhr aus Indien allein 8 Millionen Pfund. Die anscheinend großen Gewinne aus den Indigoplantagen gaben Veranlassung zur Gründung von Indigo-Kulturen auf Java, den Philippinen, in Ägypten und am Senegal. In China, Transkaukasien, Armenien und der asiatischen Türkei wurde der Anbau des chinesischen Indigos, Polygonum tinctorium, eifrig betrieben. Wohl niemand mochte damals ahnen, daß diesen Indigo- Plantagen nur eine kurze Zeit der Blüte beschieden sein sollte.“

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In Indien begann Gandhi vor Ende des 1. Weltkriegs den aktiven Kampf gegen die wegen des ins vierte Jahr gehenden Krieges gegen Deutschland geschwächte englische Herrschaft in Indien mit einer „Indigo“-Aktion: „Seine ersten Aktionen in Indien führten Gandhi 1917 nach Champaran in Nord-Bihar am Fuße des Himalaja. Bauern hatten ihn um Hilfe gebeten. Die Pächter wurden nach dem Tinkathia-System gezwungen, drei von zwanzig Teilen ihres Landes für den Grundherrn mit Indigo zu bepflanzen. Sie besaßen nicht das Recht, über das von ihnen gepachtete Land selbst zu bestimmen. Gandhi sollte sehen, unter welchen Qualen sie Indigo anbauten und verarbeiteten. Aus einem eintägigen Besuch wurden Monate. Gandhi führte eine Untersuchung durch, die zur Folge hatte, dass die Pächter einen Teil ihrer bereits gezahlten Abgaben zurückerhielten und das System abgeschafft wurde. Sein Wirken reichte jedoch tiefer. Er setzte sich für Bildungsmaßnahmen und verbesserte gesundheitliche Versorgung der Bauern ein, da sie nur so ihre Lage verbessern konnten.“ (www.rajasthan-indien-reise.de)

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Aber nun, knapp 50 Jahre später, 1964/65 (18 Jahre nach der indischen Unabhängigkeit – 1947), dies: der Londoner Arztsohn und Neuropsychologe, Oliver Sacks, Schüler des sowjetischen Psychologen und Begründer der russischen „romantischen Wissenschaft“ Alexander Lurija, will als darwinistisch gesonnenener US-Gehirnforscher am eigenen Leibe erfahren, wie Psychodrogen auf ihn wirken. Dazu nimmt er Haschisch, LSD, Amphetamine etc – aber nur an den Wochenenden, über der Woche arbeitete er als Assistenzarzt an einem kalifornischen Universitätskrankenhaus.

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Über eines seiner drogenbefeuerten Wochenenden, an dem es ihm um Indigo ging, schreibt er: „Lebhaft erinnere ich mich noch an einer Episode, in deren Verlauf mir eine magische Farbe erschien. Als Kind hatte ich gelernt, dass es 7 Farben im Spektrum gibt, einschließlich Indigo (Newton hatte sich in Analogie zu den 7 Tönen der Tonleiter etwas willkürlich für diese Farben entschieden). Doch einige Kulturen gehen lediglich von 5 oder 6 Spektralfarben aus, und nur wenige Menschen sind sich über die genaue Bestimmung von Indigo einig. Schon lange verspürte ich den Wunsch, das ‚echte‘ Indigo zu sehen, und glaubte, dass die Drogen mir dabei helfen könnten. An einem sonnigen Samstag des Jahres 1964 stellte ich mir also eine pharmakologische Abschußrampe zusammen: Hauptbestandteil Amphetamin (für die Steigerund der allgemeinen Reaktionsbereitschaft); LSD (für halluzinogene Intensität) und eine Dosis Cannabis (für ein wenig zusätzliches Delirium).

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Ungefähr 20 Minuten nach Einnahme dieser explosiven Mischung wandte ich mich einer weißen Mauer zu und rief: ‚Jetzt will ich Indigo sehen – Jetzt!‘ Und dann erschien, wie von einem Riesenpinsel aufgetragen, ein gewaltiger, vibrierender, tropenförmiger Fleck reinsten Indigos. Leuchtend, geheimnis und bedeutungsvoll versetzte er mich in höchstes Entzücken. Ich dachte: Es ist die Farbe des Himmels, die Farbe, um die sich Giotto sein Leben lang bemüht hat, ohne dass sie ihm gelang – vielleicht weil die Farbe des Himmels auf der Erde nicht geschaut werden kann. Aer es gab eine Zeit, da existierte sie – es war die Farbe des paläozoischen Meeres, die Farbe, die er Ozean einst hatte. In einer Art Ekstase beugte ich mich nach vorn. Daraufhin verschwand sie plötzlich, und ich blieb mit einem überwältigenden Gefühl des Verlustes und der Trauer zurück. Doch ich tröstete mich: Ja, Indigo existiert, und es kann im Gehirn beschworen werden.

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Danach suchte ich monatelang nach Indigo. In der Nähe meines Hauses drehte ich kleine und große Steine um. Im Naturkundemuseum nahm ich Azuritproben in Augenschein – aber selbst sie blieben unendlich hinter der Farbe zurück, die ich gesehen hatte. Doch 1965, als ich nach New York gezogen war, besuchte ich ein Konzert in der ägyptischen Galerie des Metropolitan Museum of Art. In der 1. Hälfte wurde Monteverdis Marienvesper aufgeführt, und ich war außerordentlich ergriffen. Ich hatte keine Drogen genommen, spürte abder einen wunderbaren musikalischen Strom, 400 Jahre alt, der von Monteverdis Geist in den meinen floß. In dieser ekstatischen Stimmung schlenderte ich während der Pause an den ägyptischen Exponaten vorbei – Schnupftabakdosen aus Lapislazuli, Juwelen und Ähnlichem – und nahm voller Entzücken hier und da einen Schimmer von Indigo wahr. Ich dachte: Gott sei Dank, es existiert wirklich!

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In der 2. Hälfte des Konzerts wurde ich ein wenig gelangweilt und ruhelos, tröstete mich aber damit, dass ich hinterher hinausgehen und mir ein ‚Schlückchen‘ Indigo gönnen konnte. Es war ja da und wartete auf mich. Doch als ich nach dem Konzert hinausging und mir die Galerie anseh, konnte ich nur Blau und Lila und Mauve und Braunrot erkennen – kein Indigo. Das war vor fast 50 Jahren, und Indigo habe ich nie wieder gesehen.“ So weit Oliver Sacks Indigo-Geschichte aus seinem Buch über  „Halluzinationen“ („Drachen, Doppelgänger und Dämonen“, Hamburg 2013)

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Schon fast 50 Jahre vor Gandhis erfolgreicher Indigo-Kampagne,1878, war es dem deutschen Chemiker Adolf von Baeyer gelungen, Indigo „vollsynthetisch“ herzustellen: aus Isatin.

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Isatin ist eine organische Verbindung und ein Derivat des Indols.

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Indol ist eine chemische Substanz, genauer ein aromatischer Heterocyclus und kommt als Strukturfragment in vielen Naturstoffen vor. Isatin wurde erstmals von dem französischen Chemiker Auguste Laurent isoliert (um 1850), aber erst 1878 gelang Adolf von Baeyer die Totalsynthese. 1880 entwickelte er einen Syntheseweg ausgehend von o-Nitrozimtsäure, 1883 patentierte er einen Syntheseweg aus 2-Nitrobenzaldehyd. Infolgedessen musste Indigo nicht mehr umständlich aus Pflanzen gewonnen werden…

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Im Jahr 1890 entwickelte der Zürcher Professor Karl Heumann eine neue Syntheseroute über Phenylglycin. Der Chemiekonzern BASF und die Hoechst AG patentierten und entwickelten das Verfahren weiter. Die Versuchsreihe mit Phenylglycin wurde aber von der BASF im Jahr 1893 wieder eingestellt, da die Indigoausbeute sehr niedrig war. Ein guter Ansatz war jedoch mit Phenylglycin-o-carbonsäure möglich. Die BASF konnte Phthalsäure (ein wichtiges Vorprodukt) recht günstig aus Naphthalin herstellen. Ab 1897 wurde synthetischer Indigo kommerziell nach dem genannten Verfahren von der BASF hergestellt. 1901 gelang es Johannes Pfleger bei der Degussa, aus N-Phenylglycin mittels Natriumamid und einer Alkalischmelze Indigo in hohen Ausbeuten zu erhalten. Mit dem synthetischen Indigo wurden und werden u.a. Jeans-Hosen gefärbt.

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Der Färbevorgang mit der Pflanze sah so aus:

Die Pflanzen enthalten kein Indigo, sondern Indican, das zunächst durch Gärung in Indoxyl umgewandelt werden muss. Durch anschließende Oxidation an der Luft entsteht aus dem gelben Indoxyl der blaue Indigo.

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Auf „burdastyle.de“ wird beschrieben, wie das praktisch aussah, wobei die Autoren den Urinzusatz bei der Vergärung nicht erwähnen:

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„Die Indigo-Blätter werden in Wannen gewässert, wobei sich der Farbstoff von der Pflanze löst. Beim anschließenden Gären färbt sich das Wasser in dem charakteristischen Blauton. Nun muss der Sud abgegossen und der Farbstoff vom Wasser getrennt werden. Das war früher Aufgabe der Sklaven, die in riesigen Bottichen stundenlang den stinkenden Sud stampfen mussten, um ihn mit besonders viel Sauerstoff anzureichern. Durch die Oxidation flockte der Indigofarbstoff aus und setzte sich am Wannenboden ab. Heute kann man das in kleinen Mengen auch durch häufiges Rühren erreichen. Nach dem Abgießen des Wassers müssen die Flocken zum Beispiel mit Natronlauge, Asche oder Kalkstein alkalisiert werden, damit der Farbstoff sich später in Wasser löst und zum Färben von Textilien genutzt werden kann. Indigo wird dann getrocknet, gepresst und zu Pulver verarbeitet. Übrigens gibt es auch eine Theorie nach der die Redewendung „blau machen“ aus dem Färbevorgang hervorgeht: Als letzte Stufe des Färbens wurden die getönten Stoffe an der Luft getrocknet, wobei durch diese erneute Oxidierung die blaue Farbe verstärkt wurde. Da die Arbeiter in dieser Phase nichts tun konnten als warten, hat sich bis heute „blau machen“ als Synonym für „Nichtstun“ eingebürgert.“

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Die Öko-Bewegung hat unterdes bewirkt, dass wieder Indigo aus der Indigo-Pflanze gewonnen wird, d.h. dass in beschränktem Maße wieder Indigo angebaut wird. „burdastyle.de“ erwähnt die Künstler Rowland und Chinami Ricketts. „Sie zeigen auf Ihrer Homepage Step-by Step, wie sie nach alter japanischer Tradition das strahlende Blau gewinnen und damit ihre textilen Kunstwerke gestalten.“

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europa-gestuetzt

Europa – gestützt von Afrika und Amerika

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Gleichzeitig hat der postkolonialistische Neoliberalismus verbunden mit der Ökologie und der Entwicklung der Video- bzw. Computerspiele bewirkt, dass nun auch immer mehr virtuelle Indigo-Plantagen – erneut in den ehemaligen Kolonien (der Karibik z.B.) – bewirtschaftet werden. Aber viele Spieler haben noch Probleme damit und reden z.B. von „indingo“, bei dessen Anbau sie nicht weiter kommen – ihnen wird auf „spieletipps.de“ geantwortet: „Für Indigo musst du eine Orientlinsel besiedeln und ein paar Nomadenhütten bauen. Noch dazu muss diese Insel für indigo fruchtbar sein. Sieh einfach in der oben in der mitte gelegenen leiste am bildschirm nach, ob da indigo erscheint! wenn dies nicht der fall ist musst du bei al zahir das saatgut indigo kaufen! bring es zu deiner orientinsel und sockle es in deinem kontor, mach nun einige felder mit norias fruchtbar und bau indigo an! Wenn du noch keine plantagen bauen kannst, liegt das daran ,dass du mehr Einwohner brauchst. Bau dazu einfach mehr Nomadenhütten. Ich hoffe ich konnte helfen.“

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In Fortführung des blog-Eintrags „Indigo“

Der New Yorker Neuropsychologe Oliver Sacks leitete 1994 eine Expedition zu den Molukken. Mit ihm reiste ein Dokumentarfilmteam, ein amerikanischer Augenarzt und ein norwegischer Physiologe. Ihr Ziel war die „Insel der Farbenblinden“, wie der 1997 von Oliver Sacks darüber veröffentlichte Bericht dann auf Deutsch auch betitelt wurde. Es handelte sich dabei um die Südsee-Atolle Pingelap und Pohnpei, auf denen sich Farbenblindheit vererbt, was mit Augenzittern, mangelnder Sehschärfe und schmerzhafter Lichtempfindlichkeit, einhergeht, und die Betroffenen zwingt, sich tagsüber meist im Haus auszuhalten. Der norwegische Physiologe war für die Expedition am Besten ausgerüstet, denn er war selbst farbenblind, Lesen konnte er nur mit Lupe oder Monokel. Die Pingelapesen, mit denen Sacks sprach, erzählten, dass viele von ihnen zur Zwangsarbeit in den deutschen Phosphatminen auf der fernen Insel Nauru verschleppt worden seien. Nach ihrer Rückkehr hätten sie Kinder gezeugt, die farbenblind waren. Nachdem sie den norwegischen Physiologen kennengelernt hatten, änderten sie ihren „Mythos“ ab: „Es mußten weiße farbenblinde Walfänger gewesen sein, glaubten sie nun zu wissen, die unter den Frauen der Insel gewütet, Dutzende von farbenblinden Kindern gezeugt und so den Fluch des weißen Mannes auf die Insel gebracht hätten.“

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Auch auf der Nachbarinsel Pohnpei war es dann vor allem der norwegische Physiologe, der laut Sacks „mit seinen ruhigen, offenen Auskünften über sich selbst die Menschen zum Reden brachte und die wichtigsten Ratschläge erteilen konnte.“ Er riet u.a. zu starken Sonnenbrillen. Sacks stellte in der Schule, die sie besuchten, fest, dass die farbenblinden Kinder seltsamerweise genau wußten, „welche Farbe die Kleidung der Menschen und die Objekt in ihrer Umgebung hatten…Sie lernten, kognitiv zu kompensieren, was sie nicht direkt wahrnehmen oder erfassen konnten.“

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Auch der Norweger verwendete Farbnamen, die Farben als solche waren für ihn jedoch „ohne jede Bedeutung“. Einer der Farbenblinden hatte einmal die Insel verlassen und war in Washington gewesen, wo man ihn genetisch untersucht hatte. Dort erfuhr er zu seiner Freude, dass es noch eine Insel der Farbenblinden auf der Welt gab: die dänische Insel Fuur: „Wir fühlten uns dadurch weniger allein,“ sagte er. „Wir hatten das Empfinden, irgendwo in der großen, weiten Welt Brüder zu haben.“ Oliver Sacks beschränkte sich mehr und mehr auf die Rolle eines Berichterstatters in der Expeditionsgruppe daneben beschäftigte er sich mit der Geschichte der Molukken, der amerikanischen Militärpräsenz auf einigen Inseln, u.a. Guam, und mit den Baumfarnen, die auf den beiden Atollen wuchsen. Von diesen handelt auch ein großer Teil seines Buches.

 

Lurija

Die historische Bedingtheit individueller Erkenntnissprozesse“ lautet der Titel eines 1987 in der DDR veröffentlichten Buches von Alexander Lurija. Der sowjetische Psychologe wollte diese zusammen mit seinem Kollegen Lew Wygotsky im Moment eines gravierenden kulturellen Umbruchs empirisch erfassen.
Während der Kollektivierung 1931 und 1932 in den asiatischen Sowjetrepubliken, als aus analphabetischen Hirtennomaden alphabetisierte und politisch bewußte Kolchos-Mitglieder werden und ihre Frauen entschleiert in der Öffentlichkeit wirken sollten, interviewten sie in Usbekistan und Kirgisien eine Reihe von Männern und Frauen und testeten dabei ihre Abstraktionsfähigkeit. Dabei stellten sie fest, dass viele der Beteiligten z. B. konkrete Gebrauchsgegenstände nicht Oberbegriffen wie Holz, Werkzeug usw. zuordnen konnten und geometrische Figuren nur als Gegenstände aus ihrem Alltag, z. B. als Teller, Armband, Zelt oder Perlenkette bezeichneten, weswegen sie auch keine Gemeinsamkeiten oder Ãhnlichkeiten zwischen den einzelnen Gebilden feststellen konnten, da sich die Gegenstände ja auch im Alltag voneinander unterschieden (z. B. ein Kreis und ein halboffener Kreis, die als Topf und Halbmond identifiziert wurden). Zudem kannten sie keine Farbnamen, sondern sagten statt „rot“ z. B. „wie eine Tulpenblüte“.

Allerdings zeigte sich, „dass diejenigen Versuchspersonen, die unbeeinflußt von der wissenschaftlich-technischen Zivilisation/Revolution waren, auf optische Täuschungen [auf dem Papier] in einem weit geringerem Maße hereinfielen als diejenigen, die sich bereits mit dem Modernisierungsschub auseinandersetzten“, wie der Wissenschaftshistoriker Alexandre Métraux im Vorwort zu Lurijas „Expeditionsbericht“ schrieb.
Everett

Der ehemalige Missionar Dan Everett lebte bei den Pirahas in Amazonien. Sie führen ein „Leben ohne Zahl und Zeit“, schreibt der Spiegel. Außerdem kennen sie keinen Gott und keine Götter, haben keine Rituale und keinen Besitz. „Hüter der Glücksformel“ werden sie auch genannt, weil der erste Erforscher ihrer Lebensweise und ihrer komplizierten Sprache, der Linguist Dan Everett, sie als „Das glücklichste Volk“ (2012) beschrieb. Weil die mit Schiffen gelegentlich bei ihnen anlegenden Flußhändler sie bei Tauschgeschäften oft übervorteilen, wollten sie Zählen und Rechnen lernen, aber ihr transzendentaler Präsens und ihre genaue Wahrnehmung verhinderte auch das Denken mit der Abstraktion Zahl. Die Begriffe für „links“ und „rechts“ kennen sie ebenfalls nicht, auch keine Farbwörter. Und keine Häuptlinge, Rituale, Initiationen, weder Schwüre noch Schmuck, und keine Diskriminierung von Frauen oder Kindern, wenn man Everett glauben darf.

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Und weil es bei den Piraha im Prinzip keine höhere Autorität als den Bericht eines Augenzeugen gibt, stoppten einige ältere Männer, die sich mit dem Autor angefreundet hatten, eines Tages auch dessen Missionstätigkeit: „Die Piraha wollen nicht wie Amerikaner leben“, sagten sie ihm. „Wir trinken gern. Wir lieben nicht nur eine Frau. Wir wollen Jesus nicht – und auch nichts von ihm hören.“ Nach einer Glaubenskrise reifte in dem sich dann bei Noam Chomsky zum Linguisten umschulenden Autor die Erkenntnis: „Ist es möglich, ein Leben ohne die Krücken von Religion und Wahrheit zu führen? Die Piraha machen es uns vor. Sie stellen das Unmittelbare in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit und damit beseitigen sie mit einem Schlag gewaltige Ursachen von Besorgnis, Angst und Verzweiflung, die so viele Menschen in den westlichen Gesellschaften heimsuchen.“
Zwei Farbromane:

1. Der zur Schulpflichtlektüre gehörende Roman von Siegfried Lenz “Deutschstunde” aus dem Jahr 1968; er handelt vom “Malverbot” Emil Noldes während der Nazizeit. Dieser hat sich mit dem besonderen Licht an der nordfriesischen Küste, seiner Heimat, auseinandergesetzt – mit Farben also. In dem Roman von Lenz wird das in gewisser Weise nachvollzogen. Das beginnt auf Seite acht mit einer “messingblitzenden Barkasse” und einem “blauen Direktionsgebäude”.

Auf der darauffolgenden Seite geht es um einen Klassenkameraden des Ich-Erzählers, der seine Gesichtsfarbe willentlich ändern und “nach Belieben blaß, grünlich” aussehen lassen konnte. Es folgen “maulwurfsgraue Gräben”, das “schwarze winterliche Meer”, der “grauäugige” Maler Nansen (alias Nolde), “schweres, beleidigtes Gelb”, “von dunklem Blau durchzuckt”, “dramatisches Orange”. Dann das “Zinngrau des Horizonts”, das zu “schneegrau” wird, “violett bleibt nicht violett, rot verzichtet auf sein Komplement”, “bläulich schimmerndes Treibeis”, “wütendes lila und kaltes Weiß”, “schlohweiße Kraftlinien”, “weiße Staubtücher”, ein “grau getünchtes Gasthaus”, ein “Tor aus weißen Planken”, ein “rostroter Stall”, “Schwarzschlachtung”, ein “graublauer Mantel” mit “schwarzem Wildledereinsatz”, ein “violett gesträubter Fuchspelz” und “ein Bart aus brodelndem Orange”. Ferner “erdgrüne Hügel”, “braune, rot unterfeuerte Finger”, “sterbendes Grau”, “Dunkelgrün fehlt noch”, “braun und begabt”, “gelbe Propheten”, “grüne, verschlagene Marktleute”, “das ganze phosphoreszierende Volk”, “grüne langstielige Gläser”, “aufblickend in olivgrünem Licht”, “rot-weißes Leuchtfeuer”, “ein ockerfarbenes Transparent”, “weiß und rostrot getünchte Anwesen”, “mit Schlemmkreide geweißte Schuhe”, eine “rote Ameise”, die “sandhelle  Spitze der Halbinsel”, “weißgewaschenes Wurzelwerk”, “aus schwarzer Weite”, “rotäugig, gelbschnäbelig”, “Schnee aus Daunen”, “blaugrüne, graue und schwarzbraune Eier”, “Addis blaurot verfärbtes Gesicht”, ihr “aufgesperrter, korallenroter Schlund”, “gelbe Hoheitszeichen”, ein “weißlicher Vorhang”, “alles wächst sich schwarz und knollenhaft aus”, “graue geduldige Augen”, “das Grau der Sanddünen”, “die blaue Meereskarte aus Leinwand”, “Stücke blaßgelben Streuselkuchen”, “altersgraues Meergetier”.

Juttas rot-weiß kariertes Kleid”, “ebenmäßig silbriger Bartkranz”, “da überredete ein weiches Zitronengelb ein lichtes Blau zur Selbstaufgabe”, “schwebende Segel büßten ihr Weiß ein”, “das Weiß, das will noch zu viel sagen”, “sein brauner knorriger Stock”, “auf dem gewellten schwarze Erdboden”, “die schwarzen Gartenwege”, “am rostroten Stall”, “die blauen Tümpel und das flockige Weiß”, “ein altes weißes Entenpaar”, “ein rot durchkreuzter Eilbrief”, “rötlich behaarte Hände”, “mit flatternder blauer Fahne”, “Braun löste Weiß ab”, “in dem Rot und Geld sich pathetisch unterhalten”, “das gelbliche Gebiß”, “am rotbemützten automatischen Feuer”, “rotblonde Wimpern”, “ihr strenges rötliches Gesicht”, “eine langsame Morgendämmerung, in der sich ein unaufhaltsames Geld mit Grau und Braun auseinandersetzt”, “plumper weißer Verband”, “harte, graue, selbstgewebte Laken”, “torfbraunes Wasser”, “in weiße Rahmen gefaßte Fenster”, “schwarz und untauglich im Blickfeld”, ein “dunkelgrünes Auto”, “eine geflochtene Troddel von einem Polizeisäbel, die matt silbrig schimmerte”, “ihre Vorliebe für weiße Kleider und weiße Strümpfe”, “grauweißer Pamps”, “sowohl ins Grüne als auch ins Rote spielender Rhabarbermus”, “weiße, mit Sommersprossen und Leberflecken besäte Arme”, “meine blaue, selbstgemachte Fahne”, “torfbrauen Erde”, “schwarze,  lauwarme Gräben”, ein “alter blauer Mantel”, der “violette Fuchspelz”, “in schreckhaftem Orange beispielsweise, in weißem, wie mit Deckfarbe aufgesetzten Tupfen”, “ins Schwarzgrau einen scharfen Ruf: Gelb, Braun und Weiß,” “und Erdgrün”, “sein graues Auge”, “helläugig, mit blauem Gesicht”, “schwere, graugrün gestrichene Türen”.

