vonkirschskommode 21.01.2020

Kirschs Kommode

Komplett K: Kommodenfächer & Kurzwaren, Krimi & Kinder, Klasse & Küche, Kypris & Kirche, K-Wörter & Komfort.

Mehr über diesen Blog

Umwegig genug war herauszubekommen, wie klassische chinesische Lyrik klanglich-rhythmisch sich wohl ausgenommen haben mag. Aber es ist so, wie ichs mir dachte: Ein Zeichen ist eine Silbe ist ein Wort. Die Zeilen sind fünf oder sieben Wörter bzw. Silben bzw. Zeichen lang, die Strophen meist vierzeilig, die Übersetzer geben das Reimschema abcb, defe, ghih usf. wieder, was stimmen mag oder nicht; es wird wohl auch andere gegeben haben, denn die chinesischen Wörter enden meistens auf Vokalen und manchmal auf n oder ng, sodass es an Reimwörtern und damit an Möglichkeiten nicht mangelt. Dass auch in klassischen japanischen Formen die Fünf- und Siebensilbenzeilen so oft vorkommen, könnte auf den Versuch zurückzuführen sein, chinesische Formen nachzuahmen. Ich weiß darüber natürlich eigentlich nichts.

Übertragen wäre hier, möglichst „chinesisch“ nachzudichten: nur einsilbige Wörter, etwa statt Wasser Tau, Nass, Fluss, Strom, dazu Reihungen von Verben in der dritten Person, undeklinierte, kurze Adjektive, Artikel nur ausnahmsweise im Auftakt und zweisilbige Wörter ebenfalls nur ausnahmsweise beim weiblichen Reim. Zweisilbige zusammengesetzte Nomen entsprächen zwei Zeichen, ein Wort wie Dampfdrucktopf entspräche dreien. Es ist wenig erstaunlich, dass die damit Befassten sich dieser Aufgabe bislang nicht gestellt haben. Und dann wiederum doch: Sie ist so wenig lösbar, dass die Herausforderung unwiderstehlich wird.

In der Anthologie „Der seidene Fächer“ gibt der Übersetzer, Volker Klöpsch, Li Bos Nachtgedanken so wieder:

Das helle Mondlicht vor meinem Lager
hab ich im Augenblick für Reif genommen.
Ich sehe auf zum Mond, senke das Haupt:
mir ist die Heimat in den Sinn gekommen.

Ich vermute hier – ich, aufsehen, Mond, senken, Haupt – eine Fünf-Zeichen-Zeile:

Mondlicht streift mein Bett,
Reif scheints mir zuerst.
Auf seh ich; dann mich:
Heimweh, du verzehrst.

Das ist jetzt alles andere als überzeugend, was sie Wortwahl angeht. Auch schaffe ich es nur in der ersten und dritten Zeile, wirklich fünf halbwegs Bedeutung tragende Silben zu verwenden. Und sie tragen weit weniger Bedeutung als jedes beliebige chinesische Wort, das immer auch an der Bedeutung seiner homophonen Mitwörter teilhat. Aber die Knappheit, die durch die Beschränkung auf fünf Silben entsteht, scheint mir trotz allem eine Berichtigung der obigen Übersetzung zu sein.

Zum Nachdichten klassischer chinesischer Gedichte bräuchte ich eine Übersetzung nicht nur des Sinns und Nebensinns der Zeilen, sondern auch Zeichen für Zeichen – wahrscheinlich gibt es das nicht. Aber immerhin dürfte sich so dichten lassen, pseudo-chinesisch, dreihebige Trochäen, ein- und zweisilbige Wörter, es käme auf einen Versuch an: Miniaturen, die interessanter und liedhafter wären als z.B. Haikus und Verwandte. Was sich damit behandeln ließe, wäre der Spalt zwischen privat empfundenen Glück oder auch der Freude am jahreszeitlichen Zyklus und einer immer bedrohlicher werdenden Weltlage.

Nass mein Weg, voll Laub,
gelb glüht Sommerlicht.
Warm das Farbzitat.
Kalt brennt mein Gesicht.

Bis hierher. Das Thema ist nicht erledigt.

***

P.S.: In den weiteren Zusammenhang mit chinesischer Lyrik gehört auch das folgende kleine, keinesfalls „pseudo-chinesisch“ gearbeitete Gedicht – ursprünglich für ein Kindertheaterstück entstanden, in dem der Glücksgott einen Auftritt hatte. Seine Zeilen umfassen, durchs Versmaß bedingt, immer sieben oder sechs Silben, sie sind maximal einen Auf- und Abtakt länger als die zwei Vierzeiler oben. Sie wirken aber nicht halb so vollgestopft mit Inhalt. Die Zeilen oben sind hartes Brot, die hier folgenden weiches, leicht zu beißen und zu schlucken. Das ist Lyrik: Ein unscheinbares Silbchen pro Zeile mehr oder weniger und gleich bin ich in einer anderen Welt.

Neujahrssegen des Gottes Shou Xing

Das Jahr des Schweins, es endet,
der Ratte Jahr rückt an,
als Gott des langen Lebens
verteil ich Gaben dann.

Am Südpol hab ich Wohnung;
in roten Briefen Geld
bring ich für Glück und Wohlstand,
möcht, dass es lange hält.

Die Jahre gehn und kommen,
eins hängt am andern dran.
Wer Glück hat und wems gut geht,
dem hat die Zeit nichts an.

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/kirschskommode/chinesisch/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert