Es gibt dieses Jahr einen langsam voranschreitenden Frühling, wie ich seit Langem keinen mehr erlebt habe. Er ist unterkühlt und unfähig, sich zum verschwenderischen Rausch zu steigern. Aber genau dadurch zeigt er sich in seiner ganzen Fülle. Ich finde immer noch blühende Traubenhyazinthen im längst hoch gewachsenen Gras, die doch nach den Schneeglöckchen und Krokussen fast die ersten sind, die im Frühjahr erscheinen. Während gleichzeitig die Rosskastanien schon ihre Kerzen aufstecken. Der brummige Teil meiner Mitwelt schimpft über die niedrigen Temperaturen, er sieht die Pracht nicht, die er ihnen verdankt. Es ist eben weder Grill- noch Biergartenwetter. Und sehr zu bedauern sind jene, denen Landschaft und Parks vor allem Partyraum sind. Es ist Spazierwetter (den Schirm nicht vergessen!).
Weil aber Frühling ist und Mai, kommt mir zum Spazierwetter das unten stehende Gedicht in den Sinn. Ein Freund hat es gelobt, indem er ein Wort für es erfand, es habe einen so schönen „Veränderungsoptimismus“. Was sehr wohl das sein könnte, was alle jetzt brauchen.
Dating
Einander treffen? Wo? Spazieren gehn?
Verfänglich. Jede Frau prägt ihre Orte.
Die ersten Küsse, ersten Liebesworte
sie bleiben lange bei den Dingen stehn,
wo sie getauscht, gesprochen wurden: Ein
bestimmter Baum, im Park die Brücken, Stände
für Eis und Heißgetränke. Das Gelände,
von andern Treffen aufgeladen, lädt nicht ein.
Ihr Eigentum verteidigt jede Ecke,
wenn ich sie, neu begleitet, wiederseh.
Was hier geschah, sie will, dass ich es wecke.
Doch da ich neu begleitet neu versteh,
versteh ich auch, am selben Ort bin ich
kein zweites Mal: Der Ort verwandelt sich.
Es ist fast so, als wolle der Frühling warten, bis wir für den Aufbruch bereit sind.