vonImma Luise Harms 16.04.2023

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Wenn wieder mal jemand jammert, wie schwer er/sie es hat, wie gemein die Welt ist, im Besonderen die Chefin, der Vermieter, das Hartz-IV-Amt, wie nervig die Kinder, wie penetrant die Eltern, und das alles in meine Ohren reinjammert, dann frage ich manchmal, um die Sache abzukürzen: „An wen soll ich die Beschwerde weiterleiten?“ Ich bin ja ganz offensichtlich die falsche Adresse, weil ich an den Ursachen des Jammers gar nichts ändern kann.

Allerdings übergehe ich dabei den Unterschied zwischen Jammern und Beschweren. Das Jammern dient der temporären seelischen Reinigung; es ist ein Hilferuf und das Abladen eines Teils der Last auf meinen mitfühlenden Schultern. Die Beschwerde dagegen richtet sich an die, die im Prinzip etwas gegen die Ursache des Jammers tun könnten, die Ungerechtigkeit beseitigen, abfedern oder zumindest anerkennen. Beim Jammern werde ich beschwert; die zielgerichtete Beschwerde dagegen lastet auf dem/der Zuständigen.

Soweit die Vorrede, denn ich habe mich zu beschweren und weiß nicht, an wen ich das richten kann, ohne einfach nur zu jammern. Wo ist die Beschwerdestelle gegen ignorante, machistische Attitüden meiner männlichen Diskussionspartner? Vielleicht hier? Ich werfe meine Flaschenpost und begleite sie mit meiner Hoffnung auf Gehör zumindest bei einem Zeitgenossen, der daraufhin seine Aufmerksamkeit für weibliche Mitdiskutierende schärft.

Noch eine andere Vorrede: In intellektuellen Kreisen bin ich ein Niemand; das ist kein Jammern, sondern eine Feststellung. Ich habe keinen Namen. Ich habe mich auch nie sonderlich darum bemüht, etwas darzustellen, weil ich das Prinzip des Beitragens, der Rede-Gegenrede-Gegengegenrede bevorzuge. Die Diskurse bilden eine Kette von Gedanken, Argumenten, Beobachtungen, die sich zum kollektiven Erkenntnisgewinn verbinden, ohne dass noch von einer Urheber:innenschaft die Rede sein könnte. In einem Buch, das ich 1995 (anonym!) herausgegeben habe, habe ich die Anonymität im Vorwort so begründet:

„…Der wichtigste Gesichtspunkt liegt darin, dass Menschen, die das Eigentums- und Konkurrenzdenken bekämpfen, seinen Mechanismen erstmal genauso ausgesetzt sind wie alle anderen. Die Versuchung ist ständig da, dass wir uns irgendwelche mutigen Taten oder intellektuellen Produkte als Leistungen auf das Konto unserer persönlichen Fähigkeiten gutschreiben, um damit Ansehen und Bedeutung, vielleicht sogar Macht zu bekommen. Das Problematische daran ist weniger, dass wir damit den eigenen Ansprüchen zuwiderhandeln, das tun wir ja öfter, sondern dass unser Verhältnis zu der inhaltlichen Seite dessen, was wir machen, nicht stimmig ist. Wenn ich den Stress einer gewagten Aktion oder einer anstrengenden schriftlichen Ausarbeitung vor allem wegen der Beachtung auf mich nehme, die ich dadurch zu kriegen hoffe, werde ich nie herausfinden können, wie wichtig mir die Sache selbst ist. Anonymität sorgt so auch dafür, dass eine Sache vor allem ihrer selbst willen gemacht wird.“

Das klingt mir auch heute noch logisch. Nur leider übersieht diese Begründung, dass mit dem Verzicht auf erkennbare Urheber:innenschaft auch die Adressierbarkeit verloren geht. Die vielen hundert Beiträge zu den unterschiedlichsten Debatten, die ich im Laufe der letzten 50 Jahre verfasst habe, sind irgendwo versickert, haben vielleicht den Humus gebildet, auf dem neue Theorien und Argumentationsgebäude aufgebaut wurden. Nur ich selbst bin nach der langen Zeit einfach ein leeres Blatt, irgendeine ältere Frau, die auch ‘ne Meinung hat. Irrelevant.

Vielleicht kränkt es auch mein Ego; das kann ich nicht ausschließen. Vor allem aber ist es einer der Gründe dafür, dass ich keine Antwort bekomme. Denn das Reiz-Reaktions-Schema in den intellektuellen Debatten läuft nun mal über die involvierten Namen. Da schließe ich mich selbst gar nicht aus. Wenn ich etwas lese, dann schaue auch ich: Wer hat es geschrieben? Was hat der/diejenige sonst noch so verfasst? Der Name sorgt für die erste Einordnung des Gelesenen. Dann schaue ich: Wen zitiert er oder sie? Das ist die zweite Einordnung. Läuft also alles über Namen. Sicher ist es auch immer mal wieder das Thema, das mich anspringt, das muss sich dann aber schon sehr deutlich zeigen.

Also gut – inzwischen unterzeichne ich das, was ich schreibe und irgendwelchen öffentlichen oder halböffentlichen Diskursen hinzufüge, auch mit meinem Namen. Aber das nützt nichts mehr. Wer ist Imma Harms? Wo ist sie im Netz zu finden? Ist sie bei Wikipedia erwähnt? Was hat sie veröffentlicht? Wer zitiert sie? – Tja, Neese! Keine Treffer, keine Klicks, keine Likes; nix veröffentlicht, immer nur beigetragen!

In besonderer Weise werde ich von den männlichen Diskutanten ignoriert, die sich ihrerseits durch jeden Beitrag ihrer Geschlechtsgenossen herausgefordert fühlen, in Gefechtsstellung zu gehen.

In den 90er Jahren habe ich viele, zum Teil wirklich schwer verständliche Texte meines Genossen M gegengelesen und mit langen Kommentaren versehen, die er in seinen Büchern dann größtenteils doch nicht umgesetzt, sich aber immer herzlich bedankt hat. Irgendwann habe ich selbst einen längeren Text verfasst, mit einer eigenen relativistischen Machttheorie. Ich habe ein paar Befreundete zur Debatte darüber eingeladen, die pflichtschuldigst und etwas lustlos in dem Text rumgestochert haben. Nur M nicht. Er sagte lapidar: „Ich versteh‘ den Text nicht!“ Und das war‘s. „Dann streng dich gefällst an!“, hätte ich ihm antworten sollen. Hab ich aber nicht, sondern klein beigegeben, wie man so sagt.

K und C lieferten sich kürzlich in einer linken Zeitschrift einen Disput über eine von K vor 30 Jahren publizierte Theorie, die den Anti-Rassismus nach dem Modell der „triple-opression“ besser einordnen sollte. Er sollte nicht mehr als „Nebenwiderspruch“ des Klassenkampfes gesehen, sondern mit anti-patriarchalem und anti-kapitalistischem Kampf verwoben werden. Ich hatte damals schon Bedenken, weil mir der zugrunde gelegte Rassismus-Begriff zu unmaterialistisch vorkam, hab die Kritik bei passenden Gelegenheiten eingebracht, aber nicht veröffentlicht. Nun kam von C eine ähnliche Kritik. K antwortete in einer wütenden Stellungnahme, die er unter anderem mir schickte. Jetzt hielt ich den Zeitpunkt für gekommen, auch mich zu der Frage zu erklären. Ich verfasste einen sechsseitigen Text, in dem ich das Verhältnis zwischen Klassenkampf, antisexistischem und antirassistischem Kampf neu zu strukturieren versuchte. Ich endete mit einer, wie ich finde, originellen triple-opression-Variante, indem ich die patriarchale Ausbeutung zum gesellschaftlichen und historischen Grundwiderspruch erkläre, bei erweitertem Verständnis von Patriarchat.

Die Zeitschrift war so freundlich, auch diesen Text von mir zu publizieren. Und ich freute mich schon auf das Handgemenge. Aber keine Reaktion. Ich fragte K. schriftlich, warum ich keine Antwort von ihm bekomme. Er vertröstete mich ein paarmal, dann schreibt er, es sei doch schwieriger als er dachte, meinen Text zu kommentieren. Ob ich nicht mal wieder in die Stadt käme, dann könnten wir doch nen Kaffee trinken…

Ich war nicht die einzige, die sich durch die K+C-Kontroverse herausgefordert fühlte. Auch G, mit dem ich ebenfalls in Kontakt stehe, gab seinen Senf dazu, auch wieder in derselben Zeitschrift. Er nimmt ausführlich Stellung zu C und K, erwähnt aber meinen Beitrag nicht. Ich schreibe ihm und frage, warum ihm dazu nichts eingefallen ist. Er entschuldigt sich; das habe ihn gerade überfordert, wären schon interessante Gedanken drin, müsste man mal drüber reden. Wir könnten ja mal nen Kaffee trinken…

G hat ungefähr in der gleichen Zeit ein Buch herausgegeben, das sich mit der gleichen Problematik beschäftigt, nämlich wie die identitäts-politischen Bewegungen überhaupt noch eine systemverändernde Kraft entwickeln können. Auch mein alter Freund M hatte dazu einen Text verfasst, der allerdings aussortiert wurde, was M über die Maßen erbost hat. Ich frage ihn nach seinem Text; er schickt ihn mir – 27 Seiten Abrechnung mit verlogenem Anti-Rassismus und Opfer-Politik, so wie er sie erfahren hat. M gegenüber bin ich immer sehr direkt und aufrichtig; ich habe den Text gründlich gelesen und deutlich kritisiert. Er verteidigt sich; es entspinnt sich ein Briefwechsel, der mit dem Vorschlag endet, mal bei einem Kaffee weiterzureden…

Es gibt weitere Beispiele, aus denen sich eine Reihe aufstellen lässt. Und es gibt meine gesammelten Erfahrungen aus 50 Jahren anstrengender Teilnahmeversuche an männlich strukturierten Diskursen. Die Frauen dürfen natürlich mitreden, sie werden dann aber belehrt, ihre Wahrnehmungen und Meinungen werden zurecht gerückt, wenn überhaupt auf sie eingegangen wird.

Was will ich? Geht es am Ende doch nur Beachtung? Nein, ich will die Chance haben, meine Gedanken weiterzuentwickeln! Das geht wie überall nur mit Gegenrede. Im Widerspruch wird die Meinung erprobt und geschärft. Ich möchte Kritik. Ist das zu viel verlangt? Ich kritisiere euch doch auch; das seid ihr mir schuldig!

Oh je! Ist das nun doch nur Gejammer? Ich steh unter freiem Himmel und schimpfe in die Wolken. Sie zeigen mir die kalte Schulter.

P.S.: der letzte männliche Kommentar erreichte mich gerade heute: „Entspann dich, liebe Imma!“

 

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