Ein grauweißes, oben links leicht geflecktes Rechteck”, “das rote, längliche, sauertöpfische Gesicht”, “weiße Ringe”, “eine milchige Sonne”, “das wirft gelbe und grüne Blitze übers Meer”, “ein schwärzliches Licht von der Morgensonne”, “Rotalgen, Braunalgen, Grünalgen”, “sein riesiges blauweißes Taschentuch”, “die Planken weiß schrubben”, “blaue Schatten über der See, die von grauen Bändern geteilt wurden”, “die Frau mit dem zusammengesteckten braunen Haarkranz”, eine “niedrige, dunkelgrün gestrichene Decke”, der “Sonnenuntergang Rot und Grün”, “statt Orange – Violett”, “die gewohnten Farben: weißgrau und ziegelrot”, “aschblondes Haar”, ein “brauner, abgeplatteter Daumen, “schwarzes Brett”, “braune und sandfarbene Staubmäntel”, “Flaschengrün und Schwarzblau”, “seine blaue Fahne”, “rot eingekastelt”, ein “silbergrauer Kajak”, “Gesichter auf zerlaufenem Silber”, “wäßriges Blau”, “dunkle Naturgeister”, “gelbe Verderbnis”, “Farballergie stop Braun”, “Mann im roten Mantel”, “grünweiß geflammte Furcht”, “die blaue Grundierung, um das Rot des Mantels daran zu brechen”, eine “schwarze, winterliche Nordsee”, “Dittes grauer Bubikopf”, “weißes öliges Zeug”, “graue Augen, klein und kalt”, “ein braunes Ungetüm von Kommode”, “bläuliche Metallflecken”, “Rot auf Weiß und Grün auf Weiß”, “mehlweiße Heringe”, “gelb und braun glänzend vor Fett”, eine “braune Schüssel”, ein “rotleuchgtendes Papierstück”, “grüne Gesichter”, “schiefe und schwarze Münder”, “grüne Gesichter”, “eine Schale mit bräunlichem Apfelmus”, “einige rote und grünweiße Schnipsel”, “rote, grünew, weiße und blaue Flocke ließ er niederregnen”, “blaue Meereskarten”, “graue Modellflotten”, “Rot bestätigte Blau. Weiß brachte Grün in Aufruhr, Braun behauptete sich gegen Grau. Ein brauner gekrümmter Zeh”, “eine schwarze Jacht”, ein “roter Kugelbaum”, “eine rote Glocke”, “unter der grauen Last”, “mit einem schweren grünweißen Körper”, sandgrauer Strand”, “die schwarze, winterliche Nordsee”, “eine ins Blaugrün spielende Welle”, “ein düsteres Braun”, “braune Augen”, “torfbraunes Wasser”, “meine schlammbedeckten Schokoladenbeine”, “ins Bläuliche spilenmder Schlamm”, “schwarz geteerte Bordwände, mit gebleichtem Ducht, die von Mövendreck bespritzt war”, eine “schwarze Schubkarre”, “schwarzweiß gefleckt, grau, verzottelt”, der “grünbraune Wulst”, “braune Torftürme”, eine “ins Schwarze übergehende Wand”.

Das rote Ziegelhaus”, “auf der grauen Couch”, “Das braune gutmütige Büfett”, “weiße Tage”, “rothaarig”, “ein schwarzer Rock und ein schwarzer Lackgürtel”, “ein großes beleidigteKüken aus gelbem Stoff”, “mit dem schäbigen blauen Mantel”, “sein Gesicht war grau”, “der rostrot getünchte, lange unbenutzte Stall”, “die gekalkte Stallwand”, “das schwarzweiß gefleckte Fell”, “mit grauem Haarnetz”, “mit eisgrauem Haar”, “schwarzweiße Kreisel über die Stirn”, “schwarze, übereinanderliegende Baumstämme”, “das dunkelgrüne Auto”, “der kleine braune Koffer”, “die mausgraue tanduhr”, “in grünem Licht”, “ein unaufhaltsames Braun”, “ein Braun mit schwarze Streifen und grauem Rand”, “seine grauen Augen”, “mein grün gestopfter Pullover”, “die schlammgraue oder tonfarbene Einöde”, “graue Tümpel”, “gelbliche Schaumhügel”, “der rotblaue Ring”, “Blau vor Grün, Blau vor Sandbraun”, “ein tongraues Gebiet”, “bis zum roten Leuchtfeuer”, “weiße Stifelkuppen”, “eine grüne Bohne”, “schon braun”, “noch als grün, hatten jedoch schon gelbbraunen Schimmer”, “Bleifarbe”, “Ziegelrot im Blickfeld”, “diese Ebene, grün, geld und mit braunen Streifen, “mit schwarzen Früchten”, “gebräunt”, “weißblaues Gewölk”, “braungrünes, fettig schimmerndes Ölpapier”, “schwarzer Strom”, “unterschiedliche Brauntöne”, “Spuren im Schnee, schwarz und ohne Herkunft”, “blaue Zaunlatten”, “”bißchen olivfarbener Hintergrund”, “ein kleines, rotes Leuchten”, “die graue, harte, nächtliche Juckreize hervorrufende Decke”, “das violette Kleid”, “in Grün”, “sondern in Gelb”, “Widerstand des schwarze, gestauten Wassers”, Schwarz glänzend die krummen Bäume”, “Die Tünche – weinrot und weißgrau”, “von grauem Haar eingeschlossen”, “die grauen Augen”, “mit dem silbernen Bartkranz”, “schwarzes Seidenkleid”, “schwarze Strümpfe, schwarze Überschuhe und der schwarze Tuchmantel”, “weißlicher Schleier”, “Rotziegel”, “Schwarz stand ihr gut”, “in schwarze Gruppen”, “ein dunkler, hoffentlich kratzender Strickanzug, “keine Rotdrosseln”, “rostrot getünchte Tür”, “braungelacktes Holz”, “weißes Kleid, weißer Spangenschuh”, “graue Kleider”, “mit schwarze Rissen im Nacken”.

Dünnes weißliches Wurzelwerk”, “”die Erde schwarzbraun”, “die gelben Türme”, “der so rot angelaufene Mann”, “seine safrangelbe Joppe”, “seine mit schwarzem Isolierband geflickte Pfeife”, “die sattgrüne Erhebung”, “das schwere Grün, das glühende Rot der Gehöfte”, “in Streifen roten, gelben und schwefligen Lichts”, “Ocker- und Zinnobertöne am Himmel”, “schwarzweißgefleckte Tiere”, “unter weißlichen Atomstößen”, “das rotblonde Haar”, “einer der aschgelben Heringe”, “Eiszapfen zeigten im Zerspringen, daß sie gefärbt waren,  rot und gelb vor allem”, “grüne Hügel”, “grau im Gesicht”, “ein grüner, olivgrüner Panzerspähwagen”, “eine schwarze Baskenmütze”, “rötliches Kraushaar und zwei rötliche Sterne auf den Schulterklappen”, “olivgrün”, “in dem braunen, kurzärmeligen Kittel”, “die olivgrüne Masse”, “unter der grünschwarz gestreiften Decke”, “”mit brandrotem Fuchspelz”, “Die linke Gesichtshälfte in kraftlosem Rotgrau, die rechte Grüngelb, der Grund rötlich fleckig”, “durch bläuliche Schleier”, “die weißlich schimmernde Stirn”, “das schattige Blau über dem Nasenrücken”, “Rotgrau und Gründgelb”, “Dies innenlichtige Blau”, “in diesem Blau”, “hier rotgrau, dort grüngelb”, “das Blau”, “blau bewimpelt”, “grauweiße Stulpen”, “weiße Fahnenstange”, “weiße Schürze”, “Rotziegel”, “mit dem weißen Vogelbauer”, “auf dem torfbraunen Weg”, “schwarz vor eingefallenen Staren”, “bläulicher Schlamm”, “weißlicher Dunst”, “die beiden olivgrünen Autos”, “”etwas Blaues”, “bei schwarzem Himmel”, “aus grünblauer Tinte”, “verloren unter Grau”, “wenn milchiges Weiß auf sie fiel”, “ihre gespreizten braunen Beine”, “im blauen Kittel”, “der blaßgrüne Unterrock”, “von dem sämigen, honigfarbenen Shampoo”, “eine dunkle Brühe”.

Das rötliche Licht”, “ein Strauß von gelben und roten Leuchtkugeln”, “Torkelnder Aschenregen vor weißgrauem Himmel”, “mit dem braunen, rot unterfeuerten Finger”, “die gelben Propheten”, “die grüne, verschlagenen Marktleute”, “das ganze phosphoreszierende Volk”, “”mit ihren leicht grüngoldenen Händen”, “ihren eisgrauen Augen”, “mit seinen gelblichen, starken Zähnen”, “die braune, grobe Decke”, “der Mann im roten Mantel”, “ein brauner Umschlag”, “unter einem roten Himmel”, “auf die blaue Musterung”, “unter dem roten Himmel, mit offenem Haar”, “zwei gelbliche Tabletten”, “diese dünne goldene Kette”, “das dünne, aschblonde Haar”, “in dem schwarzen, lackglänzenden Regenmantel”, “”wachsgelbe Haut”, “die Frau in Schwarz mit dem breitkrampigen schwarzen Hut”, “lila Schimmer im Haar”, “das Mädchen im Lederrock mit dem seegrünen Pullover”, “die flache Rothaarige, deren Beine mit roten Pickeln besetzt waren”, “an grünen Schnüren”, “Ihre Sehschlitze waren erdbraun”, “gelbe Baumaschinen”, “bis zur Verkehrsampel, die zeigte noch Grün”, “Rotweinflaschen”, “die grünen Schriftzüge”, “hellblau gestrichene Seekisten”, “auf weißgraue Papper gezogen”, “goldene zuckende Ränder”, “Schwarz und Weiß, ein schwarzer Winkel”, “ein verwinkelter, schwarz gekleideter Mann”, “ließ Blau durch Gelb zucken, ließ Weiß in schimmerndem Grün explodieren”, “das grüne Gesicht”, “ein untersetztes schwarzhaariges Mädchen”, “Die roten Flecken”, “tanzten rote Flecken auf mich zu”, “die Schnipsel des roten Fahrradschlauchs”, “die vergilbte Tapete”, “rotweißgewürfelte Bauerngardinen”, “schwarzes Haar, trägt ein schwarzes Hemd”, “der Stoff seiner schwarzen Hose”, “die silbernen Knöpfe”, “die schwarzgrauen Hefte”, “Grünkohl, Rotkohl, Weißkohl” und zuletzt: “die grauen und gifgrünen Rauchschwaden”.

 

2. Ähnlich wie in seinem berühmten Werk “Die Enden der Parabel” schwelgt Thomas Pynchon auch in seinem Roman “Natürliche Mängel” (2010) in allen möglichen und unmöglichen Farben. Das beginnt auf Seite elf „mit der dunkelroten psychedelischen Birne”.

Es folgen:”Chinesischrot, Chartreusegrün und Indigoblau”, “Ultraviolet”, “Aquamarin”, “Grün und Magenta”, “fuchsienrote Plastikpolster”, “tropisches Grün”, eine “Asiatin in türkisfarbenem Cheongsam”, eine “Blondine in türkisblauem und orangenem Leuchtfarbenbikini”, “Schwarzlichtsuiten mit fluoreszierendem Rock’n Roll-Postern”, “indigofarbenes Licht”, “eine Vielzahl von Farbtönen, darunter Rotbraun und Blaugrün”, “Orange County”, “Luz in voller Farbenpracht”, “schwarze Extremistengruppen”, eine “flaschengrüne, phosphoreszierende Brandung”, “eine knallgelbe Mondsichel”, ein “kastanienbrauner Auburn mit Innenausstattung in Walnußholz”, “Schwarzweißfernseher”, mit “grell aquamarinblauen Plastikhalmen” als Dekoration, eine “Lagunenlandschaft in psychedelischen Farben”, eine “Farbe” -wechselnd “zwischen Orange und einem intensiven Pink”, sich “mehr ins Ultraviolette veränderndes Licht”.

Ein “Goldener Fang”, eine “Strandbude mit lachsroten Wänden und aquamarinblauem Dach”, ein “Kimono in Grün und Magenta”, ein “verschwommener weißer Fleck”, “ein kastanienbrauner 289er Mustang”, ein “seltsam leuchtendes bräunliches Gold”, eine “in Ektrachrome Commercial gefilmte sonnige Szenerie”, ein “roter SS 369″, eine “Kluft im Narzissenton”, “Rote Haare”, eine “grüne und fuchsienfarbene Lunchroom-Nische”, ein “pinkes” und ein “giftgrünes” Telefon, “eine scheckige Lackierung aus stumpfem Olivgrün und Grundierungsgrau”, “lila Scheiß”, “White Rabbit”, ein “so weißer Anzug, dass der Rolls daneben schmuddelig aussah”, ein “Kleines Schwarzes aus den Fünfzigern”, eine “braune, helle Ferne”, “farbige Perlen in Erkältungskapseln”, “jede Farbe stand für ein anderes Belladonnaalkaloid”, “päckchenweise Purpurwindensamen”, “schwarze Wolken”, “nicht einfach dunkelgraue, sondern mitternachtschwarze, teergrubenschwarze, noch nie dagewesene Kreis-der-Hölle-schwarze” Wolken, “blaugrünes Licht”, ein Anzug in “ultravioletter Samtfarbe”, eine  “himbeerfarbene Krawatte”, ein “hoher brauner Glaszylinder”, “mit hellroten Plastikstopfen verschlossen”, “ein in vielen verschiedenen, ‘psychedelischen’ Farben gestreiftes Minikleid”, eine “weiße Braut”, “eine sinistre indigofarbene Flüssigkeit”, “das weiße Gleißen von Hollywood”, “rote Ampeln”, “Dafür sind die ganzen Farben da, Mann?”, ein “Mercedes – nur in einer Farbe lackiert, Beige”, “jede Farbe, die wir am Lager haben, einschließlich Metallic”, “Purpur mit dunklerem Goldton”, “aus der Mode gekommene Brauntöne”, “ein kalifornischer Weißwein – weißer als der mit diesem kränklichen Geldton”, “ein interessanter blauer Fleck auf Petunias Bein”.

