vonElisabeth Wirth 06.01.2020

Kaleidoskop

Kühne Kunst, rare Objekte, kuriose Dinge – Elisabeth Wirth besucht besondere Ausstellungsorte in Berlin.

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Aus Sicht der Konsument:innen erzählt das Culinarium auf der Domäne Dahlem viele Geschichten rund ums Essen und Trinken. Mit seinem spielerischen Ansatz macht es das Museum Kindern und Erwachsenen leicht, sich über ein alltägliches und doch komplexes Thema auszutauschen.

Wie wird aus goldenen Halmen Brot? Wann ist ein Schwein erwachsen? Wie viel Milch gibt eine Kuh in ihrem Arbeitsleben? Warum stinkt der Kohl? Und was passiert mit dem ganzen Mist? Wer über die Domäne Dahlem spaziert, vor allem mit Kindern, stößt auf viele Fragen. „Tja“, entfährt es so manchem Erwachsenen. „Also. Ähm.“ Pause. „Das müssen wir zu Hause wohl mal recherchieren.“ Dass man im alten Pferdestall des Stadtguts unter Kacheln und Topfdeckeln, in Schubladen, Theken und Vitrinen die Antworten finden kann, ist immer noch ein kleiner Geheimtipp. Mit dem Culinarium, das hier untergebracht ist, hat sich die Domäne Dahlem seine eigene kulinarische Wunderkammer voller kurioser, erhellender und appetitanregender Objekte geschenkt. Da trifft man auf eine Milchabfüllmaschine aus den 1950er Jahren, die aussieht, als könnte man mit ihr zum Mond fliegen. Oder auf ein Glas mit eingemachtem Spargel, das seit 1916 darauf wartet, verzehrt zu werden. Auf gehäkeltes Fast Food und deformierte Knochen aus dem 19. Jahrhundert. Kurzweilig führt das Culinarium durch die Kapitel der Kulturgeschichte des Essens seit 1850. Produktion und Handel, Hunger und Verschwendung, Einmachen, Kochen und Ausgehen, Tischgespräche und Weltsysteme, Besteck vs. Stäbchen, Tüten vs. Beutel, Agga vs. Maggi. Auf seinen 800 Quadratmetern legt die liebevoll inszenierte Ausstellung „Vom Acker bis zum Teller“ viele Fährten. 

Das kleine Einmaleins der Grundnahrungsmittel oder einmal Culinarium mit alles

Über das historische Kopfsteinpflaster führt sie im Erdgeschoss durch die Herstellungs- und Verarbeitungsprozesse der drei Grundnahrungsmittel Milch, Fleisch und Getreide. An dem lebensgroßen Kuhmodell hinter dem Eingang stehen ein paar Mädchen, eines hockt derweil auf dem Schemel und erprobt beim Melken Kraft und Fingerspitzengefühl. Es sieht anstrengender aus als gedacht. Am alten Milchwagen vorbei leuchtet in pinken, geschwungenen Lettern das Wort Frischfleisch. In der Theke liegen Informationen zu konventioneller und ökologischer Tierhaltung aus und in dem kleinen Schlachtraum dahinter verbergen sich historische Fotos und Fakten. Wie eng das Luxusgut Fleisch mit gesundheitlichen Gefahren und Skandalen verbunden war und ist, zeigt exemplarisch der Hamburger Sülzeaufstand von 1919. Erst Ende des 19. Jahrhunderts war Fleisch zum Gegenstand gesetzlicher Regulierung geworden. Nachdem auf einer Straße ein Fass voller Kadaver zerbrochen war, folgten in Hamburg kurz nach dem ersten Weltkrieg tagelange Unruhen und der Einmarsch von Soldaten und Freikorps.

Im Stockwerk darüber führt das Culinarium vom Markt in die ersten Markthallen. Von den Kolonialwarenläden bis in die uns bekannten Supermärkte, die bei ihrer Einführung in den 1950er Jahren skeptisch beäugt wurden. Aus der Suppenküche in Deutschlands erste Pizzeria. Vom Haus Vaterland, wo sich bereits die Angestellten der 1920er an einem Abend rund um den Globus essen und trinken konnten, bis in die Zeiten des Kalten Krieges. 