Eine weitere Kurzhaarperücke, ein kastanienbraunes Ding mit Seitenscheitel”, eine “Hornbrille von blasser Farbe”, “aus der indianischen Überdecke ausgelaufene rote und orange Farbe”, “unansehnliche Papierstapel in unterschiedlichen Größen und Farben”, “beinahe die Farbe von Rauch aus einer defekten Zylinderkopfdichtung”, “Schwarzarbeit”, “Schwarzmarkt”, ein “hellroter 69er Camaro”, “Bettwäsche in Leopardenfellmuster”, eine “japanische Dose aus schwarzlackiertem Holz”, ein “grellgrüner Saguarokaktus”, “eine Krawatte mit Tausenden oder Hunderten magentafarbener und grüner Pailletten bestickt”, “schwarze Revolutionäre”, “mit braunen Anzügen bekleidete Organe der Rechtspflege”, ein “schwarzer Cowboyhut”, “schwarze Assen und Achten in der Pokerhand”, “rote Vinyl-Minikleider”, “schwarze Fischnetzstrümpfe”, “weiße Bräute”, ein “Minikleid aus weinrotem Samt”, “Teppiche von sattem Königspurpur”, “schwarzweiß Gekleidete”, eine “Cocktail-Lounge, möbliert in purpurfarbenen, von Glimmerpünktchen akzentuierten Resopaltönen”, ein “schwarzer Chip”, “90% Silber”, “winzige bernsteinfarbene Lichtkegel”, “großer Ärger in braunen Schuhen”, “in einem weißen Anzug”, “Glasspiralen, die in einem unirdischen purpurnen Schimmer pulsieren”, “Toilettenpapier in verschiedenen Modefarfben und psychedelischen Mustern”, “Spektralstreifen, die sich nach vorne hin zu Blau veränderten”, “Lichtpunkte, die sich in der vom Rückspiegel gerahmten schwarzen Ferne rötlich verfärbten”, “fast kugelförmige hellrote Felsen”, eine “schimmernde schwarze Handfeuerwaffe”, noch ein “Schwarzweißfernseher”, ein “schwarze Liste”, “die Psychedelischen Sechziger, diese kleine Parenthese aus Licht”, “Screaming Ultraviolett Brain”, die “Buntheit der Pizza-Zutaten”, “gefängnisrosa gestrichene Wände, ein Farbton, von dem man damals annahm, er wirke auf Anstaltsinsassen beruhigend”.

Sein Gesicht erblasste trotz des rosa Widerscheins hier drin zu einem alarmierenden Weiß”, “lebensgroße Plastikfiguren gemeingefährlicher Schwarzer”, “Buntglas”, “knallgrüne Kohlblätter”, noch ein “weißer Anzug”, “schwarze Fedoras”, “Der Zauberer von Oz (1939) im Farbfernseher”, “der Film fängt Schwarzweiß an, oder vielmehr braunweiß, wird dann aber farbig”, “Ihre ‘normale’ Kansasfarbe wird zu einer sonderbaren Hyperfarbe, die unsere Alltagsfarbe so weit hinter sich läßt, wie Technicolor Schwarzweiß”, “was hat das mit ihrer Farbwahrnehmung zu tun?” “das Foto war in so komischen Farben abgezogen”, sie trug eine “veilchenblaue Kluft”, “ein weißer Detektiv”, eine “Weißbacke”, “die schwarzen und weissen Insassen”, das “grüne Zimmer von San Quentin”, “ein schwarzer bewaffneter Aufstand”, “ein Haufen von weißen Zahnärzten”, “silberne Plastikreproduktionen”, “ein sehr grüne künstliche Hecke”, “modulare Grüner-Zweig-Imitate”, eine “Freakmähne von sattem Rot”, “dieses Gerede von schwarzer Apokalypse”, “ein roter Faden”, “ihre Gesichtsfarbe”, “China White”, “ein mexikanisches Hemd, blassrot mit einer orangen Stickerei”, “Dunkler als früher”, “Schmutzigblond”, “platinblond”, “knallrot im Gesicht”, “ein himmelblauer Anzug”, “tückisch spitze, goldene Eckzähne”, “blaue Flecken”, “wasserstoffblonde Mösen”, “diverse rotangehauchte Drecksäcke”, “rote Brüder”, “stark gesättigte grüne und magentafarbene Staubwolken”, “ein “blauer Stahlvorhang”, “gleißendes Quecksilberdampflicht”, “auf den Plastikschichten traten winzige Farb- und Lichtmodulationen auf”, “dunkle Reste von Blut und Verrat”, “ein Streifen, klar und leuchtend”, “das letzte aprikosenfarbene Licht flutete landwärts”, “gebräunte Titten in Übergröße”, “viel düsteres Holz”, “farbige Lampen”, “sich in kleine Farbklümpchen auflösende Bilder”, “eine Palette wettergebleichter Farben, wie eingetrocknete Kleckse in einer wenig frequentierten Eisenwarenhandlung”, “ein Paar grünliche Punkte”, “Petunia, heute in blassem Fuchsienrot”, “der gelbe Schulbus-Fuhrpark in Palms”, “die stille Weiße vor ihm”, “eine ruhelose Blondine in einem Stingray”…

Das sind die Farben in Thomas Pynchons “psychedelischen Krimi”, der zugleich eine „Hippiephanie“ ist. Er spielt in Südkalifornien im Surfer- und Hippie-Milieu während des Vietnamkriegs 1969 – und ist zwar bunt, knalliger als die friesischen Farben, aber seine Farben sind noch blaß im Vergleich zu seinem “Jahrhundertroman” aus den Achtzigerjahren: “Die Enden der Parabel”, der im und nach dem Zweiten Weltkrieg spielt.

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Ein Frankfurter Künstler über hoch besetzte Augen

Manchmal bekommt man Aufträge, die einen verbittern, bei der Kunstkritikerin Hilpolt zum Beispiel. Die kauft die Arbeiten der Kollegen und schreibt über sie, aber mich holt sie, damit ich ihr das Landhaus renoviere, da muß ich ihr die Wände neu anstreichen, damit die Arbeiten der Kollegen besser zur Geltung kommen. Dabei liegt meine einzige Gestaltungsmöglichkeit dann darin, dass ich bestimmen kann, wo der Nagel hinkommt, an dem die Bilder aufgehängt werden. So eine Frau, die ist natürlich als Kunstkritikerin über das Auge so hoch besetzt, im ästhetischen Bereich, dass die mir genau sagt, wie ich das Grau der Wandfarbe abzumischen habe: ‚Ja kein Rot reinmachen, das sieht man!’“

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Weiterführend:

Zum Einen: https://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/darkness-alter-freund?utm_content=buffer2e531&utm_medium=social&utm_source=facebook.com&utm_campaign=buffer

Zum Anderen ein längeres Kapitel in Oliver Sacks Buch „Eine Anthropologin auf dem Mars“ (1995), in dem es um einen Maler geht, der nach einem Unfall farbenblind wurde. In diesem Zusammenhang diskutiert Sacks Newtons und Goethes Farbenlehre.

Zwei Jahre später machte Sacks sich übrigens auf nach Mikronesien, um dort auf zwei Inseln zusammen mit einigen Augenspezialisten und einem Filmteam die Farbenblindheit zu studieren, die dort erblich ist. „Die Insel der Farbenblinden“, so heißt sein Buch auf Deutsch.

Darüberhinaus oder daneben hat die Uni Weimar ein schönes Papier über „Goethes Farbenlehre“ ins Netz gestellt und die Anthroposophen haben das selbe mit 3 Vorträgen von Rudolf Steiner über „Das Wesen der Farben“ gemacht. Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang auch das Onlinemagazin „Farbimpulse“ der Firma „Brillux GmbH & Co. KG“ . Dieses seit 125 Jahre Farben herstellende Unternehmen in Münster hat gerade im Zuge seiner „Direktphilosophie“ eine „Nachwuchskampagne“ mit dem Slogan „Deine Zukunft ist bunt“ gestartet, das aber nur nebenbei.

Auf der anderen Seite gibt es mehrere Forschungsberichte über primitive Völker, die keine Worte für Farben haben (von Lurija und Everett z.B.). Im Gegensatz beispielsweise zu den Autoren der Farbromane „Deutschstunde“ und “ „Die Enden der Parabel“ sowie „Natürliche Mängel“ – Siegfried Lenz und Thomas Pynchon.

Die TU-Literaturwissenschaftlerin Jutta Müller-Tamm schreibt in ihrem Internet-Text „Farbe bekennen. Goethes Farbenlehre und die Berliner Wissenschaftspolitik um 1820“: Die Farbenlehre Goethes war, wie man weiß, ein verzweifeltes und hoffnungsloses Unterfangen, eine Wissenschaft gegen die Zeit, in der sie sich doch, nach Goethes Vorstellung, durchsetzen sollte. Ob man die Farbenlehre nun als paranoide Psychose, als kryptotheologische Dogmatik oder als alternative Wissenschaft begreift, immer bleibt ihr Skandalon der bekannte Widerspruch zwischen Wunsch und Wirklichkeit: hier die zeitlebens festgehaltene Überzeugung Goethes, die Farbenlehre sei seine größte Leistung, ihr komme wissenschafts-, ja weltgeschichtliche Bedeutsamkeit zu, dort die nahezu vollständige Mißachtung der zeitgenössischen wie der nachfolgenden Fachwelt, die sich ihren Glauben an die Newtonsche Optik nicht nehmen lassen wollte.

Elisabeth von Thadden schreibt in „Die Zeit“: Am Anfang stand ein kleines Experiment des Londoner Gelehrten Isaac Newton , dokumentiert in den Opticks von 1704, und daraufhin hat im deutschen Weimar der Naturforscher Goethe ein halbes Leben und ein etwa 1000-seitiges Werk darauf verwandt, diesem Experiment zu widersprechen. Newton hatte das Licht mithilfe eines Versuchs so reduziert, dass nach dem Gesetz der Brechung der farblose Lichtstrahl in verschiedenfarbige Strahlen zerlegt wird, die sich durch eine Linse wieder zu farblosem Licht synthetisieren lassen. Mehr war nicht passiert. Aber es reichte, um Goethe derart existenziell aufzubringen, dass er fortan klarstellen wollte: Mensch und Welt sind durch die Vermittlungskünste des Auges untrennbar verbunden, und dies erweist sich in den Farben. Darum ging es. Mit Furor.

Am 16. Mai 1810 lag die Farbenlehre der Öffentlichkeit vor, Goethes dickstes Werk, und zwar alle drei Teile zusammen, der didaktische, der polemische, der historische Teil. Nun konnte sich jeder davon überzeugen, dass er, Johann Wolfgang Goethe, „der Einzige“ war und blieb, der „das Rechte weiß“, wie er später zu Protokoll gab. Und zwar „allein“, „unter Millionen“, „mit einem Bewusstsein der Superiorität“. Der unsympathischste Goethe, dem man begegnet, ist der Autor der Farbenlehre.

Der aufschlussreichste Goethe ist dieser Farbenlehrer allerdings auch, und der unerschrockenste. Wann hätte sonst ein Dichter einer naturwissenschaftlichen Großmacht hartnäckig die Stirn geboten? Dabei hat er sich nicht als Dichter, sondern als Kollege geäußert. Es gebe zwei Sorten Naturwissenschaftler, befand Goethe im Abschnitt „Newton“ der Geschichte der Farbenlehre: „Die ersten, genial, produktiv und gewaltsam, bringen eine Welt aus sich hervor, ohne viel zu fragen, ob sie mit der wirklichen übereinkommen werde.“ Dem gegenüber, wie es zu Goethes Denken in Polaritäten passt, stehen die anderen: „Die von der zweiten Art, geistreich, scharfsinnig, behutsam, zeigen sich als gute Beobachter, sorgfältige Experimentatoren, vorsichtige Sammler von Erfahrungen.“

Newtons Grausamkeit gleicht in Goethes Augen den Methoden der Inquisition. Der Germanist Albrecht Schöne hat gezeigt, wie Goethe an jene Kreuzesmetaphorik anknüpft, die Newton selbst in den Opticks für sein Experiment verwandt hatte: „Es ist dieses das sogenannte experimentum crucis, wobei der Forscher die Natur auf die Folter spannte, um sie zu dem Bekenntnis dessen zu nötigen, was er schon vorher bei sich festgesetzt hatte.“

Newton als Meister der dunkelsten Inquisition, Goethe als Repräsentant der hell aufgeklärten Vernunft: Das ist die Kampflinie im Befreiungskrieg um die Farbe.

Der Farbenlehre liegt aber auch Goethes Weigerung zugrunde, Subjekt und Objekt in kategorial verschiedene Aufenthaltsräume zu stecken. Er hat diesen Grundvorbehalt gegen Kant in der knappesten Form, einer Maxime, auf den Punkt gebracht: „Alles, was im Subjekt ist, ist im Objekt und noch etwas mehr. Alles, was im Objekt ist, ist im Subjekt und noch etwas mehr.“ …Und all dies, weil Newton angeblich die Natur foltert und Kant sie nicht spürt.

Der HU-Philosoph Olaf Müller hat es 2015 in seinem schönen dicken Buch „Mehr Licht: Goethe mit Newton im Streit um die Farben“ unternommen, die Goethesche Farbenlehre zu rehabilitieren.

 

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