Ein Museum zum Anfassen

Johannes Mohr, der in Mitte die Bibliotheca Culinaria betreibt, und sein Begleiter haben sich eben die alten Werbefilme angeschaut. Wider Erwarten wurden die beiden auf eine Zeitreise durch die eigenen Essgeschichten geschickt. „Die Ausstellung ruft viele Erinnerungen wach“, sagt der Kochbuchhändler, wendet sich wieder seinem Freund zu und lässt sich zu weiteren Stationen treiben. Auf der Galerie über dem ersten Stock knobeln zwei Jungen, was Spätzle mit einem Huhn zu tun haben, und versuchen, vier große Quader in die richtige Reihenfolge zu bringen. Ihre Mutter Sara Blum, die das Culinarium zum ersten Mal mit ihren Söhnen besucht, ist von der Fülle der Ausstellung begeistert. Gut findet sie, dass ihre Kinder hier mal sehen können, wie viel Zucker in Eistee oder Fruchtzwergen steckt. Und sie scheint zu hoffen, dass die museale Inszenierung in diesem Punkt mehr Eindruck macht als die elterlichen Ermahnungen. Aber vor allem gefällt ihr, dass das Culinarium ein Museum zum Mitmachen, Anfassen und Erleben ist. Überall lassen sich Kacheln an der Wand aufklappen und Topfdeckel verschieben, Rätsel lösen und versteckte Bilder und Informationen entdecken. Man kann die Reifeprüfung bestehen, wenn man Obst und Gemüse den richtigen Monaten zuordnet, und den Nährwertgehalt der eigenen Essgewohnheiten überprüfen, indem man sich ein Menü zusammenstellt. An einer Stelle steht eine Kiepe, mit der die Bäuerinnen einst ihre Waren vom Umland in die Stadt trugen. Den riesigen Korb kann man wie eine Rucksack aufsetzen. Und um zu testen, wie viel Kraft man braucht, um aus Sahne Butter zu machen, steht ein großes Fass bereit.

Vielen Fäden folgen

Mit dem Culinarium hat sich die Domäne Dahlem vor ein paar Jahren saisonunabhängig gemacht. Denn abgesehen von seinem Herrenhaus war das Stadtgut bis dahin bei Regen, Schnee und Eis kein optimales Ausflugsziel. So reizvoll es ist, über das Feld zu spazieren und den Winterroggen, die Erdbeeren und Tomaten, unterschiedliche Kohlarten und Mangold beim Wachsen zu beobachten, so matschig wird es auf den Wegen, wenn es regnet. Die Idee, mit einer Dauerausstellung eine Verbindung nach draußen herzustellen und die Geschichte „vom Acker bis zum Teller“ weiterzuerzählen, ist über viele Jahre gewachsen und konnte 2015 mit Fördergeldern realisiert werden. So konnten auch viele bis dahin verborgenen Schätze für die Besucher:innen zugänglich gemacht werden. Man glaubt dem ehemalige Museumsdirektor Dr. Peter Lummel, wenn er im Ausstellungsmagazin schreibt, dass es eine große Herausforderung ist, „etwas so Alltägliches wie das Essen und Trinken zum Kernthema einer Ausstellung zu machen“. Es ist zu spüren, dass das Museum viel will. Es will viel erzählen, es will anregen, aufklären, bilden, unterhalten. Es will unterschiedliche Menschen unterschiedlichen Alters erreichen und hält viele Angebote bereit. Dass das Museum ein Panorama eröffnet, ist keine Untertreibung. Damit ist es vor allem ein idealer Ort, um sich mit Kindern und Jugendlichen spielerisch den vielen Aspekten rund ums Essen und Trinken anzunähern. 

Man könnte die vielen Perspektiven, die das Culinarium eröffnet, und seinem losen Fokus als Schwäche des Museums interpretieren. Gleichzeitig liegt darin seine große Stärke. Denn mit seiner Themenvielfalt spiegelt das Culinarium die Domäne Dahlem. So wie der Acker, der Garten und der Hof, die Tiere und Pflanzen ist auch das Museum im Pferdestall Ausgangspunkt unterschiedlicher Geschichten. Auch in der Ausstellung können sich die jungen und alten Besucher:innen von ihrer Neugier und Intuition leiten lassen, den Spuren folgen, auf die sie Lust haben, und beim nächsten Mal vielleicht anderen. Die Vielschichtigkeit, Offenheit und Entspanntheit, die die Domäne Dahlem besonders macht, findet man auch im Culinarium. Nicht nur an Regen-, Schnee- und Eistagen.

Culinarium auf der Domäne Dahlem
Königin-Luise-Straße 49
Berlin-Dahlem

Öffnungszeiten
Mi, Do, Fr 14 – 17 Uhr, Sa & So 10 – 17 Uhr

Zum Beitrag „Eine Frage der Balance. Zu Besuch auf der Domäne Dahlem“ hier entlang.

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